18.-19. Juli 2008 – Samfya > Lumangwe Falls

18. Juli 2008 – Samfya > Lumangwe Falls

Der Wind hat sich immer noch nicht gelegt, als wir früh morgens aufwachen. Wir verschanzen uns zu einem ungemütlich kalten, raschen Frühstück hinter dem Auto. Danach packen wir unsere Habseligkeiten für die Fahrt zusammen und erhalten schon wieder Besuch vom Besitzerssohn, der uns erneut eifrig bei den Abreisearbeiten filmt. Das wird ein seltsamer Werbefilm, wenn es denn wirklich einer wird. Wir vermuten eher, dass er, wenn sein Urlaub in Samfya beendet ist, seine Kumpels in Lusaka zu einem lustigen Videoabend lädt und die Jungs sich königlich über die campenden Weißen amüsieren, bei denen sogar die Männer Geschirr trocknen müssen. Sei ihnen der Spaß gegönnt!

Wir für unseren Teil jedenfalls machen uns schnellstmöglich vom Acker; noch lange Zeit weht ein strammer Wind und läßt die Riemen, mit denen unsere Dieselkanister auf dem Dach festgezurrt sind, nervtötend im Fahrtwind knattern. Gegen Mittag erreichen wir die Stadt Mansa, die in sonniger Windstille einen freundlichen, aufgeräumten Eindruck macht. Hier gibt es alles, was unser Travellerherz begehrt: Tankstelle, Bank, gut sortierte Supermärkte und Handynetz. Beim Aufforsten unserer Biervorräte hingegen wird es etwas schwieriger. Im ersten Bottlestore wird uns kundgetan, es gäbe in ganz Mansa schon seit Wochen kein Bier mehr. Wieder so ein Fall „Moskitonetz“, denken wir uns und – tatsächlich – im nächsten Alkladen werden wir doch fündig.

Perfekt ausgestattet setzen wir unseren Weg in den Landstrich der Wasserfälle fort. Bereits 60 km nördlich von Mansa erreichen wir die Brücke über den Luonga und statten den Musonda Falls einen kurzen Besuch ab. Die allerdings sind relativ enttäuschend, denn von den Fällen sieht man so gut wie nichts, sind sie doch allerliebst hinter einem häßlichen Kraftwerk versteckt. Das stimmt uns nicht unbedingt traurig, denn heute abend warten auf uns ja die Lumangwe Falls, die als kleinere Ausgabe der Viktoriafälle bezeichnet und als „National Monument“ geführt werden! Nach weiteren 15 km nähern wir uns der Kongogrenze und dem Grenzfluß Luapula. Die nun folgenden fast 80 km führt die Straße in mehr oder weniger unmittelbarer Nähe der Grenze zum Nachbarland entlang. Vom Luapula sieht man leider wenig, doch die Gegend ist umso interessanter, da sie dicht besiedelt scheint und man auf Schritt und Tritt Leute sieht. Nicht immer wird uns nur freundlich gewunken, ganz verstärkt reckt man uns auch drohende Fäuste entgegen und signalisiert uns unmißverständlich, dass wir hier unerwünscht sind. Irgendwie nachvollziehbar, denn in dieser abgelegenen, selten besuchten und infrastrukturell unterentwickelten Gegend, die zudem noch von zahlreichen Kongoflüchtlingen überflutet wird, scheinen wir mit unserem voll gepackten Auto nicht nur fehl am Platze, sondern eher so etwas wie eine rollende Provokation zu sein.

Trotz der dicht bevölkerten Straße finden wir zwischendrin einen scheinbar geeigneten Platz für eine Pinkelpause mit herrlichem Blick auf die sumpfigen Auen des Luapula und die bläulich schimmernden Wälder des benachbarten Kongo. Hurtig verrichten wir unsere Bedürfnisse, denn an der Biegung der nächsten Kurve tauchen schon wieder zahlreiche Kinder auf, die sich rasch neugierig nähern. Ca. 50 m von uns entfernt bleiben sie stehen, trauen sich nicht näher und diskutieren kichernd, ob und wenn ja wer die Rolle der Vorhut übernehmen soll. Aus der anderen Richtung kommend passiert uns ein jugendlicher Radfahrer, dem wir freundlich zuwinken und von dem wir ebenso freundlich zurück gegrüßt werden. Als dieser lebend und ohne von uns gefressen worden zu sein, die Kinderschar erreicht, ruft er ihnen offenbar einige aufmunternde Wort zu, denn der Tross setzt sich daraufhin in Bewegung. Sehr schüchtern und verlegen, kichernd und giggelnd, postieren sich die Kids in sicherer Entfernung am anderen Straßenrand. Mit ein paar Scherzen und Winkereien versuchen wir das Eis zu brechen, was aber nur partiell gelingt. Ein paar Mutige nennen uns, nachdem wir uns selbst gestenreich vorgestellt haben, sogar ihre Namen, die anderen ziehen sich neugierig-ängstlich wieder ein Stückchen zurück. Erst, als wir wieder im Auto sitzen und weiterfahren, trauen sich alle Kinder, lachend und lärmend, ein Stückchen neben uns herzulaufen. Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann? Diesmal in umgekehrter Besetzung. Ein seltsames, aber sehr aufschlußreiches Gefühl.

Ab Kawama führt die Straße wieder weg vom Luapula und der Grenze, die Menschen werden weniger. Bei Mbereshi zweigt die Straße nach Osten ab und führt über eine paßartige Strecke mit wunderschönen landschaftlichen Ausblicken Richtung Kawambwa. Mehrere hundert Höhenmeter windet sich das Teerband nach oben, wir überholen einen Radfahrer, der seinen schwer beladenen Drahtesel schwitzend bergauf schiebt, fotografieren hinunter ins dunstige, akazienbestandene Luapulatal, lassen aus Zeitgründen die Ntumbachushi Falls links, in diesem Falle rechts, liegen und rollen nach Kawambwa wieder bergab. Von weitem schon sehen wir eine riesige Rauchwolke, deren Ursache wir alsbald durchfahren. Ein wild lodernder Buschbrand frißt sich laut knisternd durch das trockene Gras und Gesträuch. Trotz geschlossener Fenster und Lüftung spüren wir die ungeheure Hitze des Feuers und hoffen für den schiebenden Radler, dass ihn sein Weg nicht unbedingt hier durchführt, er vorher abbiegt. Denn zu Fuß, ganz ungeschützt, wären die 200 m für ihn unpassierbar, alle Mühen umsonst gewesen.

20 km östlich von Kawambwa erreichen wir das gleichnamige Tea Estate, Sambias einzige Teeplantage. In unserer Vorstellung hatten wir nun Ausblicke auf malerische Hügel, an deren Flanken sich saftig-grüne Teebüsche schmiegen erwartet, doch recht viel mehr als ein unscheinbares Schild will sich nicht zeigen. Danach vernebelt sich die Sicht noch mehr, denn der Teerbelag nimmt ein abruptes Ende und, begleitet von roten Staubwolken, brettern wir Richtung Chimpembe. Die Straße ist so gut, dass man wirklich, natürlich im Rahmen, brettern kann. Aber es wird auch Zeit, denn wieder einmal haben wir die Strecke unterschätzt und erst gegen 17 Uhr erreichen wir die Abzweigung zu den Lumangwe Falls. Eine offene Schranke, kein Ranger weit und breit; nun holtern und poltern wir gute 9 km über schmale Schlaglochpiste den Wasserfällen entgegen, erhaschen noch einen kurzen Blick in der untergehende Sonne auf die tosenden Wasser, bevor wir unser Camp erreichen. Ein wunderschön gelegener Campingplatz, direkt am Ufer des Kalungwishi, nur 10 Meter von der über 30 Meter hohen Fallkante der Lumangwe Falls entfernt. Wir sind allein auf weiter Flur und errichten unser Lager in der ersten Reihe. Dunkelheit senkt sich herab, der Vollmond taucht die Gischt der Falls in bleiches Licht – ein Regenbogen zeigt sich. Der erste Regenbogen, den ich zu Gesicht bekomme, der vom Mond und nicht von der Sonne verursacht wird! Wir alle sind so fasziniert und hingerissen, dass gerade noch ein schnelles Abendessen drin ist. Während Folienkartoffeln und Boerewors nahezu selbsttätig vor sich hin garen, genießen wir diesen unsäglich schönen Anblick. Dann holt uns, sattgegessen, die nächtliche Kälte ein und wohlig-schnatternd, fröstelnd ziehen wir uns in unsere Zelte zurück, begleitet vom einschläfernden Tosen der Lumangwe Falls.

19. Juli 2008 – Lumangwe Falls

Vom Rauschen der Wassermassen erwachen wir nicht, wohl aber von der Sonne, die ihre wärmenden Strahlen nasekitzelnd durch die laublosen Baumwipfel sendet. Gerade sitzen wir gemütlich am Frühstückstisch, genießen den Kaffee mit Kalungwishiwasser, als der gestern unsichtbare Ranger bei uns aufschlägt. Sein Name wäre „Ugly Warrior“, so jedenfalls verstehe ich ihn auch noch bei der dritten Nachfrage, häßlich ist er nicht, aber wer weiß, woher der Name kommt… Wir laden ihn ein, einen Kaffee mit uns zu trinken, was er gerne annimmt. Er hätte uns gestern Abend vorbeifahren hören, tut er uns schlürfend kund, aber wir hätten ja nicht davon laufen können. Deshalb sei er erst heute da, schließlich mache er den langen Weg vom Gate zu Fuß. Als er uns fragt, ob es uns denn hier gefalle, schwärmen wir ihm vor und Jürg zückt freudig seine Kamera, um ihm seine Mondbogen-Resultate auf dem Display zu zeigen. Ugly gibt sich beeindruckt, wohl weniger wegen des ihm vertrauten Bogens als vielmehr ob des technischen Wundergeräts.

Ganz nebenbei werden die offiziellen Bezahlungsformalitäten abgehandelt und Ugly streut noch ein Extra-Angebot ein. Gerne würde er uns zum Fallgrund der Lumangwefälle begleiten, er könne uns dies uns jenes zeigen, dies und jenes erklären. Annette, Joachim und Jürg sagen freudig zu, ich hingegen verspüre dazu wenig Lust. Warum soll ich da runter latschen, wenn ich hier oben viel mehr sehe? Meine Brillengläser würden von der Gischt so beschlagen, dass meine Sicht doppelt getrübt wäre, fotografieren wäre ohnehin schlecht möglich und zudem ist es auf den dauernassen Felsen des Fallbeckens extrem glitschig; das ist ein Fakt, den man auch von weit oben sieht.

Ugly und meine drei Mitreisenden verabreden sich um 10 Uhr am Einstieg zum Lumangwebecken, ich bleibe genüßlich im Lager zurück. Postiere einen Stuhl im Halbschatten, direkt an der seitlichen Abbruchkante, mit Blick aufs tiefe Becken, zücke mein Buch, meine Kamera, strecke meine Beine aus. Wunderschöne Schmetterlinge flappen an mir vorbei und bald mache ich fotografische Jagd darauf. Die kleinen Biester sind scheu und sehen alles, doch mit viel Geduld gelingen mir ein paar schöne Bilder. Gerade habe ich mich zufrieden und das Alleinsein genießend wieder auf meinem „Regiesessel“ niedergelassen, spiele mit dem Gedanken, meinen Astralkörper nackt in die Fluten des Kalungwishi zu tauchen, als Ugly plötzlich neben mir steht. Er habe auf meine Freunde gewartet, sie seien nicht gekommen, ob ich wüßte, was los ist. Oh-ooh, denke ich mir, die haben sich auf die Pirsch gemacht und Ugly absichtlich vergessen… Wenn dem so ist, muss ich ihm das ja nicht auf die Nase binden. Also erfinde ich mögliche Szenarien unwissender Touristen, die ihn nicht verletzen. Jaja, meine Freunde seien schon seit drei Stunden weg, um zum verabredeten Treffpunkt zu gelangen, aber der läge ja um die Ecke, das könne ja nicht sein. Sicher hätten sie ihn verpasst und seien nun allein unterwegs nach unten, wenngleich ich sie auch nicht beim Abstieg gesehen hätte. Ach, sagt Ugly, die finde ich schon und zieht wieder ab.

Jaja, denke ich mir und warte, bis er außer Sichtweite ist, bevor ich mich in die kühlen Fluten des Kalungwishi stürze. Danach gehe ich erfrischt auf Schotensuche, sehe mir die Fälle von vorne und von der rechten Seite an, wasche Wäsche, fotografiere weitere Schmetterlinge, Falter, Käfer, lese, genieße und frage mich ab und zu, wo die drei wohl sind und ob sie Ugly nun getroffen haben. Sorgen mache ich mir nicht, und wenn, dann nur deswegen, ob ich vielleicht was verpasst haben könnte. Gegen 16 Uhr kehren die vier zurück. Joachim und Jürg flankieren eine schwankende Annette, Ugly dackelt bedröppelt hinterher und macht sich gleich wieder aus dem Staub. Oh-ooh, denke ich erneut, da ist was Gröberes passiert… Und so ist es auch.

Meine Reisekollegen hatten beschlossen, sich alleine auf den Weg zu den mehr als 7 km entfernten Kabweluma Falls zu machen und deren Fallgründe zu erkunden. Unterwegs holte sie, ortskundigerweise, Ugly ein und gab ihnen Begleitschutz. Sie durchdrangen miteinander den traumhaften Mikrokosmos eines Miniregenwaldes zu Füßen eines ursprünglichen Wasserfalls. Annette, Brillenträgerin wie ich, hielt ihre Augengläser in der einen Hand, die teure Kamera in der anderen, als es ihr plötzlich auf den glitschigen Steinen die Beine wegzog. Pardauz, sie knallte voll auf ihren Rücken, die Brille ging hopps, die Kamera blieb heil.

So kamen sie wieder, völlig lädiert, Annette weinend, zitternd, frierend und im Schockzustand. Beine hochlegen, Wärme, trösten, Energie zuführen; Joachim versucht, die Brille zu reparieren. Das gelingt ihm auch weitestgehend, doch Annette ist stark fehlsichtig, ausgerechnet das „schlimme“ Glas ist kaputt, die Ersatzbrille wurde Wochen vorher in Maun bei einem Raubüberfall geklaut und nun geht ein unübersehbarer, unüberblickbarer, brechender Riß quer übers Glas. Annette liegt immer noch zitternd und weinend in der untergehenden Sonne. Ich kann ihr das gut nachfühlen, denn ohne meine Brille bin ich auch nur ein halber Mensch. Aber Gott sei Dank hat sie sich nichts gebrochen oder sich anderweitig schwer verletzt! Als ihr Joachim eine Zigarette in die Hand drückt und sie daran zieht, weiß ich, es wird wieder. Während in Annettes Gesicht die Farbe peu à peu zurückkehrt, sie sich zusehends erholt, bereiten wir das Abendessen zu. Beim gemeinsamen Dinner ist alles weitestgehend wieder senkrecht, Annette hat eine weitere Ersatzbrille hervorgekramt, die nicht ganz ihrer Sehschwäche genügt; aber besser als nix. Ruhe kehrt ein, verzehren nachdenklich unsere Potjie-Lasagne und gehen bald zu Bett. Morgen wird ein anderer Tag! Sagt man so. Wie anders er wird, ahnen wir jetzt noch nicht…

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