20. November 2009 – CKGR, Piper Pan

Heute Morgen weckt uns kein Regen, sondern das aufgeregte Geschnatter unserer Mitreisenden. Neugierig krabbeln wir aus dem Zelt, werden mit lautem Hallo und Glückwünschen begrüßt – Glückwünschen, dass wir noch leben. Langsam filtern wir aus dem Erzählungsgewirr, was heute Nacht geschehen ist: wir hatten Löwenbesuch! Es waren wohl zwei Männchen in weiblicher Begleitung, die da zu nachtschlafener Stunde laut brüllend durchs Camp gezogen sind. Neben Patricias und Svens Zelt ist noch ein deutlicher Pfotenabdruck zu sehen und die beiden sind vor Angst fast gestorben, als einer der Löwen direkt neben ihnen seinen Ruf durch die Dunkelheit schickte. Heinz und ich sehen uns an und schütteln die Köpfe, denn keiner von uns beiden hat etwas von dem Spektakel mitbekommen. Die anderen können gar nicht fassen, dass wir nichts, nicht das Geringste gehört haben. In Anbetracht der immensen Lautstärke, die so ein Katzentier zustande bringt, wundert mich das offen gestanden auch ein bisschen. Von mir selbst bin ich ja solchen Bleischlaf gewöhnt, aber dass auch Heinz nicht aufgewacht ist… Er wird offenbar schön langsam ein richtiger „Afrikaner“!

Nach einem ausgiebigen Frühstück und erneuter Autoschieberei machen wir uns auf die Suche nach den nächtlichen Störenfrieden. Wir nehmen die Westseite der Piper Pan und bereits nach wenigen Kilometern werden wir fündig. Ein prächtiges Männchen, zwei Weibchen und vier Jungtiere liegen da im Schatten eines kleinen Bäumchens und räkeln sich wohlig in der Morgensonne. Den Löwenmann ziert eine wie frisch frisiert wirkende, schwarz-goldene Mähne, die so üppig ist, dass Büschel davon sogar unter den Achseln hervorlugen – wie bei Nena in ihren besten Zeiten! Wir manövrieren uns in die günstigste Fotoposition und beobachten lange das Treiben der Katzen. Die erwachsenen Tiere bieten ja nicht viel Action, aber die Kleinen sorgen für Bewegung in der Szenerie. Alle naslang wechseln sie den Liegeplatz, beschmusen die Großen, versuchen deren Schwänze zu erhaschen, starten Kletterversuche auf das Bäumchen, spitzen ihre Krallen, springen sich gegenseitig an. Das Löwenmännchen wirkt etwas genervt ob der Betriebsamkeit des Nachwuchses, erträgt aber das Gewusel eine ganze Weile mit stoischer Ruhe. Als ihm eines der Spielkinder direkt in die Mähne hopst, wird es ihm dann doch zu viel und er erhebt sich, nähert sich dem zweiten Weibchen, dem er zärtlich amouröse Avancen macht. Doch die Olle weist ihn rüde zurück – nicht vor den Kindern! Frustriert schnuppert der Korbempfänger ersatzweise an einem Pfützchen seiner Angebeteten und beginnt sogleich in Bilderbuchmanier zu flehmen. Lautlos reißt er sein Maul auf und zieht sich die anregenden Pheromone tief in den Rachen, vorbei am Jacobsonschen Organ und speziellen Riechzellen, die ihn den Geruch mit allen Sinnen genießen lassen.

Ein schönes Bild, das aber ein abruptes Ende findet, als plötzlich das zweite Männchen (wie wir schon vermutet hatten), aus den Tiefen der goldgelben Graslandschaft auftaucht. Es nähert sich gemächlichen Schrittes seinem Rudel, von dem es sofort freundlich begrüßt wird. Die Kleinen sind voller Spielhoffnung, defilieren kopfstupsend um ihn herum, doch der neue Onkel, Papa oder wer auch immer er sein mag, läßt sich nur gähnend in den nächstbesten Schatten sinken. Nun kehrt bräsige Ruhe bei den Miezen ein und wir beschließen, das Familienidyll nicht weiter zu stören. Mit unserem dauer-juckelnden Motor sind wir tatsächlich ein Störfaktor, doch das Risiko, ihn abzuwürgen, konnten wir einfach nicht eingehen. Obwohl es die Löwen sicher erfreut hätte, wären wir in ihrer unmittelbaren Nähe zum Schieben ausgestiegen…

Ein paar Kilometer weiter, in mehr als sicherer Entfernung unserer nächtlichen Besucher, stoppen wir erneut, denn eine Schildkröte kreuzt unseren Weg. Ein ausgiebiger Sicherheitsblick in die Runde zeigt, dass wir unseren Motor gefahrlos zum Schweigen bringen und aussteigen können. Die Schildkröte macht sich eilig aus dem Staub, aber wie immer gibt es genug anderes zu sehen. Knochenweißer, trockener Hyänenkot liegt zuhauf herum, läßt uns über die verspeisten Opfer rätseln, Agamen rascheln über den Boden und der nächtliche Regen hat wieder Tausendfüßer hervorgelockt. Zu hunderten ringeln sie sich in den Ästchen des niedrigen Buschwerks, das die Pfanne umgibt. Sie sind noch größer als die letzten Exemplare, die wir im Mudumu NP entdeckt hatten und sehen auch ein bisschen anders aus. Ihre Beinchen sind nicht dunkel- sondern eher rotbraun und da, wo sich ihre Chitinringe an der Außenseite einer Rundung auseinanderspreizen, treten helle Streifen zutage. Nachdem wir uns alle an den Zebra-Millipeden und den anderen kleinen Schätzen der Natur sattgesehen haben, steuern wir langsam wieder unser Camp an, wo wir uns nach einem Mittagssnack der Muße des Nachmittags hingeben. Jürg wirft sich in seine Hängematte, Heinz geht auf Samensuche, wird tatsächlich fündig und läßt sich glücklich mit einem Buch im lichten Schatten eines Sesambaums nieder. Jeder von uns verbringt die heißesten Stunden des Tages so, wie es ihm am besten gefällt und wir alle genießen den ungetrübten Sonnenschein, der zumindest heute über den Regen gesiegt zu haben scheint – und unsere Klamotten restlos getrocknet hat!

Doch das Leben hält permanent Aufgaben bereit und unsere ist es, das Problem mit dem Auto in den Griff zu bekommen. Jochen baut die Motor-Batterie aus, schließt die des Kühlschranks an, doch auch diese schwächelt. Er geht der Sache weiter auf den Grund und vermutet schließlich, dass beide Batterien, die schon ein paar Jährchen auf dem Buckel haben, durch eine Frischzellenkur mit destilliertem Wasser wieder fit werden könnten. Das klingt durchaus einleuchtend, allein destilliertes Wasser haben wir nicht zur Verfügung. Da erwachen die MacGyvers in unseren Männern und eine halbe Stunde später steht ein abenteuerliches Kondensier-Konstrukt auf dem Gaskocher. Der befüllte Teekessel wölkt über einen mit Tape am Ausgießer befestigten Plastikschlauch Wasserdampf in eine Plastikflasche, die ebenfalls am Hals dicht abgeklebt wurde. Die Flasche aus dünnwandigem Kunststoff wiederum steht in einem Topf mit kaltem Wasser, damit sie den hohen Temperaturen des einströmenden Dampfes standhalten kann. Abwechselnd dichten wir den Teetopfdeckel mit einem nassen Geschirrtuch ab und beobachten fasziniert, wie Tropfen für Tropfen selbstgemachten, destillierten Wassers in die schrumpelige Plastikflasche platscht. In regelmäßigen Abständen „erntet“ Jochen das reine Nass mit einer injektionsbenadelten Spritze und führt es den schlaffen Batterien zu. Es ist unglaublich, wie viel Flüssigkeit in die trockengelaufenen Kammern passt, es dauert ewig, bis wir genügend Destillat gewonnen haben und alles ausreichend befüllt ist.

Die renovierten Batterien werden nun wieder eingebaut, das Auto durch Schieben gestartet und Jochen umrundet mehrmals die Pfanne, um die Energiezellen wieder aufzuladen. Gespannt dösen wir dem späten Nachmittag entgegen, bevor wir erneut in die Autos klettern. Doch die MacGyver-Aktion war vergebens, unser Sorgenkind startet nicht von alleine. Schiebenderweise setzen wir die Karre in Gang, besuchen unsere Löwen, die nach wie vor bewegungslos im mittlerweile deutlich gewanderten Schatten liegen. Kurz nur blinzeln sie unser öttelndes Fahrzeug an, bevor sie die Köpfe erneut zu Boden sinken lassen und weiterschlafen. Wir im grünen Landy fahren deshalb schon mal weiter zum Sundowner-Spot, während Patricia, Sven, Jürg und Tommi in der weißen „Meerkat“ noch ein wenig bei den Katzen bleiben. Doch die Tiere sind so abendfaul, so actionlos, dass auch unser zweites Auto bald darauf bei uns eintrifft. Heute Abend ist der Himmel nur leicht bewölkt, der Sonnenuntergang fällt darob um einiges flauer aus als gestern. Das einzige, was wirklich spektakulär glüht, sind Heinz’ Knie und Jürgs Gesicht: die beiden haben sich einen Sonnenbrand vom feinsten eingefangen. „Ah, leck!“, sagt Schneck und streicht sich vorsichtig mit den Händen über die knallrote Haut, Jürg hingegen hat sich so verbrannt, dass ihn fröstelt und ihm sogar die letzten, milden Sonnenstrahlen Schmerzen bereiten. Doch bald senkt sich die Dunkelheit wohltuend auf Jürgs gequälte Haut und wir verlassen unseren Aussichtspunkt. Der grüne Landy springt diesmal freiwillig an und bald sind wir, hoffnungsfroh, was das Auto anbelangt, zurück im Camp, wo schon sandfreies Abendessen in den Potjies gart. Erfahrungsklug durch den gestrigen Sturm hatten wir es bereits vor dem Evening Drive in die Glut gesetzt und können es jetzt in aller Ruhe verzehren. Ein paar Kudus umrunden währenddessen kauend unser Lager, in der Ferne brüllt einer der Löwen und wir genießen den friedvollen, lauen, windstillen Abend inmitten der Kalahari. Beim Zubettgehen nehme ich mir ganz fest vor, die Löwen, sollten sie heute Nacht wieder kommen, nicht zu verpassen, aber bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht habe, bin ich schon eingeschlafen.

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