25. – 26. Juli 2008 – Mutinondo Wilderness

25. Juli 2008 – Mutinondo Wilderness, Ruhetag

Ach, ist das ein schönes Gefühl, wach zu werden und zu wissen, dass man nicht gleich wieder packen muss. Mit gepflegtem Ausschlafen ist’s dennoch Fehlanzeige, denn ein belgischer Ornithologe stolpert schon bei Sonnenaufgang laut raschelnd und murmelnd über unsere Site, seine Gattin zwitschert ihm hinterher. Nebenan nächtigte eine britische Schülergruppe, die heute das Escarpment hinunter wandern wird und die Jugendlichen sind – wenn auch sehr wohlerzogen und an und für sich leise – zum Weiterschlafen doch zu laut. Und außerdem bin ich tierisch neugierig, was es hier bei Tageslicht zu entdecken gibt.

Das Campingareal sieht schon mal sehr gut aus. Jede Site ist ausgestattet mit einer hölzernen Tischbank, einem gemauerten Küchenblock inklusive einer abschließbaren Tür und einem riesigen Brennholzstapel, der offenbar täglich nachgefüllt wird. Am Rande des großen Platzes, der in viele kleine Stellplätze unterteilt ist, befinden sich Spül- und Waschgelegenheiten, daneben mehrere einzelne Toilettenhäuschen. Alles ist sehr gepflegt und großzügig, der Clou aber sind die Klos. Wenn man auf der Schüssel, respektive auf dem Brett sitzt, kann man durch eine große unverglaste Öffnung direkt in den Wald hinaus schauen und seine dringenden Bedürfnisse, begleitet von Vogelgezwitscher und Blätterrauschen, naturnah erledigen.

Wir nehmen ein ausgedehntes Frühstück zu uns, während die Sonne langsam durch die Baumkronen späht. Mike stattet uns einen erneuten Besuch ab, möchte wissen, ob wir gut geschlafen hätten und ob wir für heute eine der Ressortaktivitäten buchen möchten. Ganz gegen unser üblichen Gepflogenheiten entscheiden wir uns für einen nachmittäglichen Ausritt auf den ressorteigenen Pferden, von denen Mike uns versichert, sie seien allesamt sehr brav. Das beruhigt mich ungemein, denn ich bin erst zweimal in meinem Leben auf einem Pferd gesessen; die typische Jungmädchen-Pferde-Besessenheit hatte mich nie ereilt und befinde mich deshalb auf völlig unbekanntem Terrain.

Doch bevor ich equines Neuland beschreite, möchte ich erst mal die Umgebung erkunden. Nach getanen Haushaltspflichten, so gegen 10 Uhr, mache ich mich auf den Weg. Eigentlich möchte ich nur zu den nächst gelegenen Choso Falls hinunter, ein Fußmarsch von vielleicht 10 Minuten. Die Landschaft ist traumhaft, der große offene Platz bei den kleinen Wasserfällen auch – das macht Lust auf mehr. Und ich hab ja Zeit. Ausgerüstet bin ich allerdings nur mit Turnschuhen und meiner Kamera. Mike erzählte gestern, man könne das Wasser aus dem Mutinondo River getrost trinken; verdursten werde ich also schon mal nicht. Einen Sonnenschutz benötige ich ebenfalls nicht, denn meine Haare sind so dicht, dass diese die selbe Wirkung wie ein Sonnenhut haben. Größere Raubtiere, Hippos oder Elefanten, denen man unerwartet gegenüber stehen könnte, gibt es in Mutinondo auch nicht. Wenn also das Gelände nicht zu unwegsam wird, bin ich gerüstet.

Wohlgemut wandere ich weiter zu den Ndubaluba Falls, vorbei an größeren und kleineren Granithügeln, an bunten Schmetterlingen, Blumen und Vögeln. Nach einer ganzen Weile höre ich es aus der Ferne rauschen, es wird immer lauter und bald stehe ich vor den nächsten Fällen. Die allerdings sind schon „besetzt“. Eine belgische Familie, Freunde des Ornithologen, sitzt am Ufer und genießt den Ausblick. Da will ich natürlich nicht stören. Ersatzweise klettere ich auf eine der nahe gelegenen Granitkugeln, die aufgrund ihrer kugeligen Form tatsächlich „Whalebacks“ genannt werden, eine Assoziation, die ich gestern auch schon hatte. Die wissenschaftliche Bezeichung einer solchen Formation ist „Inselberg“, in der deutschen wie in der englischen Sprache. Einen solchen Inselberg also erklimme ich jetzt – der Fels ist sanft gerundet, mal flacher, mal steiler, aber immer so griffig, dass ich auch mit meinen Turnschuhen problemlos auf Reibung gehen kann und sicheren Halt habe.

Diese Whalebacks sind, ähnlich einer Zwiebel, in Schichten aufgebaut, mit Flechten bewachsen und natürlich der Erosion ausgesetzt. An manchen Stellen wurde die oberste Schicht von Wasser unterspült und bereits vom Frost abgesprengt; es sind quadratmetergroße „Schalenstücke“ heraus gebrochen und abgerutscht. Anderswo bereitet sich dieser Abbruch vor und großflächige, aber nur millimeterhohe Hohlräume liegen unter einer wenigen Zentimeter starken Granitschicht. Klopft man hier mit einem Gegenstand auf die Oberfläche, erzeugt das ein volltönendes Geräusch, ähnlich einer tiefklingenden Trommel. Verlagert man sein Gewicht und klopft an unterschiedlichen Stellen, kann man richtige Melodien spielen. Bei dieser Gelegenheit muss ich wieder an die Drum Rocks im Lochinvar denken, die ich so herab gewürdigt habe: vielleicht hätte man diesen auch klingende Laute entlocken können…

Zurück zu Mutinondo. Durch die Felsabrutsche sind kleine Absätze entstanden, abgestorbenes Pflanzenmaterial hat sich dort gesammelt, ist zu Humus geworden und lebende Pflanzen haben sich dort angesiedelt. Wunderschön blühende Aloen, stachelige Sukkulenten und erdbeerähnlich rankende Grasbüschel, die wie gekräuselter Silberdraht im Sonnenlicht schimmern. Mal gehe ich beinlings, mal robbe ich bäuchlings über den Fels, um die schönsten Blickwinkel zum Fotografieren einzufangen. Es ist ein herrliches Gefühl, Zeit zu haben in einer derart verzaubernden Landschaft und – offen gestanden – genieße ich es auch sehr, mal wieder ganz für mich alleine zu sein. Wir vier sind sehr harmonisch miteinander unterwegs, unsere Wellenlänge ist die selbe, es gibt keine Reibereien, aber schließlich kleben wir schon mehrere Wochen dicht an dicht aufeinander, so dass mit Sicherheit für jeden von uns der Augenblick des Alleinseins mit seinen Gedanken und Empfindungen ein besonders genussvoller ist.

Nach ausgiebigen Krabbeleien und Knipsereien stelle ich mich wieder auf meine Beine und steuere die nächsten Wasserfälle an, immer wieder bleibe ich stehen und gouttiere die An- und Ausblicke. Ich überquere ein winziges Bächlein und da liegt ein ziemlich großes Feigenblatt augenfällig vor mir auf dem Weg. Es sieht mich geradewegs aus zwei braunen Augen an; halb vertrocknet, wie das Blatt schon ist, weist es grüne und braune Stellen auf, darunter auch zwei kugelrunde, hellbraune Flecken, gesäumt von einer dunkelbraunen Linie. Sofort muss ich an meinen Freund Heinz denken, seine Augen, seine Liebe zu Pflanzen – und wenn eines dieser Fotos so wird, wie ich es mir vorstelle, werde ich es ihm schenken. Vielleicht sieht ihn das Blatt dann genau so intensiv an wie mich gerade.

Von diesem und anderen Gedanken beschwingt, wandere ich weiter, komme irgendwann bei den Mulinso Falls an und nehme erst mal einen großen Schluck des glasklaren Flusswassers. Wird schon gut gehen, sage ich mir, meine Besorgnis hinsichtlich einer Infektion hält sich allerdings in sehr engen Grenzen. Bereits als Kind habe ich mit höchstem Genuß Wasser aus Alpenbächen getrunken, sorgfältig ausgewählt von meinem Vater, aus dessen duftenden Händen. Wie habe ich das geliebt, rieche und schmecke das Ganze noch heute – und bin niemals davon krank geworden. Meine Güte, diese Landschaft macht echt sehr sentimental!

Eine weitere, fast wehmütige Kindheitserinnerung: ich war eine ausgeprägte Wasserratte, kein auch noch so kalter Bergbach war vor mir sicher. Heutzutage bin ich nicht mehr gar so planschversessen und zudem noch recht verfroren. Trotzdem steige ich testhalber bis zu den Knien in den Mutinondo River, dessen Wasser ich gerade getrunken habe. Uah, verdammt, ist das kalt! Ich widerstehe der optischen Verlockung, verschiebe meine Badeentscheidung noch ein wenig und lege mich statt dessen auf die glatten Felsen am Ufer, lausche dem Geplätscher und Getose. Nach einer sehr ausgedehnten Weile werfe ich einen widerwilligen Blick auf meine Uhr. Es ist schon 13 Uhr, vielleicht sollte ich mich langsam auf den Rückweg machen, schließlich ist in drei Stunden Reiten angesagt. Mit leichtem Bedauern raffe ich mich auf, gehe wieder bergan und stoße an der nächsten Wegbiegung fast mit Jürg zusammen. Der ist genauso begeistert wie ich und nach kurzen Schwärmereien über das Gesehene und Erlebte trennen sich unsere Wege erneut. Jürg geht weiter bergab, ich wieder ein Stück nach oben, an einer besonders schönen Stelle des Mutinondo River halte ich aber gleich wieder an.

Warum, bitte, soll ich mich hetzen? Jürg genießt die Zeit auch bis zur letzten Sekunde. Zwar hat er längere Beine als ich, aber bis 16 Uhr bin ich allemal zurück. Ich werfe meine Klamotten von mir und steige vorsichtig ins eiskalte Wasser. Jetzt kommt der Bauch, eine besonders kritische Zone! Gerade noch japsend, jetzt quiekend, stürze ich mich todesmutig in den kristallklaren Pool. Das Wasser schlägt über meinem Kopf zusammen, spült den Schweiß von meiner Haut und nach dem ersten Temperaturschock fühlt sich das ganze unvergleichlich geil an. Herrlich! Ich paddle eine Weile mal rück-, mal brustwärts durch die Gumpe, doch trotz aller Traumhaftigkeit wird es doch sehr schnell ungemütlich. Mich friert, es fühlt sich an, als hätte ich bereits blaue Lippen – ein bisschen wie als Kind eben. Bevor ich jedoch völlig einfriere, klettere ich aus den Fluten, lege mich zum Trocknen und Aufwärmen auf die Felsen. Das mit dem Trockenwerden allerdings geht viel zu schnell; ein bisschen umdrehen, nochmal vom Rücken auf den Bauch und wieder zurück.. Irgendwann ist auch der letzte Tropfen auf meiner Haut verdunstet, ich ziehe mich wieder an und stapfe den Pfad weiter nach oben. Fast überlege ich schon, das Reiten ausfallen zu lassen, doch wie soll ich den anderen Bescheid geben, würden sie sich sicher Sorgen machen. Außerdem möchte ich mir das auch nicht entgehen lassen: auf einem Pferderücken zu sitzen und diese Traumlandschaft aus höherer Warte, unter kundiger Leitung zu sehen.

Eine halbe Stunde vor unserem Reittermin bin ich zurück, springe in lange Hosen und gemeinsam schreiten wir dem Abenteuer entgegen. Bei den Ställen werden wir mit Reithelmen ausgestattet, staturtechnisch begutachtet, nach unseren Vorkenntnissen befragt und den entsprechenden Pferden zugeteilt. Mein Gaul heißt Crystal, ist ein kastanienbrauner Wallach und auf diesen soll ich mich jetzt setzen. Nicht auf die Weise, wie der geübte Reiter das tut, sondern über eine Holzrampe. Über eine Holzrampe! Gedanklich bin ich bei meiner langjährigen Freundin Moni, deren Leben vorwiegend durch Pferde bestimmt ist, die Reitunterricht gibt, die selbst zwei Pferde besitzt – und ich sehe sie vor mir, wie sie sich vor Lachen schüttelt, wenn sie das sehen könnte. Das ganze sei zum Schutz der Pferdewirbelsäulen gegen tollpatschige Aufsteiger; das sehe ich natürlich ein, trotzdem erteile ich strengstes Fotoverbot während meines erhöhenden und doch so erniedrigenden Aufstiegs. Gut nur, dass wir alle so pferderückenschonend aufsteigen müssen, da helfen auch Annettes und Joachims Beteuerungen nicht, sie hätten diverse Reitstunden genossen…

Eine geübte Reiterlichkeit wird dann aber ausgerechnet mir von unserem Vor-Reiter unterstellt: ich sähe ja sehr exercised aus. Nein, um Gottes Willen, nein, ich weiß, wo vorne und wo hinten ist, mehr aber nicht. Er will’s nicht glauben, aber als ich ihm abermals in meinem eigenen Interesse schwöre, ich könne nicht reiten, beruhigt er mich: wenn ich Fahrrad fahren könne, solle ich so tun, als ob ich Fahrrad führe; die Pferde würden sowieso das nachmachen, was er mit seinem Leitgaul vormache, ein Lenken wäre damit weder vonnöten noch möglich. Allein Anreiten und Stoppen könnten wir befehlen. Puh, das beruhigt mich! Wir zockeln im Schritt los, ein Pferd hinter dem anderen. Heute bei meiner Wanderung habe ich allenthalben Pferdeäpfel im Gelände entdeckt, auf steilen Felsen, in unübersichtlichem Buschland, auf engen Wegen und dachte mir immer wieder, wie ich wohl solche Abschnitte bewerkstelligen sollte. Doch in eine derartige Verlegenheit kommen wir gar nicht, denn der Anfänger-Weg geht immer eben durch dichten, aber übersichtlichen Wald dahin.

Bald fühle ich mich recht sicher auf dem Rücken von Crystal und hoffe auf spannenderes Gelände, natürlich im Schritt. Doch wir schaukeln in diesem Stile weiter, es ist nicht viel Neues zu sehen und mir wird bald ein bisschen langweilig. Uuhps, da waren doch soeben Snake Beans an einem Baum, doch schon sind wir vorbei. Mein erlahmendes Interesse erwacht wieder und da ich mich ja, laut Aussage des Vor-Reiters, nicht auf’s Pferd konzentrieren muss, halte ich den Blick auf die vorbeiziehenden Bäume und deren mögliche Schoten gerichtet. Neulich, als Jürg und ich in Mpulungu waren, hatten Annette und Joachim den Landy aufgeräumt und dabei ist eine meiner (für mich) kostbaren Schotentüten abhanden gekommen. Da waren Snake Beans und Monkey Oranges drin; nun erscheint es mir natürlich sehr verlockend, diesen Verlust wieder wett zu machen. Ich lauere auf einen weiteren früchtetragenden Baum, doch es scheint der einzige seiner Art auf weiter Flur gewesen zu sein. Schade!

Nach zwei Stunden, es ist schon fast dunkel, kehren wir zum Reitplatz zurück, mein Hintern schmerzt und ich will runter. Wir biegen nach links an den Koppelzaun, doch plötzlich entdecke ich rechts von mir, in der Mitte des Platzes, eine ausgewachsene Bobgunnia madagascariensis mitsamt wunderschönen Früchten, den Snake Beans, die da reif und einladend gerade in reiterfreundlicher Pflückhöhe prangen. Monis jahrelange Erzählungen über Gewichtsverlagerung, Zügelführung und Kundtun des reiterlichen Willens sausen kurz durch mein Hirn und schon fällt mein angeblich un(ab)lenkbares Pferd vom Schritt in den Trab, geradewegs zum Baum. Crystal hält exakt dort, wo ich möchte, geht danach die gewünschten drei Schritte weiter, hält abermals und ich pflücke jeweils glückselig ein paar neue, dunkelbraune, perfekte Baumfrüchte. Der Herr Vorreiter sieht mich ungläubig, missbilligend und zungeschnalzend an, winkt uns zurück. Folgsam drehen Crystal und ich in einer formvollendeten Linkskurve zum Koppelzaun, dort rutsche ich, wie der erste Mensch auf Pferd von selbigen und küsse meinen braunen Träger zum Dank auf seine samtige, duftende Pferdeschnute. Der Vorreiter nimmt mir tadelnd die Zügel aus der Hand und raunt in mein Ohr: „Lady, du kannst mir erzählen, was du willst, du bist eine Reiterin; aber das habe ich gleich gesagt.“ Eben das bin ich nicht, aber ich erröte fast vor Stolz über das Kompliment, das es eigentlich ist. Und glücklich, mit schmerzendem Hintern und gefühlten O-Beinen, trage ich meine Snake Beans durch die Dämmerung zu unserem Zeltplatz.

An unserer luxuriösen Küchenstation brutzeln wir uns ein nicht minder luxuriöses Abendessen und gehen dann noch auf einen Sundowner zur Feuerstelle an der Bar. Zahlreiche andere Gäste sind schon dort und noch mehr finden sich nach und nach ein, Afrika-Stories werden ausgetauscht; munteres Geplauder allenthalben. Ich nehme all das nur mit halbem Ohr wahr. Der Tag war so voll von wunderbaren Bildern, die ich erst verarbeiten, in meine Seele schlichten muß. Mit träumerischem Blick versinke ich in den Flammen des Lagerfeuers, nehme kaum am Gespräch teil, überlasse die Konversation gerne anderen. Gegen 22 Uhr sind wir zurück bei den Zelten und ich träume dort, eingekuschelt in meinen Schlafsack, weiter, einem neuen Tag in Mutinondo entgegen.

26. Juli 2008 – Mutinondo Wilderness, Ruhetag

Eigentlich könnte ich die frühen Morgenstunden des heutigen Tages mit den selben Worten wie gestern beschreiben. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Mike uns aufsucht, ist es fast ein bisschen wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“, nur eben viel schöner. Also, Mike kommt uns besuchen, als wir gerade frühstücken und er hat erfreuliche Nachrichten im Gepäck. Sein Angestellter, der via Escarpment Road 05 ins Luangwatal hinab gefahren war, ist gestern spät am Abend wiedergekehrt und hat detaillierten Bericht erstattet: Die Road sei gerade frisch gegraded worden, ein paar Baufahrzeuge wären noch unterwegs, aber die Strecke sei gut zu befahren. Der Mutinondo River sei problemlos zu durchqueren, am Mupamadzi River würden gerade in der finalen Phase Sandsäcke ausgebracht und alle wasserlosen, aber tiefsandigen Flussbetten seien frisch mit Binsen ausgelegt worden.

Diese Worte klingen wie eine süße Melodie in unseren Ohren, etwas besseres hätte uns nicht passieren können und alle Sorgen waren umsonst! Mit dieser frohen Kunde können wir einen weiteren, unbeschwerten Tag in Mutinondo genießen. Annette und Joachim wollen heute den Mayense besteigen, Jürg und ich beschließen, vorerst auf der Campsite zu bleiben und in Ruhe ein paar Dinge zu erledigen. Klamotten sortieren, Wäsche waschen, Körperpflege betreiben, Daten kopieren, unbekannte Vögel nachschlagen, Tee trinken, lesen, in der Sonne sitzen – eben lauter Dinge, die in einem derartigen Urlaub manchmal ein bisschen zu kurz kommen. Gegen 14.30 Uhr, als die gnadenlose Mittagssonne schon etwas flacher und lieblicher wird, mache ich mich erneut mit der Kamera auf den Weg. Da ist mir doch gestern noch so einiges aufgefallen, was eine nähere Begutachtung erfordert.

Zuerst gehe ich den Weg zu den Choso Falls hinunter, denn dort hatte ich einen Baum mit Monkey Oranges erspäht. Diese kugelrunden, grünen Früchte waren ebenfalls in der verschwundenen Schotentüte und jetzt habe ich die Gelegenheit, den „schmerzlichen“ Verlust wieder auszugleichen. Nach einer Viertelstunde stehe ich vor dem blätterlosen Baum mit den verlockenden Kugelfrüchten. Mhm, gestern im Vorbeigehen sah das Bäumchen noch nicht so hoch aus… Es besteht keine Chance, da irgendwie rauf zu klettern, zum Springen hängen die Oranges zu hoch und ein beherzter Schüttelversuch zeitigt nicht das geringste Ergebnis. Also mache ich mich auf die Suche nach geeignetem Werkzeug und werde bald darauf fündig: ein langer, gerader Ast mit einer kleinen Gabel am Ende liegt direkt vor meinen Füßen. Damit müßte es gehen. Mit simpler, aber wirkungsvoller Primaten-Technik rücke ich den Trophäen zu Leibe, klemme jeweils eine Frucht in der Gabel ein und drehe mein Pflückinstrument dann so lange, bis eine Orange vom Stiel plumpst. Diese nicht gerade anmutige Erntetechnik beschert mir 6 wunderschöne Strychnos spinosa-Früchte und zwei Beulen auf dem Kopf. Die kleinen Dinger sind echt verdammt hart, besonders, wenn sie aus zwei Metern Höhe ungebremst auf einen Schädel fallen. Aber Hauptsache, meine Beute ist unversehrt…

Mein nächstes Ziel ist ein kleiner feuchter Sandstreifen am Rande des Mutinondo River, wo ich gestern zahlreiche Libellen gesichtet hatte. Gerne würde ich die eine oder andere fotografieren, doch auch das gestaltet sich nicht so einfach. Die kleinen Biester haben bis zu 30.000 Einzelaugen und sehen alles. Die geringste Bewegung meinerseits lässt sie schon wieder aufschwirren und natürlich landen sie dann dort, wo ich nicht stehe. Also ändere ich meine Taktik, richte das Objektiv mit gebeugtem Rücken starr auf ein Fleckchen feuchten Sandes zu meinen Füßen und warte so lange, bis sich genau dort eine niederläßt. Und hören tun die fragilen Segler offenbar nicht so gut, wie sie sehen, denn das Klicken meiner Kamera bringt sie nicht im geringsten aus dem Konzept.

Mittlerweile ist es 16 Uhr und das Licht ist jetzt am schönsten. So breche ich zum Campers Rock auf, einem Inselberg nahe der Campsite und robbe dort mal wieder über den Boden. Aloen zeichnen sich mit ihren roten Blüten grell gegen den blauen Himmel ab, das dürre Kräuselgras schimmert wie krauses Oma-Haar, kleine Sukkulenten recken sich mir stachelig entgegen, der Rundblick ist sagenhaft. Eigentlich wollte ich hier den Sonnenuntergang abwarten, aber ein eisiger Wind pfeift über die runde Kuppel aus Granit und mir wird kalt. Ich stapfe wieder hinunter, statte dem üppigen Miombo-Wald einen Besuch ab und freue mich an bizarren Flechten, die wie Bärte von den Ästen hängen, wie Seeanemonen auf Baumstämmen wachsen. Von weiter oben sieht der Miombo-Wald wie eine samtig-grüne Decke aus, doch er birgt so viele kleine Details unter seinem Laubdach, die mich völlig faszinieren. Da gibt es Insekten, Blüten, leuchtende Gräser, farbenfrohen Unterwuchs und so manches Krabbeltier. Fast bedauere ich es, die Sonne ganz flach durch die Blätter scheinen und das Fotolicht im Walde schwinden zu sehen, aber ich freue mich auch auf den Sonnenuntergang auf Campers Rock.

Ich steige gerade im rechten Moment wieder nach oben: natürlich geht die Sonne nicht hinter dem Mayense unter, sondern in der entgegengesetzten Richtung, es ist alles andere als ein spektakulärer Sonnenuntergang, die Farben sind blass, fast gespenstisch, Wolken ziehen auf, der Wind bläst, aber es ist eine so eigene Stimmung in dieser so eigenen Landschaft, dass ich völlig hingerissen bin. Bibbernd koste ich die letzten Minuten des Tageslichts aus, bevor ich zu den Zelten absteige. Wir schüren unser Lagerfeuer, kochen ein feudales Essen, erzählen von unseren Erlebnissen und machen einen letzten Marsch durch den dunklen Wald zur Lodgeterrasse, gönnen uns einen letzten Sundowner in Mutinondo, bevor wir zeitig schlafen gehen. Unser morgiger Weg mag zwar gut bereitet sein, doch ganz von Pappe ist er nicht und wir sollten wirklich früh los.


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