16. April 2011, KTP, Polentswa > Sizatswe Pan

Eine ruhige, weitestgehend trockene Nacht liegt hinter uns und, als wir
frühmorgens aus den Zelten krabbeln, empfängt uns ein strahlend
klarer Tag. Wie frisch gewaschen spannt sich ein gläsern blauer
Himmel über die in den ersten Sonnenstrahlen leuchtende Grasebene,
auf der sich wieder einige Hartebeests tummeln. Aus dem Baum, unter
dem unser Zelt steht, tropft es allerdings immer noch aus dem Geäst
und alle Planen nebst sonstigem Equipment sind patschnass vom
Gewitterguss des vergangenen Abends. Wir nutzen die Gunst der Stunde
und verfrachten das nasse Zeug auf die Sonnenseite unseres
Camphügels, damit es durchtrocknen kann, bis wir mit dem Frühstück
fertig sind. Als wir gerade die Bodenplane unserer Behausung in die
Sonne zerren wollen, bewegt sich etwas im Sand. Ein Skorpion? Nein,
diesmal hat sich etwas anderes dort eingenistet, etwas Winziges, das
uns in helles Entzücken versetzt: es ist ein noch sehr junger,
gerade mal fünf Zentimeter großer Bellgecko. Mei, ist der putzig
mit seinem wilden Fleckenmuster, den kleinen, bekrallten
Grabebeinchen, dem verhältnismäßig kurzen Schwanz und seinem
übergroßen Kopf, der aussieht, als hätte sich eine Kröte mit
einem kurzschnäuzigen Krokodil gepaart. Wir sind hin und weg von dem
Winzling; vor allen Dingen ich, denn nie hätte ich geglaubt, eines
dieser unterirdisch lebenden Reptilien, die des Abends so
stimmungsvolle Konzerte geben, jemals zu Gesicht zu bekommen. Nachdem
wir den Nachwuchs-Kicherer eine ganze Weile begeistert bestaunt
haben, tragen wir ihn schließlich schweren Herzens aus der
Gefahrenzone unserer Füße, setzen ihn, fernab unseres Camps,
behutsam in den Sand und widmen uns danach dem Frühstück, das wir
gemütlich ausdehnen, um unseren Sachen genügend Zeit zum Trocknen
zu geben.
Ptenopus garrulus ssp. garrulus
Striga gesnerioides
Solanum linnaeanum
Gegen
zehn Uhr dann ist alles so weit getrocknet, gepackt und wir verlassen
Polentswa Richtung Norden, wo wir im Swartpan-Gebiet für heute Nacht
an der Sizatswe Pan einen Platz reserviert haben. Rund 150 Kilometer
liegen nun vor uns und wir sind sehr gespannt, was die Strecke für
uns bereit hält. Nun ja, viel ist es zunächst mal nicht. Das
Gelände präsentiert sich zwar wesentlich übersichtlicher als
gestern, dafür aber ist umso weniger los. Ab und zu ein paar
Hartebeests und ferne Springböcke, ein kreisender Greifvogel, das
war’s. Das erste erwähnenswerte Lebewesen, das wir nach langen
Kilometern erblicken, in greifbarer Nähe, ist ein Mensch – ein
recht ausladender noch dazu. Es handelt sich um einen ziemlich
voluminösen Südafrikaner, der da am Wegesrand in seinem Auto sitzt.
Die gewaltige Wampe hinter das Steuer gezwängt, ein noch
gewaltigeres Objektiv vor Augen, starrt er angestrengt auf einen
Baum, in dem ein paar Siedelweber umherhüpfen. Als wir grüßend
neben ihm anhalten, dreht er sich mühevoll stöhnend zu uns herum,
brabbelt etwas Unverständliches in seinen Bart, quält sich zurück
in Beobachtungsposition und starrt erneut Richtung Baum. Hui, das ist
ja mal eine wortreiche, interessante und aufschlussreiche Begegnung!
Und da der umfangreiche Hobby-Ornithologe offenbar nicht geneigt ist,
mit uns zu konversieren, verabschieden wir uns freundlich grüßend
von dem Mann, der keine weitere Reaktion zeigt und setzen unseren Weg
fort. Allerdings ohne herausgefunden zu haben, was genau den
gewichtigen Typen so sehr in seinen Bann gezogen hatte. Egal – wir
scheinen nichts versäumt zu haben. Wenig später durchqueren wir
einen kleinen, trockenen Flusslauf und erspähen erstmals ein paar
Pflanzen, die uns betrachtenswert erscheinen. Es sind kleine,
niedrige Inseln rötlich-grüner Stängel, die von violetten Blütchen
geschmückt werden und uns irgendwie bekannt vorkommen. Na klar, ich
erinnere mich: vor zwei Jahren schon hatten wir diese Gewächse
gesehen, damals allerdings waren sie blütenlos, vertrocknet und
pechschwarz. Bloublom werden sie auf Afrikaans genannt, Striga
gesnerioides ist ihr wissenschaftlicher Name und sie sind, trotz
ihres harmlosen Aussehens, reine Parasiten, die sich an die Wurzeln
anderer Pflanzen andocken und komplett auf deren Kosten ernähren. Es
ist interessant, sie mal in blühendem Zustand zu sehen, noch viel
interessanter aber ist die Bandbreite der Blütenfarben, die, wie
auch im Pflanzenführer beschrieben, von blass bläulich bis
dunkelviolett reicht. Doch auch ganz weiße Exemplare sind dabei. Ob
das wohl vom jeweiligen Wirt abhängt? Ein paar der weißen Strigas
jedenfalls leben ganz offensichtlich von Bitterapfelsträuchern –
Nachtschattengewächsen, die nicht ganz ungiftig sind. Leider ist im
Pflanzenbuch zu diesem Thema nichts zu finden. Doch es ist, sollten
wir noch mehr Strigas auf unserem Wege finden, durchaus etwas, was
sich im Auge zu behalten lohnt.
Solanum linnaeanum
Striga gesnerioides
Solanum linnaeanum
Striga gesnerioides
Bei
unserer nächsten Sichtung jedoch handelt es sich zunächst um etwas
Tierisches; einen stattlichen Fleckenuhu, der bewegungslos am
Straßenrand sitzt und uns aus großen gelben Augen entgegenblinzelt.
Als wir den Wagen vorsichtig ausrollen lassen und neben dem Vogel zum
Halten kommen, ergreift dieser allerdings die Flucht und erhebt sich
auf großen Schwingen fast lautlos in die Lüfte. Ach, schade, er war
so hübsch und wir hätten ihn gerne länger beobachtet. Enttäuscht
fahren wir weiter, werden aber bald von einem Landschafts- und
Vegetationswechsel überrascht, der uns mit seinem Blumen- und
Insektenreichtum voll und ganz für den entschwundenen Uhu
entschädigt. Wir befinden uns in einer dieser typischen,
tiefsandigen Senken der Kalahari, die ein ebenso typisches
Blühpflanzensortiment beherbergt. Da sind im Wind wippende
Hermbstaedtias, die wie rosa Katzenschwänzchen aussehen, violette
Erlangeas, magentafarbene Sesamblüten mit burgunderrotem Schlund,
wilde Senna, deren Blüten wie eine Ansammlung kleiner gelber
Schmetterlinge wirken – um nur einige zu nennen – und auch wieder
die parasitären Strigas in allen Farbstellungen. Obwohl es hier weit
und breit keine Bitteräpfel gibt, finden wir an vielen Stellen
erneut weiße Exemplare. Okay, die Blütenfarbe scheint also nicht in
Zusammenhang mit der Wirtspflanze zu stehen, ebenso wenig mit der
jeweiligen Bodenbeschaffenheit beziehungsweise dem pH-Wert – wie
man es beispielsweise von Hortensien kennt. Das zeigen einträchtig
nebeneinander wachsende blau- und weißblütige Pflanzen. Dieser
wenig wissenschaftliche Beweis genügt uns im Moment aber vollauf,
das Rätsel um die Blütenfarbe der Strigas ad acta zu legen und
wenden uns nun zufrieden, auf allen Vieren kriechend, der reichen
Insektenwelt zu. Neben flinken Laufkäfern und zahlreichen
Blattwanzen entdecken wir einen großen, braunglänzenden Käfer, der
sich schwerfällig durch den Sand schleppt. Heinz greift ihm sogleich
hilfreich unter die „Arme“, setzt ihn auf seine Hand und nimmt
dem Insekt ein Stück seines beschwerlichen Weges ab, indem er ihn
aus der Fahrspur trägt. Keine ganz uneigennützige Tat übrigens,
denn er möchte den Käfer schlicht und einfach eingehender
begutachten. Prinzipiell verstehe ich das gut, neige ich ja auch
dazu, alles gerne mit den Fingern zu erfassen, doch bei Insekten hört
mein manueller Forscherdrang definitiv auf. Wah, allein die
Vorstellung hakenbesetzter Chitinbeine, die sich hartnäckig an
meiner Haut festkrallen, genügt, um mir Schauer über den Rücken zu
jagen!
Schreckenpaarung
Schreckenpaarung
Tarsocnodes tarsalis
Doch
Heinz’ gruselfreier Befingerungsdrang hat seine Vorteile: ich habe
nämlich zwei ziemlich große, sich paarende Schrecken entdeckt,
denen ich nun mit meiner Kamera auf den Panzer rücke. Entzückt von
den beiden miteinander beschäftigten Insekten – so können sie
mich wenigstens nicht anspringen – bringe ich mein Objektiv in
Position, doch die Turteltäubchen flüchten zielstrebig ins hohe
Gras. Verdammt, so wird das nix mit den Erotik-Fotos! Aber da kommt
Heinz ins Spiel: flugs greift er sich das Pärchen, setzt es auf
seine Hand und ich habe so nicht nur Gelegenheit, ein paar Bilder zu
schießen, sondern auch, ganz genau hinzusehen. Pardon, es ist sicher
etwas indiskret, aber umso interessanter, vor allen Dingen, weil
Romeo und Julia Schreck ja von stattlicher Größe sind. Und da sieht
man eben besonders deutlich. Typisch für Kurzfühlerschrecken, sitzt
das kleinere Männchen auf der Dame und dockt ein großes Samenpaket
(Spermatophore) an deren Geschlechtsöffnung. Das Paket ist von einer
gallertartigen Substanz umgeben, welche später vom Weibchen verzehrt
wird, um anschließend die ausgepackte Spermatophore in ihren
Samenbehältern zu versenken. Dort findet dann auch die Befruchtung
der Eier statt. Und wir sind nun gerade Zeugen dieses Samentransfers,
der mehrere Stunden dauern kann. Natürlich bekommen wir die
Spermatophore nicht zu Gesicht, dafür aber die beiden Genitaldornen,
mit denen das Weibchen den Hinterleib des Begatters in Position hält.
Eine bombenfeste Verbindung – zumindest für die Dauer der Übergabe
– so fest, dass sie sogar heftigeren Sprüngen standhält. Im
Moment sind allerdings keine Hüpfereien vonnöten, denn offenbar
fühlen sich die Zwei auf Heinz’ Hand ganz wohl und halten brav
still, bis ich ihre Kopulation zu meiner Zufriedenheit abgelichtet
habe. Danach setzt Schneck die innig Verbundenen sanft ins Gras und
wie lassen sie bei ihrem intimen Tun ab sofort diskret alleine.
Indigofera alternans
Erlangea misera
Tribulus zeyheri
Hellauf
begeistert von dieser Beobachtung, würde ich gerne noch viel länger
in der vor Leben überquellenden Kalaharisenke bleiben, doch ein
Blick auf die Uhr zeigt deutlich, dass es wohl besser ist, uns mal
wieder auf die Socken zu machen. So also verlassen wir Klein-Eden,
tauchen alsbald erneut in eine völlig andere Landschaft ein und
schrubben Kilometer. Und es sind hart erarbeitete, ziemlich eintönige
Kilometer: auf tiefsandiger Pad wühlen wir uns durch struppiges
Buschland, das wie ausgestorben wirkt und auch sonst kaum Reizvolles
zu bieten hat.
Mann, diese Strecke zieht sich vielleicht! Sogar Heinz, sonst ein
Ausbund an Geduld und Ausgeglichenheit, bekommt allmählich schlechte
Laune von der endlosen, drögen Fahrerei und auch ich muss
feststellen, dass ich diesem Teil meines geliebten KTP wenig
abgewinnen kann.
Sizatswe Pan
Oder doch Thupapedi Pan?
Sonnenuntergang
Dann
endlich, gen Spätnachmittag, erreichen wir gut durchgerüttelt und
schwer gelangweilt Sizatswe Pan – zumindest gehen wir davon aus,
dass sie es ist. Ganz sicher sind wir uns allerdings nicht, denn in
dieser Gegend wimmelt es vor Pfannen; wie Perlen auf einer Schnur
reihen sie sich aneinander und ähneln sich wie ein Ei dem anderen.
Und die von uns angesteuerte Campsite, erkennbar an der gemauerten
Feuerstelle, ist, entgegen der sonstigen botswanischen
Nationalpark-Gepflogenheiten, nicht beschildert. Kein SIZ-01 prangt
an dem großen Baum, der das sandige Areal überschattet, das GPS hat
keinen Saft mehr und wir keine Lust, noch länger in der Pampa
herumzukurven. Und da uns seit dem dicken Hobby-Ornithologen in
dieser entlegenen Gegend ohnehin kein weiterer Mensch begegnet ist,
gehen wir davon aus, niemandem einen Stellplatz zu klauen. Also
errichten wir ohne jede weitere Diskussion unser Lager und lassen uns
danach mit letzter Kraft in unsere Stühle sinken. Mhm, mit einem
kühlen Bier in der Hand, einer stationären, nicht schaukelnden
Sitzgelegenheit unter dem Hintern und einer ansehnlichen Pfanne vor
Augen, bessert sich unsere Stimmung schlagartig. So sehr, dass wir
sogar noch die Energie aufbringen, einen kleinen Abendausflug zu
machen, der uns zur benachbarten Pfanne führt. Diese ist zwar ein
bisschen größer, ansonsten aber der unsrigen sehr ähnlich –
hübsch anzusehen und wie ausgestorben. Lediglich ein paar, aus
dieser Entfernung stecknadelkopfgroße Erdmännchen, tummeln sich in
der Pfannenmitte. Aufmerksam sehen die kleinen Wüstenbanditen zu uns
herüber, widmen sich jedoch gleich wieder beruhigt ihren Tollereien.
Sie scheinen genau zu wissen, dass wir keine Chance haben, näher an
sie heranzukommen. Und wir wissen das leider auch… Bedauernd wenden
wir den Wagen und begeben uns auf den Rückweg, den wir nur kurz
unterbrechen, um von einer kleinen Anhöhe aus der Abendsonne bei
ihrem verhältnismäßig flauen Untergang beizuwohnen. Ach ja,
konstatieren wir seufzend, man kann eben nicht jeden Tag volles
Input-Programm haben, so schön das auch wäre. Und ein bisschen was
haben wir ja heute doch gesehen, wenngleich es nicht im Mindesten
gegen die Sichtungen der vergangenen Wochen anstinken kann.
Unwillkürlich muss ich an Sven und seinen legendären Ausspruch
denken, den er auf unserer Reise vor zwei Jahren vom Stapel ließ.
Wir wechselten damals von Chobe und Moremi über die Zentralkalahari
in den KTP. Als wir über Mabuasehube und den Wilderness Trail in die
Tiefen dieser ganz speziellen Wüste eintauchten – und bei jeder
für uns interessanten Pflanze anhielten – seufzte der Genervte aus
tiefster Seele: er hätte sich ja schon gedacht, dass jetzt der
langweilige Teil der Reise begänne. Gut, Sven relativierte sein
Vorurteil, indem er gestand, doch das ein oder andere Blümelein ganz
interessant zu finden, nichtsdestotrotz hielt sich sein Enthusiasmus
auch weiterhin in Grenzen. Und das kann ich ihm im Moment recht gut
nachempfinden…
Weitere Impressionen des Tages:
Da fliegt er hin, der Uhu
Xerus inauris
Agama aculeata
Botanikstopp
Coridius sp.
Abendwolken Sizatswe
Schrecke ohne Partner
Ausblick auf Sizatswe
Noch sitzt er…

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