INHALT
AMEISENWESPEN (Mutillidae) – VERTEIDIGUNGSSTRATEGIEN PAR EXCELLENCE
Ja, wie jetzt? Wespe oder Ameise? Die Antwort lautet „beides“, zumindest was die Erscheinungsform anbelangt. Taxonomisch gesehen gehören sie allerdings zur Familie der Hautflügler (Hymenoptera), Unterordnung Taillenwespen (Apocrita) und dort zur Überfamilie der Ameisenwespen. Der wissenschaftliche Familienname lautet „Mutillida“, was soviel wie „verstümmelt, gestutzt“ bedeutet und wohl auf die Flügellosigkeit der Weibchen anspielt. Der englische Trivialname „Velvet Ant“ hingegen bezieht sich alleinig auf die optische Erscheinung der Weibchen, die eher großen, pelzigen Ameisen gleichen, denn Wespen. Dennoch sind es keine Ameisen (Formicidae), was auch klar wird, wenn man die dazugehörigen Männchen sieht. Die haben nämlich, im Gegensatz zu den Weibchen, Flügel, können damit auch fliegen und zeigen das typisch vespoide Flugbild.
Ameisenwespen sind auf der ganzen Welt verbreitet; rund 4300 Arten tummeln sich in über 200 Gattungen – auch in Europa und auch in Deutschland. Diese bemerkenswerten Insekten fanden schon früh Erwähnung in der Geschichte – nicht in jedem Falle schmeichelhaft, denn oft wird dabei der extrem schmerzhafte Stich des Weibchens erwähnt. Und da der Mensch zu Übertreibungen neigt, dichtete man ihnen sogar an, sie würden Kühe und Esel töten. Doch auch Positives wird ihnen nachgesagt. In Mosambik gelten sie als Glücksbringer, brasilianischen Männern dienen sie als Liebeszauber oder, zu Asche verbrannt und mit Wein eingenommen, als Kopfschmerzmittel und in Indien werden sie gegen Koliken und Schlangenbisse eingesetzt.
Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte man außerdem, dass bestimmte Arten der Mutillidae Tsetsefliegen-Nachwuchs parasitieren. So wurden Versuche gestartet, die Ameisenwespen zur Eindämmung der Tsetse-Plage einzusetzen. Leider lag diesem wohlgemeinten Vorhaben ein Denkfehler zugrunde: man ging davon aus, dass Tsetses lebendgebärend (vivipar) sind, was nicht ganz den Tatsachen entspricht. Tsetsefliegen bringen nämlich Larven zur Welt und keine fertig ausgebildeten Fliegen. Reproduktionsbiologen bezeichnen diese Spezialform als Larviparismus (im Gegensatz zum echten Viviparismus). Und genau darin bestand – unter anderem – die Schwierigkeit beim Einsatz der Killer-Mutillen gegen die Tsetse-Plage, so dass man das Vorhaben bald wieder aus den Augen verlor.
Das jedoch alles nur am Rande, denn was die Ameisenwespen eigentlich interessant macht, sind die ausgeklügelten Abwehrmechanismen, mit denen sich die (weiblichen) Mutillidae vor Fressfeinden schützen und die sich in primäre und sekundäre Faktoren unterteilen lassen.
PRIMÄRE ABWEHRMECHANISMEN
Die primäre Abwehr ist eine Art Prophylaxe – bestimmtes Verhalten oder Warnsignale bewirken, dass der potenzielle Prädator erst gar nicht zuschlägt.
ANACHORESE/MIMESE oder Ich mach mich unsichtbar
Weibliche Mutillidae sind in der Lage, sich bei Bedrohung blitzschnell im Boden einzugraben, manche Arten stellen sich zudem für Minuten tot. Der Feind kann dann hinterherbuddeln, solange er will, wird aber die bewegungslose Ameisenwespe in den seltensten Fällen zwischen all den Erdbröcklein ausfindig machen können. Dieses verbergende Verhalten nennt man Anachorese – eine der einfachsten Strategien.
Eine Art aus dem Süden Amerikas (Dasymutilla gloriosa) jedoch geht besonders ausgebufft vor und bedient sich der sogenannten Mimese: der Prädator sieht sie, erkennt sie aber nicht als Beute. Warum? Das Tier ist am ganzen Körper mit fluffig-weißen Borsten bedeckt und ahmt so einen Distelsamen nach. Um das Ganze noch überzeugender zu machen, bewegt es sich nicht krabbelnd fort, sondern lässt sich vom Wind durch die Gegend rollen – eben genau wie ein Distelsamen.
Die Distelsamen-Nachahmerin (Dasymutilla gloriosa)
© Alexia Svejda/Salvis Vita Images
APOSEMATISMUS oder Optische Warnsignale
Die Ameisenwespen-Damen sind nicht besonders auffällig gefärbt, tragen aber 2 bis mehrere unübersehbare weiße Punkte auf einem schwarzen Hinterleib und setzen damit schon mal ein deutliches optisches Signal. Das wirkt auf uns Menschen nun nicht so warnend wie z. B. die grellen Farben manch anderer Insekten, aber die Fressfeinde, die sich schon mal an einem Mutilliden-Weibchen versucht haben, prägen sich das ganz schnell ein. Damit diese Strategie funktioniert, müssten sich in der Regel natürlich immer einige Individuen opfern, um die Feinde darüber zu informieren, dass weiße Punkte auf schwarzem Grund Ungemach bedeuten. Müssten – doch auch dem haben die Insekten etwas Wirkungsvolles entgegenzusetzen.
BRUCHFESTES EXOSKELETT oder Du knackst mich nicht
Die weiblichen Mutillidae zeichnen sich durch einen extrem „bissresistenten“ Körperbau aus. Bei ihnen ist der Thorax mit dem ersten Segment des Hinterleibes zu einem Stück verschmolzen, sensible Naht- und Bruchstellen haben sich weitestgehend wegevolutioniert; der Bruchfestigkeit zuliebe wurde letzten Endes sogar auch noch der Flugapparat über Bord geworfen. Der verbleibende Rest des unverschmolzenen Hinterleibes, abgetrennt durch die nach hinten verschobene Wespentaille, besitzt zudem noch stabilisierende Chitinverstrebungen. Unter anderem ist auch dieses außerordentlich stabile Exoskelett dafür verantwortlich, dass die Lebensdauer der Mutillida-Weibchen wesentlich höher ist als die der Männchen.
MÜLLERSCHE ÄHNLICHKEIT oder Die Vorteile einer Uniform
Um das Glück nicht über die Maßen herauszufordern und die Anzahl der Individuen, die sich dem Feind zu Schulungszwecken zur Verfügung stellen müssen, möglichst niedrig zu halten, kleiden sich die weiblichen Ameisenwespen uniform. Das bedeutet, dass sich die Beborstungsmuster der Mutillidae einer geografischen Region sehr ähneln, und zwar ungeachtet der Art. Macht der Fressfeind also unliebsame Bekanntschaft mit Spezies A, wird er auf Grund dessen auch gerne darauf verzichten, es bei Spezies B bis Z nochmal zu probieren.
Männliche Ameisenwespe
© Copper Badenhorst
SEKUNDÄRE ABWEHRMECHANISMEN
Wenn die Prophylaxe versagt hat und der Feind zupackt – nicht so schlimm! Die Damen sind bestens gerüstet, solch einen Angriff erfolgreich abzuwehren.
DOLOR MAXIMUS oder Ein äußerst schmerzhafter Stich
Nur die Weibchen sind in der Lage zu stechen, und der Stich ist gefürchtet. Eigentlich ist der Cocktail, den sie dem Feind injizieren, nicht sonderlich toxisch. Er wirkt nur geringfügig blutzersetzend und ist auch viel schwächer als der anderer stechender Hautflügler – für eine letale Dosis braucht es schon, salopp gesagt, einen ganzen Eimer. Dafür aber ist der Stich extrem schmerzhaft. So schmerzhaft, dass er in der Schmerzskala knapp hinter dem der Tropischen Riesenameise und einiger großer Tarantulafalken (Wegwespen, die Vogelspinnen jagen) rangiert. Und das will was heißen!
Die Injektion wird übrigens mit einem Stechapparat durchgeführt, der quasi den Porsche der Hautflügler-Stechapparate darstellt: im Laufe der Evolution wurden mehrere Bauteile modifiziert und in ihrem Zusammenspiel optimiert, eine Dufour-Drüse (die Kitchen Aid unter den Giftdrüsen) mixt den perfekten Cocktail und ein großzügig bemessener Stachel (die EMS-Sonde unter den Stacheln) , der schwenk- und ausrollbar ist, versenkt das Gemisch im Feind, der das so schnell nicht vergessen wird.
STRIDULATION oder Schrille Rillen
Ein weiterer Punkt im Arsenal der Verteidigungswaffen ist akustischer Art: Frau kann Geräusche erzeugen. Mutillidae-Männchen können das auch, tun es aber, so weit ich eruieren konnte, nur während der Kopulation. Anders bei den Weibchen, denn da wird Laut gegeben, wenn man aufgeregt ist; also auch, wenn man bedroht wird. Hervorgerufen wird das Geräusch durch das Reiben zweier beweglicher Körperflächen, der Biologe nennt das Stridulation. Wie das im einzelnen funktioniert, wo genau das „Waschbrett“ zum Lärmmachen bei den Mutilliden sitzt, wie sich das Geräusch live anhört und ob wir Menschen es überhaupt hören können, ist noch nicht hinreichend erforscht. Aber immerhin ist es wissenschaftlich erfasst und tut, was viel wichtiger ist, auch seine beabsichtigte Wirkung, nämlich warnen und abschrecken. Und zwar nicht, weil es so laut ist, sondern weil es für den Feind ein weiteres Signal ist, das er mit unangenehmen Erfahrungen in Zusammenhang bringt – ein akustischer Aposematismus sozusagen.
QUEL ODEUR oder Wenn dem Feind endgültig stinkt
Es gibt noch eine letzte Waffe, die einzusetzen eine Ameisenwespe in der Lage ist: Geruch, also ein chemisches Signal. Über spezielle Drüsenzellen wird ein Sekret abgesondert, das leicht flüchtige Substanzen enthält und, wenn sich diese in die Lüfte erheben, üblen Geruch in die Nase des Feindes steigen lassen. Das ist nicht ungewöhnlich für Insekten, aber, alles zusammengenommen, ein fast bombensicheres Paket, sein Überleben zu sichern!
Weibliche Ameisenwespen, so klein, so unscheinbar sie auch sein mögen, sind wirklich faszinierend. Und sehr speziell. So speziell, dass die Männchen der Mutillidae zur Verteidigung scheingefechtstechnisch ihr Hinterteil einsetzen, obwohl sie nicht stechen können. Der erfahrene Fressfeind sieht die weißen Punkte (die haben Männchen auch), riecht den selben Geruch – und schon ist das Männchen gerettet.
Übrigens: Auch andere Insekten nutzen gerne mal den wehrhaften Ruf der Mutilliden-Weibchen und geben sich optisch recht ähnlich, so z. B. die Buntkäfer (Cleridae). Völlig anders konstruiert, ganz andere Familie, aber erfolgreiche Trittbrettfahrer. Batessche Mimikry gepaart mit Müllerscher Ähnlichkeit – auf der ganzen Linie fesselnd …
Quelle:
PD Dr. Gunther Tschuch, Abwehrsignale bei Insekten am Beispiel der Mutillidae (Hymenoptera), Universitäts- und Landesbibliothek, 2000, S. 25–31.
Bildmaterial:
Titelbild (Dolichomutilla sycorax) © Copper Badenhorst
Männliche Ameisenwespe (Kopf links) @ Alan Manson
Dasymutilla gloriosa © Alexia Svejda/Salvis Vita Images
Männliche Ameisenwespe (Kopf rechts) © Copper Badenhorst
Schreibe den ersten Kommentar