31. Juli 2008 – South Luangwa NP > Luangwa Bridge Camp

Ziemlich unwillig schäle ich mich aus meinen Schlafsack-Daunen, denn gefühlsmäßig ist der Urlaub für mich mit Verlassen des Wildlife Camps irgendwie abgeschlossen. Ein rasches Frühstück, danach geht die Packerei los. Mittlerweile sind wir so aufeinander eingespielt, so routiniert im Verpacken und Verstauen, dass wir rasch abreisebereit sind. Für meinen Geschmack – diesmal – viel zu rasch. Aber es hilft ja nichts, wir müssen los und haben eine Riesenstrecke vor uns. Unseren ersten Plänen nach wollten wir eigentlich die Old Petauke Road nehmen und erst dann auf die Great East abbiegen, aber zahlreiche Informationen, gesammelt bei abendlichen Abwasch-Gesprächen mit anderen Reisenden, verzichten wir darauf. Der Straßenzustand soll verheerend sein. Kilometermäßig wäre es kürzer, landschaftlich sicherlich auch schöner, aber wir haben beschlossen, die bessere Straße zu nehmen, unseren Rückweg über Chipata anzutreten. Das hat auch noch einen anderen Grund. Annette und Joachim müssen pünktlich ihr Visum für Sambia verlängern. In Petauke gibt es ein wohl ein Immigration-Office, aber wer weiß, zu welcher Tageszeit wir dort ankommen werden? Also fahren wir Richtung Chipata, nehmen einen kleinen Umweg über Mfuwe Airport, denn auch dort soll angeblich eine Verlängerung des Visums möglich sein.

Die Strecke ist gut ausgebaut und kaum zu verfehlen: vor uns, in der immer noch sehr frischen Morgenluft, fahren mehrere offene Lodgefahrzeuge nebst abzuliefernden Gästen her. Die werten Clients diverser Lodges frieren sich im Fahrtwind den Allerwertesten ab, während wir „Billigheimer“ kuschelig-warm, bei geschlossenen Fenstern an ihnen vorbeiziehen. Nach ca. 30 km erreichen wir den Parkplatz des kleinen Flughafens, Annette und Joachim versuchen ihr Glück. Mir sticht in diesem Moment nur eine Sache ins Auge: Akazien, mit dunkelbraunen, fast 50 cm langen, ausgereiften Schoten – und das direkt vor meiner Nase! Meine Blase drückt vom Morgentee, ein eiliger Besuch der Airport-Toilette schafft dieses Problem aus der Welt und ich kann mich dann ganz der selektiven Pflückaktion widmen. Nach einer halben Stunden kommen Annette und Joachim wieder, leider unverrichteter Dinge, ich hingegen habe mein Säcklein mit mehreren wunderschönen Gebilden in Schwertklingengröße weiter gefüllt. Und da wir ja nur noch einmal Zwischenstation machen, bevor es für mich und meine Schoten gen Deutschland geht, hält sich mein schlechtes Gewissen in Grenzen, die schmunzelnde Toleranz meiner Mitreisenden nimmt proportional zu.

Glücklich umarme ich die Prachtstücke; wir fahren weiter Richtung Chipata. Eine mehr als rustikale Verbindungs-Piste führt vom Flughafen auf die Hauptstraße. Obwohl es nirgendwo eine Abzweigung gab, die wir vielleicht übersehen hätten können, fragen wir zweimal, ob wir hier wirklich richtig sind. Ja, so wird uns bestätigt, das ist der Weg auf die Mfuwe-Chipata-Road. Fast 10 km holpern wir durch Schlaglöcher, über Stock und Stein, bis wir endlich doch wieder auf der, zwar ungeteerten, aber gut befahrbaren Piste nach Chipata landen. Gute 100 km später, der Verkehr wird immer dichter, kommen wir in der geschäftigen Grenzstadt an. Wir kommen von Nordwesten, müssen nach letztendlich weiter nach Südwesten – wenn man es auf der Karte sieht. Doch gefühlt werden wir ohne Umwege nach Chipata, auf der Durchgangsstraße zur malawischen Grenze, reingeleitet. Und das ist gut so, denn schließlich ist heute erstens der Stichtag der Visumsverlängerung für Annette und Joachim und zweitens neigen sich unsere Frisch-Vorräte derart gen Null, dass ein kurzer Zwischeneinkauf auch nicht schaden könnte.

Chipata ist eine kleine, wuselige Stadt mit viel Verkehr auf der Hauptstraße, auf der wir uns nun befinden. Viele Gebäude mit offiziell wirkenden Aufschriften sind dort zu sehen. Wir fahren Richtung malawischer Grenze, schauen links und rechts, doch keines der Office-Schilder offenbart eine Visums-Stelle. Als sich die Gegend bereits wieder stadtrandtechnisch präsentiert, fragen wir einen Uniformträger, der es ja wissen sollte. Mhm, macht der, dreht um, fahrt bis zur ersten beampelten Kreuzung, dort steht rechts ein Gebäude, wo so etwas gemacht wird. Wir tun wie geheißen, landen auch bei einem offiziell ausehenden Building, doch dort werden keine Touristenvisa verlängert – so das Ergebnis. Dreht wieder um, sagt ein anderer Beamter, die Straße Richtung Malawi rauf, dort kommt auf halber Strecke rechter Hand ein Haus, da werden Visa erteilt. Also fahren wir die Main Road nochmal rauf, können nichts entdecken, was der Beschreibung entspricht, fahren wieder runter und abermals rauf, bis wir uns schließlich für ein Riesengebäude namens „Provident House“ entscheiden. Es hat immens offiziellen Charakter – von Immigration ist zwar nichts zu lesen – aber es erinnert mich an das Verwaltungsgebäude in „Asterix und Obelix in Rom“, wo die beiden Comicdarsteller unter widrigsten Umständen ein bestimmtes Formblatt besorgen müssen. Annette und Jochen haben wohl ähnliche Gedanken, als sie dieses Bürokratie verheißende Office-Monster betreten. Aber nach gar nicht so langer Zeit kommen die beiden wieder, strahlend, mit Visa-Extensions in den Pässen.

Damit wäre das Wichtigste erledigt, nur der Einkauf fehlt noch. Zu diesem Behufe fahren wir wieder Richtung Norden, denn dort haben wir einen recht gepflegten Supermarkt gesichtet. Ganz so gepflegt ist er dann doch nicht, aber die nötigsten Fressalien, sprich einen Happen für zwischendurch und das heutige Abendessen können wir einmarkten. Den Happen wollten wir eigentlich gleich verzehren, denn unsere Mägen knurren schon ein wenig, allein die Situation auf dem Parkplatz des Supermarktes ist dafür nicht ideal. Es treiben natürlich wieder die unvermeidlichen Mashenga-Boys ihr Unwesen und als Autowächter wurde Joachim mehrfach angebettelt; nun wollen wir nicht vor den Augen der Fordernden und Hungrigen unser Essen zu uns nehmen. Also machen wir uns auf den Weg, fahren aus der Stadt und halten nach einigen Kilometern am staubigen Rand der stark befahrenen Straße an, um unseren Imbiss einzunehmen. Ein idyllisches Picknick ist es nun nicht gerade, doch das seltsame Fettgebäck, das wir unter anderem erstanden haben, wäre auch durch eine schönere Location nicht schmackhafter geworden; aber es füllt den Magen, so dass wir die rund 330 Kilometer bis zum Luangwa Bridge Camp, ohne größere Schwächeanfälle befürchten zu müssen, schaffen sollten.

Auf der Strecke bietet sich das übliche Bild, das wir nun ja schon hinreichend gewöhnt sind. Kleine Dörfchen mit hübschen Wohnhäusern, heruntergekommenen Laden- und Werkstattgebäuden, Schulen und deren Hinweissteine, die alle mit einem Motto beschriftet sind, viele Fußgänger, noch mehr Radfahrer. Der Straßenzustand wechselt abschnittsweise, abhängig vom Gelände. Passagen, die relativ gerade und eben dahinführen, sind meist ganz OK, wird es hügeliger oder kurviger, sieht man dem Teer die Belastungen durch den bremsenden Verkehr deutlich an. Stellenweise sind die Schlaglöcher badewannentief, oder waren es zumindest, denn auch auf der Great East trifft man immer wieder auf Dorfbewohner, die säckeweise Erde in die Vertiefungen füllen. Was die Befahrbarkeit der Straße offen gestanden nur minimal verbessert, denn oft sind die Löcher durch die Aufschüttung einfach zu Hügeln mutiert, denen man eben auch ausweichen muss. Die Great East ist relativ stark befahren, alle Fahrzeuge weichen irgendwelchen Unebenheiten aus, manchmal hat man gezwungenermaßen Rechtsverkehr, weil ein LKW auf der falschen Fahrspur entgegen kommt. Eine anstrengende Fahrerei!

Und mit den Pinkelpausen wird es auch zunehmend schwieriger. Zweimal halten wir, an auf den ersten Blick strategisch günstigen Punkten, doch kaum haben wir die Autotüren geöffnet, biegt schon wieder ein Radfahrer aus einem Seitenweg oder es taucht Gegenverkehr nahezu aus dem Nichts auf. Dann endlich, kurz vor Katete, bei unserem dritten Versuch, klappt es. Hier steigt die Straße vor uns stark an und macht dann eine enge Kurve, hinter uns ist sie schnurgerade und gut zu überblicken. Wenn wir Damen uns beeilen, schaffen wir es, bevor die nächsten Radfahrer in Nah-Sichtweite sind. Ah, welch Erleichterung! Wir nutzen diese Pause gleich noch, um uns ein wenig die Beine zu vertreten. Dann ziehen die Radfahrer an uns vorbei. Hier in Sambia fährt niemand zum reinen Vergnügen, mit unbeladenem Fahrrad durch die Gegend. Es werden entweder riesige Holzkohlesäcke transportiert, ausgewachsene Schweine oder Ziegen, die quer zur Fahrtrichtung auf Holzkonstruktionen an den Gepäckträger gefesselt sind oder ein, zwei Passagiere fahren mit. Mit diesen Lasten schrauben sich die Radler, meist ohne einmal abzusteigen, die steilen Berge hinauf – und das ohne Gangschaltung. Dabei schaffen sie es noch, freundlich zu grüßen, was alles in allem von einer bewundernswerten Kondition zeugt.

Wir hingegen verbringen unsere Luxuskörper wieder ins Auto, statt Joachim fährt nun Jürg. Recht eintönig geht es dahin, doch kurz nach Petauke wartet auf mich ein kleines, ganz persönliches Highlight: wir durchfahren eine Ortschaft namens Minga. Meine Heimatstadt ist München und im Bayerischen heißt München nicht München, sondern Minga… Ich gebe zu, es ist wirklich nur ein ganz, ganz kleines Highlight, aber freuen tu ich mich trotzdem und mache ein paar Fotos von diversen Schildern.

140 Kilometer sind es jetzt noch, die sich gefühlsmäßig ziemlich zäh dahinziehen. Erst nach Kacholola wird die Landschaft ein wenig abwechslungsreicher. Wir fahren ganz nahe an der mosambikanischen Grenze entlang und haben wundervolle Sicht auf Hügelketten des Planalto de Morávia – die untergehende Sonne zeichnet die Berge weich und taucht sie in samtige Farben. Zeit, das richtig zu genießen haben wir leider nicht, denn als wir endlich die Luangwa Bridge überqueren, ist es schon dunkel. Durch die Finsternis tasten wir uns am Flussufer entlang, bis wir kurz nach 18 Uhr das Bridge Camp erreichen. Die Campsite ist nicht groß, dafür recht steinig-staubig und liegt direkt an der Grundstücksmauer. Immerhin sind wir alleine – noch. Gerade inspizieren wir das Gelände, suchen die besten Plätze für unsere Zelte aus, beginnen, das Auto abzuladen, als ein weiterer 4×4 auf den Platz einbiegt und direkt neben uns hält. Dem gewienerten Mietauto entsteigt ein älteres Ehepaar, beide wie aus dem Ei gepellt, die sofort ein Gespräch suchen. Auf deutsch… Wir möchten ja nicht unhöflich sein, eigentlich nur unser Zeug aufbauen, abendessen und unsere Ruhe haben, aber als sich die erste Laberwelle auf uns ergossen hat, flüchten Jürg, Joachim und ich in verschiedene Richtungen. Annette hat zu spät reagiert und muss nun den Kopf hinhalten.

In den 80er Jahren gab es eine bayrische Fernsehserie mit Helmut Fischer, den „Monaco Franze“. Der Franze ist ein Münchner Urgewächs, den man in gehobeneren Gesellschaftsschichten als ungebildet oder gar leicht prollig einstufen würde. Des Franzens Angetraute, Frau von Soettingen, gehört eben solch gehobenen Kreisen an und umgibt sich mit entsprechenden Freunden, die alle gerne auf den Franze herabblicken. Eines Abends muss Franze mit seiner Frau in die Oper, begleitet werden die beiden unter anderem von Dr. Schönfärber. Franze langweilt sich tödlich – während der Aufführung und erst recht bei den Gesprächen danach, wo sich Dr. Schönfärber nebst Gattin als wortreicher, besserwisserischer Opernkenner hervortut. Franze flüchtet auf die Toilette, belauscht zufällig einen Kritiker, der die Aufführung total zerreißt und gibt das Gehörte später bei Tische zum besten. Alle Anwesenden sind entsetzt ob der Banausenhaftigkeit des Monaco Franze, seine Gattin schämt sich in Grund und Boden. Am nächsten Tag aber steht all das Wort für Wort in der Zeitung…

Jeder, der diese Fernsehserie kennt, weiß sofort, was gemeint ist, wenn man jemand anderen als Dr. Schönfärber bezeichnet. Und unsere neuen Nachbarn haben diesen Titel mehr als verdient, vor allen Dingen der HERR Doktor! Er weiß alles besser, hat Afrika quasi erfunden, obwohl er erst zum zweiten Mal da ist; er stellt dauernd Fragen, an deren Antworten er nicht interessiert ist, die offensichtlich nur dazu dienen, weitere Schlauheiten-Absonderungen seinerseits einzuleiten. Er läßt Annette nicht mehr aus den Krallen, auch nicht, als wir demonstrativ Zelte aufbauen, die Küche errichten und zu kochen beginnen. Blabla, schwall! Ich gehe zum Direktangriff über und bitte Annette, den Kochtopf im Auge zu behalten, derweil ich auf die Toilette müsse. Offenbar sieht man mir das nicht an, aber ich bin 41 Jahre alt und in all diesen Jahren sicher schon mehrere zehntausend Mal auf unterschiedlichsten Loci gewesen, die ich auch ganz alleine gefunden habe. Dr. Schönfärber hingegen legt mir jovial-väterlich sofort und ungefragt seinen Arm um die Schultern, dreht mich um ca. 176 Grad und weist mir den Weg zum etwa 12 Meter entfernten, hell erleuchteten Waschhaus. Ich muss mich ganz arg beherrschen, dass ich ihn nicht unflätig anblöke. So presse ich mir eben nur ein „Ist ja wohl nicht zu übersehen“ ab, was den Schwätzer schmerzvoll zusammenzucken läßt. Doch bevor er sich von diesem „Schlag“ regeneriert und erneut Luft holen kann, ist Annette schon beim Kochtopf und ich auf dem Klo.

Unsere Kochstelle und der Tisch stehen, dem Himmel sei Dank, hinter unserem Landy und der schirmt uns den Rest des Abends von weiteren Besserwisser-Attacken ab. Frau Dr. Schönfärber hat außerdem zum Dinner gerufen, das die beiden – man staune – recht schweigsam einnehmen. Danach darf der Gatte niedrige Abtrockendienste tun, worauf er sich bald erschöpft in sein Dachzelt zurückzieht. Wir genießen ausgiebig die Ruhe, die nur hin und wieder von einem vorbeifahrenden Auto gestört wird, bevor auch wir schlafen gehen.

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Ein Kommentar

  1. Anonym
    16. Januar 2009
    Antworten

    …und wieso muss das jetzt schon so bald zu Ende sein. Ich ernenne dich hiermit zur Haus- und Hofberichterstatterin, besser gesagt zur Zelt- und Landyberichterstatterin. Sollten wir jemals wieder sehr sehr lange unterwegs sein, musst du halt die ganze Zeit mit! Ansonsten können wir ja darauf vertrauen, dass du die Novembertour auch so wundervoll dokumentieren wirst.

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