Oh süßes Erwachen! Das Leben ist ohnehin schon „great“, aber ohne den tirilierenden Launebär von nebenan stellt sich der Morgen als „even greater“ dar. In aller Ruhe stehen wir auf, frühstücken ausgiebig und brechen dann zu unserem dritten Tag im South Luangwa auf. Ein paar Meter hinter dem Gate begegnen wir Billy, unserem gestrigen Night-Guide, der uns sofort freudestrahlend kundtut, es gäbe eine Löwensichtung. Ob wir noch wüßten, wo wir die Löwen gestern gesehen hätten – wir bejahen. Gut, da wäre doch links davon eine Senke gewesen, durch die müßten wir nur durch, an den Büschen vorbei, uns danach weiter links halten und schon träfen wir auf eine Lichtung mit großem Baum in der Mitte. Dort seien die Löwen anzutreffen. Wir bedanken uns herzlich, wünschen ihm einen erfolgreichen Tag und machen uns auf den Weg zu den prophezeiten Löwen. Als Privatfahrer unterliegen wir ja nicht der ohnehin nicht eingehaltenen 3-Wagen-Regelung und so hoffen wir, nochmal in Ruhe einen Blick auf ein paar faule Katzentiere erhaschen zu können.
Exakt halten wir uns an Billys Wegbeschreibung, die genau stimmt, allein die angekündigten Löwen sind nicht zu sehen. Vielleicht hätten wir ja auch noch ein Stückchen weiter fahren müssen und dann erst links – also machen wir noch einen Anlauf. Auch bei diesem Versuch kommen wir wieder auf einer Lichtung mit Baum heraus, aber dort sind ebenfalls keine Löwen. Normalerweise ist bei derartigen Sichtungen mit einem relativ großen Verkehrsaufkommen zu rechnen, doch bis jetzt ist uns noch kein einziges Lodgefahrzeug begegnet. Aus diesem Indiz schließen wir, dass wir entweder völlig falsch oder die Löwen schon verschwunden sind. Auch egal; wir wollen nun keine Zeit mehr mit der Suche vergeuden, sondern einfach unseren Tag genießen und sehen, was auf uns zukommt. Nach ein paar Kilometern treffen wir auf eine malerische Lagune, deren Uferbereich mit einem dicken grünen Teppich aus Wasserpflanzen bedeckt ist.
Wie ein Garten Eden liegt sie vor uns und Noahs Arche scheint einen Großteil seiner Passagiere hier ausgespuckt zu haben: Mehrere Heilige Ibisse, Klaffschnäbel, Jacanas, Schopfreiher und Hagedasch-Ibisse schnäbeln pickend im flachen Wasser umher, ein Silberreiher schwebt majestätisch über die Teichoberfläche, ein Hippo grast schmatzend durch den Pflanzenteppich, auf seinem Rücken sitzt ein aufmerksam nach Beute suchender Graureiher und aus dem Baum direkt neben unserem Auto äugen neugierig ein paar Meerkatzen zu uns herüber. Über eine Stunde bleiben wir hier stehen und beobachten die Geschehnisse, die in ihrem Detailreichtum viel aufregender als ein paar Löwen sind: Das Hippo frißt sich langsam aber sicher von der Teppichkante mitten in die Wasserpflanzen hinein und sinkt dabei immer wieder, an tieferen Stellen, mit dem Körper fast ganz unter Wasser. Der surfende Graureiher ist von diesen Levelveränderungen nicht sehr angetan, macht sich jedesmal ganz steif und zieht angewidert ein Bein hoch, fast, als würde er nicht nass werden wollen.
Stets wenige Zentimeter vor dem mampfenden Hippomaul stakt ein Jacana umher, belauert den Graureiher. Als der dem Jacana den Rücken zudreht, hüpft dieses wagemutig auf des Hippos Schultern, wird aber sofort von dem viel größeren Reiher erbost wieder ins Wasser gescheucht, wo es erneut in Lauerposition geht. Irgendwann scheint es dem Reiher zu nass, zu schaukelig, zu beute-unergiebig zu werden und er schwebt von dannen. Schwupp, schon sitzt das kleine Blatthühnchen mit den Riesenfüßen wieder auf dem Nilpferd und nimmt die ersehnte Aussichtsplattform in Beschlag. Während wir wie gebannt diesem Schauspiel folgen und fotografieren, sammeln sich mehrere Meerkatzen im etwa 2 Meter entfernt liegenden Baum. Wir starren auf’s Wasser, die Affen starren höchst interessiert zu uns in Auto, verfolgen jede unserer Bewegungen. Sobald wir sie aber direkt ansehen, verschwinden sie hinter einem Ast, sehen in eine andere Richtung oder drehen uns flugs den Rücken zu. Lalala, wir sind nicht da! Lediglich ein Männchen ist so vertieft in die Betrachtung seiner menschlichen Verwandtschaft, sprich uns, dass es völlig vergisst, sich aus der Schusslinie meiner Kamera zu bringen. Klick, schon hab ich es im Kasten und der Meerkatzenmann bemerkt seinen fluchtlogistischen Fehler, bemerkt, dass es zu spät zum Verstecken ist. Laut keckernd trommelt er mit seinen Fäusten auf den Ast, beschimpft mich wild, starrt mich wütend an. „Ach komm, hab dich nicht so“, beschwichtige ich ihn, „ich schick dir ein Foto!“ Ungläubig starrt die Meerkatze mich kurz reglos an – sicher nicht weil sie mich verstanden hat – und verschwindet hinter dem schützenden Baumstamm, um gleich darauf wieder hinter einer Astgabel hervorzulugen.
Drei Bäume weiter, auf der Spitze einer arg krüppeligen Akazie, sitzt ein Seeadler und lässt seine fast jodlerartigen Rufe hören. Joachim startet den Motor und fährt vorsichtig in Richtung des Raubvogels. Keine zehn Meter weit kommen wir, da liegt schon ein sich sonnendes Krokodil, das bis dato hinter einem Baumstamm verborgen lag. Seine Schuppen werfen harte Schatten auf die ansonsten glatte, gepanzerte Haut, ein Eckchen des gebogenen Schwanzes hebt sich zackenartig gegen die Wasseroberfläche ab. Das Reptil ist völlig entspannt und zuckt weder, als wir hinter ihm anhalten, noch als ein Schwarzhalsreiher an ihm vorbeistakst. Der nahe Seeadler putzt sein Gefieder und macht sich zum Abflug bereit. Auch wir wollen gerade weiter, als es auf der anderen Seite in den Büschen vernehmlich knackt – zwei Elefanten schieben sich durchs Gestrüpp, direkt neben uns. Es ist ein relativ kleiner, noch sehr junger, der in Begleitung eines größeren, aber nicht ausgewachsenen Tieres ist; vielleicht sind es Geschwister oder Cousins. Die Mutter, die Familie, die Herde kann nicht weit sein, wir verhalten deshalb ganz besonders still. Völlig ungestört ziehen die beiden gemächlich an uns vorbei, wir hören leises Kommunikations-Rumpeln, noch leisere Sohlen auf dem knirschigen Untergrund, rhythmisch-kühlendes Flappen der großen Ohren, Schnauben, Schmatzen, sehen lange, starrige Wimpern, tiefe Runzeln und Falten, kleine braune Augen, Rüssel, die sich warzig-feinfühlig, keine zwei Meter von uns weg, um Fressbares ringeln und selbiges zum Maul führen. So leise und langsam, wie die beiden aufgetaucht sind, verschwinden sie auch wieder, die borstigen Schwänze peitschen uns zum Abschied sachte, pfeifende Geräusche. Als von der zu erwartenden Herde nichts zu hören und zu sehen ist, wagen auch wir uns weiter.
Hoch steht die Mittagssonne über dem Luangwa, es ist sehr heiß und wir kehren langsam zur Mittagspause ins schattige Camp zurück. Schon beim Verzehren des leichten Mittagessens sehe ich sie immer wieder; die hellblau-schwarze Libelle am Rhinofuß-Teich, die gestern nicht fotogen sein wollte. Kaum habe ich den letzten Bissen runtergeschluckt, bin ich schon am Start, zumindest ein bisschen klüger geworden aus meinen gestrigen Versuchen. Die Libelle hat einen Lieblings-Grashalm, zu dem sie immer wieder zurückkehrt und an diesem postiere ich mich nun bewegungslos in hockender Stellung. Mehrmals kommt das Insekt, lässt sich kurz nieder, doch leider werfe ich einen Schatten auf die schillernden Flügel, die dann eben nicht mehr schillern. Gut eine Stunde teste ich die beste Position, bis ich endlich ein paar einigermaßen zufriedenstellende Fotos schießen kann.
Die heiße Mittagszeit vertrödeln wir im Camp und ich komme endlich dazu, meine Fotos zu sichten und ein wenig auszudünnen. Gegen halb drei machen wir uns wieder auf den Weg für unsere letzten Stunden im South Luangwa. Jürg hat wohl genug Tiere gesehen und bleibt im Camp, wo er Ordnung in seine Daten und Tagebuchnotizen bringen will und schließlich noch auf einen Abschlußplausch zur Campmanagerin vorbei schaut. Unsere Fahrt führt uns flussaufwärts, mehr oder weniger direkt am Ufer entlang. An einer besonders übersichtlichen Stelle halten wir an und steigen aus dem Auto – ein breiter, grasiger Uferstreifen liegt in der Nachmittagssonne, die Böschung bricht senkrecht zum Luangwa ab und wir befinden uns sicher 6 Meter über dem Wasserspiegel. Wir sind gerade aus dem Auto gehopst und haben die ersten Schritte gemacht, als sich ca. 20 Meter vor uns ein Krokodil mit einer blitzschnellen Bewegung von der Uferkante katapultiert und mit einem lauten Platschen im Wasser landet. Keine Ahnung, wie das Reptil vom Fluss ans Ufer gekommen ist, aber in Anbetracht der Sachlage ist es wohl keine so gute Idee, noch recht viel weiter zu gehen. Also steigen wir einsichtig wieder in den Wagen und machen uns weiter auf die Pirsch. Bald darauf stoßen wir auf eine Gruppe Pukus, in deren Mitte ein prächtiger Kudubock genüßlich die saftigen Blätter eines Busches aberntet. Die Pukus nehmen keine Notiz von uns, der Kudu aber ist sichtlich beunruhigt. Er erstarrt mitten in seiner Kaubewegung, äugt angestrengt zu uns herüber und man kann seine sich formierenden Flucht-Gedanken förmlich greifen. Ein paar Blätter im Mundwinkel, das Maul halb offen, den Kopf leicht schräg gelegt steht er sicher eine Minute regungslos da. Dann scheint sein Plan reif zu sein; eine Drehung seines Kopfes, seines Körpers und schon ist er mit einem mächtigen Satz über eine tiefe Senke hinweg, verschwindet im angrenzenden Gebüsch. Die Pukus äsen friedlich weiter, ziehen sogar mit ihren Jungen auf der Suche nach dem saftigsten Grün ganz nah an uns vorbei.
Den ganzen restlichen Nachmittag noch verbringen wir in der Nähe des Luangwa, bleiben alle paar hundert Meter erneut stehen, denn es gibt so viel zu sehen. Und irgendwie verabschiede ich mich gedanklich von diesem grandiosen Fleckchen Erde, von den zahlreichen Tieren, von den Gerüchen und Geräuschen – zumindest für dieses Jahr. Die Zeit vergeht wie im Flug und schon bald senkt sich die Sonne zu meinem letzten Sonnenuntergang im South Luangwa NP. Zeit für uns, den Park langsam zu verlassen. Auf dem Rückweg zum Gate sehen wir noch Ellipsen-Wasserböcke, Zebras und Elefanten, wie zum Abschied winken fingerförmige Sonnenstrahlen durch dramatisch gefärbte Wolken – die Dämmerung setzt ein. An der letzten Kurve, bevor wir auf den Hauptweg zum Gate einbiegen, liegt da plötzlich ein Löwenmännchen neben der Fahrspur. Ganz Katze, dreht er uns natürlich den Rücken zu, aber sein Kopf mit der wuscheligen Mähne ist schön im Profil zu sehen. Zum Fotografieren ist das Licht leider nicht mehr ideal, aber das ist egal. Ich empfinde es auf jeden Fall als völlig unerwartetes und würdiges Good-Bye, gebe Afrika insgeheim schon das Versprechen zum nächsten Besuch.
Beim letzten Dämmerlicht durchfahren wir das Gate, kaufen noch ein paar Tomaten in Mfuwe Ort und sind wenig später wieder zurück im Camp. Jürg erzählt von einem vergnüglichen Nachmittag im Camp nebst Landsmänninen-Plausch, wir von einem nicht minder unterhaltsamen Afternoon-Drive im Park. Bei frischem Tomatensalat, köstlichen Nudeln in Tunfisch-Sauce und kühlem Bier lassen wir den Abend ausklingen, gehen bald zu Zelt. Morgen früh sollten wir zeitig aufstehen, alles zusammenpacken und dann geht es wieder ab in Richtung Zivilisation…
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