Gerade wollen wir anheben, von unseren aufregenden Erlebnissen zu berichten, als der um sein Liebesglück gebrachte Maskenweber im Sturzflug über uns hinwegbraust, sich auf einem Scheibenwischer unseres Autos niederlässt und erregt auf den vermeintlichen Konkurrenten in der Windschutzscheibe einhackt. Der Kerl muss doch zu vertreiben sein! Wutentbrannt hüpft der Vogel von einem Scheibenwischer zum anderen, aber der Feind weicht nicht von seiner Seite. Verflixt! Der Weber wechselt auf den Seitenspiegel – es scheint, als wolle er den Widersacher von hinten angreifen, aber der ist natürlich nicht mehr zu sehen. Stattdessen, und das gibt dem Maskenweber jetzt den Rest, taucht der Lästling unter ihm erneut auf – und noch dazu viel deutlicher als vorher. Nun ist aber genug und Polen offen! Die Vehemenz, mit der der Aufgebrachte vorgeht, macht uns mittlerweile fast Angst; ob der Spiegel und auch der arme Vogel das auf Dauer unbeschadet überstehen? Besorgt überlegen wir bereits, ob es nicht besser wäre, Spiegel und Windschutzscheibe zu verhängen, als das gelbe Federknäuel endlich aufgibt. Erschöpft und völlig ausgepumpt verschwindet es in die einsetzende Dämmerung, nach Hause zu seinem verschmähten Nest. Wir wünschen ihm viel Glück und widmen uns nun unserem eigenen Wohl – essen, trinken, erzählen und früh schlafen gehen. Zufrieden kuscheln wir uns nach diesem grandiosen Tag in unsere Schlafsäcke, lauschen dem Froschkonzert und versinken im Reich der Träume, bevor wir auch nur ein Schäfchen, eine Euphorbie, eine Quappe, einen Weber oder gar eine Mamba zählen mussten…
„Rrrrrht!“, macht der Reißverschluss, ich erwache und sehe gerade noch Heinz’ entzückendes Popöchen aus dem Zelt verschwinden. Was heißt sehen; ich erahne es eher, denn es ist fast noch dunkel. Schlaftrunken klemme ich mir meine Brille auf die Nase, kämpfe mich aus dem warmen Schlafsack und folge dem heftig hustenden Heinz hinaus in die kühle Morgenluft. Er montiert schon die Kamera vom Baum und sieht mich achselzuckend an: nix drauf. „Ich hab’ aber auch die ganze Nacht nichts gehört,“, krächzt er mit belegter Stimme, „vielleicht hab’ ich alle Viecher mit meinem Gehuste verbellt.“ Ach, Schneck, du armer Schnuffel, wenn ich dir nur helfen könnte! Während Heinz keuchend die Kamera verstaut, werfe ich den Gaskocher an und mache Teewasser heiß, mehr Gutes kann ich im Moment leider nicht tun. Bald darauf summt der Kessel, aber bevor wir uns am Tisch niederlassen und unseren Tee trinken können, müssen wir erst mal ein Schlachtfeld beseitigen. Alles ist übersät mit Insektenleichen – auch unsere Ameisenjungfer hat das Zeitliche gesegnet, hält aber nach wie vor den Rest ihrer Beute in den Klauen; ein schöner Tod. In stillem Gedenken schlürfen wir unseren Tee und sinnieren aneinander gekuschelt in den heraufdämmernden Morgen hinein. „Du Schneck, du weißt schon, dass wir heute wandern gehen wollten, oder?“ „H-hm.“ „Meinst, du schaffst das? Wir müssen fei ned mitgehen, wenn es dir zu anstrengend ist. Dann bleiben wir hier und machen uns einen gemütlichen Tag im Lager.“ „M-mh, ich möchte schon gerne gehen.“ „Aber du sagst Stopp, wenn es dir zuviel wird, ja?!“ „M-hm, es wird schon gehen.“ Tapferer Schneck! Aber ich werde ihn heute nicht aus den Augen lassen; Männer überschätzen sich ja gerne mal, was die Tapferkeit anbelangt…
Auch Annette und Jochen, die mittlerweile aus ihrem Zelt gekrabbelt sind und sich ihren Morgenkaffee eingeschenkt haben, sehen Heinz ein wenig besorgt an. „Das geht schon, die Tour dauert ja ned so lang.“, hustet Schneck. Nein, eine richtig lange Wanderung ist es nicht – eineinhalb Stunden werden auf unserer Karte für den Waterkloof Trail angegeben. Diese Zeitangabe trifft aber wohl eher nur zu, wenn man straff durchgeht, was für uns völlig undenkbar ist. Nicht, weil Heinz kränkelt, sondern weil wir uns gut genug kennen: wir halten bei jeder Kleinigkeit und brauchen für alles mindestens doppelt so lange wie der von Reiseführern angenommene Durchschnitts-Tourist. Doch umso besser; je mehr Zeit wir uns lassen, desto schonender ist es für den angeschlagenen Heinz.
1) Unser Lager am Naukluft River; 2) Anoplocnemus curvipes; 3) Opfer der Klebhirse; 4) Colotis regina
Nach einem ausgiebigen Frühstück, zu dem Schneck wieder reichlich Grippemittel schluckt, packen wir unsere Tagesrucksäcke und machen uns schließlich auf den Weg. Aber welchen Pfad nehmen wir nun, den linken oder den rechten? Der krakelige Plan, den wir am Gate erhalten haben, gibt darüber leider keine eindeutige Auskunft. Eine Beschilderung ist auch nicht vorhanden, so also haben wir die freie Auswahl. Ok, dann erst mal links! Nach ein paar hundert Metern allerdings zeigt sich deutlich, dass das die falsche Entscheidung war, denn der Weg führt, zunehmend schattenlos, in weitem Bogen weg vom Fluss. Jochen kehrt um, will nach einem Wegweiser suchen, Annette spurtet ihm nach und auch wir wenden unsere Schritte, traben den beiden langsam hinterher. Doch plötzlich bleibt Heinz stehen, nestelt seine Kamera aus dem Rucksack und beginnt am Rande der Wiese etwas zu knipsen. Neugierig beäuge ich sein Motiv: eine total abgenagte, stängelige Pflanze!? Uih, nein, da sitzt was drauf! Ein blattwanzenähnliches, dunkelbraun-schwarzes Insekt von kurioser Gestalt hängt kopfüber am Stiel und mampft genüßlich an einem kleinen Seitentrieb herum. Es ist zirka vier Zentimeter groß, hat wunderschöne, wie kostbares Holz gemaserte Deckflügel und Hinterbeine, die, geschwungen wie eine geschweifte Klammer, markant vom Körper abstehen. Ein tolles, wirklich extrem „formschönes“ Tier, das uns beiden aber völlig unbekannt ist. Auch unser Insektenbuch hilft uns nicht weiter, doch das Insekt ist so auffällig: es muss zu bestimmen sein. Und tatsächlich, eine gründliche Internet-Recherche – als wir schon lange wieder zuhause sind – lässt mich fündig werden: es ist eine Blattwanze mit dem bezeichnenden Namen „Anoplocnemus curvipes“. Trotz seiner hübschen Gestalt jedoch ist das Kurvenbein ein eher unbeliebter Zeitgenosse, denn es tritt gerne scharenweise auf, ist sehr gefräßig und vergeht sich mit Vorliebe an des Farmers und Gärtners liebevoll gezogener Grünpflanzenernte. Wozu das Insekt allerdings mit diesen akkoladenartigen Hinterbeinen ausgestattet ist, finde ich nicht heraus. Naja, es wird schon was mit Partnersuche und Beeindruckung der holden Weiblichkeit zu tun haben – wie letztendlich vieles im Leben. Und irgendwie haben die geschwungenen Beine ja sogar entfernte Ähnlichkeit mit den durchtrainierten Oberarmen adonishafter Muckibudenbesucher…
„Hallo, Barbara, Heinz, wo bleibt ihr denn?“, schallt es aus der Ferne. Huch, ja, wir wollten ja wandern gehen! Flugs eilen wir in die Richtung des Rufes und treffen bald auf Annette und Jochen, die schon ungeduldig auf uns warten – direkt an einem hölzernen Wegweiser, auf dem klar und deutlich „Waterkloof Trail“ geschrieben steht. Na also, geht doch! Gemeinsam stürzen wir uns in die grüne Hölle, die sich da vor uns auftut. Der Pfad entlang des Naukluft River ist völlig zugewachsen, überwuchert von Gras, Blumen, schwer an ihrem Laub tragenden Büschen und einer sehr anhänglichen Pflanze, die etwas hirseartiges an sich hat – zumindest was ihre Erscheinung anbelangt. Ansonsten scheint sie eher mit den Kletten verwandt zu sein, denn bereits nach ein paar Metern sind wir bis in Kniehöhe von ihren stark haftenden, widerhakenbesetzten Samen bedeckt. Das ist beim Gehen ein bisschen lästig; ständig nämlich wickeln sich die Triebe der Klebhirse um unsere Beine, haken sich an Stoff, Schuhbändern und ihren eigenen Samen fest, sodass sie regelrechte Stolperfallen bilden – die fiesen Ranken schaffen es jedoch nicht, uns zu Fall zu bringen. Ein paar Schmetterlinge allerdings hatten da deutlich weniger Glück: bei ihrer munteren, bodennahen Gaukelei über das Grün des Uferstreifens sind sie der Haftkraft der Hirse zum Opfer gefallen und mussten, gehalten von deren Widerhaken, ihr Leben lassen. Doch erfreulicherweise sind noch genügend fröhlich flatternde Artgenossen übrig, die unsere Augen jetzt mit ihren bunten Farben erfreuen: der Queen Purple Tip (Colotis regina) mit einem irisierenden lila Fleck auf jeder Flügelspitze, Yellow Pansy (Junonia hierta) in samtigem Schwarzbraun mit gelben Klecksen, der, wenn er sich niederlässt, für einen kurzen Moment den Blick auf zwei leuchtend violette Kreise freigibt, der wild gemusterte Citrus Swallowtail (Papilio demodocus) in reduzierten Mondrian-Farben und zahllose andere kleine Weißlinge, Bläulinge und „Gelblinge“.
1) Papilio demodocus; 2) Junonia hierta; 3) Carabidae sp.; 4) das neophytische Pfahlrohr
Staunend kämpfen wir uns den Uferpfad entlang, vorbei an einer riesigen Felsenfeige, die sich eng an eine steile Abbruchkante schmiegt, vorbei an einem meterhohen Pfahlrohrdickicht, dessen schilfige Blätter laut im Wind rascheln. Moment mal, Pfahlrohr?! Was hat denn das hier zu suchen? Diese stark rhizombildende Pflanze (Arundo donax) hat ihre Heimat eigentlich im Mittelmeerraum – im Jahre 1986 hatte ich mir an einem Hippiestrand auf Korfu aus ihren bambusartigen Stängeln ein Hüttchen gebaut – dass es sie auch in Afrika gibt, war uns bis dato nicht bekannt. Und noch dazu eine panaschierte Form, wie sie hier vor uns steht – sehr seltsam! Ein paar Meter weiter, wir kommen aus dem Wundern gar nicht heraus, stehen wir plötzlich vor den zipfeligen, strahlend weißen Blüten eines Stechapfelstrauchs (Datura sp.), einem aus Mittelamerika stammenden Gewächs. Wir hatten ja vorhin schon leichte Zweifel über die wahre Herkunft der Hirse, aber das sind nun wirklich auffallend viele, definitive Neophyten an einem so entlegenen Ort wie diesem. Auf welchem Wege sie wohl hierher gekommen sind? Nun gut, man braucht sich ja nur in unseren eigenen Wäldern umzusehen: immer wieder laden dort bequeme Zeitgenossen ihre Gartenabfälle (und nicht nur die) ab, ohne zu ahnen, dass das ernsthafte Konsequenzen für die Natur hat. Welcher aufmerksame Waldspaziergänger kennt zum Beispiel nicht die gelben Rispen der Goldrute, die rosafarbenen Blüten des Himalaya-Springkrauts oder die herzförmigen Blätter des Japanischen Knöterichs. Wunderschön anzusehen, sehr vital, aber eben nicht heimisch und damit eine mittlere Katastrophe für unsere Flora. Inwieweit nun Datura und Co. im Tal des Naukluft Schaden anrichten, durch welchen Zufall sie sich hier ansiedeln konnten, vermögen wir nicht zu sagen, seltsam aber ist es allemal und auch ein wenig rätselhaft.
1) dümpelnder Frosch; 2) Carabidae sp.; 3) Potamonautes sp.; 4) Gespinstmotten-Raupe
Während wir noch über die Verbreitungswege dieser Neophyten spekulieren, führt unser Wanderpfad plötzlich hinab zum Fluss, den wir hüpfend und springend, über wackelige Steine und glitschige Felsbrocken hinweg, überqueren, um auf der anderen, flachkiesigen Seite weitergehen zu können. Dort fließt zwar kein Wasser mehr, aber allenthalben stehen noch kleine Tümpelchen, in denen sich reiches Leben regt. Zierliche, schwarze Kaulquappen säumen in Scharen die Ränder dieser Pfützen, an den tieferen Stellen dümpeln träge Frösche vor sich hin und außerdem gibt es hier – wir sind hellauf begeistert – Süßwasserkrabben! Diese moorbraunen, scherenbewehrten Krustentiere (Potamonautes sp.), die leider verdammt gute Augen haben und allesamt rasch vor uns flüchten, sind so ungefähr die letzten Tiere, die wir in Namibia zu sehen erwartet hätten, doch umso mehr freuen wir uns jetzt. Lange Zeit stapfen wir im Flussbett umher und nehmen jede auch noch so winzige Lache unter die Lupe, um nur ja nichts zu übersehen. Dabei kreuzen wir mehrmals den wasserführenden Lauf des Naukluft, bis schließlich der Weg an der rechten Böschung in ansteigendes Gelände hinaufführt. Zuerst beschatten uns dort noch hohe Bäume, an deren Stämmen sich große Ansammlungen von nesselhaarigen Gespinstmotten-Raupen niedergelassen haben, dann aber wird es lichter und wir haben freien Blick auf die steilen, rötlichen Felswände, die uns wie ein riesiger Wall umgeben. Hoch über uns schweben zwei Verreaux-Adler, die trotz ihrer nicht unbeträchtlichen Spannweite von fast zwei Metern mit dem bloßen Auge lediglich wie zwei kreisende, schwarze Punkte aussehen. Doch das Fernglas offenbart ihre wahre Identität und Jochen, der Vogelfan, ist im Glück.
1) Codon royenii; 2) Sarcostemma viminale; 3) Heinz am Objekt der Begierde (Cyphostemma sp.); 4) Euphorbia mauritanica
Heinz hingegen interessieren die Adler im Moment herzlich wenig, denn er hat diverse Pflanzen entdeckt, die sein Sukkulenten-Liebhaber-Herz höher schlagen lassen. Direkt neben dem Weg zum Beispiel spitzen ein paar Sansevierien aus dem dichten Gras. Das sind grün gemaserte, in meinen Augen nicht besonders hübsche, ledrige Stängel, die in den 50er- und 60er-Jahren bei uns zulande Hochkonjunktur als anspruchslose Zimmerpflanzen hatten. Der sogenannte Bogenhanf fristet auch heutzutage noch ein, im wahrsten Sinne des Wortes, Nischendasein auf den Fensterbrettern nikotin- und teergeschwängerter Trinkstuben, erlebt aber erstaunlicherweise seit einiger Zeit eine Renaissance als grünes Dekoelement in einrichtungsbewußten Haushalten. Zu lächerlichen Zöpfen geflochten und ihrer ohnehin nicht gerade eindrucksvollen Würde beraubt, ist die Sansevieria cylindrica momentan DER floristische Verkaufsschlager – ein unterkühltes Accessoire für stylish-nüchterne Wohnzimmer – nicht weniger und leider auch nicht mehr.
Hier jedoch dürfen die Pflanzen noch Pflanzen sein und wachsen, wie sie wollen. Nun ja, zumindest fast, denn aus den Augenwinkeln heraus sehe ich, wie Heinz sich tief ins Gras beugt und mit einem Taschenmesser an den armen Sansevierien zu schaffen macht. Er wird doch nicht…?! Oh, doch, er säbelt tatsächlich ein Blatt ab, verstaut es vorsichtig in seinem Rucksack und sieht mich entschuldigend an, indem er seine Augenbrauen lupft und hörbar atmend mit den Schultern zuckt. Ich weiß ja, dass er es nicht lassen kann, habe ihm aber im Scherz schon angedroht, ihn nicht zu kennen, sollten wir am Münchner Flughafen bei der Rückkehr gefilzt werden. Dieser Gedanke jedoch macht mir im Augenblick die geringsten Sorgen: schon wieder hat Heinz etwas erspäht und krabbelt durch dichtes Gras einen steilen Hang nach oben. Voller Freude bahnt er sich seinen Weg zu einem prächtigen Cyphostemma-Bäumchen, dessen abblätternde, pergamentartige Rinde golden in der Sonne leuchtet. „Da sind Beeren dran!“, jauchzt er und pflügt im Erntefieber durch die Vegetation. Es ist ja nicht so, dass es hier vor Skorpionen und Schlangen geradezu wimmeln würde, aber für meinen Geschmack bewegt er sich dennoch ein wenig zu unbekümmert im Gelände. „Ich pass’ schon auf, Schneck!“, schwört Heinz, während er zielstrebig zum Objekt seiner Sukkulenten-Begierde raschelt. Dort angekommen, tätschelt er liebevoll den sonnenwarmen Stamm, streichelt die prallen, wassergefüllten Blätter, erntet einige der roten Früchte und saust wieder hangabwärts, übers ganze Gesicht strahlend, zu dem riesigen, besenartigen Busch, dessen zarte, sternförmige Blüten ich gerade fotografiere.
1) Marsch im Flussbett; 2) Trithemis sp. auf Sarcostemma 😉 ; 3) Blick in die Naukluftberge
„Schau mal, wie schön die Euphorbie blüht!“, sage ich zu ihm, stolz, dass ich auch mal etwas entdeckt habe. Leider ernte ich nur einen leicht empörten Blick. Das sei eine Sarcostemma, Sarcostemma viminale, um genau zu sein, eine Angehörige der Asclepiadoidae und somit verwandt mit Hoodia, Stapelia und Co., mit Euphorbien hätte das nichts, aber auch gar nichts zu tun. „Schau, das ist eine Euphorbie!“, sagt Heinz und deutet auf einen weiteren, ebenfalls besenartigen Busch, der zwei Meter neben meiner „Nicht-Euphorbie“ steht. „Die hat ganz andere Blüten, siehst?“ Ja, ich sehe, aber so richtig erschließt sich mir die ganze Systematik dennoch nicht. Vor einigen Jahren, ich gestehe, hätte ich eine Euphorbie wie die „virosa“ ohne mit der Wimper zu zucken schlichtweg als Kaktus bezeichnet – ein schwerer, fast krimineller botanischer Fehltritt. Das passiert mir heute natürlich nicht mehr – mit rotierenden Gehirnzellen habe ich mittlerweile sogar verinnerlicht, dass Euphorbien auch nicht zwangsweise wie Kakteen aussehen müssen, sondern ganz unterschiedliche Erscheinungsformen haben. Dass aber diese beiden milchenden Steckerlbüsche, trotz unterschiedlicher Blüten, nicht verwandt sein sollen, will mir nicht in den Kopf. „Ach Schneck, das ist doch ganz einfach! Sarcostemma gehört zu den Asclepiadaceae, den Schwalbenwurzgewächsen. Das war mal eine eigenständige Pflanzenfamilie, heutzutage aber wird sie als Unterfamilie namens Asclepiadoidae innerhalb der Apocynaceae, also der Hundsgiftgewächse, behandelt. Somit ist Sarcostemma nicht nur mit den Aasblumen verwandt, sondern auch mit Adenium und Pachypodium und sogar mit Oleander und Immergrün. Die Familie der Euphorbiaceae hingegen, also die der Wolfsmilchgewächse, teilt sich in die Gattungen Monadenium, Synadenium, Pedilanthus, Jatropha und Euphorbia. Bekannte Vertreter der Gattung Euphorbia sind Weihnachtsstern und Christusdorn und auch die Walzen-Wolfsmilch, die ich dir letzten Herbst für den Garten geschenkt habe. Also zwei völlig verschiedene Paar Schuhe!“ Ohweia, Familie, Gattung, Hundsgift, Wolfsmilch, Asclepiadoidae, Asclepiadaceae, Apocynaceae – da soll man nicht durcheinanderkommen! In der Theorie klingt es ja noch recht einleuchtend, aber wenn ich mir die zwei Steckerlbüsche so ansehe… Doch diese Thematik, so beschließe ich, werde ich mir zuhause in Ruhe zu Gemüte führen, denn jetzt benötige ich all meine verfügbaren Aufnahmekapazitäten für die unglaubliche Flut von Eindrücken, die weiter auf uns einstürmt.
Aus der hohen Felswand links von uns zum Beispiel tönt lautes Vogelgeschrei. „Uih, das sind Agaporniden!“, sagt Heinz, ohne seinen Blick von einer blühenden Codon-royenii-Pflanze zu nehmen. Jochen sucht die Wand gerade mit dem Fernglas ab und meint ganz aufgeregt: „Nein, nein, das sind Papageien, Erdbeerköpfchen!“ „Ja, ich sag ja, Agaporniden, Unzertrennliche, aber keine Erdbeer-, sondern eher Rosenköpfchen.“, murmelt Heinz, während auch er jetzt durch den Feldstecher späht. Jochen sieht Heinz leicht irritiert an – schön langsam wird er uns allen ein wenig unheimlich. Ich kenne ihn nun ja schon seit über drei Jahren, kenne seine speziellen Interessen, seine überquellende Bücherwand, vollgestopft mit Fachliteratur über Ornithologie und exotische Pflanzen, kenne seine detaillierten Erklärungen und Ausführungen über das, was bei ihm gefiederterweise in Volieren und grünenderweise auf Fensterbänken und Terrasse lebt – und das ist verdammt viel. Über jedes einzelne Pflänzchen und Vögelchen weiß er Unmengen zu erzählen, inklusive der wissenschaftlichen Bezeichnungen, die ihm wie einem alten Lateiner von den Lippen perlen; und auch, wenn er das alles permanent um sich hat und sich seit Jahrzehnten damit befasst, finde ich diese Tatsache allein schon ziemlich bemerkenswert. Dass er aber in der Lage ist, sein Wissen derart mühelos von der Fensterbank, Voliere und Bibliothek ins „Feld“ zu übertragen, macht nicht nur mich sprachlos.
1) Gyrinus sp.; 2) Moospölsterchen; 3) Ansammlung von Gespinstmotten-Raupen
Und natürlich hat er recht – die heftig schnatternden Unzertrennlichen da oben in den Felsen haben ein gedeckt grünes Federkleid, geziert von einer lachsfarbenen Brust, leuchtend blauen Oberschwanzdecken, die unter den Flügeln hervorblitzen und leukoplastfarbenen Schnäbeln, mit denen sie sich liebevoll gegenseitig beknabbern; es sind also eindeutig Rosenköpfchen. Es herrscht reges Treiben in der von Brutnischen gespickten Wand, wenngleich, das sieht man deutlich, die Aktivität der munteren Papageien ein wenig unter der Präsenz der kreisenden Adler leidet. Dennoch ist es höchst unterhaltsam, sie zu beobachten – aber auch anstrengend, denn die Sonne hat fast schon ihren Zenith erreicht, wirft dunkle Schatten und blendet gleichzeitig. Zudem ragt die Felswand steil vor uns auf und zwingt unsere Köpfe in einen, auf Dauer schmerzhaften, 90-Grad-Winkel. So also renken wir nach einer Weile unsere Halswirbelsäulen knackend wieder ein und folgen weiter dem Pfad, der bald einen deutlichen Rechtsknick macht und uns, nach einigen felsigen Serpentinen, zum letzten flachen Absatz der Wanderung führt. Dieses Mini-Plateau ist ein kleines Paradies: aus einer engen, moosbewachsenen Schlucht sprudelt das glasklare Wasser des Naukluft in mehrere gumpenartige Becken, die in allen Grün- und Türkistönen schimmern. Auf der diamantglitzernden Wasseroberfläche wuseln Heerscharen von Taumelkäfern (Gyrinus sp.) herum, die, einem riesigen Vogelschwarm ähnlich, in einem fast homogenen Verbund ständig ihre Richtung ändern. Zuerst hatten wir die quirligen Wesen ja für Wasserläufer gehalten, aber bei genauerer Betrachtung fiel uns das Fehlen der charakteristischen, langen Beine auf und auch ihr Bewegungsmuster ist ein völlig anderes. Da war mal wieder Recherche angesagt, die Interessantes zutage brachte: auf englisch werden die Insekten völlig zurecht Whirligig Beetles (Kreiselkäfer) genannt, die, im Verhältnis zu ihrer Körpergröße, die schnellsten aller Wasserinsekten sind und zudem noch zwei Paar Augen besitzen – ein Paar für Überwasser und eines für Unterwasser. Mit Letzterem sehen die kleinen Derwische sicher auch zum Grunde der Pools, wo graugrüne Krallenfrösche (Xenopus laevis) an den Felsen hängen; wir hingegen können diese leider nur erahnen, weil die hektischen Taumelkäfer viel zu viel Unruhe in den Oberflächenspiegel bringen. Dafür aber scheinen sich die Frösche erfolgreich vermehrt zu haben: an den Randzonen der Gumpen wimmelt es vor graubraunen Kaulquappen, die mit ihrer beachtlichen Größe von sicher sechs Zentimetern nur von ebenso stattlichen Müttern stammen können – Krallenfroschweibchen werden bis zu dreizehn Zentimeter groß.
1) Pilze; 2) Riesenquappe; 3) Urothemis sp. 4) es geht steil bergauf; 5) Spodoptera Exempta
Völlig unbeeindruckt von den amphibischen Riesen unter ihnen schwirren zahlreiche Libellen auf Beutezug über die Gumpen – ihre Geschwindigkeit und die leuchtenden Farben lassen sie in unseren Augen wie babyblaue und feuerwehrrote Pfeile erscheinen. Doch in ihrem Jagdfieber finden die bunten Schönheiten kaum eine Sekunde Zeit, sich mal fotogen niederzusetzen und sich genauer betrachten zu lassen. Und auch die Süßwasserkrabben, die einträchtig neben den Krallenfröschen am Grund liegen, geben uns keine Chance. Sobald ein Schatten aufs Wasser fällt, sind sie verschwunden, hinterlassen nur kurz eine kleine, schlammige Wolke. Aber das macht nichts, denn dieses Fleckchen Erde ist so paradiesisch, dass wir es auch ohne willige Fotoobjekte in vollen Zügen genießen – und es sich zudem in seiner überwältigenden Gesamtwirkung ohnehin nicht zufriedenstellend ablichten lässt. Am Rande eines kleinen Nebenpools ragen die Wurzeln eines mächtigen, schattenspendenden Baumes einladend aus dem Erdreich und da lassen wir uns nun deshalb für eine gemütliche Wirkungs- und Beobachtungspause nieder, bevor wir schließlich doch zum „Gipfelspurt“ aufbrechen.
Ein paar Meter noch führt der Weg anschließend durch einen schattigen Hain, vorbei an Pilzen, Gespinsten voller Raupen und laut schimpfenden, schwarz-weißen Würgern, dann plötzlich empfängt uns gleißendes Sonnenlicht, der Pfad steigt steil an und lenkt unsere Schritte immer weiter vom Wasser weg. Durch die unbarmherzige Hitze und die Steilheit der Strecke treten jetzt auch Heinz’ und meine Beschwerden wieder deutlicher zutage: aufgrund der körperlichen Anstrengung kommen wir ins Schnaufen, die verstärkte Atmung reizt Schnecks Bronchien und er hustet wieder heftiger. Und meine Schulter, die das Gewicht des Rucksacks schon nicht so klasse fand, quittiert mir nun die klettertechnische Handarbeit, die in besonders steilen Stücken unvermeidlich ist, mit messerstichartigen Schmerzen. Doch die Strecke ist so abwechslungsreich, so interessant und zieht uns so in ihren Bann, dass wir auf äußerst angenehme Art von unseren Zipperlein abgelenkt werden. Verschiedenartigste Eidechsen flitzen über die sonnenheißen Felsen, zwischen denen stachelige Euphorbien und früchtetragende Butterbäume wachsen, Blüten in allen Farben und Größen leuchten uns freundlich an und immer wieder eröffnet sich ein neuer Ausblick auf das enge Tal des Naukluft, das nun weit unter uns liegt.
Auf einmal, wir könnten gar nicht sagen, wie lange wir uns nach oben geschraubt haben, geht es wieder bergab, hinunter zum Fluss, den wir nun erneut überqueren müssen. Eine ganze Weile suchen wir nach einer geeigneten Stelle, springen dann flugs von Trittstein zu Trittstein, um auf der anderen Seite erneut eine schweißtreibende Steigung hinter uns zu bringen. Wir kämpfen uns zwischen kratzigen Büschen hindurch, tasten uns über lose Steinplatten, sandige Stellen und griffige Felsen und werden schließlich mit dem Anblick eines großen, smaragdgrünen Pools belohnt. Verheißungsvoll glitzert das glasklare Wasser, verlockend rauscht ein kleiner Wasserfall und wir stürzen uns eilig den schmalen Weg zum Flussufer hinab. Ach, wie schön es hier ist, wie es gluckert und plätschert und wie angenehm das Mikroklima in der Nähe des Wassers sich anfühlt! Uih, und da schwimmen auch schon wieder Monsterquappen, die ich mir jetzt mal in Ruhe und bei vollem Sonnenlicht ansehen muss. Hockend, knieend und auf allen Vieren robbe ich mich an ein paar besonders relaxte Quappen heran und bin entzückt. „Die haben ja schon Beinchen und der Kopf ist ganz die Mama, schaut mal!“ Keine Antwort. Verwundert sehe ich mich um und stelle fest, dass niemand mehr da ist. Klammheimlich haben sich Heinz, Annette und Jochen aus dem Staub gemacht, stehen nun drüben beim Pool, winken mir und deuten dabei ganz aufgeregt auf eine Stelle schräg hinter ihnen. Mhm, ich sehe nur eine üppige Baumkrone, Felsen und dringliche Gesten, mich herbeizuschaffen. Neugierig leiste ich dem Handgewedel Folge und stehe kurz darauf vor einem zirka einen Meter breiten, recht tiefen Kanal, dessen anderes Ufer deutlich höher liegt als das auf meiner Seite. Nein, diesen Sprung schaffe ich ohne Hilfe nicht, stelle ich nach einem Probeanlauf fest, marschiere deshalb wieder ein Stück nach rechts, in Blickweite meiner Reisegenossen und winke deutend um Beistand. Huhu, winken die Drei fröhlich zurück. Huhu, bitte helfen! Ich ernte ratlose Männerblicke, allein Annette kapiert, was Sache ist und Sekunden später ist Jochen zur Stelle, um mir seine Hand zu reichen.
1) Klippspringer; 2) Blick auf den Traumpool; 3) Jamesbrittenia sp.
Schwupp, schon bin ich drüben und erfahre stante pede, weswegen ich so aufgeregt herbeigewunken wurde: in der Felswand hinter dem Pool stehen vier Klippspringer und sehen neugierig auf uns herab. Sie scheinen mitten im Fellwechsel zu sein, denn ihr brauner Pelz ist arg zerzaust, strubbelig und recht unansehnlich. Das aber tut unserer Freude an ihrer Präsenz keinen Abbruch und, da die Tiere offenbar wenig Angst vor uns haben und es am Pool so wahnsinnig schön ist, beschließen wir, uns hier niederzulassen. Annette und Jochen fackeln nicht lange, werfen sich in ihre Badeklamotten und anschließend in die eiskalten Fluten des tiefen Beckens, Heinz und ich hingegen begnügen uns, zipperleinbedingt, mit einem erfrischenden Fußbad. Danach beginnen wir, unter den wachsamen Augen der Klippspringer, die Umgebung zu erkunden, die ein Füllhorn voll kleiner Schönheiten für uns bereit hält. Oberhalb unseres Pools liegt, verborgen durch einen mächtigen Felsklotz, eine weitere, noch viel schönere Gumpe, an deren erdiger Uferseite sich eine ganze Schar von Ammern niedergelassen hat, um vom mineralhaltigen Boden zu fressen. Bunte Schmetterlinge flattern in der Gischtzone des kleinen Wasserfalls auf und ab, lassen sich immer wieder kurz nieder und rüsseln die Feuchtigkeit von den Steinen. In einigen Felsritzen, in denen sich etwas Humus gebildet hat, haben sich blühende Jamesbrittenia-Pölsterchen angesiedelt und werden rege von gefährlich aussehenden, aber völlig harmlosen Schwebfliegen besucht. Am meisten aber freue ich mich über die zahlreichen Libellen, die hier herumschwirren und mir, wenn ich mich ganz still halte, endlich Gelegenheit geben, ihre leuchtenden Farben, die filigranen Flügel und die schillernden Facettenaugen ausgiebig zu bewundern.
1) Urothemis sp.; 2) Am Pool; 3) Moraea polystachia
Über eine Stunde genießen wir die Magie dieses Ortes, lassen uns von der Schönheit der Natur in den Bann ziehen und von all diesen Details fesseln, bevor wir uns wieder auf den Weg machen – allerdings nicht zusammen. Annette und Jochen wollen unbedingt weiter hinauf, sind neugierig, was es da oben noch zu sehen gibt. Heinz und ich hingegen entscheiden uns für den Abstieg ins Tal, möchten lieber all das bereits Gesehene noch einmal genauer unter die Lupe nehmen – und natürlich auch unser angeschlagenes Wohlbefinden nicht überstrapazieren. So also klettern Annette und Jochen den steilen Pfad, der sich im rechten Winkel vom Wasser entfernt, nach oben, während wir beide gemächlich abwärts wandern. Bald aber müssen wir feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, den Rückweg wiederzufinden. Sind wir vorhin hier über den Naukluft oder doch weiter unten, wo genau sind wir abgebogen? Das kommt davon, wenn man den anderen immer nur hinterherdackelt, die Augen permanent in der Botanik, ohne auf die Route zu achten. Doch wir lassen uns nicht aus der Ruhe bringen, finden schließlich doch die richtige Furt, den richtigen Abzweig, bringen die steilen Passagen unfallfrei hinter uns und sind bald darauf wieder bei den Krallenfrosch-Pools angelangt. Ab hier nehmen wir uns viel Zeit, Schmetterlinge zu beobachten, die blauen Blüten der Zwiebelgewächse (Moraea polystachia), die wir beim Aufstieg schon erspäht hatten, genauer zu inspizieren und auch ein paar gelb blühende, distelige Pflanzen (Hircipium gazanoides) entgehen nicht unserer Aufmerksamkeit. Und bevor wir uns versehen, sind wir auch schon wieder ganz unten angelangt, dort, wo die lästige Klebhirse den Weg überwuchert.
Um deren Haftattacken zu entgehen, wandern wir im steinigen Bett des Naukluft weiter, das mittlerweile im angenehm kühlen Schatten der hohen Uferbäume liegt. Wir haben das Glück, ein paar Rosenköpfchen zu entdecken, die sich zum Trinken am Fluss versammelt haben, erfreuen uns an den vorwitzigen Würgern, die im Gebüsch umherflattern und genießen unser Alleinsein inmitten der friedvollen Natur, als Heinz plötzlich entsetzt aufquiekt. „Scheiße, da war ’ne riesige Schlange, direkt vor mir, auf die wär’ ich beinahe draufgetreten, wenn sie nicht so schnell abgehauen wär’! Scheiße!“, keucht er atemlos. Ich war gerade ein paar Schritte hinter ihm, fotografierte und habe nichts gesehen, seine Beschreibung aber ist eindeutig: eine schwarze Mamba! Heilig’s Blechle, bin ich froh, dass meinem Schneck nichts passiert ist – die Vorstellung, ihn zu verlieren, ihn in einem Zinksarg mit nach Hause nehmen zu müssen, ist unerträglich und, wäre er tatsächlich auf die Mamba getreten… Nein, daran darf ich gar nicht denken! „Bah, war die groß! Fünf Zentimeter war meine Schuhspitze noch von ihr weg; fünf Zentimeter weiter, dann ich hätte sie erwischt – und sie mich. Pfffh, mir wird ganz anders!“ Heinz ist völlig schockiert und beruhigt sich nur langsam. Auch mein Herz pumpert aufgeregt und ich bin der Schlange unendlich dankbar, dass sie so schnell geflüchtet, dass diese Begegnung so glimpflich ausgegangen ist. Ein wenig dankbar bin ich dem olivbraunen Reptil mit dem tödlichen Gift aber auch, dass es da war, dass es nicht früher den Pfeil gemacht hat, dass Heinz es gesehen hat und dass die Situation so knapp war. Denn, wie schon erwähnt, bewegt sich Schneck hin und wieder doch recht unbekümmert durch die Botanik. „Ich pass scho auf!“, hat er heute Vormittag noch gesagt. Nun hat er live und in Echtzeit erlebt, wie schnell und unvermutet etwas passieren kann – und dass „Aufpassen“ auch keine absolute Sicherheitsgarantie ist.
Das mag vielleicht ein wenig schadenfroh oder gar gefühllos klingen, doch von derartigen Empfindungen bin ich wirklich meilenweit entfernt. Mir geht es eher wie der zutiefst erleichterten Frau eines allzu sorglosen Hobby-Elektrikers, den ein Stromschlag soeben unsanft auf den Hosenboden geworfen hat, ohne ihm weiteren Schaden zuzufügen und die nun hofft, dass ihr Liebster etwas daraus gelernt hat und in Zukunft vorsichtiger sein wird. Fast muss ich ein bisschen schmunzeln, als Heinz sich einen langen Stock sucht und damit auf unserem weiteren Weg jeden Schritt vor sich abklopft – liebevoll schmunzeln, wie die Frau des Elektrikers es tun würde, drehte ihr Süßer fortan alle Sicherungen heraus, bevor er einen Lichtschalter betätigt…
Eine Weile noch traben wir das Flussbett des Schreckens entlang, bis es schließlich zu eng und somit zu nass wird, dann kämpfen wir uns eine recht übersichtliche Böschung nach oben und stehen bald darauf auf einer kiesigen Fahrspur. Zwar wissen wir nicht ganz genau, wo wir sind, aber wir werden unser Camp schon finden. Heinz jedenfalls ist in erster Linie froh, dass das Gelände nun wieder überschaubarer ist und wirft befreit seinen Stock in hohem Bogen von sich. Knapp einen Kilometer später treffen wir erneut auf den Naukluft und zwar exakt an der Stelle, die wir gestern mit dem Auto passiert hatten. Glücklicherweise ist das Wasser dort nicht allzu tief, sodass wir relativ trockenen Fußes ans andere Ufer gelangen und uns freuen, dass wir nun nur noch wenige Meter bis zum Camp haben. Doch das ersehnte, kühle Rückkehrgetränk muss erst mal warten, denn ein ganz besonderes Schauspiel läßt uns fasziniert innehalten: ein wunderschönes, dottergelbes Maskenwebermännchen buhlt um die Gunst eines wesentlich unscheinbareren Weibchens, indem es zwitschernd und flügelschlagend die Vorzüge seines kugelförmigen Grasnestes anpreist. Immer wieder pickt der erregte Galan an einem herausstehenden Grashalm herum, zurrt einen lockeren Knoten fester, hängt sich kopfunter an seinen Neubau, gerade so, als wollte er dessen besondere Stabilität demonstrieren, schlüpft hinein, flattert wieder heraus und zirpt die holde Interessentin verführerisch an. Die graubraune Vogeldame hingegen ist kritisch und nur schwer zu überzeugen – zentimeterweise nähert sie sich dem Werbenden, beäugt prüfend das Nest, dreht ihr Köpfchen hin und her, entfernt sich ein paar demonstrative Millimeter, um gleich darauf unauffällig dichter an das Nest heran zu hüpfen. Das Männchen fühlt sich durch dieses Verhalten zu Höchstleistungen angespornt, die auch endlich, nach zähem Ringen, ihre Wirkung tun.
1-4) Unser Maskenweber
Die Auserwählte flattert gerade beherzt zum Nesteingang, als just in diesem entscheidenden Augenblick ein Konkurrent auf der Bildfläche erscheint. Aggressiv attackiert er unseren Beinahe-Bräutigam, der völlig überrascht, aber nicht minder aggressiv den unerwünschten Störenfried angreift. Ein schnelles Gefecht, zwei gelbe Federbälle, die kurzfristig zu einem einzelnen verschmelzen, sich wieder trennen und alles ist vorbei – der Eindringling wurde in die Flucht geschlagen, aber, es darf nicht wahr sein, auch das Weibchen ist weg! So kurz vor dem Ziel und dann das; unser um sein momentanes Lebensziel betrogenes Männchen dreht fassungslos am Rad, ist kurz vorm Durchdrehen und wir entfernen uns rücksichtsvoll, lassen ihn in seinem Elend alleine – nicht ohne ihm mitfühlend die allerbesten Zukunftswünsche zuzuflüstern.
Froh und glücklich, dass wir beide diese anstrengende Balzphase lange schon hinter uns gelassen und uns gefunden haben, gehen wir Hand in Hand hinunter zum Lager, reißen uns die Stiefel von den Füßen und sinken erst mal mit einer kühlen Cola in unsere Campingstühle. Uh, das zischt! Nach einer kleinen, wohltuenden Regenerationspause mit synchronem Löcher-in-die-Luft-starren und ausgestreckten Beinen schreiten wir luftig besandalter Füße zum Wieder-Einrichten unseres Zeltes, das wir heute Morgen, auf Anraten des Gate-Rangers, pavian-verwüstungssicher ausgeräumt hatten. „Macht es leer und lasst es offen stehen.“, legte er uns ans Herz. „Wenn die Mistviecher sehen, dass nichts zu holen ist, ist das Ganze uninteressant und sie lassen das Zelt in Ruhe.“ Unsere Behausung ist unversehrt – also war das wohl ein guter Tipp oder die Affen waren gar nicht da; Spuren sind jedenfalls nicht zu sehen. Egal; das Zelt ist schnell wieder wohnlich gemacht und wir begeben uns anschließend unter die Dusche, spülen das Salz der Anstrengung und den Angstschweiß von der Haut, um gleich danach wieder ermattet, aber duftend in unseren Stühlen zu versinken. Kurz darauf kehren auch Annette und Jochen von ihrer Höhenexkursion zurück und aus ihren sparsamen Erzählungen schließen wir, dass wir nichts verpasst haben – im Gegensatz zu ihnen!
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