Palmarium, die Dritte: Wie bereits gestern schon, werden wir auch heute wieder vom Geturne einiger Varis und Brauner Makis auf dem Dach geweckt, und kredenzen den plüschigen Monstern, die schon erwartungsvoll unseres Erscheinens harren, ein paar Bananen, bevor wir selbst das Restaurant zum Frühstück aufsuchen. Noch bevor wir etwas zu Essen serviert bekommen, eilt jedoch Antoine herbei, wickelt vorsichtig meinen Finger aus dem Verband, begutachtet zufrieden den Heilungsfortschritt, bestreicht die Wunde mit Betaisodona verbindet mich liebevoll mit neuer Wundgaze und klebt zum Abschluss ein neues Pflaster drüber. Dann erst serviert er Kaffee, Obst, Eier und Gebäck und wacht mit Argusaugen über unsere Sicherheit, denn, wie jeden Morgen, formieren sich auch heute die Lemuren sehr angelegentlich in unserer Nähe, um bei der ersten sich bietenden Gelegenheit sofort zugriffsbereit zu sein. Doch der aufmerksame Antoine macht ihnen einen Strich durch die Rechnung und so können wir unser Frühstück unbehelligt von den pelzigen, ewig hungrigen Feuchtnäschen genießen und zu Ende bringen.
Der beste Guide des Palmarium ist heute indisponiert …
Kaum ist der letzte Schluck Kaffee getrunken und der letzte Bissen verzehrt, verziehen sich die Lemuren, um einen anderen Tisch ins Visier zu nehmen – und wir dürfen stattdessen Fitah und Aina begrüßen, die mit uns auf das Erscheinen Oliviers warten. Halb neun, doch Olivier ist nicht in Sicht. Viertel vor neun. Neun Uhr sitzen wir noch immer, harren der Dinge und werden allmählich ärgerlich. Viertel nach neun – Olivier ist weit und breit nicht zu sehen und niemand von der Belegschaft weiß, wo er abgeblieben sein könnte. Um halb zehn ist unsere Geduld dann endgültig zu Ende. Wir geben an der Rezeption Bescheid, dass wir uns nun ohne Olivier auf den Weg machen und wo er, sollte er doch noch auftauchen, uns finden kann.
Danach stapfen wir zu viert los. Erst noch durch den Wald, dann aber geht es leicht bergauf, hinauf auf einen freiliegenden Aussichtspunkt nordöstlich des Hotelgeländes, von wo aus man einen hervorragenden Blick auf das gesamte Reserve, das nur einen halben Quadratkilometer groß ist, und Lac Ampitabe nebst dem sogenannten Krokodilsee hat. Eine Weile genießen wir die Aussicht und den erfrischenden Wind, bevor wir uns in nördlicher Richtung wieder nach unten bewegen, wo wir bald am Ufer des Krokodilsees ankommen, der lediglich durch einen schmalen Landrücken vom Lac Ampitabe getrennt ist.
Ein allgegenwärtiges Problem
Auf den ersten Blick ist es hier fast noch schöner als am weißen, weitläufigen Sandstrand zu Füßen des Palmariums. Stattliche Bäume neigen sich malerisch ins Wasser, bewaldete Hügel säumen den See und spiegeln sich auf dessen glatter Oberfläche und das Ufer unterteilt sich in viele kleine, pittoreske Buchten. Auf den zweiten Blick jedoch gibt es hier etwas, was die Schönheit der Landschaft extrem stört. Je weiter wir am Ufer entlang wandern, Richtung Osten, desto mehr Müll ist am Strand, im Wasser und an Land vorzufinden. Chipstüten, Plastikbeutel, Konservendosen, Duschgelflaschen, und – was besonders auffällig ist – kleine Portionstütchen mit Waschmittel. Offenbar werden die Buchten des Sees als Waschplätze genutzt und, dem feuchten Klima zum Trotz, erfreut sich in kleine Plastikbeutelchen abgepacktes Waschpulver dabei besonderer Beliebtheit. Ach, und wenn man schon da ist und ohnehin aufs Trocknen der Wäsche warten muss, dann kann man doch gleich auch den See zur Badewanne und dessen Ufer zum Picknickplatz umfunktionieren. Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden, schließlich sind hier Waschmaschinen und En-Suite-Duschen eher selten vorzufinden. Doch wenn nach ein paar Stunden alles erledigt ist und nur die trockene Wäsche wieder mit nach Hause genommen wird, sieht der See eben bald aus, wie er jetzt aussieht: vermüllt.
Das ist etwas, was ich leider überhaupt nicht verstehe. Wenn man Dinge von A nach B transportiert, dann kann man sie doch auch wieder mit nach A zurücknehmen und nicht einfach liegen lassen. Zumal an einem Ort, der, wie in diesem Fall, der Reinigung von Wäsche und eben, den leeren Duschgelflaschen nach zu schließen, auch der Körperpflege dient. So viel Wertschätzung sollte ich doch mir selbst und meinen Mitmenschen, wenn schon nicht der Natur, zuteil werden lassen und diesen Platz sauber halten. Doch dass das hier ein wenig anders gehandhabt wird, teils aus Desinteresse, teils, weil kein funktionierendes Entsorgungssystem existiert, sehen wir bald auch in dem kleinen Dorf, aus dem die fleißigen Wäscherinnen stammen dürften. Zwischen den Wohnhütten flattert nämlich ebenso viel Müll umher, Ziegen knabbern an Plastiktüten, Hühner scharren in einem Haufen unverrottbaren Abfalls, hier und da glimmt ein Feuerchen, mit dem offensichtlich weiteren, nicht kompostierbaren Hinterlassenschaften der Zivilisation zu Leibe gerückt wurde. Es macht mich immer ziemlich traurig, so etwas zu sehen, vor allen Dingen deswegen, weil solches Verhalten an allen Orten der Welt anzutreffen ist. Und das zeigt deutlich, dass die Erde längst kein Paradies mehr ist, mögen manche Plätze auch noch so paradiesisch erscheinen – und dass wir überall dasselbe Problem haben: Zu viele Menschen, zu viel Müll, zu wenig Lösungen.
Letzte Stunden im Nest der Träume
Nachdenklich wandern wir durch das Dörfchen, werden freundlich gegrüßt und von den Kindern neugierig bestaunt, dann wenden wir uns wieder südwärts und stapfen am weißen Sandstrand entlang, dem Hotel entgegen. Auf dem See schaukelt ein Boot, auf dem zwei Männer sich zum Auswerfen der Netze bereit machen. Doch halt, das ist kein Netz, das sie da über Bord hieven, vielmehr ist es ein schwarzer, schwerer Plastiksack, der da mit einem lauten Platschen im Wasser landet und blubbern in den Fluten versinkt. Müll? Anzunehmen. Und das wiederum wirft Fragen nach unserer eigenen Beteiligung an solchen Szenarien auf: Wir logieren hier vier Tage an einem sehr entlegenen Ort, der uns alle nur erdenklichen Annehmlichkeiten weit über Landesdurchschnitt bietet. Wir haben Strom, fließend Wasser, luxuriöse Unterkünfte und werden mit kulinarischen Köstlichkeiten verwöhnt. Der Strom wird von einem Generator erzeugt, die Lebensmittel mit einem Boot aus Toamasina angeliefert, das wissen wir – und das alleine wäre schon Grund genug, zumindest aus umwelttechnischer Sicht, dieses Resort nicht zu besuchen. Doch wie wird hier die Abwasserbeseitigung gehandhabt, wie die Müllentsorgung? Das wissen wir nicht, werden es wohl auch nicht in Erfahrung bringen, doch es könnten weitere Gründe sein, Orte wie diesen zu meiden. Das zumindest steht zu befürchten…
Bleibt uns also nur zu hoffen, dass wir mit unserer Anwesenheit im Palmarium, wenn schon nicht in puncto Ökologie, so wenigstens aus ökonomischer Sicht einen positiven Beitrag zum Erhalt der Natur leisten. Eine Hoffnung, die wohl mehr der Beruhigung des eigenen Gewissens dient…
Mit diesen Gedanken tauchen wir auch schon wieder ein in den abgeschlossenen Mikrokosmos des Resorts, einem vergleichsweise kleinen Reservat, das 1961 von einem Deutschen erworben und mit einem botanischen Garten bestückt wurde. Heute befindet sich das Palmarium in französischem Besitz und ist auch unter dem Namen Ankanin’ny nofy bekannt ist, was sich bezeichnenderweise mit „Nest der Träume“ übersetzen lässt. Nun ja, träumen lässt sich hier ja gar vortrefflich. Und so verträumen auch wir den Rest des Tages zwischen zahmen Lemuren, bequem sitzend auf unserer Luxus-Terrasse und wohl versorgt im Restaurant, bis wir schließlich ein letztes Mal in unserer Kingsize-Bett sinken, bevor wir morgen das Resort wieder verlassen werden.
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