28. Juli 2008 – South Luangwa NP, Tag 1

Vor lauter Begeisterung über das gestrige Abendprogramm hatte ich vergessen zu erwähnen, hatte ich verdrängt, dass dann doch noch Overlanders neben uns Site bezogen. Nicht nur links von uns, sondern auch rechts. Beide Gruppen waren bei Ankunft wohl so erschöpft, dass sie relativ leise und früh zu Bett gingen. Heute Morgen sieht das anders aus. Gerade mal 5 Uhr ist es und die linke Gruppe überschlägt sich in ihren Team-Aktivitäten bezüglich der klappernden, lärmenden, kommunizierenden Frühstückszubereitungen. Das bekomme ich nicht ersten Ohres mit, es wird mir von meinen Reisegenossen beim Frühstück geschildert. Eine halbe Stunde später allerdings, und das dringt live und unerträglich in mein Ohr, erwacht der Guide der rechten Truppe und versucht selbige mit unsäglich guter Laune zum blühenden Wachsein zu bewegen. „Hello everybody, life is great, adventure is waiting for us; are you ready for adventure, guys?!?!?!“ Und das alles in einem so überbordend-munteren Tonfall – ein Geflöte, dass ich schier den Killer in mir hochkommen fühle. Eine Weile hoffe ich, es könnte bald vorüber sein, aber der Typ melodiert weiter vor sich hin. Er fängt sogar laut zu pfeifen an, die für mich unnötigste und unerträglichste Art der Luftabsonderung aus einer menschlichen Körperöffnung.

Meine Contenance und mein Schlaf haben jetzt ein Ende gefunden. Ich stecke meinen Kopf durch den Zeltausgang und sehe diesen trällernden, ebenholzschwarzen Motivationscoach bei heftiger Morgenkälte in kurzen Hosen und Muscle-Shirt mit Rührei und Tellern durch die Gegend springen. Ihm wird glasig-geilen Blickes von einigen dick eingemummten Gästinnen schlaftrunken aber beflissen dabei assistiert. Der männliche Teil seiner Truppe scheint nicht zu reagieren – oh Wunder – aber Tschagga-Fuzzi tiriliert unverdrossen vor sich hin. Mittlerweile ist der ganze Platz wach, alle schimpfen und ärgern sich, aber niemand sagt was. Auch ich ärgere mich, aber eigentlich möchte ich das gar nicht – mir von diesem Flötenotto den Morgen verderben lassen. Denn ca. 3 Meter neben meinem Zelt entdecke ich in einer schlammigen Pfütze den astreinen, superfrischen Fußabdruck eines Hippos. Das war sicher unser Freund von gestern Abend, der sich nochmal grünen Nachschlag geholt hat. Und ich hab’s mal wieder verschlafen…

Jetzt, wo wir eh schon alle wach sind, können wir auch gleich frühstücken und zügig in den South Luangwa aufbrechen; denn nun beginnt der Guide der linken Truppe zu nerven. Er hat seine Klienten in ein campeigenes Safarifahrzeug verfrachtet und paradiert im Zickzack, das Handy am Ohr, über den Platz. Er spricht ein seltsames Afrikaans, hat ein sehr unangenehmes, lautes Organ und schildert in nicht enden wollenden Wortschwällen von seinem Problem: das Auto sei kaputt, er brauche Ersatz, habe aber kein Geld, eines zu beschaffen und kann niemanden von seiner Company erreichen, der das Finanzielle für ihn anleiern könnte. Wem er das auf’s Ohr drückt, weiß ich nicht. Wir ergreifen jedenfalls die Flucht und sind kurz vor 8 Uhr am Mfuwe Gate. Die Nationalpark-Formalitäten gehen rasch vonstatten, man kennt uns noch von gestern, und wir starten den Morning Drive nordöstlich des Gates. Immer wieder halten wir an und genießen die Ausblicke auf den Luangwa, die Hippos und die Krokodile, die sich in der wärmer werdenden Sonne räkeln. Mit der Sonne allerdings werden auch die Tsetses munter und wir müssen uns die Plätze zum Stoppen ganz genau aussuchen. Ein freier Platz unter einer riesigen Tamarinde scheint uns geeignet, dort aber steht schon ein Lodgefahrzeug, dessen Gäste, Eltern mit einem Kind, ihren Morgenkaffee schlürfen. Das Elternpaar hat sich gegenseitig und auch ihrem Guide nichts zu sagen, beide starren wenig wohlgelaunt auf den Fluss hinaus, das Kind quengelt ununterbrochen. Der Guide ergreift seine Chance und steuert auf uns zu, wohl in der Hoffnung auf ein Gespräch.

Höflich höre ich mir das zwei Minuten an, aber der Knabe ist eine derartige Sabbelbacke, dass ich mich an das andere Ende des freien Platzes zurückziehe. Ich hatte mich so auf den South Luangwa gefreut, aber gerade nach den Wochen der touristischen Einsamkeit in Nordsambia geht mir der Trubel hier gehörig auf die Nerven. Nur nicht aufregen, Frau Schneider, sage ich mir, es ist dein Urlaub, also genieße gefälligst die letzten Tage! Außerdem wird es langsam aber sicher wieder Zeit, Tuchfühlung mit der Zivilisation aufzunehmen, schließlich fliege ich in sechs Tagen wieder nach Hause… Bald darauf packt die Labertasche seine mißmutigen Gäste wieder ein und wir haben den imposanten Tamarindenbaum für uns alleine. Doch auch wir fahren eine viertel Stunde später ein Stückchen weiter, um im dichten Galeriewald erneut zu halten. Jürg entdeckt beim „Scannen“ der Umgebung einen Reptilienschwanz in einer hohen Astgabel. Aufgeregt winkt er uns herbei; auf den ersten Blick sieht das Teil wie eine Schlange aus. Als wir den Baum umrunden, offenbart sich allerdings der wahre Besitzer des schuppigen Endes: es ist ein riesiger Nil-Waran, der bräsig kopfüber am Stamm hängt. Geduldig läßt er sich von uns ablichten, ohne mit einer nicht-vorhandenen Wimper zu zucken.

Nach ein paar Fotos lassen wir das 2-Meter-Kerlchen wieder in Ruhe und fahren weiter am Flussufer entlang. Nicht lange und wir stoßen auf eine 12-köpfige Giraffenherde, die die saftig belaubten Akazienäste der Umgebung abweidet. Ein Tier der Herde hat cremeweißes Fell und dunkelbraune, fast schwarze Flecken. Man soll Tiere ja nicht vermenschlichen, aber dieses auffällig gezeichnete Exemplar hat einen extrem hochmütigen Gesichtsausdruck und sieht uns immer wieder verächtlich an, während es ohne Scheu im Bogen um unser Auto herumfrißt. Stundenlang möchte ich hier zusehen, wie die Hälse sich elegant nach oben recken, die blauen Zungen geschickt Blätter aus den dornigen Ästen ernten, die Tiere sich würdevoll bewegen. Aber leider verschwinden die Länghälse nach einiger Zeit im Dickicht des Waldes. Einige Wegbiegungen später springt ein Buschbockweibchen flinken Hufes über die Fahrspur, Pukus dösen in der Sonne und eine große Pavianhorde vertreibt sich die Zeit mit Nahrungssuche, Rangeleien und Fellpflege. Ein Weibchen fällt uns besonders auf. Sie hält einen größeren, bräunlichen Gegenstand in der Hand, an dem offensichtlich auch ihre Artgenossen sehr interessiert sind. Sorgfältig, fast panisch achtet sie darauf, dass keiner zu nahe kommt und zuerst denken wir, sie hat wohl einen besonderen Leckerbissen ergattert, den sie nun eifersüchtig verteidigt. Als sie näher kommt, sehen wir, was sie da mit sich herum schleppt: es ist ein mumifiziertes Baby. Der Größe nach war es sicher schon einige Wochen alt, als es starb und die Mutter trägt es, dem Zustand der Leiche nach, auch schon wochenlang mit sich herum. Das ist ein sehr anrührendes Bild, das uns allen richtig zu Herzen geht.

Diesen ergreifenden Anblick nehmen wir mit uns, als wir auf unserer weiteren Safariroute vom Fluss abdrehen und das trockene Hinterland inspizieren. Doch recht viel gibt es hier nicht zu sehen. Wie ausgestorben liegt das buschige Grasland vor uns und außer eines Pod-Mahogany-Baumes, der keine eine einzige Schote mehr trägt, ist es alles in allem recht kärglich. Also wenden wir wieder Richtung Luangwa. Und schon belebt sich die Landschaft wieder. Zahlreiche Raubvögel sind in den Bäumen zu beobachten, ein Weißscheitelkibitz spaziert ohne Scheu an unserem Auto entlang, in jedem noch so kleinen Tümpelchen sitzt mindestens ein Reiher, Krokodile treiben wie Baumstämme durch das oberflächlich ruhige Luangwawasser, Hippos bilden grunzende Inseln. Ein bisschen versöhnt mich dieser sichtungsreiche Vormittag wieder mit meinem „Schicksal“! Doch unser Permit für diesen Tag läuft bald ab und gegen Mittag müssen wir den Park verlassen. Gleich hinter dem Gate steht ein prachtvoller Buschbock in einer Senke und weist einen zweiten mit gezielten Kopfstößen in seine Schranken. Wir fahren ein Stück die geteere Parkausfahrt entlang, bevor wir rechts, Richtung Wilderness Camp abbiegen.

Nach einem halben Kilometer liegt rechter Hand ein Tümpel, in dem gerade fünf Elefanten ein Schlammbad nehmen. Zwei kleinere wälzen sich unter den gestrengen Augen ihrer Tanten genüßlich im zähen Ufermodder. Es ist ein Schauspiel für Götter, wie die Kleinen wonniglich mal ihren Hintern, mal die Beinchen, mal den Rüssel in die Luft strecken und Körperhaltungen einnehmen, die man ihnen niemals zutrauen würde. Wir bleiben stehen, bis die Tanten zum Aufbruch mahnen: genug gesuhlt! Schade, denn an so etwas kann ich mich einfach nicht satt sehen. Doch im Wageninneren knurrt es bereits vernehmlich; es sind unsere Mägen und so fällt der Abschied doppelt leicht.

Bald sind wir zurück im Camp und finden dieses erfreulicherweise fast menschenleer vor – die Zelte und Wohnmobile stehen noch alle an ihrem Platz, allein die dazugehörigen Leute sind ausgeflogen. Herrlich! Voller Vorfreude auf ein ruhiges Mittagessen und einen Nachmittag der Muße, schäle ich mich aus meinen Stiefeln und der Blechhose, als ich eine Entdeckung mache, die mir gar nicht gefällt. Heute Morgen hatte ich eine Plastiktüte voll mit Schoten (die, in denen ich die meisten Insektenlarven vermutete und deshalb weder im Zelt noch im Auto lassen wollte) tief unter meinen Zeltboden geschoben. Jetzt liegt der Inhalt über die Wiese verstreut, die Tüte hat sich, geleert und vom Wind getragen, im nächsten Gestrüpp gefangen und die Übeltäter sitzen schimpfend im Baum über meinem Zelt. Die verdammten kleinen Frechdachse von Meerkatzen! Niemals hätte ich gedacht, dass sie so tief unter das Zelt kriechen würden, um an die Schoten zu kommen, aber da habe ich mich wohl gründlich geirrt. Ich klaube die Schoten, die offenbar nicht von Interesse waren, wieder zusammen, doch ich kenne meine Sammlung genau und stelle fest, dass drei Monkey Oranges fehlen. Ein Blick nach oben zeigt mir, dass die Früchte nicht umsonst so heißen… Sitzt da nicht eine Meerkatze mit allen dreien in der Hand und starrt, an einer Frucht nagend, auf mich herab. Na warte, Bürschchen! Ich greife mir einen steinharten Lehmklumpen, der Affe, der wohl nicht zum ersten Mal mit etwas beworfen wird, ahnt genau, was nun kommt und versucht zu flüchten. Aber ich erwische ihn volle Breitseite. Vor Schreck, empört aufquiekend, läßt er seine Schätze fallen und, nahezu unversehrt, kann ich die Oranges wieder an mich nehmen. Wenn Blicke töten könnten, würde ich wohl jetzt meinen letzten Atemzug tun; aber auch die Meerkatze hätte es nicht überlebt…

Nach einem geruhsamen Mittagessen, die Schoten sind sicher im Auto verstaut, läuten wir einen faulen Nachmittag ein. Jürg sortiert seine Daten, trägt Tagebuch nach, Annette und Jochen nehmen eine Dusche und ich wühle mich durch Vogel- und Baumbücher. Nein, nein! Da ist er wieder, der telefonierende Quäk-Guide mit seinem Auto-Problem und hängt natürlich am Handy. Die Ruhe ist dahin und wir flüchten in verschiedene Richtungen. Jürg nach vorne zur Rezeption, an die Bar, denn die Campmanagerin ist, wie er, aus der Schweiz und er hatte ihr ein Pläuschchen versprochen. Annette und Joachim hinunter zur Uferbank, wo sie ein wenig spazieren gehen wollen. Ich greife mir einen Stuhl, meine Kamera und lasse mich am Rande der Uferböschung nieder. Boah, fernsehen! Träge fließt der Luangwa unter mir dahin, ich lausche den Hippos, dem leisen Plätschern und rede ein ernstes Wort mit den Meerkatzen, die zu meinen Füßen vorbei hüpfen, nicht ohne mich permanent im Auge zu behalten. Meine Gedanken gluckern flussabwärts, flussaufwärts durchquert eine Elefantenherde den Luangwa, die Großen beschützen die Kleinen vor der Strömung. Sage und schreibe 16 Giraffen stemmen sich in ein paar hundert Metern Entfernung von der Uferbank die Böschung hoch und ziehen gemächlich über das Campgelände. Die Sonne senkt sich tiefer und tiefer, taucht das Wasser und den Himmel in fahles Gold, knalliges Orange, sattes Rot. Sonnenstrahlen lugen in Fingerform durch die Wolken, Wasserstrudel erglühen in pinken und blauen Farbtönen, die Hippos gurgeln, schnorcheln, grunzen beruhigend und meine Welt ist wieder im Lot!

Dunkelheit bricht herein und ich kehre zurück zu unseren Zelten, wo sich Annette, Jochen und Jürg auch schon wieder eingefunden haben. Wir erzählen uns von unseren Nachmittags-Erlebnissen, die für uns alle so schön waren, dass uns auch der sich langsam mit Rückkehrern füllende Campingplatz nicht aus der Ruhe bringt. Gerne würde ich heute Abend noch duschen und warte deshalb, bis endlich das Licht im Waschhaus angeht. Nichts tut sich, auch die Beleuchtung in den Bäumen bleibt dunkel. Ich warte und warte, aber nichts passiert. Auch gestern hatten wir schon einen Ausfall des Generators, der nach einer halben Stunde behoben war; heute hingegen bleibt alles dunkel. Also gehe ich, nur erhellt vom Schein meiner am Türhaken aufgehängten Taschenlampe zum Showern. Kaum habe ich mich abgetrocknet, angezogen und bin wieder zurück bei unseren Zelten, funzeln die Glühbirnen auf. Allerdings nur für eine halbe Stunde, dann kehrt erneut Dunkelheit ein. Sauber bin ich wieder, klebe nicht mehr, dufte fast aber unerträglich heftig nach Vanille. Trotzdem meines menschlich-cleanen Geduftes haben wir nach dem Abendessen, zu gewohnter Zeit, wieder Tierbesuch – nahezu die Programmwiederholung von gestern: Hippo und Elefant geben sich ein Stelldichein auf der Campsite. Heute ist das Hippo weiter weg, der Elefant dafür wesentlich näher. Diesmal verlassen wir unsere Logenplätze und ziehen uns zurück. Der Generator arbeitet wieder, die Campingplatz-Beleuchtung brennt, wir liegen in unseren Zelten. Plötzlich zeichnen sich konkretere Schatten als die der im leisen Wind wehenden Blätter auf meiner Stoffwand ab; dicke Säulen rechts neben mir. Die Schatten der Säulen bewegen sich – der Elefant! Vergeblich lausche ich, denn heraushören kann man nichts in der allgemeinen nächtlichen Geräuschkulisse, doch ich sehe die Schatten, wie sie träge über meine Zeltwand wandern. Jede Hautfalte kann ich sehen, jede Runzel! Immer wieder ein erhebendes Gefühl, einem wilden Tier so nahe zu sein, nur getrennt durch einen dünnen Stoff – ich schlafe ein, glücklich und zufrieden.

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