13. April 2011, Richtersveld Nationalpark, Potjiespram > Kakamas, Lake Grappa

Das Aufwachen fällt schwer, wenn man von dicht belaubten Baumkronen vor
den heißen Strahlen der Morgensonne geschützt wird. Aber es hilft
nichts, wir müssen raus, denn heute liegt ein langer Fahrtag vor
uns. Raus aus dem Richtersveld, hinaus aus einer einzigartigen
Zauberwelt der Sukkulenten, hinüber nach Osten, Richtung Kgalagadi
Transfrontier Park. Mal sehen, wie weit wir kommen. Zunächst aber
steht Frühstück auf dem Plan – wir geben uns zumindest redlich
Mühe, die erste Mahlzeit des Tages gebührlich zu zelebrieren,
scheitern aber kläglich an der Vielfalt des uns umgebenden Lebens.
Die flachstehende Sonne wirft ein unbeschreibliches Licht auf das
bunte, glänzende, metallisch schillernde Gefieder zahlreicher Vögel.
Brillenvögel, Kaprötel, Rotaugenbülbüls, sie alle sind
wunderschön, am meisten jedoch haben es uns die scheuen Nektarvögel
angetan. Mit Toast, Tee und Kamera bewaffnet, stehen Heinz und ich
ewig im Gebüsch und lauern den fliegenden Edelsteinen auf. Zurück
am Tisch, wird unser Interesse von seltsamen Käfern geweckt, deren
Körper über und über mit Sand paniert sind. Und der überaus
anhängliche Camphund, den unsere Aufbruchsstimmung in mittelschwere
Kuschelpanik versetzt, fordert zusätzlich seinen Tribut. Begleitet
von den anrührenden Freundschaftsattacken des verzweifelten Tiers,
brechen wir unser Lager ab, verabschieden uns vom Oranje und
hinterlassen schließlich einen sauberen Stellplatz und – schweren
Herzens – einen unglücklich winselnden Hund, der unserem
abfahrenden Auto mit traurigen Augen hinterhersieht. Ein letzter
Stopp, ein letzter Blick gilt noch den Bergen auf der anderen Seite
des Oranje, die sich uns in nahezu überirdischem Licht greifbar
kontrastreich präsentieren, dann machen wir uns wehmütig auf den
Weg.
Ich will nix mehr sehen…
Der verschmuste Camphund
Site in Potjiespram
Sandkäfer (Eurychora)
Am Oranje entlang
Letzter Blick auf den Oranje
Sendelingsdrif,
Hellskloof Gate, Alexander Bay. Wir schwitzen, es ist unglaublich
heiß, doch zirka drei Kilometer, bevor wir die Küste erreichen,
hüllt uns plötzlich dichter Nebel ein und senkt die Außentemperatur
erheblich. Diese Nebelbänke, die so undurchdringlich kompakt werden
können, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sieht, sind ein
typisches Phänomen der rauen Atlantikküste Namibias. Auf der einen
Seite ist da der eisige Benguela-Strom, dessen nach Süden ziehende
Wassermassen in flacheren Gewässerzonen selten mal 14 Grad
erreichen, auf der anderen Seite das karge, nackte baum- und graslose
Festland, das sich tagsüber auf bis zu 60, 70 Grad aufheizt. Diese
Temperaturunterschiede sind Hauptursache des Nebels, der in den
kühleren Nachtstunden entsteht. Tagsüber ist die Sonne so stark, so
gnadenlos, dass das verdunstende Wasser mehr oder weniger unsichtbar
in der Hitze wegschlägt. Ab den frühen Abendstunden aber verringert
sich die Kraft der Sonne, sie verschwindet, das Land kühlt ab, ist
jedoch immer noch warm genug, um die feucht-kalte Luft über dem
Benguela-Strom zum Kondensieren zu bringen. Durch südwestliche Winde
begünstigt, bilden sich nun Nebelbänke am Küstensaum, die sich
erst wieder auflösen, wenn der Planet heiß genug herableuchtet. Bei
bedecktem Himmel können die Schwaden aber auch mal den ganzen Tag
bleiben. Heute jedoch haben wir Glück – auf halbem Weg nach Port
Nolloth klären die ersten Strahlen unsere Fernsicht und das
Küstenkaff präsentiert sich uns wenig später freundlich-sonnig und
fast einladend bunt.
Landschaft im Richtersveld
Küstennebel
Bei Alexander Bay
Abschieds-Springbock
Meer bei Port Nolloth
Karg, aber farbig!
Trotzdem
umschmeichelt uns weiterhin ein kühler Wind, als wir unser Auto vor
einem Supermarkt abstellen, um dort unsere schwindenden Vorräte
erneut aufzufüllen. Annette hechtet sofort mit gezückter
Einkaufsliste in den gemäßigt großen Shop, Heinz, der mittlerweile
eine weitere Vorliebe entdeckt hat – nämlich die für afrikanische
Läden – saust hinterher, Jochen hingegen bleibt im Auto und sieht
etwas auf der Karte nach. Und ich würde hier, bei vollem
Netzempfang, gerne mal wieder meine Eltern kontaktieren, krame
deshalb gerade mein Handy hervor, um es betriebsbereit zu machen, als
mich eine lallend-blecherne Stimme aus meinem Tun reißt. Ein
zahnloser Schwarzer, der vor dem Supermarkt herumlungerte, vermeint
in Jochen eine passende Melkkuh gefunden zu haben und labert ihn nun
voll. Jochen, gutmütig und höflich, wie er ist, redet seinerseits
begütigend, aber dennoch abwehrend auf den bettelnden Mann ein, der
aber lässt sich nicht abwimmeln. Mir wird der Geräuschpegel im Zuge
dieses Hin und Hers deutlich zu hoch, um ein ungestörtes Gespräch
mit meinen Eltern führen zu können, so also verlasse ich den Wagen,
lehne mich gemütlich ans Heck und will soeben die Nummer wählen,
als in der Parklücke neben uns ein voll bepackter Geländewagen
vorfährt. Die Fahrertür öffnet sich, ein recht rustikal
aussehender Mann steigt aus, stürmt winkend auf mich zu und schwallt
mich voll – auf Afrikaans. „So wie euer Auto aussieht, kommt ihr
doch sicher aus dem Richtersveld, oder? Dann wisst ihr auch bestimmt,
ob die Fähre immer noch kaputt ist. Ich bin nämlich Geschäftsmann
und habe öfter in Namibia zu tun. Und da fahre ich meist über
Sendelingsdrif, weil das kürzer ist. Aber das geht ja nun schon seit
Wochen nicht mehr, weshalb ich immer außen herum den Umweg…“. Es
folgt noch seine halbe Lebensgeschichte, dann hält er inne und sieht
mich erwartungsvoll an. Ich habe zwar fast jedes Wort verstanden,
mein Sprech-Afrikaans jedoch ist recht rudimentär, sodass ich es
vorziehe, auf Englisch zu antworten – natürlich nach einer
höflichen Nachfrage, ob er das verstehen könne. Heftiges Nicken.
Also schildere ich ihm die Sachlage und teile ihm meine Einschätzung
mit. Erneut heftiges Nicken, ein überschwänglicher Dank, er holt
Luft – und ich muss mir die ganze Story, inklusive der
Lebensgeschichte, abermals anhören; diesmal, der Abwechslung wegen,
auf Englisch. „Okay, dann weiß ich jetzt Bescheid, vielen Dank
nochmal und gute Reise weiterhin!“, beendet er schließlich den
Monolog, winkt, steigt in sein Auto, flitzt von dannen und lässt
mich einigermaßen geplättet zurück. Kopfschüttelnd wähle ich nun
endlich die Nummer meiner Eltern, um sie an meinen letzten
Erlebnissen teilhaben und ihnen aus dem tiefen Afrika ein
Lebenszeichen ihrer verrückten Tochter zukommen zu lassen. Es tut
richtig gut und ist so schön, mal wieder ihre Stimmen zu hören!
Weniger schön allerdings ist die Info, dass es bei uns zuhause
gerade schneit. Brrr! Im Moment kann ich mir das zwar kaum
vorstellen, doch diese Nachricht, kombiniert mit der frischen Brise
in Port Nolloth, lassen mich ein wenig frösteln. Mit deutlicher
Gänsehaut beende ich das heimatliche Gespräch; gerade rechtzeitig,
um unseren Power-Shoppern behilflich zu sein, die frischen Vorräte
im Auto zu verstauen. Der Schwarze, der Jochen nach wie vor labernd
an der Backe hängt, würde uns ebenfalls gerne zur Hand gehen. Als
er aber feststellt, dass nichts Lohnendes für ihn abfällt (Kekse
und Brot will er nicht), streicht er endlich die Segel.
Port Nolloth
Port Nolloth
Wie schön war es doch…!
Und
sobald alles gestapelt ist, tun wir Selbiges und verlassen dieses
seltsame Küstenkaff, machen uns auf den Weg in östliche Richtung.
Erneut ziehen das flache Sandveld, das raue Hardeveld an uns vorbei,
ein weiteres Mal schlängeln wir uns den Anenous Pass nach oben,
passieren im Hinunterfahren eine Straßenbaustelle, die es vor drei
Tagen noch nicht gab, und laufen schließlich abermals in Steinkopf
ein. Und würde Annette nicht schon seit Kilometern mit einer
übervollen Blase kämpfen, wären wir hier einfach durchgerauscht,
nun aber sind wir dringend auf der Suche nach einer Toilette. An der
örtlichen Tankstelle werden wir fündig. Während Annette nun
flinker Beine die Bedürfnisanstalt stürmt, vertreten wir uns die
Füße und sehen uns um. Holla die Waldfee, das ist ja eine richtige,
wenn auch kleine Mall hier! Tanke, Fastfood und Getränkemarkt auf
einem Fleck. Der Alkoholika-Laden allerdings trägt eine merkwürdige,
handgepinselte Aufschrift auf seiner Fassade: Bottel Stoor steht da
in großen Lettern geschrieben. Mhm? Hat sich hier nur ein
orthografieschwacher Schildermaler verewigt, soll das ein bestimmtes
Markenzeichen sein oder ist das schlichtweg Steinkopfer Dialekt? 
Baustelle rechts
Baustelle links
Wir müssen rechts
Bevor wir die tieferen Geheimnisse dieser Aufschrift lüften können
– korrekterweise sollte sie Drankwinkel oder Bottle Store lauten –
kehrt Annette erleichterter Miene vom Klo zurück. Und da dieser Ort
in seiner tristen Gesamtheit so einladend nicht ist und wir weiter
nichts zu erledigen haben, klettern wir schnell wieder ins Auto.
Jetzt ist Kilometerfressen angesagt. Den staubigsten, heißesten Teil
unserer Tagesstrecke haben wir ja schon hinter uns gebracht, aber er
war wenigstens landschaftlich ansprechend und abwechslungsreich. Was
nun jedoch vor uns liegt, kann man getrost als öde und ermüdend
bezeichnen. Einziges Highlight, relativer Art, ist, nach etwa 50
Kilometern, die Stadt Springbok, die mit gut zehntausend Einwohnern
zwar nicht zu den Metropolen dieser Welt zählt, aber hier, im dünn
besiedelten Nordosten Südafrikas, schon zu den Großstädten gehört.
Keine Kunst, wenn da sonst nichts ist… Gut, sie ist Hauptstadt des
Namaqualands und der Wildblumen, für uns aber nicht mehr als ein
weiteres Kaff, das es schnellstmöglich zu verlassen gilt. Wir folgen
der vorbildlichen Beschilderung, verlassen die N7 und biegen, an
einer belebten, aber übersichtlichen Kreuzung, auf die N14 Richtung
Osten ab.
Bottel Stoor?
Springbok City
Blick auf Springbok
Ein
unendliches, fast schnurgerades Teerband liegt nun vor uns. Die
Straße ist in einwandfreiem Zustand, der spärliche Verkehr gibt
keinerlei Anlass zum Meckern, wir kommen rasch voran, aber es ist
eben todlangweilig. Hin und wieder macht der Highway zwar eine leicht
Kurve nach rechts oder links, mal sind die Berge, die an uns vorüber
flitzen, etwas niedriger, manchmal etwas höher, die Töne der
Landschaft wechseln von rotgrau über graugelb nach fahlocker und
zurück zu gedeckt-blassem Rostrot. Doch diese sehr subtilen
Veränderungen sind nicht wirklich in der Lage, uns von unserem
Ödnis-Hocker zu reissen. Heinz macht ein langes Nickerchen, Annette
starrt aus dem Fenster, Jochen fährt konzentriert und ich plage mich
mit dem Gedanken, mein Geografiebuch aus dem Rucksack zu holen, kann
mich jedoch bei bestem Willen nicht dazu aufraffen. Ganz plötzlich
jedoch werden wir aus unserer Zwangslähmung gerissen: mit dumpfen,
aber vernehmlichen „Plöcks“ treffen, wie aus dem Nichts,
unzählige kleine, mittelharte Gegenstände auf unser Auto,
zerschellen an den Scheiben und hinterlassen schmierige, gelbgrüne
Flecken. Ab und zu bleibt kurz ein bedorntes Bein oder ein
transparenter Flügel in einem der unappetitlichen Kleckse hängen,
bevor er vom Fahrtwind wieder weggerissen wird. Gerade als wir
realisieren, dass wir soeben mit einem Heuschreckenschwarm kollidiert
sind, ist das Spektakel auch schon wieder vorüber. Außer
schleimigem Schlonz auf Blech und Fenstern bleibt nichts – aber
wenigstens sind wir nun wieder wach.
Geradeaus ist langweilig!
Nach der Schrecken-Kollision
Mei, Landschaft halt…
Und
das ist gut, denn ein Blick aus unseren verschmierten Scheiben zeigt
uns, dass es ohnehin Zeit wird, mal wieder in Aktion zu treten. Die
Sonne steht nämlich schon recht tief und wir sollten uns allmählich
nach einer Übernachtungsmöglichkeit umsehen. Bald darauf passieren
wir ein Schild, das unseren leicht rammdösigen Orientierungssinn auf
aktuelle Koordinaten setzt: 30 Kilometer noch bis Kakamas, 55
Kilometer bis zum Augrabies Falls Nationalpark. Aha! Nun stellt sich
uns die Frage, ob wir heute noch bis zum Nationalpark fahren sollen;
richtig weit ist es ja nicht mehr. Aber nein, das ist blanker Unsinn:
Eintritt zahlen, einchecken, ganz in der Nähe dieser beeindruckenden
Wasserfälle übernachten, ohne morgen Zeit zu haben, den
sehenswerten Park zu erkunden. Das lohnt sich in keinster Weise. So
also hoffen wir auf einen Campingplatz direkt in Kakamas, das wir
kurz darauf erreichen. Die N14 führt rechterhand an dem kleinen
Städtchen vorbei – hier sieht es allerdings nicht nach geeigneten
Nachtquartieren aus – aber erfahrungsgemäß gibt es vor den Toren
der meisten Nationalparks genügend Herbergen der einen oder anderen
Art. Darauf setzen nun auch wir, folgen der Beschilderung Richtung
Augrabies Falls und schaukeln eine Weile durch hübsche Wohngebiete,
die von flachen Weinbergen umgeben sind. Ferienbungalows,
Bed&Breakfast-Pensionen, Hotels, alles gibt es hier, nur keinen
Campingplatz! 
Schild der Hoffnung
Der Abend naht bald
Noch abendlicher
Als wir uns schon fast damit abgefunden haben, doch im
Nationalpark nächtigen zu müssen, taucht plötzlich ein
verheißungsvolles Schild am Straßenrand auf. Lake Grappa, Guest
House and Ski School, steht da geschrieben, darunter ein paar
Symbole: B+B, ein Häuschen, eine Bootsrampe, ein Motorrad und –
juhu – ganz links und offenbar erst vor kurzem dazu gepinselt, ein
Zelt! Das ist’s doch, was wir suchen! Erleichtert verlassen wir mit
quietschenden Reifen die geteerte R64 und biegen links auf eine
Schotterstraße ab, die uns innerhalb kürzester Zeit zum ersehnten
Ziel bringt – einem Eingangstor nebst dazugehörigem
Rezeptionsgebäude. Und diesmal haben wir auf Anhieb Glück; kein
Kochwettbewerb, kein überbuchtes Ressort steht unseren
Bleibewünschen im Wege. Zwar würde uns Lady Grappa lieber in einem
ihrer Bungalows unterbringen, weil es angeblich irgend ein Problem
mit dem Waschhaus des Campingareals gibt, als wir aber auf unseren
Zelten beharren, bekommen wir die Erlaubnis, sie aufzubauen, wo immer
wir wollen. Auch das Dusch- und Kloproblem wird kurzerhand aus der
Welt geschafft, indem man verspricht, ein Chalet für uns zu öffnen,
dessen Badezimmer wir dann ausnahmsweise benutzen dürften. Das nenne
ich Service! Wir bedanken uns herzlich, verlassen die Rezeption und
machen uns auf die Suche nach einem geeigneten Stellplatz, den wir
auch schnell finden. Am Ufer eines langgezogenen, künstlichen Sees
prangt ein üppiger Rasenstreifen – Stromanschlüsse signalisieren
einzelne Campsites – wir fahren, typischerweise, ans hinterste Ende
und lassen uns dort nieder. Zwar schießt auf dem See ein (recht
nerviges) Motorboot hin und her, hat (noch nervigere) kreischende
Jungs auf Wasserskiern im Schlepptau, Flutlicht erhellt das ganze
Gelände, sonst aber ist das Ressort ganz annehmbar, das Ambiente
recht idyllisch. Zumindest für die eine Nacht. Während wir
allerdings rasch noch unser Lager errichten und ein schnelles
Abendessen zubereiten, erlischt das Flutlicht, das Motorboot
verstummt, ebenso die Jungs, es wird still und wir sind froh, den
langen, anstrengenden Fahrtag ohne uns umgebenden Trubel ausklingen
lassen zu können. 
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