6. Oktober 2014; Skilpad Flower Reserve > Port Nolloth > Richtersveld NP, Potjiespram

Nur widerwillig stemmen wir uns heute morgen aus den Betten, packen unser Zeug, duschen und traben zu einem raschen Frühstück hinüber zu unseren Freunden. Anschließend bringen wir das Küchenequipment des Bungalows wieder in seinen Urzustand, sammeln unsere Gepäckstücke, verstauen diese in den Autos und machen uns zeitig auf den unvermeidlichen Weg ins heiß herbeigesehnte Richtersveld. Mehrere hundert Kilometer öder Teerstraße und staubiger Gravelroad liegen nun vor uns, ein lästiger Großeinkauf inklusive. Aber als Belohnung winkt immerhin unser absolutes Traumziel, wenngleich wir heute nur dessen unhübschestes Camp, Potjiespram, erreichen werden. Doch gut Ding will eben Weile haben und wer ins Richtersveld will, muss leiden – das besagen schon alte, wenn auch teilweise abgewandelte Sprichwörter…

Selbstgebackenes Brot
Unsere Frühstückstafel
Letzte Meter im Park

Seufzend besteigen wir also unsere Transportkisten und ötteln los. Wir passieren Skilpad Office, durchfahren das Gate und haben bereits auf fahrschmerz-mildernden Durchzug geschaltet, als wir kurz darauf etwas tun dürfen/müssen, was in all den Jahren davor noch nie nötig gewesen war: wir sind gezwungen, einen Schildkrötenslalom zu absolvieren! Überall nämlich sind diese Reptilien plötzlich unterwegs, wie aus dem Boden gewachsen, wie auf einer Plantage. Sie überqueren die Fahrspur, bevölkern jeden umliegenden, sichtbaren Quadratmeter. Große, kleine, staubige, wie frisch gewaschen aussehende. Es ist völlig verrückt. Aber jetzt wissen wir wenigstens, dass die Skilpad Section ihren Namen zu recht trägt – Skilpad ist das afrikaanse Wort für Schildkröte. Wir alle sind völlig begeistert, allein Jochen empfindet eine kleine Restunzufriedenheit: was wir hier sehen, und zwar ausnahmlos, gehört der Spezies Afrikanische Schnabelbrustschildkröte (Chersina angulata) an, die bekannteste Schildkröte des Namaqualands ist jedoch die kleinste der Welt – die Gesägte Flachschildkröte (Homopus signatus) – deren Panzer allerhöchstens eine Länge von 11 Zentimetern erreicht. Jochen, wie sollen wir in diesem Gewimmel aus dem Auto heraus akkurat so einen von dir herbeigesehnten Winzling entdecken – das wäre wirklich purer Zufall? „Jochäään!“, quäkt es auch aus dem Walkie-Talkie, „wir müssen echt weiter!“. Annette mahnt zurecht zur Eile, doch Jochen trennt sich nur sehr zögerlich und extrem schweren Herzens von der Reptilien-Anpflanzung. Schließlich aber mäandern wir zügig zwischen den gepanzerten Tieren hindurch, bevor der Spuk kurz vor Kamieskroon ohnehin ein abruptes Ende findet. Von einem Meter auf den anderen ist die Gegend plötzlich völlig schildkrötenfrei und wir alle können endlich guten Gewissens auf den erforderlichen Fahrtag-Modus herunterfahren. So verlassen wir die Gravelroad, biegen auf die geteerte N7 und streben unser nächstes „Highlight“ des Tages an: einen Supermarktbesuch in Springbok, der Metropole des Namaqualands.

Kamieskroon
Die N7 Richtung Norden
Noch ist die Landschaft
ansprechend

Zähe Stunden später laufen wir dann auch schon in dieser Drehscheibe des Nordens ein und stellen unsere Autos auf dem gutbesuchten Parkplatz des örtlichen Supermarktes ab. Annette und Jochen erklären sich bereit, die Shoppingtour alleine zu absolvieren, worüber wohl niemand dankbarer ist als ich! Nun ja, Ute ist darüber ebenfalls nicht böse – sportlichen Schrittes saust sie sofort los. Wohin? Will sie den Hausberg Springboks, der kahl und wenig einladend aus Nordosten auf uns herabblickt, besteigen? Wir haben gar keine Chance zu fragen, so schnell ist sie weg, doch widmen uns jetzt ohnehin lieber unseren eigenen Angelegenheiten: Zunächst betreten wir zu diesem Behufe tatsächlich die Höhle des Löwen, sprich den Riesenladen, und versorgen uns dort mit Softdrinks und einem kleinen Vorrat an hitzeresistenten Süßigkeiten. Schnell sind wir jedoch wieder draußen und versuchen nun unser Telefonglück mit der Heimat , was bei dem monströsen Sendemast auf dem gegenüberliegenden Berg kein Problem sein dürfte! Tatsächlich schallen kurz darauf die kristallklaren Stimmen unserer daheim verweilenden Lieben an unsere Ohren und wir sind in der Lage, einen kurzen Statusbericht über unseren positiven Gesamtzustand zur Beruhigung aller abzugeben, bevor wir bald erneut im netztechnischen Off verschwinden. Ach, wären wir nur schon da!

Nach anderthalb Stunden langen tauchen auch endlich Annette und Jochen aus den Tiefen des Spar Markets wieder auf und rollen mit zwei übervoll bepackten Einkaufswägen auf uns zu. Oh je, das muss nun alles verstaut werden… Schwitzend klamüsern wir die erworbenen Lebensmittel nach ausgeklügelten Sortierkriterien auseinander und schlichten, logistisch möglichst sinnvoll, Stück für Stück in Kühlschränke, Kisten, Netze und Kartons. Als endlich alles drin ist, geht es ab zum Drankwinkel (Getränkeladen mit alkoholischem Sortiment), um dort die Sundownervorräte aufzustocken, für die wir wohlweislich genügend Stauraum freigelassen haben. Puh, geschafft! Wir klettern an Bord und rollen zwei Parkplätze weiter, rüber zu einem Take Away. Dort versorgen wir uns rasch mit fettig-heißen Samosas, gefüllten Teigtaschen, die trotz unterschiedlichen Inhalts allesamt relativ gleich schmecken und auch kulinarisch keine große Offenbarung darstellen. Aber was soll’s – satt machen die Dinger jedenfalls, und in Kombination mit einem extrem zuckerhaltigen Kaltgetränk sind sie auch schnell runtergespült. Der Energiehaushalt ist also wieder im Plus, der Magen beschäftigt und wir können weiter. Hurtig verlassen wir so Springbok, um unbedingt noch vor Einbruch der Dunkelheit im Richtersveld NP anzukommen.

Wir nähern uns Steinkopf
Tief religiöse Gegend …
… mit Orthografieschwächen

Also nix wie rauf auf die N7, Richtung Norden, links abbiegen in Steinkopf, hoch auf den Anenous Pass, Pinkelpause an einem vermüllten Parkplatz, auf der anderen Seite des Passes wieder runter und dann immer geradeaus, nach Port Nolloth. Die wirklich öde Strecke, die so öde gar nicht wäre – könnte man nur die Landschaft links und rechts der Straße zu Fuß erkunden – zieht sich endlos. Eine entzückende Abwechslung allerdings bieten zahlreiche brütende Schildraben, die mit hingebungsvoll geneigten Köpfchen in ihren Nestern sitzen, die sie offenbar mit Vorliebe in den Kehlungen der Stromleitungs-Isolatoren errichten. Es rührt mich zutiefst, die neugierigen, manchmal auch streitbaren, aber stets taffen Rabenvögel so versunken und liebevoll auf ihren Nestern sitzen zu sehen. Und manchmal erspähen wir sogar schon Nachwuchs – spärlich befiederte Köpfchen mit weit aufgerissenen Schnäbeln recken sich wackelig über die Nestränder hinaus und warten auf Futter. Wie gerne würde ich jetzt aussteigen, auf so einen Mast klettern und die Vögelchen liebkosen! Aber, so fürchte ich, würde ich mich da weder bei meinen Mitreisenden noch bei den Rabeneltern sonderlich beliebt machen… Also bleibt es bei dem herzerwärmenden Gedanken, der mir jedoch die weitere Fahrt nach Port Nolloth erheblich versüßt – so vergeht die Zeit auf jeden Fall rascher und angenehmer.

Die Küstennebelwand
Altes Minengebäude
Port Nolloth im Restnebel

Als wir ungefähr noch achtzig Kilometer von dem Küstenkaff entfernt sind, reißt mich ein für diese Gegend ganz typischer Anblick plötzlich aus meinen Tagträumereien: am Horizont steht eine schmutziggraue Wolkenwand, die wenig einladend aussieht, aber umso lebensspendender ist. Es ist der berühmte Nebel der namibischen Küste, der durch die eklatanten Temperaturunterschiede zwischen dem eiskalten Ozean und dem glühendheißen Landstreifen am Meer entsteht. Oft zieht dieser Nebel mehr als hundert Kilometer landeinwärts, löst sich meist nur zögerlich oder auch gar nicht auf und verbreitet eine feucht-dumpfe Stimmung, die einem strandaffinen Menschen so gar nicht gefallen will. Doch er ist lebenswichtig für viele Tiere und Pflanzen dieser Nebelzone, die mit dem ausfallenden Wasser des Nebels ihren Flüssigkeitshaushalt im Gleichgewicht halten. Und der mitteilungsbedürftige Hobbywissenschaftler in mir würde nun auch gerne Ute, die das Phänomen wahrscheinlich nicht kennt, zumindest nicht in der von mir geplanten epischen Breite, darüber aufklären. Beherzt greife ich deshalb zum Walkie-Talkie, drücke den Sprechknopf und artikuliere deutlich: „Ute, siehst du die Wolkenwand da vorne?“ „Chhhhrrrrrrzwas? Chhhrzzzz.“ „Wol-ken-wand, du se-hen…?“ „Chrrrrzzzzz, was, chhhhrrr, Problem …?“ „Alles okay!“ „Chrrrrzzzz okay! Bald chrrrrz-da!“ Mein Gott, warum eigentlich funktionieren diese bekloppten Sprechfunkteile nie, wenn man sie mal braucht – und das ist jetzt noch nicht mal im Entferntesten ein Notfall?! Entnervt lege ich das Gerät beiseite, behalte mein Wissen schmollend für mich und ergehe mich stattdessen wieder in meinen eigenen Gedanken. Dabei entgeht mir allerdings nicht, dass die Nebelwand mit jedem Kilometer, den wir Port Nolloth näherkommen, mindestens um die fünffache Strecke Richtung Meer zurückweicht und sich schließlich ganz auflöst. Bei strahlendem Sonnenschein laufen wir schließlich in dem kleinen Küstenort ein, halten an der Tankstelle und ich werde gefragt, welches Problem wir denn gehabt hätten. Problem? Ne, ich wollte nur fragen, ob ihr die Nebelbank gesehen habt. Nebelbank? „Ach, schon gut!“, wehre ich ab, denn mein Mitteilungsbedürfnis ist gerade so gut wie nicht mehr vorhanden. Und Ute wird sicher nicht dumm sterben, wenn ich ihr das jetzt nicht reindrücke – zudem sie an dem Kommunikationsproblem von vorhin keinerlei Schuld trägt. Stattdessen wenden wir uns lieber für uns lebensnotwendigen Dingen zu und tanken unsere Autos randvoll, bevor wir ins südafrikanische Outback abtauchen – ins Richtersveld, da, wo es nichts außer großartiger Flora und unvergleichlich schöner Landschaften gibt.

Während also die Tanks unserer Kisten befüllt, die Fenster geputzt und die Ölstande geprüft werden, begeben Heinz und ich uns ein letztes Mal in die schöne Welt des Konsums: wir besichtigen den Laden, der der Tankstelle direkt angegliedert ist und zahlreiche Preziosen für den angel- und jagdaffinen Humanoiden beherbergt. Nun zählen wir so gar nicht zu dieser seltsamen Subspezies der Menschen, doch trotzdem gibt es hier auch für uns tolle Sachen. Spezielle Taschenlampen, raffinierte Outdoor-Gerätschaften, nützliche Jagd-Utensilien, die man prima für andere, wesentlich friedlichere Vorhaben zweckentfremden könnte – und jede Menge Camouflageklamotten – auch aus Fleece. Und da stehe ich persönlich ja ganz besonders drauf! Nie würde ich zwar so ein Tarn-Teil in der Öffentlichkeit, geschweige denn im Urlaub tragen (oder doch?), trotzdem aber gibt es kaum etwas Verlockenderes als ein veritables Camouflage-Fleece-Outfit, mit dem ich mich zuhause aufs Sofa fläzen, ins Bett kuscheln kann. Mit den tiefenpsychologischen Hintergründen dieser Vorliebe möchte ich mich jetzt lieber nicht auseinandersetzen – noch dazu, wo ich die Farbe Rosa in allen Schattierungen zutiefst verabscheue… Ach, und hier gäbe es Schlumperhosen, Sweat- und T-Shirts in diversen Tarnmuster-Variationen, zum Teil auch aus Fleece. Doch Heinz und ich haben uns noch lange nicht bis zur Entscheidungsreife durch den Shop gesehen und getastet, als Annette ihren Wuschelkopf zur Ladentür reinstreckt und schon wieder zur Eile mahnt – erneut zurecht. Traurig nehmen wir also, ohne etwas gekauft zu haben, Abschied von all den verlockenden Equipment-Schätzen und quälen uns seufzend und mit leeren Händen zurück auf unsere Autositze, um stante pede weiterzuötteln.

Straße nach Alexander Bay
Abraumhalde
Bald haben wir
die Minen hinter uns!

Lange Zeit führt die Straße nun schnurgerade auf einer recht öden Teerstraße, parallel zur Küste, dahin, bis sie kurz vor dem Grenzstädtchen Alexander Bay nach rechts abbiegt und bald darauf zur Gravelroad wird, die noch trostlosere Gegenden durchschneidet. Abgestorbene Eukalyptusbäume, nackte Abraumhalden, schwere Minenfahrzeuge, der örtliche Schlachthof und windgebeutelte Farmen inmitten dieser von Menschen verwüsteten Landschaft, wo man, sprich ich, nicht mal tot über den gelegentlich sehr präsenten Zäunen hängen möchte. Die von Süden kommende Zufahrt zum Richtersveld NP ist wahrlich eine an die Nieren und das Gemüt gehende Tortur! Doch schließlich haben wir auch das geschafft – die Berge des südwestlichen Richtersvelds tun sich in nachmittaglichem Dunst vor uns auf, wir biegen links davor ab, passieren noch diverse, weniger schöne Minengebiete an der Parkgrenze, bis wir bald Helskloof Gate hinter uns haben und endlich-endlich in Sendelingsdrif ankommen! Pah, ist das jedes Mal eine nervtötende Strecke…

Die letzte Mine ist geschafft!
Helskloof Gate
Oranje bei Sendelingsdrif

Zum jetzigen Zeitpunkt sind wir zwar noch immer nicht am Ziel unserer Träume, doch es ist zumindest in greifbare Nähe gerückt. Rasch checken wir gegen 16 Uhr am Hauptgate ein, voller Vorfreude – sogar auf das verbuschte Potjiespram – und nehmen eine dreiviertel Stunde später, mit allen Papieren ausgestattet, die Reststrecke von knapp zehn Kilometern zum heutigen Tagesziel in Angriff. In der beginnenden Dämmerung schließlich laufen wir ein. In Potjiespram, einem zugewachsenen, nicht besonders reizvollen Camp direkt am Oranje. Man hört den Fluss rauschen, die Sanitäreinrichtungen sind gepflegt, man ist relativ einsam – wahrscheinlich aber auch nur, weil es hier so unansprechend ist… Wir können uns deshalb auch einfach und konkurrenzlos die einzig akzeptable Campsite greifen, wo wir sogar vereinzelte Vögel entdecken, nebst ein paar interessanter Insekten und zahlreicher Ziegen der Nama, die überall ihren Kot hinterlassen. Auch übergriffig-diebische Meerkatzen-Banden treiben hier, wie immer gerne ihr Unwesen – aber egal, denn wir sind im Richtersveld – und das ist das einzige, was zählt. Wir sind da – und morgen dringen wir in die wirklich interessanten Tiefen dieses einmaligen Gebietes vor. Das ist Heinz und mir Trost genug. Und auch unsere drei Freunde sind glücklich über unsere Ankunft im legendären Richtersveld, glücklich über einen verdienten Feierabend an einem rauschenden Fluss, an dem man vor lauter Dunkelheit ohnehin nichts mehr sehen kann, über unsere rasch errichteten Zelte, das gemütliche Abendessen und die einsame Nacht, deren vertraute Naturgeräusche uns sehr bald in einen wohlig-erschöpften Schlaf lullen. Was uns morgen erwartet? De Hoop, das schönste aller flussnahen Richtersveld-Camps – und der Weg da hin – so habe ich es bisher erlebt und empfunden. Was uns morgen wirklich erwartet? Wie gut, dass ich das heute Abend noch nicht im Geringsten erahne – zumindest die Situation in De Hoop…

Weitere Impressionen des langen Fahrtages:

Ortsbeschriftung am Berg
Steinkopf
Heutransport an die Küste
Nicht gerade ansprechend…
Runter vom Anenous Pass
Küstennebel
Oranje bei Sendelingsdrif
In Potjiespram
Besucher im Camp:
Anthia maxillosa

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