6. Oktober 2015; The Middle of Nowhere > Kigoma, Jakobsen’s Beach and Guesthouse, Lake Tanganjika

Alles war ruhig heute Nacht, niemand hat sich in unserem Lager zu schaffen gemacht, wir erwachen völlig unbeschadet, haben aber trotzdem nicht die nötige Ruhe, entspannt noch ein paar Minuten länger liegen zu bleiben, denn wir hören Menschen. Menschen, die mit Fahrrädern und zu Fuß an uns vorbeiziehen, auf dem Weg zur (Feld-)Arbeit. Sie alle sehen uns neugierig an, verhalten sich aber eher schüchtern bis zurückhaltend, ziehen den Kopf ein und nicken allenfalls andeutungsweise in unsere Richtung. Niemand kommt und will Geld von uns, niemand fragt nach unserer Genehmigung für eine Übernachtung, niemand kommt uns nahe. Wir werden leicht verwundert, aber dennoch erstaunlich selbstverständlich zur Kenntnis genommen. Erleichtert, dass wir die Nacht unbeschadet überstanden haben und unsere Präsenz so unaufgeregt hingenommen wird, werde ich mutiger: jedem, der des Weges kommt, schmettere ich ein herzliches „Habari asubuhi!“ entgegen – Guten Morgen auf Suaheli. Verdutzte Blicke der Passierenden treffen mich; eine Weiße, die Suaheli spricht! Gott sei Dank jedoch haben es die vorbeiziehenden Menschen eilig und wissen nicht, dass sich meine Sprachkenntnisse damit auch schon fast erschöpfen. Ein tansanisches Grußritual nämlich ist kompliziert und nach dem „Guten Morgen“ wüsste ich schon nicht mehr wirklich weiter. Habari asubuhi heißt wörtlich „Wie ist der Morgen?“ Darauf wird eigentlich eine kurze Antwort nebst Gegenfrage erwartet, zum Beispiel: „Gut. Was macht die Arbeit?“, wiederum gefolgt von einer Antwort und einer Gegenfrage. „Sehr gut. Wie geht es den Kindern?“, und so weiter. Beendet wird der Fragereigen schließlich mit einem abschließenden „Asante. Salama.“, erst dann geht man auseinander oder beginnt das eigentliche Gespräch. Um derartige Grußprozeduren sicher und fließend durchstehen zu können, fehlen mir erstens, ganz ehrlich gesagt, die entsprechenden Worte, und zweitens, noch ehrlicher gesagt, das Verständnis. Warum sollte ich einen wildfremden Menschen nach dem Gang seiner Arbeit fragen, nach dem Befinden seines Ehepartners oder seiner Kinder? Warum sollte ich solche Fragen beantworten, wo ich doch nicht mal einen angetrauten Gatten und erst recht keine Kinder habe? Soll ich etwa lügen? Ja! Lügen werden in einem derartig ritualisierten Blabla hingenommen, denn es sind ja keine Fragen ehrlichen Interesses und man will deshalb auch nicht unbedingt aufrichtige Antworten hören. Frage: „Was macht die Gesundheit?“ Erwartete Antwort ist zumindest ein „Gut!“, auch wenn der Gefragte sichtlich ausgezehrt ist und auf allen Vieren daherkommt. Lediglich einem sehr guten Freund gegenüber darf der Sieche in diesem Ritual zugeben: „Nzuri kidogo – nicht ganz so gut.“ Irgendwie faszinierend, gleichzeitig aber auch völlig bekloppt! Aufgrund dieser, für mich total unergründlichen Verfahrenswege, bin ich sehr froh, dass die Passanten in ihrer morgendlichen Eile und ethnischen Verdutztheit nicht auf solch seltsamen Gepflogenheiten beharren, sondern lediglich meinen Gruß zur Kenntnis nehmen, kurz nicken, etwas murmeln und dann hurtig weitereilen.

Und auch wir eilen weiter, so schnell wie eben möglich, denn schließlich befinden wir uns hier unerlaubterweise auf fremdem Land und möchten außerdem gerne möglichst viel unserer gestern verlorenen Zeit wieder aufholen, um wenigstens noch ein paar geruhsame Stunden an den Gestaden des Tanganjikasees verbringen zu können. Nach einer raschen Packaktion, ein kurzes Frühstück und einige Vogelbeobachtungen inklusive, ötteln wir schließlich zurück auf die B8, die uns in altgewohnter Staubigkeit empfängt und Richtung Süden weiterleitet. Wenig später überqueren wir eine Brücke und blicken auf einen ansehnlichen Fluss hinab. Die Karte gibt Auskunft: es ist der Malagarasi, der zweitgrößte Fluss Tansanias, und der Ort, an dem wir heute übernachtet haben, liegt in minimaler Entfernung zum Nachbarland Burundi – gerade mal zwanzig Kilometer trennten uns von der Grenze zu dem Land, aus dem in den vergangenen Jahren fast eine Million Menschen geflohen sind. Tja, rein lagetechnisch gesehen nicht gerade der beste Platz, um eine Nacht im Zelt zu verbringen… Angesichts dieser Tatsache sind wir nun doppelt froh, dass alles so problemlos gelaufen ist und wir in keine prekäre Situation geraten sind. Und für heute Nacht, sofern das Auto durchhält, haben wir ja ein sicheres Ziel. 

Wohlgemut staubwolken wir uns diesem entgegen, immer Richtung Süden, weichen mittlerweile schon fast virtuos dem schlingernden Gegenverkehr aus und erreichen schließlich gen frühen Mittag die Zubringerstraße nach Kigoma, die wunderbarerweise geteert ist. Wenig später, der Verkehr hat schon wieder beträchtlich zugenommen, entern wir die Stadt, in der die deutsche Vergangenheit besonders deutlich zu spüren bzw. zu sehen ist. Diverse Gebäude, unter anderem der Bahnhof und einige andere öffentliche Bauten, sind so offensichtlich kolonialen Ursprungs, dass sie der ansonsten recht afrikanischen Stadt ein ganz eigenes Flair verleihen. Ein Flair, das schwer zu beschreiben ist: einerseits verströmt Kigoma einen Hauch deutscher Solidität, etwas Altmodisch-Heimeliges, andererseits aber fügen sich die Bauwerke so selbstverständlich in das Stadtbild, in das Tagesgeschehen dieses betriebsamen Ortes ein, dass man ihn sich anders gar nicht vorstellen kann. Eigen eben und nur unzureichend in Worte zu fassen. Doch wir haben ohnehin nicht lange Gelegenheit, dieses Ambiente auf uns wirken zu lassen, denn, nachdem wir durch das Zentrum gekurvt sind, biegt eine Stichstraße nach links ab und bringt uns an das Ufer des Tanganjikasees, genauer gesagt in das lange ersehnte Resort namens Jakobsen’s Beach and Guesthouse, das seinen Gästen angeblich einen der schönsten Strandabschnitte dieser Region bietet. Gespannt erledigen wir unsere Formalitäten an der Rezeption, die etwas oberhalb des Sees liegt, und kurven danach hinunter, dorthin, wo die Campingplätze ausgeschildert sind. Auch diese liegen nicht direkt am See, aber immerhin kann man von hier aus schon den Wellenschlag des zweitgrößten Binnengewässers Afrikas vernehmen. Wir suchen uns ein nettes Plätzchen. Eine tiefsandige, ebene Terrasse, eine überdachte Fläche, die Koch-, Grill- und Spülgelegenheit unter ihrem Schatten beherbergt, keine anderen Gäste weit und breit. Ja, das gefällt uns! 

Doch wir haben uns zu früh gefreut: unsere Autos sind kaum geparkt und wir haben uns gerade mal oberflächlich umgesehen, als auch schon ein Angestellter des Camps herbeieilt und uns vertreibt. Hier nicht, das sei ein reservierter Platz mit Strom und anderem Komfort, für was oder wen auch immer – für ein Wohnmobil jedenfalls ist die Zufahrt definitiv zu unwegsam. Wir hingegen, die wir nur mit Zelten unterwegs seien, müssten weiter drüben unser Lager aufschlagen. Unmissverständlich deutet der Angestellte nach links. Nun gut, wenn es so sein soll… Annette chauffiert ihren Wagen in die angegebene Richtung, Gabi, Erika und Heinz folgen ihr zu Fuß, und alle sind ziemlich schnell verschwunden. Ich tauche soeben aus den Tiefen des unter des Platzes liegenden Buschwerks auf und will ihnen hinterherdackeln, als Jochen seinen Landy anwirft und ebenfalls startet. Leider aber hat er noch den Rückwärtsgang drin und rutscht mir, mit dem Heck voran, durch den losen Sand entgegen. „Scheiße! Barbara, ihr müsst gegenhalten!“ Ich rufe nach den anderen, doch sie sind schon zu weit weg, um mich zu hören. Fuck! Kurzerhand demontiere ich deshalb die Grillstelle des uns verwehrten Platzes und schiebe Ziegelstein um Ziegelstein unter die abgleitenden Hinterreifen. Gute zwei Tonnen Blech mitsamt Inhalt bauen sich bedrohlich über mir auf, Sand rutscht unter mir und den Reifen des Land Rovers weg, ich werde allmählich panisch, doch dann, ich dresche den letzten Stein in den sandigen Abhang, fängt sich der Wagen plötzlich. „Jochen, wir haben Halt. Versuchs jetzt!“ Sanft, aber bestimmt gibt er Gas, die Reifen schrubben Sand auf die Ziegelsteine, das lose Geriesel verdichtet sich kurzzeitig – und mit einem kurzen Knirschen hebt sich der Landy aus der Vertiefung. Puh, Gott sei Dank! Erleichtert dackle ich Jochen und seinem Auto hinterher, bis wir schließlich unbeschadet die uns zugewiesene Campsite erreichen, wo die anderen bereits ungeduldig auf uns warten. „Na, da seid ihr ja endlich! Was habt ihr denn so lange gemacht?“ „Ach nix, nur die Grillstelle umgeschichtet…!“

Alles müssen sie ja auch nicht wissen, vor allen Dingen jetzt, wo wir endlich mal eine Weile zur Ruhe kommen können, wenn auch kürzer als geplant. Jochen sieht mich dankbar an und geht erleichtert zum Erholungsprogramm über. Ich hingegen messe dem Ausgespanne am See nicht so viel Bedeutung bei wie meine Mitreisenden. Ein See, Wellen, Strand, Nichtstun. Schön, aber nicht interessant. Dafür muss ich nicht nach Afrika fliegen und ein paar der kostbarsten Tage des Jahres opfern, um am Ufer eines Gewässers rumzusitzen. Möchte ich das tun, dann fahre ich an den Starnberger See, den Ammersee oder den Thanninger Weiher. Die sind alle eine halbe Stunde von meinem Wohnort entfernt, das Wasser schwappt und die Umgebung ist auch schön. Okay, die Nummer mit der Lichtmaschine hätte ich jetzt auch nicht unbedingt gebraucht, aber nun, da alles wieder gut zu sein scheint, möchte ich diese Erfahrung nicht missen und bin fast froh, sie gegen anderthalb fade Tage am Strande des Tanganjikasees getauscht zu haben. Ein halber Tag Badepause, das geht, das ist verkraftbar. Aber wenn ich meine Freunde sehe, dann will ich mich auch gar nicht mehr beschweren: sie werfen alle Klamotten von sich, springen in mitgebrachte Badedresses, anschließend in die kühlen Fluten des Lake Tanganjika und freuen sich wie die Kinder. Ich platziere mich indessen in einem Bambus-Liegestuhl am Ufer des Sees, bohre meine Zehen in den warmen Sand, sehne mich nach dem Katavi und delektiere mich zur Überbrückung dieser Sehnsucht am Genuss meiner Reisebegleiter. Es sei ihnen gegönnt!

Doch irgendwann finden auch deren Badefreuden ein Ende und wir wandern wieder auf unsere Campsite, um uns wichtigeren Dingen zu widmen. Duschen, Wäsche waschen, Equipment ordnen, Abendessen zubereiten und die Zutaten hierfür vor zudringlichen Meerkatzen schützen. Ein gemächlicher Spätnachmittag gleitet an uns vorüber. Diese Ruhe wird nur durch einen Mitcamper gestört, der sein Zelt auf dem selben Platz errichtet hat und bei unserer Ankunft offenbar noch unterwegs gewesen war. Nun kehrt er zurück und wir erfahren, in epischer Breite, wie lange er schon hier ist und warum und was er heute erledigt hat und wo und überhaupt. Nicht falsch verstehen: der junge Stuttgarter ist echt ein netter Kerl. Er ist mit seiner BMW-Tourenmaschine unterwegs, seit längerem schon, hat Afrika durchquert und wollte eigentlich bereits zuhause sein, doch ein Stein, der seiner Bremsscheibe einen Schlag versetzte, bereitete der Tour ein vorläufiges Ende. Nun wartet er seit Wochen auf ein Ersatzteil, um seine Route fortsetzen und in Kapstadt beenden zu können. Ich bewundere seinen Mut, eine derartige Reise durch den ganzen Kontinent alleine in Angriff genommen zu haben, ich bedauere seine Zwangspause, aber, so leid es mir tut, ich kann mir sein überausführliches, schwäbelndes Gesülze über technische Probleme nicht anhören. Es ist ja immer nett und informativ, sich mit anderen Leuten, Reisenden wie auch Einheimischen, zu unterhalten, aber was zu viel ist, ist zu viel! Wenn er wenigstens von Erlebnissen auf der bereits absolvierten Strecke erzählen würde. Doch nein! Musch, weisch, hasch, brauchsch, Bremsscheib, Stoi, Päckle, warta, repariera, schbinnsch, da brauchsch nix mehr… Wie eine Gebetslitanei leiert er sein Steinschlagunglück wieder und wieder herunter, gestützt durch sein Fachwissen – weil er ja bei Porsche arbeitet, weisch?! Wir alle klinken uns aus, allein Jochen klebt förmlich an den Lippen des labernden Bikers und erhofft sich wohl fachmännische Ratschläge bezüglich unserer eigenen Probleme. Doch er hofft vergeblich, denn ein Land Rover ist eben kein Porsche, eine angeschlagene Lichtmaschine erst recht keine durch einen Steinschlag demolierte Bremsscheibe und ein Auto kein Bike. Und ein hochbegabter Schwätzer schlägt ohnehin jeden, der einem derartigen Redeschwall nicht viel entgegenzusetzen hat, verschdehsch?! Schließlich streicht auch Jochen die Segel und reiht sich wieder in unsere traute Abendrunde ein, die wir essend, trinkend und genießend zu späterer Stunde genüsslich beenden und uns dann wohlig in unseren Zelten verstauen. Guads Nächtle!

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