20. Juli 2008 – Lumangwe Falls > Isanga Bay

Der Tag beginnt, wie immer, relativ früh und gestaltet sich zunächst völlig unspektakulär. Zumindest wenn man ein Frühstück am Rande der Lumangwe Falls unspektakulär nennen darf. Danach packen wir unsere Siebensachen, verabschieden uns von Ugly und machen uns auf den Weg zu unserem heutigen Tagesziel, der Isanga Bay Lodge an den Ufern des Lake Tanganjika. Allerdings haben wir beim Frühstücken und Packen schon wieder arg getrödelt und angesichts der vor uns liegenden Strecke von ca. 470 km sind wir, als wir gegen 10 losfahren, viel zu spät dran. Das wird sich noch rächen… Doch davon ahnen wir jetzt noch nichts und tuckern wohlgemut los. Die rund 100 km „Sonstiger Straße“ nach Mporokoso sind ziemlich schlecht, wir fahren schwungvollen Slalom um zahlreiche Schlaglöcher. In Mporokoso selbst brauchen wir ewig bis wir endlich, nach mehrmaligem Fragen, die richtige Abzweigung Richtung Katutwa finden. Man möchte es nicht glauben, denn auf der Karte sieht alles so einfach aus, gibt es doch nur die eine Straße. Mporokoso liegt auf einem Hochplateau, ist eine Kleinstadt mit gerade mal 3500 Einwohnern und versinkt infrastrukturell in der Bedeutungslosigkeit. Was das Kaff so unübersichtlich macht ist seine unerwartete Weitläufigkeit und recht untypische Einteilung in eine Art krumm-schiefes Straßenraster. 1998 ergoß sich ein riesiger Strom von Kongoflüchtlingen über Sambia und die UNHCR richtete in Mporokoso ein logistisches Zentrum zur Versorgung der Bürgerkriegsvertriebenen ein. Heute sind in diesem Ort praktisch alle großen Hilfsorganisationen vertreten und haben mit dem Gewirr neu erbauter Wohn- und Office-Gebäude maßgeblich zur Unübersichtlichkeit beigetragen.

Weitere 85 km quälen wir uns nach Mporokoso über staubige Schlaglochpiste, bis wir schließlich die Abzweigung Richtung Great North Road via Kopeka erreichen. Ab hier wird die Schotterpiste richtig gut, führt kurvig bergauf und bergab durch reizvolle Hügellandschaft, bis wir bei Nondo auf die M1 stoßen. Und dort beginnt Teil 1 des wahren Fahr-„Vergnügens“. Die Qualität dieser Hauptverkehrsstraße ist vergleichbar mit dem Streckenabschnitt Lusaka-Zimba: Teerbelag ist streckenweise nur noch rudimentär vorhanden, dafür reiht sich ein Schlagloch an das nächste, Unmengen von Fußgängern, Radfahrern, Ziegen, Hühnern und Hunden wimmeln auf und neben der Straße herum. Immer wieder passieren wir liegengebliebene oder verunfallte, ausgebrannte Lkw, der noch fahrende Schwerverkehr kommt uns meist schwankend, den badewannentiefen Schlaglöchern ausweichend, auf unserer Seite der Fahrbahn entgegen. Die 70 km bis Mbala sind erschöpfende Schwerstarbeit für Joachim und Jürg, die unseren Landy hochkonzentriert nach Norden treiben. Kurz nach 17 Uhr, die Sonne steht schon sehr tief und wir sind immer noch nicht in Mbala, knallt es plötzlich laut, der Wagen kommt ins Schleudern und wir haben, wie sollte es anders sein, einen Platten. Jürg kommt unfallfrei am Straßenrand zum Halten. Natürlich sind weit und breit keine brauchbaren Äste zur Absicherung der Unfallstelle in Sicht und das Warndreieck ist irgendwo. Also bemühen Annette und ich uns um „persönliche“ Markierung des Verkehrshindernisses, während die Männer in Rekordgeschwindigkeit den Reifen wechseln.

Wie immer wachsen auf der Stelle einige Menschen aus dem Boden, die uns interessiert beobachten. Drei ältere Frauen und drei Jungs nähern sich neugierig und wollen sofort fotografiert werden, als sie der Kamera, die gerade zur Dokumentation unserer Panne im Einsatz ist, ansichtig werden. Nach einer Viertelstunde ist der neue Reifen montiert, der kaputte wieder ans Heck geschraubt und wir beenden den Fototermin, den unsere Models sicher gerne noch ausgedehnt hätten. Wir aber haben es eilig. Bei Sonnenuntergang endlich erreichen wir Mbala und erwägen noch kurz eine Übernachtung in einem hiesigen Hotel. Doch die Möglichkeiten hierzu sind mehr als bescheiden und auch nicht wirklich vertrauenerweckend – so beschließen wir die Weiterfahrt zur Isanga Bay Lodge. Sind ja nur noch 20 km, reden wir uns die Sache schön; auf diesen 20 Kilometern allerdings geht es 600 Höhenmeter nach unten. Ein martinshornender Krankenwagen überholt uns, das blaue Geblinke verliert sich rasch im dichten Schilf, das den Wegesrand säumt. In unserer Naivität und Ortsunkenntnis gehen wir davon aus, dass der Notarzt sicher zur Lodge hinunter fährt und wenn der das schafft, sollte es für uns erst recht kein Problem sein. 10 Minuten später sehen wir es wieder blinken – der Sanka steht vor einer der letzten Dorfhütten und wir müssen uns ohne unseren Befahrbarkeitsgaranten in die Dunkelheit stürzen.

Auf den ersten Kilometern läßt sich die Piste noch harmlos an. Zwar führt sie streckenweise durch dichtes Schilf, das in die Fahrbahn wuchert, aber da es ohnehin stockfinster ist, fällt diese Sichtbeeinträchtigung kaum mehr ins Gewicht. Wenn das so weiter geht, sind wir ja auch bald unten, denken wir und freuen uns schon auf ein Essen im Lodgerestaurant und auf ein kühles Bier. Doch dann beginnt Teil 2 des ultimativen Fahr-„Spaßes“: es wird zunehmend felsiger und steiler, der Weg hat gewisse Ähnlichkeit mit einem wasserlosen Bachbett in den Alpen. Scharfkantige Felsbrocken, ausgewaschene knietiefe Längsrillen, schmale Lehmstege, über die das Auto balanciert werden muß, immer wieder quer liegende Bäume, die uns beim Ausweichen über Wurzelwerk und durch dichtes Gebüsch zwingen, starke Gefälleabschnitte. Alles in allem erinnert das ganze an den namibischen Van Zyls Pass, der ja ziemlich berüchtigt ist. Und wir dürfen das, quasi als Doppelkick, auch noch in völliger Finsternis genießen.

Jürg springt immer wieder aus dem Auto, lotst Joachim haarnadelscharf um Bäume, über riesige Felsbrocken und handbreite Lehmstege. Wenn man die Situation ganz nüchtern betrachtet, wäre es eigentlich dringend angeraten, umzukehren und die Strecke erst morgen, bei Tageslicht anzugehen. Doch es besteht keinerlei Möglichkeit zu wenden und wir stecken bereits so tief im Schlamassel, dass es irgendwie schon einerlei ist. Unendlich langsam kommen wir vorwärts, ab und zu sehen wir Lichter von unten durchs Gebüsch leuchten, die uns vorgaukeln, es könne nicht mehr weit sein. Der Blick aufs GPS allerdings belehrt uns permanent eines Besseren. Jürg eilt unermüdlich vor dem Landy her, leuchtet, lotst, die schlimmsten Rinnen füllen wir notdürftig mit rasch herbei geschleppten Felsbrocken, Joachim steuert uns bravourös und feinfühlig über alle kritischen Stellen. Höchste Konzentration und Anspannung halten uns im Bann, lenken ein wenig von der Brenzligkeit der Situation ab. Allein Annette, die panische Angst vorm Kippen hat, atmet immer heftiger, verkrampft sich immer mehr.

Ca. 4 km vor dem Ziel, in einer besonders steilen und ausgewaschenen Passage – oh Murphy’s Law – passiert es dann. Der Landy eiert soeben wieder über gerade mal reifenbreite Lehmstege, als das linke Hinterrad das schmale Stück festen Bodens verfehlt und in eine fast 60 cm tiefe Rinne abrutscht. Annette schreit auf, wir sitzen wie erstarrt im Auto, wagen uns kaum zu bewegen, denn wir haben gefährliche Schräglage. Schnell versuchen wir uns zu fassen und sehr geordnet, unter Berücksichtigung der Gewichtsverteilung, verlassen wir einer nach dem anderen unser schiefes Gefährt. Annette und ich hängen uns wie beim Segeln als Gegengewichte an die hochstehende Seitenkante des Landys, mit dem Oberkörper im dichten Geäst der Böschungsvegetation. Jürg schleppt tonnenweise Felsmaterial zur Unterfütterung des Reifens heran, während Joachim vorsichtig versucht, das Auto mit dem Highlift Millimeter für Millimeter anzuheben. Nicht ganz ungefährlich, denn es könnte leicht passieren, dass der Wagen durch die minimale Verlagerung noch weiter abrutscht. In diesem Falle müssten Annette und ich sofort nach hinten ins Gebüsch springen, damit uns das kippende Auto nicht mitreißt. Annette, die ähnliche Angst vorm Umkippen hat wie ich vor Heuschrecken, ist am Rande ihrer Belastungsfähigkeit angelangt. Ich finde die Vorstellung, mich bei Dunkelheit in afrikanisches Dornengestrüpp zu werfen auch nicht sehr verlockend, es reicht schon, dass ich mit dem ganzen Oberkörper drin hänge, aber es hilft ja nichts. Da müssen wir jetzt durch!

Kaum merklich hebt sich das Auto und peu à peu unterfüttern die Männer den Reifen, während wir Damen, in situationsbedingter Dankbarkeit für jedes überflüssige Pfündlein, mehr oder weniger zur Untätigkeit verdammt an der Dachleiste hängen. Jürg ist schweißüberströmt und es tut mir so leid, dass ich nicht beim Schleppen helfen kann. Doch wir müssen gewichtig die Stellung halten. Nach einer halben Stunde angestrengten Arbeitens steht das Auto nicht mehr ganz so schräg und Joachim will es wagen. Er instruiert uns vor dem Losfahren: Bitte, das ist ein ganz kritischer Moment, bleibt auf dem Trittbrett, lehnt euch so weit wie möglich raus, bis wir da wieder draußen sind. Er lässt den Motor an, gibt vorsichtig Gas und man merkt, wie der Wagen Kraft aufbaut, um sich rauszuziehen. Annette verlassen in diesem Moment, beim ersten spürbaren Ruck, die Nerven und sie springt ab. Ich merke, wie ein leichtes Beben durchs Auto geht, fast denke ich, wir kippen doch noch, aber es gelingt Joachim, den Wagen stabil zu halten. Mein Rücken schleift durchs dornige Gebüsch und wird ziemlich zerkratzt; ich will gar nicht wissen, was mich alles beißen oder stechen könnte, bleibe einfach mit fest zugekniffenen Augen hängen und Sekunden später sind wir endlich raus. Annettes Anspannung fällt ab und ihre unsägliche Erleichterung bahnt sich in Form von Tränen einen Weg nach draußen. Das ist ja alles gerade nochmal gut gegangen!

Nach einer kurzen Entspannungspause tasten wir uns noch die letzten Kilometer bergab und gegen 21 Uhr, nach nunmehr drei Stunden, erreichen wir das Fischerdorf vor den Toren der Isanga Bay Lodge. Nicht, dass der Weg jetzt besser würde. Unübersichtlich, mit riesigen Felsbrocken gespickt, windet sich die „Straße“ durch das lang gezogene Dorf. Aufgeregte Kinder und Jugendliche laufen in Scharen neben uns her, wollen hinten aufspringen, möchten uns begleiten und den Weg weisen. Letzteres ist wirklich nötig, denn wir haben völlig die Orientierung verloren und das Gewimmel macht die Sache nicht wirklich leichter. Ein junger Mann bietet seine Hilfe an, die wir gerne in Anspruch nehmen würden, doch ein zweiter will ihm diesen Posten streitig machen, setzt sich ungebetenerweise einfach auch auf unsere Motorhaube. Wir bitten ihn, das zu unterlassen, doch er will nicht hören. Erst als Jürg aussteigt und ihn anbrüllt, verläßt er widerwillig seinen Trackersitz, läuft statt dessen neben dem Auto her und beschimpft permanent unseren Helfer. Am Dorfende müssen wir noch eine total löchrige, instabile Brücke überqueren und, endlich, eine halbe Stunde später kommen wir am Zaun der Lodge an. Von einem Tor, einer Durchfahrt ist weit und breit nichts zu sehen, doch unser Helfer hängt kurzerhand den Stacheldraht zwischen zwei Zaunpfosten aus, so dass wir passieren können.

Mit einem kleinen Trinkgeld belohnen wir unseren Lotsen, der sich winkend von uns verabschiedet. Kaum ist er ein paar Meter gegangen, fällt sein Konkurrent laut schreiend und schimpfend über ihn her, will ihm das Geld abluchsen. Wir sehen noch, wie er flüchtend in der Dunkelheit verschwindet, der andere ihm immer dicht auf den Fersen. Doch das kann unser Problem nicht mehr sein. Wir sind so froh, endlich angekommen zu sein, so ausgepumpt und erschöpft, dass wir nur noch unsere Zelte aufbauen, etwas essen und trinken und dann schlafen möchten. Erst aber müssen wir die Campsite finden, was gar nicht so einfach ist. In der Ferne sehen wir ein Licht schimmern und fahren einfach mal in diese Richtung. Nach ein paar Irrungen sehen wir tatsächlich ein kleines Holzschildchen, das uns kundtut, hier sei der Campingplatz. Wir beschließen, gleich mal das Auto auszuladen, die Zelte aufzubauen und dann erst zur Lodge zu tappern, die wir immer noch nicht erspäht haben.

Kurz darauf steht plötzlich ein Lodgeangestellter vor uns, heißt uns willkommen. Wir fragen, wo genau das Lodgegebäude denn sei und versprechen, so rasch wie möglich zur Anmeldung dort hin zu kommen. Doch eigentlich können wir auch später aufbauen und uns erst mal ein kühles Bier und was zu essen gönnen. Gerade wollen wir dem Lodgeboy folgen, als der ebenso schnell wieder in der Dunkelheit verschwunden ist, wie er auftauchte. Nun gut, wir finden schon selbst dort hin. Tatsächlich stehen wir eine Viertelstunde später auf der schwach beleuchteten Barterrasse. Ob wir denn ein Bier haben könnten, fragen wir den Angestellten, der schon auf uns gewartet hat. Jaja, meint er, aber nur, wenn wir über Nacht blieben. Klar, was sollen wir denn sonst machen? Glaubt der echt, wir hätten einen kleinen Nachtausflug gemacht, würden gleich wieder fahren? Wir bestätigen unsere Übernachtungsabsichten und der Knabe macht sich auf den Weg, die Madam zu informieren. Die nämlich hätte auch den Schlüssel zum Kühlschrank.

Zehn Minuten später tapst die blonde Madam namens Rene verschlafen um die Ecke, schließt den Kühlschrank auf und serviert uns das heiß ersehnte Bier. Ja, wenn sie das gewußt hätte, dass wir mit dem Auto kommen, hätte sie uns schon gesagt, dass die Straße eine Katastrophe ist. Warum sie uns das bei der Reservierung per Email nicht mitgeteilt hat, verschweigt sie uns tunlichst. Aber schön, dass wir jetzt da wären, meint sie, wir seien immerhin das dritte Auto in diesem Jahr(!), das es zur Lodge geschafft hätte. Na, Prost Mahlzeit! Doch sie hat recht; was sollen wir uns Gedanken machen oder gar ärgern, sitzen wir doch wohlbehalten in bequemen Stühlen, sind angekommen. Zu essen jedoch bekommen wir leider nichts mehr, das hätten wir vorher anmelden müssen. Ein kleiner Witzbold ist sie schon, die gute Rene. So also ergeben wir uns unserem Schicksal und kompensieren die uns vorenthaltenen Kalorien einfach mit ein paar Bierchen mehr. Rene leistet uns Gesellschaft und es wird noch ein netter Plauderabend, bei dem wir viel über die Logde, Rene und ihren schweigsamen Lebensgefährten Sean erfahren. Etwas angesäuselt marschieren nach Mitternacht zur Campsite zurück, bauen die Zelte auf und sinken ermattet von diesem aufregenden Tag in unsere Schlafsäcke.

(Aus verständlichen Gründen existieren von dieser Höllenfahrt keine Bilder; die Aufnahme des Landrovers am steinigen Abgrund ist eine Fotomontage zweier Bilder, die lediglich der Veranschaulichung dienen soll. Der Ziegenmelker allerdings saß wirklich auf dieser Strecke und, nachdem wir das Auto glücklich wieder aus der Rille hatten, kehrte die Knipslust zurück…)

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