Stockfinster ist es noch, als plötzlich ein leises, rhythmisch knirschendes Geräusch in unsere Gehörgänge dringt. Krchrrt, krchrrt – sonst nichts. Das Krchrrt wird immer lauter, scheint ein Echo zu entwickeln, das Echo verschwindet wieder, das Einzelgeräusch wird ebenfalls leiser, dann schwillt es wieder an, bekommt erneut ein Echo und verebbt abermals. Schlaftrunken reiben wir uns die Augen. Was ist das? Ach ja, klar! Es ist die angekündigte Ruhestörung in Form von paarweise an unseren Zelten vorbeimarschierenden Hobbyfotografen. Beruhigt kuschle ich mich wohlig in meinen Schlafsack und dämmere nochmal in meine Traumwelt der Nacht zurück. Doch nicht lange. Denn Annette und Jochen bekommen kein Auge mehr zu und beginnen klappernd und klirrend, den Tag einzuläuten. Heinz und ich rekeln uns grunzend, wollen die gemütlichen Federn nur ungern verlassen, schälen uns aber schließlich doch aus den Betten und dem Zelt und recken uns genüsslich in der Kühle des Morgens.
Warten auf die Sonne
Unser Camp am Kokerboomkloof
Sonne küsst Berge
Wir sitzen bereits gemeinsam beim „Vorab-Kaffee“ in unseren Stühlen, doch immer noch defilieren Mitglieder der Fotografengruppe an uns vorbei. Sie alle grüßen höflich, fast entschuldigend, und versuchen, unsere Campsite so geräuschlos wie möglich zu passieren. Diese Leute sind so unglaublich rücksichtsvoll, dass es uns schon fast peinlich ist. Mensch, Jungs und Mädls, guten Morgen, viel Erfolg bei eurer Fotosafari – und entspannt euch!
Bokmakierie wartet aufs Bad
Langsam überwindet die steigende Morgensonne alle ihr im Weg stehenden Hindernisse und intensiv glühende Strahlen gleiten über die Bergkuppen oberhalb unserer Campsite. Und mit jedem zusätzlichen Zentimeter, den die Sonnenfinger dabei abtasten, wird es wärmer, heisser und noch heisser. Kurz vor sieben Uhr, wir nehmen gerade unser Frühstück ein, besuchen uns bereits wieder die ersten Vögel, die sich auch sogleich durstig und badelustig auf die frisch gefüllte Pizzaform stürzen. Gemeinsam mit dem Federvieh, quasi stereo, laben wir uns und erledigen unsere Morgentoilette. Mit dem nicht ganz unerheblichen Unterschied der Wasserbereitstellung. Wir melken unseren mitgeführten Vorratstank, um eine Katzenwäsche nebst der morgendlichen Zahnpflege durchführen zu können, die Vögel hingegen schwelgen fröhlich planschend im Vollbad. Doch wir gönnen es ihnen aus vollen Herzen; nicht nur, weil es ein absolutes Vergnügen ist, die Vögelchen so nahe, so zutraulich bei uns zu sehen, sondern auch, weil jegliche Hygienemaßnahme unsererseits, angesichts der sich entwickelnden Tagestemperaturen, ohnehin vergebliche Liebesmüh ist. Den Vögeln tun wir trotzdem noch etwas Gutes und füllen ein letztes Mal die Pizzaform mit frischem Wasser randvoll auf, dann machen wir uns erneut auf Erkundungstour ins Richtersveld.
Kleine stellen sich hinten an!
Erst sind die Größeren dran!
Trocknen nach dem Bade
Heute jedoch liegt unser Fokus nicht ausschließlich auf den Pflanzen – der Tag ist hauptsächlich den Interessen Annettes und Jochens gewidmet und die würden gerne eine weitere Campsite am Oranje in Augenschein nehmen – Richtersberg. Es gäbe einen relativ kurzen Weg dorthin, den allerdings umfahren wir großräumig, denn wenn schon, denn schon: wir wollen möglichst viel dieses wundervollen Nationalparks auf der heutigen Erkundungstour kennenlernen. Und es fängt gut an. Bereits beim Verlassen des Kokerboomkloofs, kurz bevor wir in die Springbokvlakte einbiegen, steht ein Klippspringer vor uns in den Felsen. Unruhig zappelt er mit seinen „Langneseohren“, riesigen stranitzenförmigen Horchtüten, die mit ihrem flauschig bepelzten Inneren an ein leckeres Vanilleeis mit Karamellstreifen erinnern. Bald hat diese pseudo-kulinarische Fata Morgana allerdings das Weite gesucht – vielleicht ist das Böckchen ja geschmolzen… Doch kurz darauf erblicken wir bereits Nachschub: eine kleine Herde schokoladenfarbener Kudus, die nahezu atemlos im Schatten eines eierförmigen Felsens verharren. Auch unsere Anwesenheit löst sie nicht aus ihrer deutlich sichtbaren Starre. Grund hierfür muss wohl diese irrsinnige Hitze sein, die auch an uns nicht spurlos vorüber geht. Es ist, wie bereits erwähnt, immer noch recht früh am Morgen, dennoch wabert etwas über uns, um uns herum, was bereits um diese Tageszeit unsere körpereigenen Klimaanlagen zu Höchstleistungen herausfordert. Das kann ja heiter werden…
Klippspringer
Kudufamilie
Hinaus in die Sprinbokvlakte
Wird es auch, denn wir durchfahren, auf unserer langen Route nach Richtersberg, einige mikroklimatische Zonen des Nationalparks, die man in dieser Deutlichkeit nur erspüren kann, wenn man mit einem Fahrzeug ohne Klimaanlage unterwegs ist – oder aber zu Fuß geht. Bei Letzterem vermisst man dann auch noch den leisen Fahrtwind, der immerhin für leichte Kühlung sorgt. Ganz leichte Kühlung – zumindest hat man ein andeutungsweise erfrischendes Gefühl auf der Haut – mehr aber auch nicht. Erschwerend auf unserer heutigen Route kommt noch hinzu, dass wir uns fast ausschließlich in Flusstälern bewegen, in denen sich die Hitze besonders intensiv staut.
Unser erster Streckenabschnitt folgt beispielsweise einem Seitenarm des Gannakouriep – dort hatten wir gestern eine kurze Pause eingelegt – dann geht es durch die Berge, quer über den Hauptlauf des Gannakouriep, Richtung Nordwesten, wo wir schließlich in das Tal des Abiekwa einbiegen. Es ist ein sehr breites, tiefsandiges Bett, das botanisch so gut wie nichts zu bieten hat. Kein Wunder also, dass ich mich, bei einem schnellen Erkundungsstopp, schon freue, überhaupt eine Pflanze zu entdecken: es ist ein Amaranthgewächs, das den wenig poetischen Namen „Grauer Wüstenbusch“ trägt. Reine Poesie hingegen sind die unscheinbaren Blüten des Busches, die ihre Schönheit aber nur offenbaren, wenn man ganz genau hinsieht. Magentafarbene Kunstwerke mit weißflaumigen Püschelchen, die in der Sonne glänzen. Auf diese Weise gewinne ich sogar dem drögen, staubigen Flusstal noch einen gewissen Reiz ab. Heinz hingegen ist sichtlich gelangweilt – und unsere beiden Freunde wollen nur so schnell wie möglich runter zum Fluss. Also gut. Dabei wären wir einem weiteren Pass so nahe – dem Maerpoort. Dort sind wir auf unserer letzten Tour auf wahre Euphorbien-Wälder gestossen; Gariepinas, Hamatas, Gummiferas und die kaktusähnlichen Virosas, die Heinz so gerne wieder besuchen würde. Der Schlenker über den Maerpoort würde uns jedoch direkt nach De Hoop führen, das zwar nur gute 12 Kilometer nördlich von Richtersberg liegt, leider aber ist die Verbindungsstraße nach Richtersberg, direkt entlang des Oranje, seit dem letzten Hochwasser unpassierbar. Somit fällt diese Streckenvariante also leider flach, denn sie würde einen ziemlichen Umweg bedeuten. Und natürlich wollen wir Annette und Jochen mit unseren botanischen Spinnereien nicht von ihrem Vorhaben abhalten, die Richtersberg Campsite in Augenschein zu nehmen. So fügen wir uns also notgedrungen aber willig unserem Flusstal-Schicksal.
Calicorema capitata
Pterocles bicinctus
Camp Richtersberg
Gen Mittag endlich erreichen wir Camp Richtersberg. Unsere Freunde sind sofort angetan von der schönen Lage direkt am Oranje, Heinz und ich hingegen finden es hier vergleichsweise langweilig. Gut, ja, der Oranje gluckert heimelig und hebt sich wie ein blauer Streifen von den sattgrünen Ufern und der dahinterliegenden, trockenen Landschaft ab, große Bäume spenden wohltuenden Schatten, es gibt jede Menge Vögel, die jedoch äußerst scheu sind – ansonsten jedoch tut sich hier wenig. Heinz macht in seiner Verzweiflung Jagd auf einen großen Starentrupp, den man zwar gut hören, aber nicht sehen kann. Nähert man sich dem lauten Gezwitscher und erhofft sich einen Blick auf den Vogelschwarm, so wird man schnell enttäuscht, denn die Lautquelle zieht einfach ein paar Meter weiter – ohne sich zu zeigen. Frustrierend. Wir versuchen die Vögel von zwei Seiten einzukreisen, was aber leider ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt ist.
Nama-Lager…
…mit Flussblick
Viscum capense
Immerhin stossen wir bei dieser Wanderung, die uns flussaufwärts führt, auf das Lager eines Nama-Hirten und inspizieren es respektvoll aus der Ferne. Schade, es ist niemand zuhause. Gerne nämlich würde ich mal sehen, wie man hier lebt, überlebt. Ohne die dazugehörigen Bewohner aber müssen wir auf Abstand bleiben und können die für uns unvorstellbaren Lebensbedingungen nur aus gebührlicher Entfernung in Augenschein nehmen. Ein igluförmiges Hüttchen, dessen Grundgerüst aus gebogenen Ästen besteht, gedeckt mit Blechstücken, Ziegenfellen und Kartons, ein paar aufgeschnittene Kanister zum Wasserschöpfen, einige wenige Werkzeuge – das ist alles. Wir versuchen uns in die Lebenslage der hier wohnenden Menschen zu versetzen. Eine Aufgabe, die nur ansatzweise gelingt. Nichtsdestotrotz erscheint dieser Wohnort vergleichsweise angenehm, denn wir haben im Richtersveld auch schon andere gesehen – und die lagen fernab vom Wasser, weit weg von jeglichem Schatten, in der glühenden Hitze der öden, trockenen Flusstäler. Ein Leben, das man sich, so oder so – als im Wohlstand geborener Europäer – nicht wirklich vorstellen kann. Da aber niemand zuhause ist, bleibt es bei dieser unerklärten Vorstellung und Heinz und ich kehren zum Touristencamp zurück.
Nama-Lager
Oenanthe monticola
Heinz muss schwitzen
Dort sitzen unsere Freunde auf dem Betonsockel des Sanitärgebäudes und beobachten wie gebannt diverse Vögel, die sich am überlaufenden Wasser des dortigen Wasserturms gütlich tun. Schmätzer, juvenile und erwachsene Sunbirds baden, trinken und vergnügen sich in den kleinen Kaskaden, die den maroden, lecken Turm herabplätschern. Ein schöner Anblick! Doch leider steht die Sonne gerade so hoch am Himmel, dass wir das metallisch glänzende Federkleid nur erahnen können. Wir schwitzen stattdessen klebrig vor uns hin und sehnen uns nach der trockenen Hitze der Pässe – Heinz und ich. Annette und Jochen hingegen haben echt Sitzfleisch und „quälen“ uns ganze zwei Stunden, bis auch sie bereit sind, den Rückweg anzutreten. Dann endlich fahren wir los. Das ganze Abiekwa-Tal wellblechen wir wieder zurück, vorbei am Gannakouriep, hinauf in das nächste Flusstal. Dort, wie aus dem Nichts, kommt uns plötzlich ein anderes Auto entgegen. Und selbstverständlich hält man in einer derartigen Situation an, spricht miteinander. Es ist ein deutsches Ehepaar, das schon lange in Südafrika wohnt und mal wieder einen Ausflug ins Richtersveld gemacht hat. Wir smalltalken eine Weile mit den beiden, tauschen News und Allgemeinplätze aus, erzählen und bekommen erzählt. Dann verabschieden wir uns wieder und fahren unserer Wege. Eine kurze Begegnung, die nett war. Nicht mehr und nicht weniger. Zwei Informationen jedoch nehmen wir mit: im Gegensatz zu unserem leicht lädierten Analogthermometer hatte das Ehepaar ein funktionierendes Digitales an Bord und bestätigte unsere Temperaturempfindung: knapp über fünfzig Grad Celsius! „Apropos heiß,“, fragen die beiden, „seid ihr auch schon dem bescheuerten Typen aus Alaska begegnet? Der ist nur hier, um seinen Temperaturrekord zu brechen: minus fünfzig versus fünfzig plus. Den hat er heute wohl geschafft.“ Nein, der Typ hat sich uns noch nicht vorgestellt, Gott sei Dank. Wie bekloppt ist das denn! Noch ahnen wir jedoch nicht, dass auch wir diesem Mann noch heute begegnen werden – und zwar unter äusserst unliebsamen Umständen…
Flusstal…
… um Flusstal…
… um Flusstal…
Jetzt aber verabschieden wir uns erst mal von dem Ehepaar, das nach Richtersberg will und düsen weiter zurück, Richtung Kokerboomkloof. An der Abzweigung zum Maerpoort Pass bekommen Heinz und ich doch noch unsere Virosa-Euphorbien: wir machen einen kurzen Schlenker nach Norden und stoppen, sobald wir der ersten Exemplare ansichtig werden. Sofort stürzen Schneck und ich aus dem Auto und klettern rauf in die glühend heißen, steilen Felsen, in denen die markanten Wolfsmilchgewächse ihre stacheligen Arme gen Himmel recken. Heinz ist im Glück und trotzt strahlend den herrschenden Temperaturen, ich hingegen trete bald den Rückzug an und unsere Freunde wagen sich gar nicht erst aus dem schmalen Schatten der Felsen heraus. Ich weiß nicht, wie Heinz das macht, aber seine Begeisterung lässt ihn diesen Höllenofen klaglos aushalten, während wir anderen selbst im Schatten ein gewisses Schwummergefühl empfinden. Dann aber kommt auch Heinz wieder von seinen Felsen herab und wir alle klettern dankbar ins Auto, um uns vom milden Fahrtwind ein wenig kühlen zu lassen. So fahren wir weiter, weiter Richtung Kokerboomkloof, wo wir gen Nachmittag um die „Zehe“ kurven und bald darauf Sicht auf unser Lager haben.
Euphorbia virosa
Euphorbia virosa
Euphorbia virosa
Steht da ein Auto auf unserer Campsite? Aus dieser Entfernung lässt sich die ungute Vermutung noch nicht sicher bestätigen, zehn Minuten später jedoch wird die Ahnung zur Tatsache. Weitere zehn Minuten später werden mit einer Situation konfrontiert, die noch heute meinen Kragen fast zum Platzen bringt: Da sitzen drei Schwarze auf Campingstühlen im Schatten unseres Hausfelsens und grienen uns dümmlich an, während ein weißer Wichtigmacher geschäftig herumräumt und uns kampfeslustig entgegenblickt. Den Vogel aber schießt ab, was die vier Herren in unserer Abwesenheit getan haben: sie bauten einfach unser Gazebo ab, räumten unser Hab und Gut aus dem Waschhäuschen, schoben Jochens und Annettes Zelt beiseite und häuften all die Sachen im Sand neben der Campsite auf. Wir sind sprachlos! Doch selbst, wenn wir Worte hätten, wir würden sie nicht anbringen können. Sobald unser Wagen steht und wir aussteigen, überfällt uns nämlich der Weiße mit einer höchst aggressiven Verbalattacke, die sich gewaschen hat. Ah, da wären wir ja, wir Scheiß-Campsitebesetzer. Und wir sollten nicht so blöd schauen, er hätte nur unser Zeug beiseite geräumt, was ja wohl sein gutes Recht wäre. Schließlich habe er für das Camp bezahlt – im Gegensatz zu uns. Solch Asoziale wie uns kenne er schon von seinen zahlreichen anderen Reisen und mit solchen Leuten müsse man kurzen Prozess machen! Während der hagere Super-Recke uns wüst beschimpft, sitzen seine drei schwarzen Begleiter weiterhin unbeteiligt im Schatten und fressen Steaks in sich rein.
Die Toon
So sah es heute Morgen aus
Das Lager der Fototruppe
Wir sind regelrecht geplättet, finden dann aber trotzdem rasch unsere Sprache wieder. Hallo, einen Moment mal und bitte ein bisschen höflicher, ja! Wir weisen den grauhaarigen, ungepflegt wirkenden Pferdeschwanzträger, der sich derart unsympathisch präsentiert, betont ruhig darauf hin, dass auch wir eine gültige Buchung hätten. Und wenn er schon ein so erfahrener Reisender sei, müsse er auch wissen, dass es nicht der Etikette entspräche, sich an fremden Sachen zu vergreifen; schon gar nicht vor einem klärenden Gespräch mit den Eigentümern. Besserwisserisch winkt der großkotzige Typ ab und fordert uns mit herablassend-herrischen Gesten dazu auf, unsere Berechtigung vorzuweisen. Annette kramt ohnehin gerade danach, das aber geht dem Typen offensichtlich zu langsam. „Da sieht man es wieder! Nicht mal zu Ordnung in den Papieren seid ihr fähig. Aber lasst mal stecken, es ändert ohnehin nichts an der Sachlage. Das ist meine Campsite und damit basta!“ Wir fordern ihn natürlich im Gegenzug auf, seine Bestätigung vorzuzeigen. Das aber hat er nicht nötig, denn, wie erwähnt, sei die Sachlage für ihn klar, und wir hätten jetzt gefälligst unseren Schrott zu packen und Leine zu ziehen. Er sei nicht den weiten Weg aus Alaska hierher gekommen, um sich von dummen Touristen unqualifiziert anreden zu lassen.
Ach, das ist also der Typ, von dem uns das Ehepaar vorhin berichtet hatte! Dem haben wohl die hundert Grad Temperaturunterschied das Hirn verbrannt! Doch selbst das ist keine Entschuldigung für sein absolut inakzeptables Verhalten. Uns schwillt der Kamm. Dennoch versuchen wir nach wie vor, eine für beide Seiten verträgliche Lösung zu finden. Jochen bietet ihm an, sein Lager weiter hinten bei den Felsen aufzuschlagen, aber der widerliche Alaskaner fällt ihm sofort ins Wort: er habe seinen Standpunkt bereits klar gemacht, und damit Punkt. Ich mische mich ein. Da schaut mich der Wurm kalt und mit hochgezogenen Augenbrauen an und meint: „Hey, Frau, jetzt spreche ich. Ich sag dir schon, wenn du dran bist!“ In mir wallen unbeschreibliche Aggressionen hoch. So behandelt mich niemand und schon gar nicht ein dahergelaufener, verlauster Alaska-Ziesel, der glaubt, das Rad und das Reisen erfunden zu haben! Ich koche, ich würde ihn am liebsten mit geballter Faust in seine blöde Fresse schlagen, beherrsche mich aber dennoch und mache meiner unsäglichen Wut auf sarkastisch-verbalem Weg Luft: „Entschuldigung, hoher Herr, dass ich unwürdiges Weib gesprochen habe! Ein unverzeihlicher Fehler! Ich werde fortan natürlich schweigen, bis ihr mir das Wort erteilt!“ Der Alaskaner scheint nicht im Geringsten irritiert, seine schwarzen Begleiter hingegen zeigen zum ersten Mal eine Reaktion: sie feixen hinter dem Rücken ihres arroganten Reisekompagnons. Meine Fassungslosigkeit wächst ins beinahe Unermessliche, erst recht, als der unsägliche Typ tatsächlich zunächst Jochen generös das Wort erteilt, dessen Argumente aber mit einer verächtlichen Handbewegung beiseite wischt und danach den Mann Heinz fragend ansieht. Als der nur den Kopf schüttelt, tut Mr. Alaska-Ziesel kund, dass ich, die Frau, jetzt sprechen dürfe. Annette, das zweite Weib, das keine Ordnung in den Unterlagen hat, ist offenbar schon lange aus dem Rennen.
Aber immerhin darf nun ich – danke auch! „Du erzählst uns hier was von vier Campsites und dass wir jetzt zu gehen haben, nur, weil du da bist. Schon mal was gehört von „wer zuerst da ist, mahlt zuerst“? Schau mal auf meine Finger und rechne mit, sofern du überhaupt zählen kannst: vier Campsites, drei besetzt von einer Gruppe, die vierte von uns. Dann kommst du (ich recke meinen kleinen Finger nach oben) als Fünfter. Schafft das dein Kopf? Du bist dieser kleine Finger, du bist als Letzer gekommen und hast hier gar nix zu melden. Und deshalb verpisst du dich jetzt! Kapiert? Wir könnten diese Campsite auch friedlich alle zusammen nutzen, aber so, wie du dich benimmst, bin ich nicht dazu bereit. Ich möchte nämlich nicht einen der schönsten Orte dieser Welt mit einem rücksichtslosen Typen wie dir teilen. Du schämst dich wirklich für gar nichts – nicht mal deinen Begleitern ersparst du dein peinliches Benehmen. Und jetzt geh endlich!“ Er kuckt mich an, wiehert los und meint: „Ah, ein Blondie, das sprechen kann! Bravo! Hat noch jemand was zu sagen? Nein?! Dann packt jetzt!“ Jochen ergreift erneut das Wort, aber ich habe mein Pulver nun verschossen – mein verbales. Ein Gefühl der Ohnmacht ergreift mich, gepaart mit einer Aggression, wie ich sie noch nie im Leben gefühlt habe. Ich würde diesem arroganten Vollidioten jetzt am liebsten die Fresse polieren, würde ihm so gerne einen Knüppel in die Visage dreschen oder ihn an den Haaren aus dem Camp schleifen. Diese heftigen Gefühlsregungen verunsichern mich derart, dass ich nur noch eine einzige Möglichkeit sehe, einem tätlichen Ausflippen meinerseits entgegenzuwirken: ich muss hier weg! Schwer atmend und zornesbebend verziehe ich mich hinter unser Auto. Hier muss ich dem Elend wenigstens nicht mehr zusehen, hier kann ich auch die weitere Diskussion nicht mehr hören, hier kann ich mich meinen durchaus verlockenden Gewaltphantasien stellen, die auszuleben ich mich kaum noch zurückhalten kann.
Tja, da stehe ich nun hinter einer Blechkarosse und hadere mit meiner Wut, obwohl ich doch eigentlich nur hier sein möchte, friedlich und genussvoll. Der Alaskaner in seiner unsäglich verächtlichen und herablassenden Art aber hat etwas in mir wachgerufen, was ich bis dato noch nicht kannte: das Verlangen nach körperlicher Gewalt! Ich kenne mich als defensiven, harmoniebedürftigen Menschen, der im schlimmsten Falle mit einer Tür knallt oder sich, mit der weitaus besseren Waffe der Worte, verbal Luft macht. Aber so? Meine Verwunderung über mich selbst, das Verhalten des arschlochigen Alaskaners und meine betrogenen Hoffnungen hinsichtlich der entlegenen Traumcampsite lassen nur eine einzige, kompensierende Reaktion zu: ich heule los, um Druck abzubauen: und tatsächlich – mit jeder einzelnen Träne verflüchtigt sich ein Faustschlag, den ich vor ein paar Minuten noch allzu gerne angebracht hätte. So also stehe ich heulend im Schatten des Autos und weine mir die Wut aus Kopf und Faust, als sich mir plötzlich knirschende Schritte von der unteren Campsite nähern. Da kommt jemand! Ich versuche, meine Fassung wiederzuerlangen, doch die Dame, die uns gestern so freundlich über die bevorstehende Ruhestörung aufgeklärt hatte, ist nicht zu täuschen. „Alles okay? Mensch, warum weinst du?“ Und da bricht alles aus mir raus. Ich kotze der armen Frau alles vor die Füße, was mich gerade so sehr beschäftigt. Und erhalte eine Antwort, die mich für alles entschädigt. Der Alaskaner war, bevor wir zurückkamen, schon bei der Fototruppe und hatte denen die Hölle heiß gemacht. Dann aber hatte ihn, angesichts der zahlentechnischen Übermacht der Reisegruppe der Mut verlassen. Und nun ging er auf uns los. Die Dame entschuldigt sich wortreich, dass ihre Gruppe diesen Menschen ungebremst auf uns gelenkt hätte. Und sie versteht genau, was mich so in Rage bringt. Sie bittet mich um eine klärende Minute, läuft wieder runter zu ihrer Truppe. Bald darauf kommt der „Silberrücken“ der Reisegruppe anmarschiert und knöpft sich unseren herzigen Alaskaner vor. Ich weiß nicht, was er ihm sagt, ich weiß nicht, womit er ihm droht, ich weiß nicht, wie er er schafft, aber zehn Minuten später räumt der arrogante Spacken das Feld. Wortlos und wutentbrannt rafft er seinen Schlafköcher zusammen und zieht von dannen.
Vorher aber blafft er noch seine Begleiter an und die dürfen nun den Rest alleine zusammenpacken, bevor sie ihrem Bwana folgen – wohin auch immer. Wir räumen unsere Habseligkeiten inzwischen wieder da hin, wo sie vor der Attacke aus Nordamerika auch schon standen. Dann machen wir uns Wasser heiß und genießen unseren Nachmittagstee im Schatten unseres wiedererrichteten Gazebos. Die drei Schwarzen, die noch nicht ein Wort von sich gegeben haben, packen hingegen noch immer. Als einer der Drei sich besonders ungeschickt bemüht, einen Campingstuhl in seine Transporthülle zu stopfen, kann ich einfach nicht länger untätig zusehen und biete ihm meine Hilfe an. Der Mann sieht mich mit großen Augen ungläubig an. „Du willst mir helfen? Echt? Und das, nach allem, was passiert ist? Vielen, vielen Dank!“ Gemeinsam bugsieren wir den sperrigen Stuhl in den Stoffbeutel und ich meine lächelnd: „Naja, ihr könnt ja nichts für das Benehmen eures Kunden. Der ist halt ein Arschloch, und wird für ewig eines bleiben. Ich frage mich nur, wie ihr das ertragt. Zahlt er wenigstens gut?“ Der Mann schüttelt den Kopf, lacht freudlos und erzählt mir dann eine schier unglaubliche Geschichte. Der nordamerikanische Volldepp ist kein Tourist, kein Kunde. Er ist Physikprofessor und im Rahmen eines Austauschprogrammes zu Gast an der Kapstädter Uni, genau da, wo auch die drei schwarzen Herren tätig sind. Nein, nicht als Hausmeister, Lakaien, Servanten oder gar bezahlte Guides. Nein, die drei schwarzen Herren sind ebenfalls Physikprofessoren und wurden dazu auserwählt, dem Austauschfuzzi an ein paar freien Tagen etwas vom Land zu zeigen! Gastfreundschaft ist ein hohes Gut in Südafrika, der Gast ist König und wird auch als solcher behandelt – und sei er noch so ungehobelt. Ich lausche ungläubig, bin fassungslos. „Hey, der Typ behandelt euch wie Knechte, euch, die ihr beruflich auf einer Stufe steht, und ihr lasst euch das gefallen?!“ Hilflos wedelt mein Gegenüber mit den Armen und versucht zu erklären. „Wir haben ihm gesagt, dass er eure Sachen nicht wegräumen darf. Aber er, er, immer nur er. Das ist alles, was für ihn zählt. Deshalb haben wir ihn machen lassen. Aber glaub mir – es tut uns unendlich leid. Doch gegen den kommst du nicht an. Er hat immer recht, weiß immer alles besser und setzt das auch durch. Was sollen wir dagegen tun?“ „Weist ihn in seine Schranken! Der hat euch gar nix zu sagen, Gast hin oder her!“ „Nein, ja, du hast ja recht. Wir schämen uns auch für diesen Kollegen, aber er ist Gast und wir müssen uns dem fügen. Wir sind ja nur für vier Tage unterwegs und er wollte unbedingt einen Temperaturrekord brechen. Den hat er jetzt geknackt und morgen geht es zurück nach Kapstadt. Dann sind wir wieder an der Uni und sind ihn los.“ „Das kann doch nicht nur mit Gastfreundschaft zu tun haben“, bohre ich nach, „da gibt es andere Gründe, sei ehrlich!? Hat der Alaskaner was zu sagen oder ist da immer noch die Hautfarbe im Spiel?“ Der schwarze Professor windet sich, ringt nach Worten, verknotet seine Finger. Plötzlich entdeckt er eine Eidechse im Felsen hinter uns, deutet sichtlich erleichtert auf das ablenkende Reptil und fragt mich, ob ich wisse was das sei. Na ja, ’ne Eidechse halt. „Yes, good, Madam, Akkedis, Akkedis! Akkedis is afrikaans word for lizard!“ Manchmal höre ich ja das Gras wachsen, aber diese Antwort ist – in meinen Ohren – mehr als deutlich! Es wird von einer Frage, die sichtliches Unbehagen bereitet, händeringend abgelenkt und gleichzeitig in schwer akzentbehaftetes Rudimentär-Englisch verfallen. Und das von einem Menschen, der noch Sekunden vorher glasklares Kap-Angelsächsisch gesprochen hatte. Ich denke mir meinen Teil, unterlasse aber fortan jegliche Fragereien meinerseits.
In fast trauter Zweisamkeit packen wir den Rest der Sachen und verabschieden uns dann herzlich. Ich wünsche den Dreien viel Glück für die Rückfahrt und eine baldige Entledigung von dem alaskanischen Übel, was mit einem seufzend-bitteren Lächeln quittiert wird. Ups, jetzt fällt mir doch noch eine Frage ein: „Wo übernachtet ihr denn heute eigentlich?“ „Da unten.“, bekomme ich zur Antwort, „Die Fotogruppe hat umgeparkt und eine Site freigemacht!“ „Mann, das ist aber nett von denen!“ „Ne, ne, das passt schon und ist gut so. Macht euch bloß keine Gedanken!“, verabschiedet sich der Professor von uns und klettert in den voll bepackten Wagen, in dem seine zwei Kollegen schon darauf warten, zu ihrem sicher recht wohlgelaunten Gast aufschließen zu dürfen. „Wir gehen besser gleich ins Bett… Euch eine gute Nacht und ein dickes Sorry nochmal!“ Mit diesen Worten verschwinden die Drei in der mittlerweile einsetzenden Dämmerung. Puh, das Kapitel „Alaska“ wäre hiermit, zufriedenstellend für uns, abgeschlossen, dennoch aber beschäftigen mich weiterhin einige Dinge. Vor allem: warum hat die Fototruppe so selbstlos Platz gemacht? Und wie können wir uns dafür gebührlich bedanken?
Jochen fällt in meine Gedanken, indem er den Verdacht äußert, jede Campsite sei für zwei Gruppen konzipiert. „Habt ihr die Feuerstelle da hinten gesehen?“ Ja, haben wir, aber die kann ja auch von einer größeren Gruppe oder einem romantikbesessen Liebespaar mit Absentierungstendenzen stammen. Wir hypothesen vor uns hin, konsultieren unsere Buchungsbestätigung, erhalten aber keine definitive Antwort – bis mir der Prospekt über die ariden Nationalparks des südlichen Afrika wieder einfällt, den ich im Tanqua mitgenommen hatte und der irgendwo in den Tiefen meiner Sitztasche seiner Bestimmung harrt. Und, ja, dort steht es geschrieben: Kokerboomkloof hat vier Campsites – für je zwei Parteien à sechs Personen! Somit sind wir also tatsächlich im Unrecht, hätten den Alaskaner und seine Kollegen tolerieren müssen. Na ja, unter normalen Umständen. Nicht aber bei dem Benehmen, das sicher jenseits jeglicher Toleranzgrenze lag. Jetzt jedoch wissen wir wenigstens, warum die Fototruppe derart bereitwillig ein Plätzchen für die vier Professoren geräumt hatte: die Herrschaften belegen Stellplätze für insgesamt 36 Personen, obwohl sie nur zu sechzehnt sind. Und im Gegensatz zu uns waren sie sich dessen von Anfang an in vollem Umfang bewusst! Irgendwie ist es also nur recht und billig, dass sie ein paar Autos umgestellt haben, um dem unfreundlichen Amerikaner nebst seiner Kollegen Platz für die Nacht zur Verfügung zu stellen. Nichtsdestotrotz sind wir froh und dankbar für die Kompromissbereitschaft unserer Nachbarn, die uns auf diese Weise einen ungestörten Abend verschafft haben. Und den genießen wir nun in vollen Zügen, versuchen, den unliebsamen Zwischenfall zu vergessen.
Einmal aber lodert mein Zorn doch noch auf: die Kühle der Nacht bringt mich zum Frösteln und ich stapfe zu unserem Zelt, um mir eine Jacke zu holen. Ich öffne das Überzelt und starre ungläubig auf unseren Eingang, dessen Reissverschluss sperrangelweit offen steht. „Schneck, hast du das Zelt heute Früh zugemacht?“, frage ich sicherheitshalber, als ich zu meinen Freunden zurückkehre. „Ja klar, ganz sicher, was denkst du denn?“ Fragende Blicke ruhen auf mir. Tja, da hat der angeblich so reiseerfahrene Dreckskerl doch tatsächlich unser Zelt geöffnet, das voll eingerichtete Gemach für zu schwer befunden, um es einfach so wegzuzerren und hat es deshalb in Ruhe gelassen. Aber da wir ja ohnehin nur asoziale Platzbesetzer sind und es wohl nicht anders verdient haben, blieb unser Innenzelt offen – im Gegensatz zum sorgfältig-unauffällig verschlossenen Überzelt. Eine absolute Todsünde! Der Scheißkerl hat eine Grundregel gebrochen, deren Nichteinhaltung uns, im schlimmsten Falle, das Leben hätte kosten können. Was, wenn sich eine Schlange in unser Zelt verirrt hätte? Was heißt „hätte“?! Kann ja immer noch sein, denn ich habe gerade nur vorsichtig und mit spitzen Fingern meine Jacke aus dem Zelt gefischt, ohne genauer nachzusehen. Eine gründliche Inspektion steht uns also noch bevor.
Mann, der Typ ist nicht nur ein herablassenendes Arschloch, sondern gleichzeitig auch noch ein gemeingefährlicher Menschenverächter! Meine Freunde sind ebenso fassungslos wie ich. Als wir gerade kopfschüttelnd über diesen unsäglichen Mann und seine Selbstwahrnehmung rätseln, besucht uns erneut die nette Dame von der Fototruppe, um sich nach unserem Wohlergehen zu erkundigen. Und sie möchte sich gerne für ihre Landsleute entschuldigen: „Dass die drei Guides das Verhalten ihres Gastes euch gegenüber geduldet haben, ist unverzeihlich. Es tut uns von Herzen leid und wir bitten um Entschuldigung im Namen aller Südafrikaner!“ „Warum glaubst du, dass die drei schwarzen Begleiter des Amerikaners seine Guides sind?“, frage ich. „Sind sie nicht?“ Ich kläre die erstaunte Lady auf und jetzt ist sie es, die um Fassung ringt. „Uni Kapstadt, Physikprofessoren? Alle drei? Und der Alaskaner auch? Das wird ein Nachspiel haben! Auch ich habe einen Lehrstuhl an der Capetown University inne und zudem ein gewichtiges Wort mitzureden. Was hier passiert ist, ist unmöglich, unverzeihlich, unfassbar, nicht tolerierbar. Eine Schande für den ganzen Campus! Das hat Konsequenzen, seid euch sicher!“ Wutentbrannt stapft die Dame, uns eine gute Nacht wünschend, wieder zu ihrer Truppe hinunter. Wir bleiben mit deutlichem Unbehagen zurück – denn wenn die Lady ihre Drohung wahrmacht, trifft es sicher die Falschen.
Was für ein beschissener Abend! Uns ist die Laune jetzt endgültig verdorben, weshalb wir uns bald in unsere Zelte zurückziehen. Natürlich nicht ohne uns vorher zu vergewissern, das auch gefahrlos tun zu können…
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