CAM – raffinierte Strategie zum Wassersparen

Um CAM zu verstehen, sollten wir uns zunächst einmal klarmachen, was Photosynthese genau bedeutet. Gut, das haben wir alle mal in der Schule gelernt, aber es kann ja nicht schaden, dieses Wissen kurz aufzufrischen.

Durch Photosynthese gewinnen Pflanzen Energie in Form von Glukose. Um diesen Prozess in Gang zu setzen, sind drei Faktoren vonnöten, die die Pflanze aus ihrer Umwelt bezieht, nämlich Kohlenstoffdioxid, Sonnenlicht und Wasser. Letzteres nimmt sie über die Wurzeln auf, das Kohlenstoffdioxid wird über die Luft bezogen und das Sonnenlicht, na ja, das kommt vom Himmel.

Sind diese drei Stoffe in ausreichendem Maße vorhanden, kann die Reaktion beginnen, die in zwei Stufen erfolgt. Stufe 1 ist die sogenannte Lichtreaktion: Chlorophylle, grüne Farbstoffe, die die Pflanze selbst zu bilden in der Lage ist und die in den Chloroplasten sitzen, absorbieren das Sonnenlicht und wandeln diese Lichtenergie unter Zuhilfenahme von ATP (Adenosintriphosphat) in chemische Energie um. Im zweiten Schritt, der Dunkelreaktion, werden dann das aufgenommene Wasser und das Kohlenstoffdioxid in Glukose umgewandelt, welches der Pflanze als Energielieferant und Baustoff dient. Dabei wird Sauerstoff als Abfallprodukt freigesetzt.

In einer stark vereinfachten, aber anschaulichen Formel stellt sich das folgendermaßen dar:
6H2O + 6CO2 = 6 O2 + C6H12O6
sprich 6 Moleküle Wasser und 6 Moleküle Kohlendioxid
ergeben
6 Moleküle Sauerstoff und 1 Molekül Zucker
Das ist „normale“ Photosynthese oder auch C3 genannt.

Warum CAM?

Nun sind Kohlenstoffdioxid und Sauerstoff gasförmig und müssen irgendwie in die Pflanze gelangen, beziehungsweise aus ihr entweichen. Ventile für diesen Gasaustausch sind die Stomata, kleine Spaltöffnungen in den Blättern, die ohnehin schon auf deren Unterseiten sitzen, um die Gefahr einer Wasserverdunstung zu minimieren. Denn was bringt der Pflanze der Akt der Energiegewinnung, wenn sie im Zuge dessen so viel Wasser über die Stomata verliert, dass sie deswegen vertrocknet. In gemäßigten oder mit ausreichend Regen gesegneten Klimareaktionen besteht diese Gefahr eher nicht, wohl aber in ariden Gegenden wie Wüsten oder Halbwüsten. Hier müssen sich die Pflanzen mit minimalen Regenmengen begnügen und haben gleichzeitig mit extrem hohen Temperaturen zu kämpfen – und da zählt jeder Milliliter, jeder Mikroliter. Und allen Unbillen zum Trotz müssen eben auch die pflanzlichen Bewohnern solch trockener, unwirtlich heißer Gebiete Photosynthese betreiben und dabei auch noch Acht geben, kein Wasser zu verschwenden. Was ist also die Lösung?

Was ist CAM?

Die Lösung heißt CAM, also Crassulacean Acid Metabolism oder, auf gut Deutsch Crassulaceen-Säurestoffwechsel. Okay, das ist nun deutsch, aber auch nicht wirklich verständlicher, das gebe ich zu. Doch ich kann’s erklären: CAM ist ein mithilfe eines chemischen Tricks um 12 Stunden verlängerter Vollzug der Photosynthese, also quasi C3 retard. CAM-Pflanzen sind nämlich in der Lage, atmosphärisches und in der Pflanzenatmung freigesetztes CO2 über Nacht zu binden und, umgewandelt zu Malat (Apfelsäure), in den Vakuolen (Pflanzenzellen) zu speichern.

Wenn dann morgens die Sonne aufgeht, erfolgt durch den Lichteinfluss ein Impuls zur Decarboxylierung der organischen Säure Malat, die dadurch wieder zu CO2 wird. Der Anstieg von Kohlenstoffdioxid in den Zellen bewirkt einen Stomataschluss und schon wird die Transpiration und damit der Wasserverlust der Pflanze auf ein Minimum herabgesetzt. Der Prozess der Photosynthese findet ab jetzt wie oben beschrieben statt, auch zur selben Tageszeit wie bei anderen, bei C3-Pflanzen, aber eben bei geschlossenen Fenstern.

Anders und kürzer gesagt: CAM funktioniert ähnlich wie ein Nachtspeicherofen. Das zum Funktionieren benötigte Material wird zu der Tageszeit aufgenommen, da es am günstigsten zu bekommen ist, gespeichert und erst später, wenn es einen höheren Preis hat, zu dem verwertet, wozu es eigentlich gedacht war. Eine raffinierte Lösung, die Pflanzen in sehr trockenen Gegenden hilft, die optimale Balance zwischen lebenswichtiger Energiegewinnung und der zwangsweise damit verbundenenen Transpiration zu halten und somit auch Trockenzeiten oder Phasen mit zu geringem Regenfall weitestgehend schadenfrei zu meistern. Und alles, was die Pflanzen dafür brauchen, sind genügend große Vakuolen, um das Malat speichern zu können und eben jene Fähigkeit, dieses überhaupt zu erzeugen und zum gegebenen Zeitpunkt zurückzuwandeln.

Wer betreibt CAM?

Apropos vergrößerte Vakuolen: Sukkulenten besitzen diese ohnehin, denn sie müssen ja auch Wasser darin speichern – was praktisch ist, denn alle CAM-Pflanzen sind sukkulent. Wohingegen nicht alle Sukkulenten CAM-Pflanzen und CAM-Pflanzen erst recht nicht nur unter den Crassulaceen (Dickblattgewächsen) zu finden sind. Diese besondere Form des Säurestoffwechsels wurde lediglich nach den Dickblattgewächsen benannt, weil er bei ihnen zuerst beobachtet wurde.

Dieser spezielle Metabolismus funktioniert so gut, dass ihn sich viele Sukkulenten zunutze machen, hat aber leider einen entscheidenden Nachteil: CAM ist seiner Energiebilanz unter dem Strich nicht so effektiv wie C3, weshalb alle CAM-Pflanzen meist langsamer wachsen und auch kleinwüchsiger sind, als ihre normal-photosynthetischen Kollegen. Ein Nachteil, der, so finde ich, verkraftbar ist, da er ja das Überleben sichert. Und in meinen Augen haben diese Minis sogar einen ganz besonderen Charme!

Wer kann noch mehr?

Doch es gibt Pflanzen, die sehen das offenbar etwas anders und haben die unglaubliche Fähigkeit entwickelt, abhängig von den vorherrschenden Umgebungskonditionen, von der C3-Photosynthese auf CAM zu switchen, um eben genau diesen Nachteil auszugleichen. Prominente Beispiele sind Mesembryanthemum crystallinum und Mesembryanthemum hypertrophicum, die man unter anderem im sehr trockenen Richtersveld zu erstaunlicher Größe und riesigen Teppichen heranwachsen sehen kann.

Wie machen die das? Was sie zu diesem Umswitchen befähigt, weiß man noch nicht, dass und wann sie es tun, hingegen schon. Also: es regnet, die Samen der genannten Pflanzen keimen explosionsartig und machen sich den Vorteil von C3 zunutze, um möglichst schnell an Größe zu gewinnen. Sobald die Trockenheit erneut einsetzt, schalten Sie auf CAM um, sparen Wasser und legen ihre Kraft in die Blüte, was ihnen, wie ich selbst sehen konnte, auf beeindruckende Weise gelingt!

Und nun guter Letzt – ein weiteres Fenster zum Überleben

Es gibt sogar Pflanzen, die zwar auch sehr kleinwüchsig sind, da sie CAM betreiben (nur bestimmte Spezies), die aber gleichzeitig eine weitere Strategie zur Verdunstungsreduzierung verfolgen, und deshalb außerordentlich widerstandsfähig sind: die sogenannten Fensterpflanzen. Bekannte Arten sind zum Beispiel Lithops, Conophytum und, wie der Name bereits verrät, Fenestraria.

Die Strategie dieser Tausendsassas ist besonders faszinierend: ein großer Teil der Pflanzen wächst unterirdisch, ist also ohnehin schon ganz gut gegen Verdunstung geschützt. Um aber möglichst viel Pflanzenfläche zur Photosynthese nutzen zu können, haben sie so etwas wie eingebaute „Dachfenster“, ein transluzentes Gewebe, das Licht ins Innere der Pflanze dringen lässt. Und es sind nicht nur Fenster, oft ist auch das darunterliegende Gewebe weitestgehend lichtdurchlässig. Die Sonne erreicht somit eine maximale Fläche an photosynthesefähigem Gewebe, das die transluzenten Teile der Pflanze wie ein Kelch umgibt – ein Kelch, der fast komplett im Boden verborgen ist und trotzdem die Vorteile eines vollsonnigen Standorts nutzen kann. Genial!

Quellen:
Florent Grenier, Secrets of Namaqualand Succulents, Eigenverlag, 2019
Werner P. Herppich, Ist der CAM (Crassulacean acid metabolism) eine Anpassung an Trockenstress?, Schumannia 4, 2004, S. 207-215

Titelbild von Patrick Blaise, pixabay

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