Es ist recht frisch und taunass, als wir frühmorgens aus unseren Zelten krabbeln. Endlich können wir sehen, wo genau wir hier gelandet sind, nachdem es gestern bei unserer Ankunft ja schon dunkel war. Der Campingplatz liegt lauschig am Ufer des Flusses Mansha, die umgebende Vegetation mutet stellenweise fast tropisch an. Auf der anderen Seite der Camp-Lichtung logieren zahlreiche südafrikanische Ehepaare im Rentenalter, die uns alle freundlich grüßen. Sie waren gestern Abend so leise, dass wir sie gar nicht bemerkt haben; keine Wagenburgen, keine Saufgelage, kein Gegröhle! In derart angenehmer Nachbarschaft lassen wir den Tag langsam mit einem gemütlichen Frühstück angehen, bevor jeder von uns tut, wozu er Lust hat. Joachim folgt dem Vogelpfad, der gleich neben dem Campingplatz ausgeschildert ist, in der Hoffnung Turakos zu sehen und geht anschließend mit Annette zu den heißen Quellen, Jürg widmet sich der Körperpflege und ich trabe vor zur Rezeption, um endlich was über die Escarpment Road in Erfahrung zu bringen.
Ein Angestellter des Ressorts holt auf meine Bitte die Dame des Hauses herbei, deren Laune heute morgen offenbar auch nicht besser ist. Mürrisch zuckt sie die Schultern, als ich höflich unser Anliegen vortrage und erklärt mir lapidar, dass sie darüber nichts wisse und auch nichts machen könne. Aha! Ihr Mann könne dazu sicherlich etwas sagen, aber der weile derzeit im Buffalo Camp. Sie hätte heute nachmittag zwar Funkkontakt mit ihm, so leiere ich ihr aus den Rippen, aber das würde uns ja nichts nützen, wären wir doch schon wieder weg. Meine Bitte, vielleicht kurz einen Funkspruch mit der benötigten Info nach Mutinondo abzusetzen, quittiert sie mit einem lustlosen „Kann ich schon machen“. In ihren Augen sehe ich deutlich, dass sie genau das nicht vorhat und mich eigentlich nur schnellstmöglich loswerden will. Geistig zeige ich ihr insgeheim den Stinkefinger, danke ihr aber herzlich für ihre Hilfsbereitschaft und lasse sie dann mit ihrer schlechten Laune und überbordenden Gastfreundschaft allein. Unsere letzte Hoffnung Info zu erhalten, liegt also jetzt in Mutinondo. Ansonsten müssten wir uns in ein recht ungewisses Abenteuer stürzen…
Zurück im Camp, spüle ich mir meinen Groll erst mal mit einer warmen Dusche vom Leib und mache mich danach auf die Suche nach den heißen Quellen. In einem kleinen Palmenhain stoße ich dann auf ein sacht dampfendes Becken türkisen Wassers, in dem fröhlich Jürg umher paddelt. Das Wasser habe eine sehr angenehme Temperatur, tut er mir planschend kund und es sieht auch wirklich einladend aus. Doch irgendwie kann ich mich nicht überwinden, mich bei der sonnenlosen Morgenfrische ebenfalls in die warmen Fluten zu stürzen. Allein der Gedanke, da nass wieder in die Kälte raus zu müssen, ist wenig verlockend. Also mache ich lediglich ein paar Fotos und kehre via Vogelpfad zu unseren Zelten zurück. In aller Ruhe spülen Annette und ich ab, dann packen wir alle unsere Sachen und fahren vor zur Rezeption, wo Annette mit der entzückenden Mrs. Harvey die Finanzen klarmacht. Jürg und ich stehen untätig auf dem Parkplatz herum, als plötzlich ein junger Impalabock hinter einem Büschel Bogenhanf auftaucht. Das Tier war mir heute früh schon im Vorgarten der Rezeption aufgefallen und es ist klar, dass das Böckchen an Menschen gewöhnt und zahm ist. Ich locke es herbei und zutraulich schnüffelt es an meiner Hand. Nach ein paar Streicheleinheiten meinerseits wechselt es zu Jürg, dann hat es genug und verschwindet gen Garage. Ein kurzes Vergnügen, aber was für eines! Der warme, muskulöse Hals in meinen Armen, der seidige Atem in meinem Gesicht, die rauhe Zunge auf meiner Wange machen den Tag für mich zu einem schönen, machen die pissige Laune der Hausherrin nebst fehlender Informationen zehnmal wett.
Annette kriegt, als sie vom Zahlen zurück kommt, leider nur noch das hübsch gestreifte Popöchen des Impalas zu Gesicht, was sie sehr bedauert. Doch das Böcklein ist mit nichts zu überzeugen, sich noch eine weitere Schmuseeinheit abzuholen. Und wir müssen ja auch schön langsam mal los, schließlich ist es schon halb elf. Wir holpern 20 km über die Staubstraße Richtung Osten und erreichen Shiwa Ngandu, einen altenglischen Herrensitz inmitten Afrikas. Man stelle sich vor: Wir befinden uns in einer sehr ländlichen Region Sambias, die Gegend ist dicht bewaldet, hügelig, unter uns schimmert ein See und plötzlich erreicht man einen Ort, der aussieht, als wäre er einem Rosamunde-Pilcher-Film entnommen. Ein backsteinerner Uhrturm, durch dessen Torbogen unser Blick auf ein traumhaftes Landschlößchen gelenkt wird, eine Allee, gesäumt von hohen Bäumen, an deren Ende ein kleines weißes Kapellchen steht. Natürlich habe ich vorher darüber gelesen, weiß, dass das Anwesen 1920 von einem britischen Adligen unter erheblichen Mühen erbaut wurde, dass es noch heute in Familienbesitz, aber nicht mehr bewohnt ist, dass man es besichtigen und hier sogar übernachten kann. Ich habe Bilder davon gesehen, aber nichts davon hat mich auf den Zauber vorbereitet, den dieser Ort auf mich ausübt. Ich liebe meine Heimat, habe keinerlei Bedürfnisse nach Auswanderung, verliebe mich selten, aber wenn, dann nachhaltig. Und Shiwa Ngandu berührt mich sehr tief, brächte mich zum Wanken, hätte ich das Geld und den Mut; es bringt mich zum Träumen. Fast bin ich froh, dass wir keine Zeit haben, das Herrenhaus zu besichtigen, das Interieur zu sehen, einen Blick aus den Rundbogen-Sprossenfenstern nach draußen zu werfen. Wenn ich mir vorstelle, was man daraus machen könnte…
Kinderstimmen reißen mich aus meinen Tagträumereien, bringen mich zurück in die Realität. Jürg, der seit Anbeginn der Reise ein paar „Sixpacks“ an Bleistiften mit sich führt, in der Hoffnung, sie bei passender Gelegenheit an Kinder zu verschenken, hat den geeigneten Moment ausgemacht. Sechs Kids haben sich neugierig genähert, ihre Anzahl passt genau auf den Inhalt einer Stifte-Packung; so also ist kein Streit zu befürchten. Aufgeregt rennen sie herbei, als Jürg ihnen winkt. Es ist eine Packung gemouldeten Plastiks, auf dessen Rückseite ein Karton aufgebracht ist. Nirgendwo ist eine Stanzung zum Öffnen zu finden und die Kinder sind so ungeduldig, dass Jürg dem einzigen Mädchen der Gruppe die verschlossene Packung überreicht. Natürlich mit mahnenden Worten und Gesten, das Geschenk sei unter den Kindern aufzuteilen. Das kleine Mädchen steht wie zur Salzsäule erstarrt mit ihrem kostbaren Besitz in den Händen, kann es kaum fassen und hat sicherlich in ihrer Erregung Jürgs pädagogische Worte nicht gehört. Die anderen Kinder dagegen schon. Sechs Stifte in ihrer alleinigen Hand, sechs Kids insgesamt; ein Kampf scheint sich anzubahnen. Bevor das passiert, entreiße ich dem Mädchen die Packung, zeige auf die anderen fünf Kinder und versuche, das verfluchte Ding zu öffnen. Das Mädl schaut mich zunächst entsetzt an, nimmt mir aber dann die halb geöffnete Packung wieder aus der Hand. Geduldig zupft sie ein genügend großes Loch in die Karton-Rückseite, um die Bleistifte entnehmen zu können, verteilt diese ein bisschen widerwillig, aber gerecht an die anderen Kinder. Die Kartonschnipsel und das Plastik wirft sie einfach auf den Boden. Ich komme mir ziemlich dämlich vor, als ich den Abfall wieder aufklaube und versuche, ihr zu erklären, dass man und warum man das nicht tut. Während ich noch rede, laufen die Kinder schon mit ihren Trophäen die Allee hinunter, um sie stolz im Dorf zu präsentieren. Prioriäten sind eben sehr abhängig von der persönlichen Situation; das zu verinnerlichen, zu akzeptieren, fällt mir gerade in punkto Umwelt immer wieder schwer.
Die Kinder sind weg und wir auch. 12 km holpern wir noch über die Verbindungsstraße zwischen M1 und T2, bevor wir letztere erreichen. T2, die Great North Road, ist gut geteert und wir kommen rasch voran. Die Strecke ist, verhältnismäßig gesehen, von Sendemasten gesäumt und endlich gelingt es Annette, die lange fälligen Gespräche zu tätigen, Wichtiges in die Wege zu leiten. Nach knapp 90 km kommen wir in Mpika an. Die Lage und Größe der Stadt lässt vermuten, dass man hier einige Geschäfte vorfindet. Dies ist auch der Fall, aber man sollte die Erwartungen nicht zu hoch ansetzen. Zunächst halten wir Einkehr bei einer Tankstelle, die auch einen Reifen-Reparatur-Service anbietet. Ein Schwarzer, der ein T-Shirt mit Edelweiß-Enzian-Tirol-Stickerei trägt, managed den Tyre-Mending-Service und nimmt sich unseres kaputten Reifens an. Währenddessen ist genug Zeit, sich in der nächsten Umgebung umzusehen. Zwei Frauen sitzen bei einer Zapfsäule und unterhalten sich angeregt, währenddessen ein Kleinkind durch Ölpfützen krabbelt. Erdnussverkäuferinnen versuchen ihre Ware loszuwerden, ein Sammeltaxi hält kurz, dessen Fahrgäste alle unter akutem Harndrang leiden, den sie in der Wiese hinter der Tanke loswerden. Ein Mini-“Executive-Barber-Shop“ verheißt seine Dienste und gerne wäre der Betreiber bereit, auch meine Haupt-Haare zu schneiden, als ich meinen Kopf neugierig durch seine Türe stecke; einen Bart habe ich glücklicherweise nicht vorzuweisen. Der Reifenflicker müht sich währenddessen redlich ab, die Zeit verstreicht.
Annette und Jürg, die gerne noch ein Internet-Cafe besuchen würden, machen sich aus dem Staub, Joachim und ich bleiben zurück. Nach Ewigkeiten wird uns beschieden, der Reifen sei fertig; das Teil wird per Handpumpe vom Gehilfen des Tirol-Shirt-Trägers aufgepumpt, bis dieser schweißgebadet und der Reifen prall ist. Danach wird der Preis genannt. Joachim, der ähnliche Reparaturen schon in Botswana in Anspruch nahm, regt sich maßlos über den hohen Preis auf, diskutiert, erklärt. Doch es ist, wie es ist: in Sambia kostet alles ein bisschen sehr viel mehr; die wirtschaftliche Situation ist eben eine wesentlich andere, schwierigere. Knurrend bezahlt Joachim, danach machen wir uns auf die Suche nach Annette und Jürg. Als die beiden gingen, hatten sie nach rechts, neben die Hauptstraße gedeutet; da also fahren wir jetzt auch hin. Seltsame Etablissements reihen sich hier aneinander; geschlossene Banken, Kneipen mit plärrender Musik, Schönheitssalons, Boutiquen, Versicherungsbüros, Handyläden. Einen Internet-Laden können wir hier nicht finden, also bleiben Joachim und ich auf dem relativ zentralen Parkplatz stehen und warten einfach.
Ach ja, Bier könnten wir noch besorgen in der Zwischenzeit, genug Kneipen gäbe es hier ja. Joachim bleibt beim Auto, ich gehe in die erste Pinte. Ja, man verkaufe zwar Bier, aber nur an „Hier-Trinker“. Deshalb empfiehlt man mir den Laden nebenan, aus dem Musik in einer Lautstärke dröhnt, die einem das Trommelfell schier zum Platzen bringt, auch wenn man nur vor der Kneipe steht. Ich gehe trotzdem rein, Verständigung ist nicht möglich, aber Bier, so wird mir nach gestenreicher Anfrage beschieden, kriegen wir hier auch nicht. Sei es, wie es ist; ich bin froh, aus der Laut-Explosion wieder raus zu sein, gebe Joachim Bescheid und wechsle in den gegenüberliegenden Hair-Saloon. Wie gerne würde ich eine Perücke erstehen! Viele schwarze Frauen mit ihren widerspenstigen Zwirbellöckchen greifen auf ein solches Kunstprodukt zurück, um sich ihre Haarträume zu verwirklichen. In den letzten Wochen habe ich verdammt viele abgefahrene Modelle an unterschiedlichsten Trägerinnen zu Gesicht bekommen und hätte irgend so ein Teil gerne gekauft. Die Damen im Haarladen kichern und sind ein bisschen fassungslos, warum ich meine unkrausen Blondhaare mit einer Perücke verdecken will. Sie bedauern es sehr, dass sie mir nicht weiterhelfen können – bis auf ein paar schnöde Haarteile habe sie nichts Brauchbares im Angebot – denn das hätten sie wahrscheinlich zu gerne gesehen! Ich kehre zu Joachim zurück und bald darauf finden sich auch Annette und Jürg wieder ein.
Bei der Ausfahrt aus Mpika werden wir an einer Straßensperre herausgepickt und müssen, zum ersten Mal in diesem Urlaub, unsere Pässe und die Autopapiere vorzeigen. Wir holen die gewünschten Dokumente aus dem Safe und der Officer studiert alles ganz genau. Zu unserem Glück hat er keinerlei Beanstandungen und wir dürfen weiter fahren. Die knapp 80 km bis zur Abzweigung nach Mutinondo sind rasch geschafft und gegen 17 Uhr verlassen wir die T2. Eine Staubstraße in gutem Zustand schlängelt sich die nächsten 25 km bis zum Camp. Die Landschaft ist wunderschön, man fährt durch lichtdurchfluteten Laubwald, vorbei an bunten Blumen, gaukelnden Schmetterlingen und zahlreichen Vögeln. Kurz vor dem Ziel lichtet sich der Wald und wir erhaschen einen ersten Blick auf den Mayense, den markanten Hausberg Mutinondos. Die Halbkugel aus Granit ist knapp 1700 m hoch und ragt wie ein runder Walrücken aus der Landschaft. Schnell machen wir Fotos, doch wir müssen weiter, denn es wird schön langsam dunkel. Genau bei Sonnenuntergang erreichen wir die Rezeption von Mutinondo Wilderness, melden uns an und bauen dann in der Dunkelheit unsere Zelte auf. Mike, der Besitzer dieses grandiosen Fleckchens Erde und Betreiber des Ressorts, kommt bei uns vorbei, begrüßt uns herzlich und erkundigt sich, ob alles nach unseren Vorstellungen sei. Was für ein warmer, sympathischer Empfang! Wir fühlen uns auf Anhieb wohl, auch wenn wir noch nicht viel von der Umgebung gesehen haben.
Nach der Errichtung unserer Behausungen und dem Aufbau der Küche gönnen wir uns ein ausgiebiges Abendessen, bevor wir, zur Schonung unserer Biervorräte, hinüber zur Bar gehen. Mike zeigt uns kurz die Örtlichkeiten, weiht uns in das Selbstbedienungsverfahren für Getränke auf Vertrauensbasis ein, legt ein paar Scheite in der Feuerstelle nach und gemeinsam setzen wir uns auf die nächtliche Terrasse. Bei einem Bier unterhalten wir uns angeregt, Mikes Frau Lari kommt dazu und wir verbringen einen gemütlichen Abend, erfahren allerlei Interessantes über die Gegend, über Flora und Fauna. Am interessantesten für uns jedoch ist, dass ein Angestellter Mikes gestern über die Escarpment Road zum South Luangwa gefahren ist und morgen wiederkommt. Endlich werden wir Infos bekommen, aus erster Hand und topaktuell noch dazu! Mit diesem Wissen lassen wir den Abend ausklingen und schlafen erwartungsvoll einem neuen Tag entgegen.
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