Hach, war das eine kuschelige Nacht! Obwohl wir totale Zelt- und Buschfans sind, verachten wir dennoch eine Zwischenübernachtung in einer komfortablen Unterkunft nicht wirklich: abends in ein Bett zu krabbeln, das genehme Sitzhöhe hat und mit frischem Linnen bezogen ist, das Bewusstsein, bei einem nächtlichen Bedürfnis niemanden mit dem lauten Öffnen einen Reißverschlusses zu stören und anschließend barfuß und sandfrei aufs Klo tappern zu können, um sich gleich darauf wieder in die Traumoase zu schmiegen – das hat schon was! Nur die typischen Geräusche einer Nacht im Busch, die ich so sehr liebe, fehlen natürlich. Aber da ich ja ohnehin die meisten Nachtevents gerne verschlafe, schlägt dieser Negativpunkt nicht so schwer zu Buche…
Kurz und bündig: die Nacht war höchst kommod! Tiefenentspannt und ausgeschlafen klettern Heinz und ich aus unserer Matratzeninsel, machen uns frisch und gehen ein paar Meter – rüber zu unseren Freunden im Nachbarbungalow, wo die Drei schon mit einem gedeckten Frühstückstisch auf uns warten. Deren Ruhestunden allerdings waren, zumindest für zwei der Drei, weniger geruhsam als die unsrigen. Die daraus resultierende Knatschigkeit macht sich nun, speziell bei Annette und Jochen, in Form einer gewissen Unleidigkeit und fast greifbaren Spannungen bemerkbar: die beiden haben auf der ausziehbaren Wohnzimmercouch denkbar schlecht geschlafen, weil sich allerlei Ungemach in Gestalt von harten Querstreben und durchgelegenen Polstern unter ihnen breitgemacht hatte und ihnen so den erwarteten, erholsamen Schlaf raubte. Ute hingegen, die als Einzelperson im Doppelbett nächtigen durfte, ist ebenso entspannt wie auch Heinz und ich. Der Hund der angespannten Stimmung liegt wohl genau in dieser Tatsache begraben… Aber die Drei sind erwachsen genug, um das unter sich zu regeln – da wollen Heinz und ich uns partout nicht einmischen. Die spannungsgeladene Stimmung deshalb völlig ignorierend, nehmen wir beide am gedeckten Tisch im Wintergarten Platz, erfreuen uns der kredenzten Köstlichkeiten und fragen nebenbei und genießend nach den Plänen des Tages der anderen. „Wir gehen einfach mal los“”, ist die übereinstimmende Antwort. Und so geschieht es auch, nachdem das Frühstück verzehrt, das Geschirr gespült ist und der Tag offen vor uns liegt. Ute ist, wie immer, natürlich als erste „wech“. Wir anderen trödeln, auch wie immer, noch rum, machen uns dann aber ebenfalls allmählich auf: Annette und Jochen verschwinden im Nirgendwo, Heinz schreitet erwartungsvoll hügelaufwärts, nur ich bleibe in der Nähe und erkunde den vergleichsweise kleinen Radius rund um unseren Bungalow, der sich gestern so verheißungsvoll im Dämmerlicht präsentiert hatte.
Lyperia tristis
Pelargonium triste
Lapeirousia fabricii
Und heute, bei vollem Tageslicht, darf ich feststellen, dass es noch viel mehr zu entdecken gibt, als ich gestern erahnt hatte! Zarte Moraeas, fragile Lyperias, keck-bunte Pelargonien, stachelige Acanthusgewächse, üppig blühendes Buschwerk und, ja, sogar Kostbarkeiten wie eine (nicht blühende) Aasblume und knallrot-samtige Hyobanchen sind dabei – und das alles in unmittelbarer Umgebung unseres Bungalows! Das empfinde ich als ganz besonderes Geschenk – den Komfort des nahen Heims, gepaart mit dieser so speziellen Flora. Und ich nutze beides gleichermaßen: aufgrund der bereits wieder spürbaren, bulligen Hitze suche ich zwischendrin öfter den Schatten unserer Veranda auf, schlage etwas Gesehenes in einem unserer zahlreichen Bücher nach, gönne mir einen Schluck Wasser und trabe dann erneut los – ohne dauernd etwas mit mir rumschleppen zu müssen. Was für ein Luxus!
Lobostemon fruticosus
Scabiosa columbaria
Trachyandra falcata
Luxus ist auch, dass ich, obwohl ich mich niemals recht viel weiter als einen halben Kilometer von unserer Behausung entferne, sogar in diesem begrenzten Umfeld wieder einige mir noch unbekannte beziehungsweise bis dato nie gesehene Pflanzen entdecke und erneut viel dazulerne. Zum Beispiel, dass es sich bei der wunderschönen Hyobanche aus der Familie der Sommerwurzgewächse (Orobanchaceae) um einen Vollparasiten handelt, dem jegliche Fähigkeit zur Photosynthese abhanden gekommen ist. Solche Holoparasiten dringen mit speziellen Saugorganen in die Leiterbahnen ihrer Wirtspflanzen ein und versorgen sich so mit allem, was sie zum Leben brauchen. Bequemes Leben! Allerdings sind die meisten Vollparasiten streng wirtsspezifisch, das heißt, sie können nur von einer ganz bestimmten Pflanze leben und, sollte hier ein Mangel bestehen, nicht auf ein anderes, verwandtes oder gar nicht-verwandtes Gewächs ausweichen. Wer im Falle meiner Hyobanche allerdings genau der arme Wirt ist, kann ich leider nicht feststellen, denn diese Parasiten docken unterirdisch an, schieben meterlange Rhizome und treiben ihren Blütenstand dann fernab der angezapften Wirtspflanze. Doch zu buddeln fange ich bei der Hitze sicher nicht an…
Samenstände einer Stapelia
Hyobanche sanguinea
Watsonia meriana
Stattdessen widme ich mich der nächsten, mir unbekannten Pflanze, die keine hundert Meter von unserer Veranda entfernt ihre üppig beblumten Zweige mannshoch gen Himmel reckt. Ihre Blütenfarbe changiert von Tönen zwischen schmutzigem Grüngelb über rostiges Orange und rötlichem Braun bis hin zu gedecktem Violett – und das an einer einzigen Pflanze! Seltam! Bei näherem Hinsehen allerdings stelle ich fest, dass die vermeintlichen Blüten gar keine sind. Es sind glockenförmige Gebilde, die weder Staubgefäße noch Stempel beherbergen und somit wohl eher Kelchblätter darstellen. Aber Kelchblätter welcher Blüte? Ich muss das wissen! Nach längerem Gewühle durch das umliegende Gebüsch werde ich endlich fündig: es ist eindeutig ein Lippenblütler, der von der Form her stark an Salbei erinnert, auch die Blätter riechen dementsprechend. Aber so hochwachsend und in DER Farbe??? Ich kenne Salbeigewächse mit weißen, gelben, rosa und bläulichen Blüten, nicht aber mit rostfarbenen! Hurtig befreie ich mich aus dem Gesträuch und eile mit einem Herbar-Muster zurück zum Bungalow. Lange muss ich nun suchen und blättern, doch schließlich ist auch dieses Rätsel gelöst. Es handelt sich hierbei um den sogenannten Goldsalbei (Salvia africana-lutea), der innerhalb der Salbeifamilie tatsächlich eine ungewöhnliche Stellung einnimmt – aufgrund seiner Größe, viel mehr aber noch wegen seiner ungewöhnlich gefärbten Blüten bzw. Pseudoblüten: beginnend im frühen Frühling, schiebt diese Pflanze über lange Monate hinweg immer wieder frische Blüten, die anfangs hellgelb sind, jedoch ziemlich schnell ihre Farbe verlieren und dabei einen Rostton annehmen, ohne total verwelkt auszusehen. Wenn die Blüte aber dann doch irgendwann abfällt, bleibt dieser sehr charakteristische Blütenkelch übrig, der sich farblich in einer großen Bandbreite bewegt, zudem noch wie eine Blüte aussieht – und mich so irritiert hatte. Doch jetzt hab ich ihn dingfest gemacht, diesen seltsamen Busch-Salbei!
Salvia africana-lutea …
… mit Blüten …
… und ohne Blüten
Zufrieden hieve ich mich aus dem gemütlichen Korbsessel unseres Wintergartens und schwärme erneut aus, um noch mehr zu entdecken; diesmal jedoch in südöstlicher Richtung statt der bisher Nordwestlichen. Und kaum bin ich ein paar hundert Meter hügelan gestiegen, springt mich schon wieder etwas an, diesmal aber wesentlich bodennäher als der hochgewachsene Salbei: es ist ein Asterngewächs mit knallorangen Blütenblättern auffälliger Zeichnung, die sich um ein dunkelbraunes Körbchen radial auffächern. Och neee, ein Asterngewächs, ein richtig plakatives noch dazu… Damit habe ich ganz besondere Identifikationsprobleme (wie mit den unscheinbaren, graubraunen kleinen Vögeln) – Dimorphotheka, Ursinia, Gazania, Gorteria, Arctotheca und Konsorten; ich werd’ noch irre! Aber hier habe ich etwas vor mir, was besonders rätselhaft aussieht: aus einigen, augenscheinlich artgleichen Pflanzen wachsen Blüten, deren Blütenblätter extrem unterschiedlich aussehen. Die meisten präsentieren sich in einem prägnanten Müllmann-Orange und haben da, wo sie aus dem schokoladenfarbenen Körbchen sprießen, zumindest einen oder auch mehrere gezackte, ebenfalls schokobraune Flecken, anderen Blütenblättern hingegen fehlt dieses Merkmal gänzlich. Eine Blüte aber ist dabei, welche ganz besonders auffällig ist und deshalb meine spezielle Aufmerksamkeit erregt: auch sie hat knallorange Blütenblätter und ein dunkelbraunes Körbchen, doch dort, wo das eine aus dem anderen wächst, tut sich etwas Seltsames. Es sieht aus wie ein zusätzlich aufsitzendes, dunkelbraun glänzendes Lackplättchen, pro Blütenblatt genau eines, und es verändert den „Look“ der Blüte komplett. Mit einem zahnstochergroßen Zweig lupfe ich eines dieser Lackplättchen – und sehe darunter genau das, was die anderen Blüten zeigen – nämlich samtig-braune Flecken oder eben blankes Orange. Woah, was ist das jetzt wieder? Aber ich komme der Sache auf die Spur: Es handelt sich um eine Gorteria diffusa (Nomen est omen) und diese wird unter anderem von einer Hummelfliege des schönen Namens Megapalpus nitidus bestäubt – die, man höre, den aufsitzenden Lackplättchen verblüffend ähnlich sieht! Eine Studie hat bewiesen, dass männliche Megapalpus-Fliegen geradezu magisch von diesen zusätzlichen Gorteria-Flecken angezogen werden. Als man diese Plättchen nämlich entfernte, gingen die Besuche der Wollschweber signifikant zurück.
Gorteria diffusa ssp. calendulacea
Gazania heterochaeta
Moraea sp.
Im weiteren Verlauf der Studie wurden nun statt der Plättchen schwarze Tuschepunkte aufgemalt und zeigten ein ähnlich mageres Ergebnis: die Fliegen reagierten nicht darauf. Der nächste Schritt war folglich eine rasterelektronenmikroskopische Untersuchung der Zusatzflecken und das Ergebnis war ebenso aufschlussreich wie auch faszinierend: die aufsitzenden Plättchen bestehen aus einer ganzen Menge unterschiedlicher Zelltypen, deren UV-Reflektionseigenschaften die der Wollschweber nahezu perfekt nachahmen und somit die männlichen Fliegen anlocken, weil diese denken, hier wären Weibchen zu finden. Allerdings hatte die Entfernung der insektennachahmenden Plättchen keinen nennenswerten Einfluss auf die Samenbildung der Gorteria und das ist doppelt interessant, denn genau diese Tatsache bedeutet, dass wir Live-Zeugen eines evolutorisch bedeutenden Prozesses sind: die Gorteria vermehrt sich gut mittels der Bestäubung durch unterschiedlichste Insekten, ist aber offensichtlich gerade dabei, sich auf einen einzigen Vermehrungshelfer zu spezialisieren, nämlich die Hummelfliegen, deren Aussehen und UV-reflektorische Eigenschaften sie mit ihren Aufsatzplättchen Eins zu Eins imitiert!
Cyanella hyacinthoides
Albuca setosa
Wahlenbergia annularis
Das sind Erkenntnisse, die mich total faszinieren und immer wieder in die Mitte meiner eigenen Existenz rücken – ich bin ein winziger Teil des großen Ganzen, habe viel zu wenig Ahnung, was um mich herum wirklich passiert, bin aber so dankbar dafür, mich dergestalt einnorden zu können – und mich klein fühlen zu dürfen. Geplättet vom Informationszuwachs des heutigen, „untätigen“ Tages, sitze ich nun gerade in einem Korbsessel unserer verglasten Veranda, als Heinz plötzlich von seiner Exkursion wiederkehrt. Und er ist nicht weniger entzückt über den heutigen Tag als ich! In nördlicher Richtung oberhalb unseres Bungalows hatte er eine kleine Quelle entdeckt, an der sich zahlreiche Vögel tummelten und diese ausgiebig beobachtet. Begeistert zeigt er mir seine Fotos – lauter kleine, graubraune Vögel! Während ich mich also mit meinem „Lieblings-Spezialgebiet“ Asteraceae herumgeschlagen hatte, beobachtete Heinz das ornithologische Pendant dazu – mit dem einen Unterschied: er kennt sich mit den Graubraunen richtig gut aus! Ohne Zögern identifizierte er bei dem Vogelgewurl an der Quelle sofort zwei Girlitzarten, Kapbülbüls, ein paar Brillenvögel und eine Lerche. Mhm, bis auf die Bülbüls, die durch ihren Augenring unverkennbar sind, sehen die anderen für mich eben nur klein und graubraun aus. Aber auch das werde ich irgendwann noch lernen – vielleicht…
Damara-Alarios
Karoo-Prinie mit Stabheuschrecke
Kap-Bülbüls
Im Gegenzug berichte ich nun natürlich auch von meinen Sichtungen. Aber bevor ich ihm die Pflanzen am Kameradisplay zeige, gehen wir lieber gemeinsam los und nehmen die Kleinodien persönlich in Augenschein. Zu zweit, untermalt von meinem neu erworbenen Wissen, macht’s einfach noch mehr Spaß. Vergnügt schlendern wir den restlichen Nachmittag durch das Gebüsch vor unserem Bungalow und genießen unser gemeinsames Interesse und die Zweisamkeit. Unaufhaltsam senkt sich jedoch die Sonne gen Horizont, und als wir die Stimmen unserer Freunde nebst dem Knacken von Feuerholz hören, trennen wir uns von unserem kleinen, artenreichen Vorgarten und ziehen um zum Nachbarbungalow, um den Tag gemütlich beim Grillen zu beschließen. Ein hübscher Sonnenuntergang und deftige Steaks geleiten uns in den Abend hinein, den wir im windgeschützten Wintergarten ausklingen lassen. Den ganzen Tag haben wir nichts getan, sind aber trotzdem sooo müde! Gähnend helfen wir noch Annette und Jochen, ihren Schlafplatz auf dem Boden des Wintergartens einzurichten – das unbequeme Sofa bekommt keine zweite Chance mehr -, dann wandern wir zurück in unser eigenes Domizil, wo wir uns bei einem After-Sundowner seelisch auf den morgigen Turbo-Fahrtag vorbereiten, vor dem uns schon richtig graut. Damit wir dafür maximal gestärkt und erholt sind, zieht es uns jedoch bald in unser luxuriöses Schlafgemach, wo wir wohlig in den leise raschelnden Kissen versinken.
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