Ach, wie ist das herrlich! Wir kriechen erst aus den Zelten, als uns die Sonne in den Nasen kitzelt und genießen das, was wir jetzt bei Tageslicht sehen können. Unsere Zelte stehen unter lichten Bäumen, der Wind rauscht leise durch die Blätter, vor uns liegt ein breiter Streifen herrlichen, goldgelben Sandes, das glasklare Wasser des Sees schlägt in sachten Wellen gegen das Ufer und wir sind allein auf weiter Flur. Nein, das stimmt nicht ganz. Die beiden freundlichen Jack Russells (bin kein Hundeexperte, denke aber, es sind welche) von Rene freuen sich über uns Gäste und schwänzeln aufgeregt um uns herum. Aus den Ästen direkt über unserem Frühstückstisch ertönt ein leises, sehr trauriges Buh-buuuh und mit großen Augen sieht ein Fleckenuhu auf uns herab.
Nach einer Dusche in unserem luxuriösen Waschhäuschen fühlen wir uns wie neugeboren, wie im Paradies. Heute ist nichts anderes als Faulenzen angesagt und das läßt sich hier, in dieser traumhaften Umgebung sicher auf’s Trefflichste tun. Dem genüßlichen Frühstück unter den aufmerksamen Augen des Uhus folgen Stunden der Muße. Lesen, Sonnenbaden, Schwimmen im Lake Tanganjika, Träumen, den Gedanken nachhängen. Es tut unendlich gut, besonders nach dem gestrigen Tag. Als Jürg und ich diesen revue passieren lassen, regen sich in uns schon wieder Planungsgedanken. Wir holen Karten und Reiseführer, zählen die uns noch verbleibenden Tage, notieren die Ziele, die noch vor uns liegen, versuchen, die Strecken zeitlich zu kalkulieren und entwerfen ein paar Ablaufvarianten. Zwei Punkte gibt es, die uns etwas Sorge bereiten. Das ist zum einen der verdammte Berg, den wir wieder hoch müssen und zum zweiten die geplante Strecke von Mutinondo Wilderness zum South Luangwa über die berüchtigte Escarpment Road 05.
Peter, den wir am Lake Waka Waka kennen gelernt hatten, empfahl uns damals dringend, wir sollten uns nach der Passierbarkeit der beiden zu überquerenden Flüsse erkundigen, zumal es dieses Jahr extrem viel geregnet hätte. Gestern hatten wir schon Rene zu diesem Thema befragt, doch sie konnte uns nichts Näheres sagen. Allerdings versprach sie, Mark Harvey, den Betreiber der Kapishya Hot Springs Lodge und des Buffalo Camps im North Luangwa für uns anzurufen; der würde es sicher wissen. Noch hat sie ihn nicht erreicht und wir müssen über Alternativen nachdenken, sollten die Flüsse nicht passierbar sein.
Weiterhin kalkulieren wir die Strecke und die zu erwartenden Fahrstunden zu unserem nächsten Etappenziel, dem südlich von Mpika gelegenen Mutinondo Wilderness. Dreieinhalb Stunden haben wir den Berg runter gebraucht, die selbe Zeit rechnen wir jetzt mal vorsichtshalber für den Weg nach oben. Dann folgen rund 200 km Schlaglochpiste bis Kasama. Die Zeitangaben hierfür variieren zwischen drei und acht Stunden; wir kennen den Zustand der Straße ja mittlerweile zur Genüge und planen die Strecke mit fünf Stunden ein. Dann sind es nochmal gute 300 km auf besserer Piste bis Mutinondo. Das wird ein extremer, ein viel zu strammer Fahrtag, den wir mit einer Übernachtung in Kasama splitten und entzerren müßten. Solange wir aber nicht wissen, ob wir die Escarpment Road fahren können, sollten wir keinen Tag verlieren und deshalb spätestens am 23. Juli Isanga Bay verlassen. Unsere Alternativroute zur Escarpment Road würde uns nämlich über den North Luangwa und Luambe Nationalpark in den South Luangwa NP führen, wofür wir mindestens einen Tag mehr einplanen müssen. Nach langem Jonglieren mit Strecken, Zeiten und Eventualitäten haben Jürg und ich ein paar ganz praktikable Vorschläge erarbeitet, die wir nun noch mit Annette und Joachim besprechen müssen. Ganz besonders deswegen, weil der Mega-Fahrtag relativ unvermeidlich ausgerechnet an Annettes Geburtstag stattfinden wird.
Der Enthusiasmus der beiden über unsere detaillierten Planungen und Besprechungsgelüste hält sich ein wenig in Grenzen, reißen wir sie doch aus einer gemütlichen Lesestunde am Strand. Aber es bringt ja nichts, alles auf sich zukommen zu lassen, um dann doch feststellen zu müssen, dass irgendwo Zeit fehlt. Nach mehreren Bade- und Kaffeepausen sind wir uns schließlich alle einig. Der morgige Tag gehört noch Isanga Bay, der Entspannung, der Überholung des Landys und, in Annettes, Jürgs und meinem Fall, der Stadt Mpulungu. Übermorgen, an Annettes Geburtstag, werden wir bis Kasama fahren und dort bei einem guten Abendessen im Kasembo Guesthouse feiern.
Das war eine schwere Geburt, aber nun, da alle Eventualitäten hübsch in praktikable Pläne eingebettet sind, fühlen wir uns alle irgendwie erleichtert und genießen den herrlichen Nachmittag am Strand, in der Sonne, im Wasser, im Schatten. Der Fleckenuhu sitzt noch immer im Baum und haucht sein Buh-buuh in die langsam tiefer stehende Sonne. Plötzlich flappt ein riesiger Nachtfalter herbei und läßt sich auf einem Felsen neben unserem Tisch nieder. Er ist ungefähr 7 Zentimeter groß, unscheinbar braun gesprenkelt, aber bei näherem Hinsehen ungemein schön. Der pelzige Saum seiner Flügel, die dicht behaarten Beinchen und seine kammartigen Fühler sind wie ein Kunstwerk. Unser reges Interesse an dem Falter erweckt die Neugier der beiden Jack Russells. Eifrig mit ihren Stummelschwänzchen wedelnd hüpfen sie um uns herum und wir können sie gerade noch abhalten, den Falter zu beschnuppern – schließlich wollen wir ihn alle fotografieren.
Kaum ist der geduldige Falter erfolgreich abgelichtet, muss ich schon zum nächsten Fotoobjekt weitereilen: hinunter ans Wasser, das gerade wie eine Wanne voller Diamanten in der tief stehenden Sonne glitzert. Malerisch schippern ein paar Fischer in ihren Nußschalen vorbei und zeichnen sich wie Silhouetten eines Scherenschnittes gegen den Horizont ab. Kurz darauf kippt das gerade noch blaue Licht und der Himmel färbt sich erst orange, dann pink, dann dunkelblau. Gebannt beobachte ich einen der grandiosesten Sonnenuntergänge, die ich jemals gesehen habe. Dabei ist es ein ganz einfaches Szenario: wolkenloser Himmel, gekräuseltes Wasser, ein paar Felsen, der perfekt runde Sonnenball. Weit und breit keine Akazie, die ihre Zweige pittoresk ins glühende Licht hält, keine dramatisch gefärbten Wolken, keine vorbeiziehenden Vögel. Wahrscheinlich aber ist es genau diese Simplizität, die diesen Sonnenuntergang so magisch macht. Ich bleibe, bis die rote Kugel am Horizont abtaucht und freue mich jetzt schon, die Bilder am heimischen Computer in groß sehen zu können.
Oben auf der Campsite ist gerade Rene aufgetaucht, die Mark Harvey immer noch nicht erreicht hat, um uns nach unseren Wünschen zu fragen. Ja, wenn das so ist, dann können wir uns den Weg zur Bar sparen und uns das Feierabendbier bequem liefern lassen! Wir berichten Rene von „unserem“ Uhu und sie erzählt, dass das Tier wohl lange Zeit ein einsamer Junggeselle gewesen sei, seit nunmehr einem Jahr aber wieder eine Partnerin hätte. Die haben wir zwar noch nicht gesehen, aber wir freuen uns sehr für den kulleräugigen Seufzervogel. Jürg, Annette und ich erkundigen uns noch, ob wir morgen mit dem lodgeeigenen Boot nach Mpulungu gebracht werden könnten, wieviel das kostet und wann wir starten könnten. Ach, sagt Rene, das fügt sich ja wunderbar; sie habe morgen vormittag ohnehin einen Termin in der Stadt und wir könnten problemlos für lau mitfahren. Allerdings wisse sie nicht, wann sie wieder zurück fahren würde. Für den Fall, dass wir gerne früher nach Isanga Bay zurück wollten, nähme sie einen Angestellten mit, der könne uns dann bringen. Mit diesem Wissen und der Vorfreude auf den morgigen Ausflug verbringen wir einen gemütlichen Abend am Lagerfeuer, aufmerksam bewacht vom Uhu und den beiden Hunden.
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