Obwohl wir heute nicht weit haben, packen wir relativ früh zusammen. Mcheshi hat gestern noch angefragt, ob und wann wir duschen wollen. Pünktlich zum gewünschten Zeitpunkt ist er mit einem Kanister genehm gewärmten Wassers zur Stelle. Jochen schmeißt sich als erster unter die rustikale Dusche, Jürg gleich als nächster. Man kann ja sehr wassersparend verfahren, wenn man nur will und eigentlich hätte der Kanister für uns alle 4 ausgereicht. Kaum ist Jürg aber fertig, steht Mcheshi mit Nachschub bereit. OK, denke ich mir, ganz schön großzügig, aber es passt ja genau: 2 Kanister für 4 Leute. Ich ziehe mich gerade an, schon ist Mcheshi wieder da; jetzt verstehe ich, dass er pro Person einen Kanister anschleppen wollte. Er schaut ein bisschen ungläubig, als ich ihn bitte, keinen vierten Nachschub zu bringen, nickt aber folgsam und füllt die Dusche mit neuem warmem Wasser aus dem dritten Kanister auf. Immerhin haben wir ihm einmal Schleppen erspart und Annette kommt in den Genuß einer vollen Kanisterladung.
Frisch gereinigt sind wir reisefertig. Ein bisschen schwer fällt mir der Abschied vom Kasanka schon, wenngleich ich auch sehr gespannt bin, was Sambia noch alles für uns bereit hält. Beim Verlassen unserer Campsite springt Joachim nochmal schnell aus dem Auto und drückt Mcheshi ein üppiges Trinkgeld in die Hand. Beim Wegfahren hören wir einen glücklichen Jauchzer von unserem Goldstück. Normalerweise bin ich kein Fan überdurchschnittlicher Trinkgelder, denn sie schaden im Gesamten mehr als sie Nutzen bringen. In diesem Falle aber freue ich mich für Mcheshi, weil er niemals in Erwartung hohen Trinkgeldes gehandelt hat, sondern aus reiner Begeisterung. Bei bedecktem Himmel und schneidend kaltem Wind fahren wir zur Wasa Lodge, wo wir bezahlen. Übrigens, so ausdrücklich erwünscht, in Kwacha. Die Bezahlung in Landeswährung bringt unsere Finanzen etwas durcheinander, denn laut der Angabe unseres Reiseführers sollte auch eine Bezahlung in Dollar möglich sein. Die aber werden, zumindest bei Campinggästen, nicht akzeptiert.
Schnell sind wir wieder am Gate, noch schneller an der D235, die wir ein kleines Stückchen Richtung Nordwesten hochfahren, bevor es rechts schon wieder abgeht. Da wir ja genügend Zeit haben, beschließen wir, einen Abstecher zum Livingstone Memorial zu machen. Ich habe schon viel über diesen bewundernswerten Mann gelesen und, obwohl wir alle keine Fans von Gedenkstätten sind, für ihn machen wir eine Ausnahme. Immer wieder stelle ich mir vor, wie unendlich hart die Bedingungen gewesen sein müssen; allein sich die Straße wegzudenken reicht schon für einen Basis-Eindruck dessen, was Livingstone geleistet und ertragen hat. Hinzu kommt, dass er der erste Weiße war, den die Menschen dort zu Gesicht bekommen haben. Das kann man heute nicht mehr behaupten – je näher wir dem Memorial kommen, desto größer wird der Pulk an Kindern, der unserem Auto folgt. Wir fühlen uns fast wie der Rattenfänger von Hameln. Sobald der Landy steht, sind wir von einer Kinderschar eingekreist, fordernde Hände recken sich uns entgegen und laute Rufe nach Sweets klingen in unseren Ohren. Joachim ist das zu viel, er bleibt im Auto, wir hingegen steigen vorsichtig aus und werden sofort befummelt, gezupft, belagert. Als die Kinder kapiert haben, dass es bei uns keine Sweets zu holen gibt, wollen sie fotografiert werden, regelrechte Kämpfe entbrennen. Und natürlich wollen alle das Ergebnis auf dem Display bewundern. Man muss echt aufpassen, dass sie einen nicht von den Beinen reißen in ihrem Ungestüm. Ein bisschen Sorgen machen mir auch die vielen offenen Wunden auf den Händen, die mich überall betouchen, den Gesichtern, die sich an meine Arme drücken und das erbärmliche Gehuste fast aller Kinder, das mich mit einer beinahe fühlbaren Wolke von Speicheltröpfchen umgibt. Nicht, dass mich ekelt, aber auf eine Haut-Infektion oder gar offene TB kann ich ganz gut verzichten.
Wir kämpfen uns zum Memorial vor und schießen ein obligatorisches Foto, dann sehen wir zu, schnell wieder zum Auto zu kommen. Enttäuscht winken uns die Kinder hinterher. Es dürfte schon ein paar Tage dauern, bis wieder Touristen hier vorbeikommen und das Spektakel von Neuem beginnt. Jürg hat einige Bleistifte im Gepäck, die er eigentlich gerne den Kindern gegeben hätte. Allerdings wäre es unverantwortlich, in einer solchen Situation Geschenke zu verteilen. Man könnte niemals alle Kinder bedenken und würde somit eine unkontrollierbare Massenschlägerei auslösen; und damit wäre wirklich niemandem gedient.
Der Weg Richtung Lake Waka Waka führt uns zunächst auf der selben Straße, auf der wir gekommen sind zurück, vorbei an hübschen Bisa-Dörfern, freundlich winkenden Leuten, kleinen Sumpfgebieten und Cassava-Feldern. Bald erreichen wir die Abzweigung zum See, ein Shortcut, der uns einige Kilometer sparen wird. Zeit allerdings spart er uns nicht, denn die Straße ist eher ein besserer Radweg, der stellenweise total zugewachsen ist. Würde das GPS uns nicht versichern, dass wir auf der richtigen Route sind, es könnten glatt Zweifel aufkommen. Gegen Nachmittag erreichen wir den See, der wirklich traumhaft liegt. Die Campsite, direkt am Ufer, wird ebenfalls vom Kasanka Trust gemanaged und wir werden mit gewohnter Herzlichkeit und Service empfangen. Sofort brennt ein Feuerchen und eine Schüssel mit warmem Wasser wird bereit gestellt. Wir bauen die Zelte auf, die wir aufgrund des starken Windes ordentlich festzurren müssen. Eigentlich wollten wir uns alle in die klaren Fluten des Lake Waka Waka stürzen, aber die Kälte und der schneidende Wind laden nicht wirklich dazu ein. Allein Jürg, unser Schweizer Held, stürzt sich todesmutig in die eiskalten Fluten und sieht ziemlich rosig aus, als er ihnen kurz darauf wieder entsteigt.
Ich schlendere in der Zwischenzeit ein wenig über den Platz und muss schon wieder neue Baumschoten entdecken! Diesmal sind es kastanienfarbene Snake Beans, die sofort vom Boden aufgesammelt werden und in meine Sammeltüte wandern. Unser Platzkeeper bekommt das mit und hechtet freudestrahlend auf einen Baum, um mir noch mehr zu pflücken. Höflichkeitshalber stecke ich seine Schoten ein und danke ihm herzlich, doch leider sind sie noch nicht ganz reif und würden höchstwahrscheinlich bald schimmeln. Aber die Geste ist so herzig und allein das zählt.
Am anderen Ende der Campsite hat sich ein Ehepaar mit zwei kleinen Kindern häuslich eingerichtet und bald kommt der Mann, Peter, zu uns herüber. Er hat unser deutsches Kennzeichen entdeckt und möchte nun mehr wissen. Damit das Gespräch nicht zu „trocken“ wird, lädt er uns auf ein Bierchen zu sich ein. Lange plaudern wir mit ihm und seiner Frau Patricia, erzählen, was wir schon alles erlebt haben und was noch vor uns liegt. Und wir erfahren Interessantes: Peter und seine Familie kommen gerade von den Bangweulu-Sümpfen herunter und waren sowohl im Shoebill als auch im Nsobe Camp. Ersteres sollte eigentlich unser morgiges Ziel sein, aber es ist zur Zeit nur per Boot zu erreichen. Da wir unser Auto nicht irgendwo stehen lassen wollen und wenig Lust auf die ganze Gepäckumschichterei haben, müssen wir wohl umdisponieren und im Nsobe Camp absteigen, was nicht weiter schlimm ist. Peter schwärmt sehr von den Swamps und ich freue mich umso mehr auf unseren Trip. Komisch, seit ich zum ersten Mal von der Existenz der Bangweulu-Sümpfe gehört habe, wollte ich immer dort hin; warum genau – ich kann’s nicht sagen. Morgen werden wir ja sehen, ob sich der weite Weg in die Sümpfe wirklich lohnt.
Nach diesem erbaulichen Informationsaustausch kehren wir zu unserem Platz zurück. Während unserer Plauderei ist ein weiteres Auto auf dem Platz vorgefahren und die neuen Gäste haben ihr Camp bereits errichtet. Was wir nicht gesehen haben: die „Neuen“ haben ein Münchner Kennzeichen. Und wir ein Fürstenfeldbrucker. Die beiden Städte liegen gerade mal 25 km auseinander und irgendwie ist es klar, dass man sich dann anspricht. Einer der Münchner steuert wohl gerade auf uns zu, um eben das zu tun, als ich mir einen Lapsus leiste, der mir heute noch leid tut, ein bisschen wenigstens. Ich muss voraus schicken, dass ich selbst Münchnerin bin, eine der wenigen, die noch richtig Bayrisch spricht. Ansonsten ist München eher dialektfreies Gebiet, weil unglaublich viele Nichtbayern ihre Heimat in München gefunden haben und Dialekt lange Zeit als ordinär und unschicklich propagiert wurde. Doch der gemeine Bayer, egal, ob er des Dialektes mächtig ist oder sich nur als Bayer fühlt, lästert angeborenerweise über den Preussen, also über jeden, der nördlich der Donau geboren wurde. Und die „Breiss’n“ ziehen über uns „Seppls“ her. Das hat Tradition und ist mehr oder weniger ernst gemeint. Nun nähert sich der Nachbars-Münchner unseren Zelten, ich stecke bis zur Taille in meiner Reisetasche, sehe ihn also nicht. Ich höre nur, wie Annette bemerkt: Hey, die Neuen, das sind ja Münchner. Lakonisch und nicht allzu leise entfährt mir ein: Ach, des san doch eh nur Breiss’n. Uihuihuih, der Nachbar vernimmt’s und kehrt auf dem Absatz um. Dass meine dahin gesagte Bemerkung seine Ohren erreicht hat und zu so einer Reaktion führt, bekomme ich nicht mit; das erzählt mir Annette erst am nächsten Tag. Sonst hätte ich mich wahrscheinlich entschuldigt, wahrscheinlich. Aber irgendwie scheine ich ins Schwarze getroffen zu haben… Da tut es mir im Nachhinein schon gleich nicht mehr so leid – trotzdem, ihr Münchner vom Lake Waka Waka: es war nicht so gemeint, nicht so hart, wie es klang!
Fast, als wäre es eine Strafe für meine unhöfliche Bemerkung, legt sich der schneidende Wind untypischerweise auch nicht bei Sonnenuntergang, feuchte, kalte Nachtluft senkt sich auf uns herab und wir gehen bald zu Bett.
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