15. Oktober 2014; kleine Rundfahrt im Augrabies Falls NP
Als ich heute Morgen aufwache, bestehen diese positiven Gefühle in unveränderter Stärke, allein meine Tatkraft und Entdeckungslust sind wiedergekehrt – und nicht nur die meine. Nach einem opulenten Frühstück, das wir erneut freigiebig mit zahlreichen Vögeln teilen, drängt es uns deshalb zur unverzüglichen Umsetzung unserer gestern gefassten Pläne: wir wollen ein bisschen was vom Nationalpark sehen. Wir, das sind in diesem Falle Ute, Heinz und ich. Annette und Jochen hingegen hatten wohl eher auf einen weiteren faulen Tag spekuliert und kommen entsprechend zäh in die Gänge. Doch wir sind unerbittlich; eine mittlere Runde fahren, dabei ein paar Sehenswürdigkeiten abklappern und die markantesten Naturschönheiten kennenlernen und genießen, das muss schon drin sein! Na gut, seufzen unsere Freunde; und so machen wir uns am frühen Vormittag endlich doch auf den Weg zu einer kleinen Entdeckungstour. Auf westlicher Route verlassen wir das Camp, fontänen durch einen schmalen Schilfgürtel voller Bächlein und nehmen dann, in absoluter Trockenheit, Kurs auf den gut vier Kilometer entfernten Moon Rock, der eine hervorragende Aussicht auf die umliegenden Gestade verspricht. Wenig später klettern wir aus den Autos und jetzt, beim Anblick dieses riesigen Inselbergs, der wie ein gestrandeter Wal aus der ansonsten recht flachen Landschaft ragt, setzt meine Erinnerung an damals wieder ein.
Moon Rock
Blick vom Moon Rock
Klippschliefer
Hier war ich schon mal! Walbuckel, klingende Felsen, Dassies… Während meine Freunde nun den langgezogenen Felsbuckel zielstrebig nach oben stapfen, um die versprochene Aussicht zu degouttieren, lasse ich mir Zeit, meine Erinnerungen erneut erstehen zu lassen. Und ja, es funktioniert! Bei jedem fest aufgesetzten Schritt erschallen die zwiebelschalenartig aufgebauten Felsen wie eine weit tönende Trommel, die mit ihrem hallenden Vibrieren meine empfindungstechnischen Grundfesten schon damals aufs Erfreulichste erschüttert hatten, Gänsehaut inklusive. Herrlich! Meterweise stapfe und trommle ich mich so weiter nach oben, bis ich schließlich die ersten Klippschiefer entdecke. In schmalen Rissen, unter sich schälenden Granitschichten haben die murmeltierartigen Tiere Quartier bezogen – und sind Publikumsverkehr gewohnt: als ich angetrampelt und -getrommelt komme, ziehen sie sich sicherheitshalber zurück, spähen aber schnell wieder neugierig aus ihren Ritzen und wuseln alsbald völlig entspannt um mich herum.
Ich lasse mich daraufhin bäuchlings auf den sonnenwarmen Felsen nieder, um so den Pelzknäueln noch näher zu kommen. Das sorgt für kurze Verwirrung bei den Schliefern – so flach sehen sie Menschen wohl nicht oft vor ihren Wohnungen rumlungern. In Windeseile jedoch legt sich die Phase der Irritation und die Neugier gewinnt erneut die Oberhand, die sich, so Aug in Aug, noch viel trefflicher befriedigen lässt. Die Klippdachse, vor allen Dingen die jungen, nähern sich mir auf kürzeste Distanz, so nahe, dass ich immer wieder ihren Atem im Gesicht oder auf den Armen spüren kann. Es ist ein unfassbar schönes Gefühl, den kleinen Tieren mit dem lustigen Gesichtsausdruck so hautnah sein zu dürfen, in ihre Knopfaugen blicken zu können und ihre Gedanken dabei förmlich zu erahnen. Eine Art der Zweisamkeit, die sehr intim, aber dennoch von gegenseitigem Respekt geprägt ist. Keines der Tierchen berührt mich und auch ich widerstehe dem Reiz, Körperkontakt herzustellen (was absolut unklug wäre). So begucken und erfühlen wir uns also, ohne einander körperlich anzutasten, doch es ist trotzdem eine Nähe, die mich zutiefst erfreut. Und auch die Klippschliefer scheinen die ungewohnte Situation zu genießen; wann hat man schon eine derart umfassende Gelegenheit, eines dieser täglich an einem vorbeiwandernden Wesen in solcher Ausgiebigkeit zu beschnuppern. Tja, genau so lange, bis des Wesens begleitende Mit-Menschen vom höchsten Punkt des erstiegenen Walbuckels mit einem Höllengetöse wiederkehren und dabei auch noch bedrohlich lange Schatten in der Vormittagssonne werfen. Schwupp, weg sind sie, die neugierigen Schliefer! Doch halb so schlimm, schließlich hatten wir ja unsere ganz besonderen, gemeinsamen Momente, die Klippdachse und ich, und die kann uns keiner mehr nehmen.
Mit einem seligen Grinsen im Gesicht hieve ich mich wieder in die Senkrechte und folge meinen Freunden runter zum Parkplatz, wo wir erneut in die Autos steigen, um das nächste Ziel anzusteuern: den Echo Corner.
Swartrante
Swartrante
Wegelagerer
Die elf Kilometer lange Strecke dorthin führt uns über den sogenannten „Swartrante“, eine lange Kette von Hügeln, deren schwarzes Erstarrungsgestein eine natürliche Grenze zwischen der kargen Oranjeschlucht und dem dahinterliegenden, um einiges fruchtbareren Land bildet. Leider ist das Licht um diese Tageszeit so gleißend, dass der sicher reizvolle Kontrast zwischen den dusteren Felsen und der erkennbar üppigeren Vegetation im Hintergrund nur ungenügend zur Geltung kommt – man kann ihn allenfalls erahnen. Doch der Weg zurück wird uns abermals über Swartrante führen und vielleicht steht da die Sonne schon etwas günstiger; wir lassen es einfach auf uns zukommen…
Ohne also den vollen Reiz der Magmahügel zu erfahren, überqueren wir diese und halten auf den Echo Corner zu, der oberhalb einer Schleife des Oranje liegt, wo man, wie der Name schon sagt, ein lang anhaltendes Echo erzeugen können soll. Doch was interessiert uns das versprochene Echo – bei DER Landschaft? Schon als wir wieder hügelabwärts kurven, bezaubern uns steile Felsen, die uns zunehmend von beiden Seiten bedrängen, dann aber, auf den letzten Metern vor Echo Corner, öffnet sich der enge Weg wieder und geleitet uns, von rotblühenden Bäumen gesäumt, hinab in ein Tal, das eine ganz eigene Faszination verbreitet.
Echo Corner
Echo Corner
Schotia africana
Rund um uns ragen schroffe, sandfarbene Bergwände nach oben, zu unseren Füßen glitzert das Wasser des Oranje in kontrastierenden Türkis- und Grüntönen – die tümpelartigen Becken geben sich allerdings nicht als Teil eines mächtigen, fließenden Flusses zu erkennen, sondern strahlen eher die Ruhe tiefer, stiller Tümpel aus – und dieses an sich schon reizvolle Szenario wird zusätzlich durch die üppige Blütenpracht der zahlreich gedeihenden Schotien-Bäume akzentuiert. So schön – und auch dieser Ort verbreitet eine geradezu einlullende Stille, wie sie uns die letzten Wochen schon mehrmals begegnet war.
Diese friedvolle Ruhe wird durch nichts gestört: jeder von uns erkundet und genießt die Umgebung auf seine eigene ehrfurchtsvolle Weise, keiner versucht sich an einer Echo-Erzeugung – es käme uns wie Frevel vor. Trotzdem ist die Stille nicht absolut, denn es gibt etwas zu hören, etwas, was sogar ziemlich laut ist – es ist das Summen der Insekten, die sich in schier unglaublicher Anzahl am Nektar der Schotien laben. Aber die dürfen gerne Lärm machen! Von uns hingegen ist wenig zu hören, bald nicht mal mehr Schritte, denn der Erkundungsradius ist aufgrund der steilen Felsen recht eingeschränkt. Allerdings laden die Steine am Rande des Aussichtspunktes zum bequemen Sitzen ein und so erfreuen wir uns irgendwann alle an der Magie des Ortes, indem wir in Denker-Manier auf den natürlichen Stühlen rumlümmeln, den Insekten beim Nektartrinken zusehen und unsere Blicke in den Wassern des Oranje versenken. Herrlich entspannend! Doch nichts währt ewiglich und so verlassen wir nach einer kontemplativen Stunde den Echo Corner, um unserer immer noch vorhandenen Unrast nachzugeben; schließlich soll der Park noch andere, schöne Ecken bereithalten und die wollen wir natürlich besuchen.
Die ersten, bereits bekannten Kilometer führen uns aus dem Tal des Echo Corner heraus, dann befahren wir wieder Neuland, indem wir Richtung Westen abbiegen und dem Weg durch relativ flaches Gelände folgen. Die Landschaft ist hübsch anzusehen, jedoch nicht allzu kontrastvoll, was wohl an der relativ eintönigen Farbe der Felsen und den fehlenden bergigen Erhebungen liegt. Da kommt uns doch ein Wasserloch, das nach längerer Fahrerei ausgeschildert ist, sehr gelegen. Kurz entschlossen kurven wir ein kleines Stückchen nordwärts und stoßen alsbald auf die angekündigte Tränke. Klares Nass plätschert dort verheißungsvoll in eine seichte Betonkuhle, aber trotz des äußerst trockenen Umlandes gibt es auch hier wenig zu sehen. Ein paar kleine Vögelchen, die von der grau-braunen Sorte, können wir beim Trinken beobachten, ansonsten jedoch ist tote Hose, weswegen wir bald auf die Hauptpad zurückkehren und dieser weiter Richtung Westen folgen. Mhm, hier ein einsamer Köcherbaum, dort ein verlassenes Siedelwebernest, ansonsten, soweit die Augen reichen, nichts. Nein, das sieht nicht wirklich vielversprechend aus. Nach ein paar weiteren Kilometern dann stoßen wir plötzlich auf einen Zaun und eine Unterführung, die unter dem Drahthindernis durchführt und sind irritiert. Auch ein Blick auf die Karte gibt keinen letztendlichen Aufschluss über diesen seltsamen Sachverhalt, nur, dass wir uns an einer nicht definierten Grenze innerhalb des Parks befinden und der kürzeste Loop von hier aus satte 27 Kilometer lang ist. Das wollen wir uns nicht antun. Also kehren wir um und steuern stattdessen lieber wieder hinunter zum Oranje, dessen Schlucht landschaftlich um einiges mehr zu bieten hat. Dabei überqueren wir natürlich erneut Swartrante, aber auch hier haben sich die Lichtverhältnisse nur unmaßgeblich verbessert, was uns in unserer Entscheidung umzukehren bestätigt.
Blick auf den Oranje
Blick auf den Oranje
Aussichtsplattform
Und dann, endlich, erreichen wir Oranjekom, einen ausgewiesenen Aussichtspunkt oberhalb des Oranje, von wo aus man eine herrliche Sicht auf die tiefe Schlucht des Flusses und dessen oberflächlich ruhige Wasser hat – daran kann ich mich noch sehr gut von meinem lange zurückliegenden Besuch erinnern. Und natürlich, der Blick hat sich nicht verändert, dafür aber das Drumherum: wir stolperten und kletterten damals auf sehr ausgesetzten Felsen herum, um einen Blick auf die Oranjeschlucht erhaschen zu können. Heute hingegen gibt es hier eine fest gezimmerte Holzplattform mit allem Pipapo, inklusive Toilettenhäuschen, diverser Erklärungstäfelchen und einer Reling, auf der man beinahe Walzer tanzen könnte. Tja, was soll ich jetzt dazu sagen? Sicherlich war das Erlebnis Oranjeschlucht vor 22 Jahren aufgrund der noch nicht vorhandenen Convenience-Einrichtungen irgendwie hautnäher und auch abenteuerlicher, doch der hier präsentierte Besichtigungs-Komfort hat natürlich auch seine Vorteile: man kann jetzt, ohne sein Leben in Gefahr zu bringen, den eindrucksvollen Canyon des Oranje aus allen verfügbaren Blickwinkeln begutachten, sich völlig risikolos über die Reling hängen und alles total entspannt auf sich wirken lassen. Das hat schon was. Andererseits stört die Existenz des touristischen Bauwerks, das etwas leicht Gefängnisartiges an sich hat, mein Oranje-Erlebnis doch so empfindlich, dass ich mir alle Mühe geben muss, es auszublenden. Doch dann, als mir das erfolgreich gelungen ist, kann auch ich die Aussicht in vollen Zügen genießen. Meine Blicke gleiten über das vom Fluss geschaffene Tal, das die Spuren der beharrlichen Fräskraft des Oranje deutlich zur Schau trägt: auf Landniveau dominieren schroffe, raue Felsen, die nur von Wind und Wetter benagt wurden, darunter ragen glattgeschliffene, fast organisch anmutende Gesteinsstrukturen wie mächtige Wurzeln eines riesigen Urbaumes, wie wohlgerundete Finger in die Tiefen des Oranje hinab. Dieser gebärdet sich zu dieser Jahreszeit wie ein besonders sanftes Lamm – das träge dahinfließende Wasser betört vor allen Dingen mit seiner intensiven, changierenden Grün-Blau-Türkisfärbung; nur ein paar kleinere Stromschnellen lassen die unbändige Kraft des Flusses erahnen.
Detailstudie Oranjeschlucht
Blick auf den Oranje
Detailstudie Oranjeschlucht
Meine Blicke gleiten über all das und meine Gedanken lösen sich plötzlich wieder vom Jetzt und Hier, folgen dem mäandernden Lauf des Oranje, fangen sich an riesigen Felsen inmitten des Flusslaufs und schmiegen sich an den alles überspannenden, blauen Himmel. Unbezahlbare Momente, die allerdings von kurzer Dauer sind, denn sie erfordern äußerste Ruhe – und die ist nicht immer gegeben, wenn man zu Fünft unterwegs ist. Irgendwer ist immer am Rumsausen und stört die Ruhe, wenn niemand saust, dann plaudert stattdessen jemand anderes wie ein Wasserfall und irgendwann kommt allgemeine Unruhe auf – man bläst zur Weiterfahrt.
Bedauernd klappe ich meine tranceartige Gedankenflut in den Hinterkopf zurück, ergebe mich jedoch willfährig: wir verlassen Oranjekom, um, tja, um dem nächsten Ziel zuzustreben. Wenn es hierbei nach Jochen ginge, wäre dies das Camp, doch diesem heimlichen, weil nicht geäußerten Wunsch wollen wir anderen nicht nachkommen, zumindest nicht sofort. Denn wenn wir schon hier sind, möchten wir gerne auch noch nach Ararat, einem weiteren Aussichtspunkt am Oranje-Ufer, der ohnehin auf dem Weg liegt. Seufzend wird unserem Begehren stattgegeben und so erreichen wir eine Viertelstunde später diese letzte Sehenswürdigkeit auf unserem heutigen Ausflug. Und auch hier wurde oberhalb des Flusses ein touristisches Bollwerk oberster Güte errichtet; der Blick auf den Oranje ist verständlicherweise ebenso imposant wie vom Oranjekom, der ja auch nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt ist. Für den flüchtigen Betrachter mag sich die Sicht vom zweiten View Point aus deshalb auch kaum von der ersten unterscheiden, doch dem ist nicht so: bei Ararat sind die Felsen noch organischer geschliffen, die Wasseroberfläche, abgesehen von partiellen Verwirbelungen, ist nahezu spiegelglatt und man kann den Oranje förmlich durchatmen hören. Durchatmen, nachdem er sich einen Kilometer weiter östlich aus mehreren Armen, die sich vorher todesmutig in unzählige, enge Kanäle gezwängt und über eine 56 Meter hohe Gesteinsschwelle kaskadierend in die Tiefe gestürzt hatten, wieder zu einem einzigen vereint hat.
Bei diesem Anblick mache ich gerade einen erneuten Versuch, meine Gedanken mit den Wassern des unter mir liegenden Flusses auf Reise zu schicken, als ich bemerke, dass nun wohl, neben Jochen, auch Annette und Ute genug haben von der Oranje-Guckerei und merklich mit den Hufen scharren. Nun gut, fahren wir halt, bevor noch jemand vor Langeweile von der Aussichtsplattform springt! Ganz kann ich diese zappelige Unruhe zwar nicht nachvollziehen, füge mich aber dennoch kommentarlos der Hibbeligkeit der Mehrheit – es ist ja nicht so, dass es im Camp nichts zu sehen gäbe!
Innerlich kopfschüttelnd klettere ich ins Auto und schmiede auf dem kurzen Rückweg zum so heiß ersehnten Camp Pläne für den verbleibenden Nachmittag, die, würde ein rechter Schelm sie beurteilen, teilweise durchaus als kleine Retourkutsche für den hastigen Aufbruch vom Ararat gewertet werden könnten: erst mal Kaffeewasser aufsetzen, dann den Tisch decken und danach gemütlich lunchen. Klingt harmlos? Klingt so, ist es aber nicht, denn mit solchen Aktionen, wenn sie nur offensichtlich genug, laut plätschernd und vernehmlich mit Brottüten raschelnd, ausgeführt werden, lockt man mit hundertprozentiger Sicherheit alle Vögel im Umkreis von einem Kilometer an… Mit satanischem Grinsen setze ich so wenig später meine perfiden Pläne in die Tat um und bin dabei außerordentlich erfolgreich! Nicht jeden freut’s, aber immerhin beschert es Heinz und mir einen sehr unterhaltsamen Kaffeetratsch, den zumindest wir und die anwesenden Federtiere ausgiebig genießen.
Die Besucher …
… formieren sich!
Auf dem Grillrost …
Kaffeetrunken, sattgegessen und eins mit uns selbst, beschließen Heinz und ich am späten Nachmittag dann doch, unsere Reisegenossen von ihrem ornithologischen Leid zu erlösen und machen uns auf den Weg zum Besucherzentrum, wo wir erst die Wasserfälle und anschließend den Shop besuchen wollen. Also, ab zu den Wasserfällen, besser gesagt zu DEM Wasserfall, dem einzigen, aber immerhin größten, den man von der Besucherplattform aus sehen kann. Motiviert stiefeln wir los und biegen alsbald auf den beschilderten Rundgang zum Hauptfall ab, wo mich auf den ersten, fast autobahnartigen Holzplanken erneut alte Erinnerungen einholen: den Wasserfall gab es natürlich auch damals schon, doch der breite, relinggesicherte und mit kleinen Aussichtsplattformen versehene Catwalk entlang der Schlucht des Hauptfalles ist mir absolut unbekannt. Und wieder, wie schon am Oranjekom, weiß ich nicht so recht, was ich davon halten soll: einerseits lässt sich hier bequem und gefahrlos laufen, man hat alle Möglichkeiten, den Wasserfall aus diversen Perspektiven zu begutachten, ohne dabei in den Abgrund zu stolpern und man kann sich völlig entspannt auf die Reling stützen und in das herabstürzende Wasser starren, ohne, vor lauter Versunkenheit, das Gleichgewicht zu verlieren. Andererseits ist dieser Walkway ein echtes Monstrum, das, egal aus welcher Perspektive, nicht aus dem Blickfeld weichen will und somit die natürliche Schönheit dieses Ortes gründlich stört.
Ach, man kann es drehen und wenden, wie man will, es ist eben so, wie es ist und davon will ich mir das Vergnügen nicht verderben lassen. Und es ist wahrlich ein Vergnügen, einen Teil dieses mächtigen Flusses derart laut rauschend und gischtend auf seinem steilen Weg nach unten zu beobachten: das Wasser brandet in schaukelnden Wogen durch die enge Schlucht und, je nachdem, ob es gerade vor- oder zurückwogt und dabei auf das nächste Hindernis trifft, fällt das Ergebnis anders aus. Mal spritzt das Wasser beim Aufprall in einem pfauenradartigen Fächer steil nach oben, mal klatscht es sprühend an die Felsen und hin und wieder sieht es sogar aus, als würde es, beinahe zaghaft schwappend, den Rückweg nach oben antreten. Dieses Zusammenspiel von horizontaler und vertikaler Wasserbewegung, der enormen Fließgeschwindigkeit und der Statik der Hindernisse erzeugt wiederkehrende und dennoch immer neue Gischtformen, die, wenn man sich nur lange genug darin vertieft, spannend wabernde Bilder erzeugen. Daran hätten wahrscheinlich auch Chaosforscher und Statistiker ihre wahre Freude!
Und auch auf den Felsen am Rande der Schlucht tut sich einiges. Neben einigen Klippschliefern, die man fast zahm nennen könnte, tummeln sich hier unzählige Oranje Flat Lizards; die grellbunten, in Orange- und Blautönen leuchtenden Männchen huschen wie farbige Blitze über das graubraune Gestein und buhlen wippend um die Gunst der wesentlich unscheinbarer gefärbten Weibchen, verteidigen gleichzeitig ihre Territorien und liefern sich, ganz nebenbei, immer wieder beeindruckende Kurzkämpfe. Ach, ist das schön! Weniger angenehm hingegen ist die Präsenz lästig surrender, flusstypischer Fliegen, die in Myriaden über das Fall-Plateau wölken und es sich mit Vorliebe in Mund- und Augenwinkeln, in Ohren und Nasenlöchern bequem machen.
In Bezug auf diese ätzenden Schwirrteile beweist der Catwalk dann allerdings völlig unvermutet seine wahren Qualitäten: nachdem wir uns wacker sattgesehen haben, beschleunigt er unsere Flucht auf ein beachtliches Tempo, das ohne die Holzplanken nicht möglich wäre und geleitet uns in Windeseile, weg vom penetranten Surrzeug, hinauf zum klimatisierten und somit völlig insektenfreien Shop. Der wiederum bietet das Sortiment, das man von einem größeren, südafrikanischen Nationalpark-Laden erwartet: kalte Getränke, gefrorenes Grillgut, Biltong in allen Geschmackssrichtungen und Variationen, hiesigen Wein, Andenkenschnickschnack, oberflächliches Kartenmaterial, noch oberflächlichere „Spezialliteratur“, Zeitschriften und – was erspähen da meine schweifenden Augen – Klamotten, unter anderem von Hooligan Kids! Strahlend vor Freude wühle ich mich durch einen Drehständer, reich behangen mit Röckchen, Hosen, T-Shirts, Jacken und Kleidern, in typischer Weise mit kindgerechten Safarimotiven bestickt, und wähle schließlich ein besonders schönes Jäckchen für mein Patenkind Alisa aus, die total auf diese Klamotten steht. Hah, da wird sich die Kleine aber freuen, so, wie ich jetzt gerade! Freudig hüpfe ich, mit meiner Beute unter dem Arm, zu Heinz und schaue, ob auch er etwas gefunden hat. „Ne, leider ned. “, schüttelt er den Kopf, „Nix G’scheids dabei…“. Schade! Schließlich aber erstehen wir doch, quasi als Trostpflaster, ein paar gekühlte Softdrinks und ein einheimisches Outdoor-Magazin und verlassen dann den Shop, um wieder dem Camp zuzustreben.
Dort lümmeln unsere Freunde noch immer untätig herum und sind, bis auf Ute, kaum aus ihren Campingstühlen herausgekommen.
Bienenschwarm
Der bettelt uns nicht an …
… der hingegen schon!
Wir lassen uns zu ihnen plumpsen und kredenzen erst mal die Kaltgetränke, die wir aus dem Shop mitgebracht haben. Mit großem Genuss lassen wir uns die kühle Zuckerplörre die Kehlen hinabrinnen und setzen gerade an, von unserem Ausflug zu erzählen, als ein stakkatoartiges Hämmern unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht: das muss ein Specht sein! Schon gestern hatten wir etwas klopfen und fiepen gehört, konnten es aber nicht genau lokalisieren. Heute jedoch können wir die Geräuschquelle ganz deutlich orten – es ist der große Baum vor dem Waschhaus. Vorsichtig nähern wir uns diesem und entdecken an dessen Stamm tatsächlich den Klopfer. Uih, das ist ein Goldschwanzspecht! So einen haben wir noch nie vorher gesehen! Fasziniert beobachten wir den bunten Vogel, der wie auf Schienen am Stamm entlangrutscht, hier und dort an der Rinde hämmert, um dann mit vollem Schnabel in einem Loch zu verschwinden. Augenblicklich ertönt aufgeregtes Fiepen – aha, der Specht hat Nachwuchs – hatten wir uns gestern doch nicht getäuscht! Glücklich über diese Entdeckung lassen wir den Elternvogel lieber wieder in Ruhe und kehren zum Tisch zurück, wo wir den Baum dennoch nicht aus den Augen lassen. Zumindest so lange nicht, bis hinter uns, auf einem breiten Grasstreifen, eine Schar von Klippschliefern auftaucht. Die Dassies ziehen, wie Kühe grasend, über die Wiese, werfen sich immer wieder in die grünen Halme, wälzen sich wonniglich, verfolgen sich gegenseitig mit kaninchenartigen Hopsern und gebärden sich äußerst ausgelassen.
Der Klippschlieferprozession, die langsam zu ihren Wohnfelsen am Oranje zieht, folgt eine kleine Manguste in aufgeregter Jagdstimmung und zu guter Letzt schlendert auch noch eine Pavianhorde angelegentlich an uns vorbei. Dergestalt blendend unterhalten, verfliegt der ohnehin schon angebrochene Nachmittag wie im Nu und ehe wir uns versehen, gehen auf dem Campinggelände die Lichter an und der vorletzte Abend unseres Urlaubs bricht an. Zeit zum Kochen!
Doch zur Ruhe kommen wir auch beim Schnibbeln, Braten oder Essen nicht, denn ständig raschelt es im Gebüsch. Trotz der Beleuchtung auf dem Platz können wir leider nicht feststellen, wer da ständig um uns herum zugange ist – sicher ist nur, dass wir, trotz des Fehlens anderer Besucher, nicht alleine sind! Plötzlich erblicken wir dann doch etwas. Eine extrem scheue, kleine Katze, die wir nur schemenhaft erahnen können, umkreist uns, zeigt sich aber nicht richtig. Was ist das? Eine verwilderte Hauskatze, eine Wildkatze? Über lange Zeit sehen wir das Tier immer wieder auftauchen und gleich darauf erneut in der Dunkelheit verschwinden, ohne feststellen zu können, um was es sich genau handelt. Doch wofür haben wir eine Wildkamera dabei? In der Gewissheit, dass das Katzentier unser Lager besuchen wird, sobald wir in unseren Zelten verschwunden sind, montiert Heinz den Starenkasten an einem strategisch günstigen Baum. Nun heißt es abwarten. Und das übernimmt in diesem Falle ab sofort die Wildkamera für uns, denn wir, die wir den ganzen Tag nicht viel getan haben, sind mittlerweile so müde, dass wir bald zu Bett gehen, um wohlig erschöpft unserem letzten Urlaubstag entgegenzuschlafen. Pass gut auf, Kamera, und gute Nacht!
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