Trotz meiner abermals aufgewallten Aufregung überkam mich gestern Abend schnell der Schlaf, meine Nachtruhe allerdings war nicht die beste. Das Bettzeug und die Wolldecken waren klamm, weswegen ich mich in meinen Schlafsack eingemümmelt hatte. Der Schlafsack jedoch, dessen Außenseite aus recht glattem Stoff besteht, war nicht das geeignetste Utensil für dieses Bett: zwei extrem durchgelegene Matratzen auf einer noch mitgenommeneren Unterlage zeigen deutlich v-förmig gen Besucherritze und so kämpfte ich die ganze Nacht gegen die Schwerkraft, die mich unweigerlich und bei jeder Bewegung in den Spalt zwischen beiden Matratzen abrutschen ließ, zusätzlich begünstigt durch den flutschigen Außenstoff meines Schlafsacks. Steilwandschlafen, sozusagen. Dementsprechend gerädert erwache jetzt, am frühen Morgen. Heinz, der ebenfalls nicht besonders gut geschlafen hat, hat seine Augen auch schon aufgeschlagen und kuschelt sich noch kurz an mich, bevor wir unseren Herzen einen Ruck geben und uns aus der Steilwand-Koje hieven. Brrrr, ist das zapfig! Fröstelnd erledigen wir unsere Morgentoilette und machen uns dann bereit für das heutige Gorilla-Tracking.
Ach, stopp, halt, ich wollte ja noch meine Brille gegen Kontaktlinsen tauschen! Eine Idee, die mir zuhause kam: hier ist es feucht, es könnte sogar regnen, man schwitzt, und als Brillenträger weiß man, was das bedeutet – angelaufene Gläser, schlechte Sicht. Um das zu vermeiden, hatte ich extra ein paar Sätze Wegwerf-Linsen eingepackt, die ich nun eilig aus meinem Waschtäschchen krame. Also, Brille absetzen, Spiegel bereitlegen, Linsenbehältnis aufreißen, Linse entnehmen, von überschüssiger Flüssigkeit befreien und rein ins Auge. Perfekt. Jetzt die zweite! Doch was bei der ersten so reibungslos klappte, will bei der zweiten einfach nicht gelingen. Sie klebt am Finger, faltet und wölbt sich widerspenstig, will nicht im Auge bleiben, fällt schließlich zu Boden. Ich versuche es mit einer neuen Linse, doch auch diese ist unwillig. Toll! Was bringt mir jetzt eine Linse im rechten Auge, wenn die linke partout nicht reingehen will? Nichts! Resigniert pule ich das bereits installierte High-Tech-Teil wieder vom rechten Augapfel – man kann beinahe ein schmatzendes Geräusch hören, so gut saß es – und setze entnervt meine Brille auf. Schluss, aus, fertig, dann muss es eben so gehen. Heinz, der die ganze Prozedur vom Schlafzimmer aus beobachtet hatte, windet sich. Erstens, weil er nicht sehen kann, wie sich jemand ins Auge fasst und zweitens, weil er merkt, dass ich etwas gereizt bin. Nein, Schneck, keine Sorge, das ist jetzt nun mal so und ich bin nicht gereizt. Nur ein bisschen, oder besser gesagt, ich bin aufgeregt und angespannt, und zwar ziemlich. Und das macht mich dünnhäutig.
Tief in meinem Innersten weiß ich auch, warum ich so angespannt bin. Weniger, weil wir heute wahrscheinlich echte, richtige, wild lebende Gorillas zu Gesicht bekommen werden, sondern eher, weil ich mir seit Monaten Gedanken mache, wie sich das Ganze wohl gestalten wird. Wird es megaanstrengend, schlammig, ist das Wetter schlecht, habe ich die Kondition, stundenlang in unwegsamem, steilem Gelände rumzurutschen, sind Leute in unserer Gruppe, die ungeduldig ein gämsenartiges Tempo vorlegen oder welche, die alles bremsen, weil sie sich trotz ungenügender physischer Voraussetzungen partout einen Lebenstraum erfüllen wollen? Und am schlimmsten: bin ich gar eine von ihnen? Nun ja, das wird sich gleich oder spätestens in den nächsten Stunden herausstellen…
Bestückt mit zwei Mini-Rucksäckchen und den Kameras, schrauben Heinz und ich uns aus den Tiefen unseres Zelt-Tals empor, nehmen noch ein kleines Käffchen mit unseren Freunden ein, dann geht es hinauf zum Ausgangspunkt des Trackings, der ein Stückchen hinter dem Parkplatz liegt. Jochen, der heute nicht mitgehen wird, ist bereits vorab zu den Trackern geeilt und empfängt uns nun – den Daumen nach oben: es hat geklappt! Wir wurden der Rushegura Gruppe zugeteilt, und die befindet sich nicht allzu weit von Buhoma entfernt. Außerdem scheinen wir Off-Season unterwegs zusein, sodass wir keine anderen Touristen mit auf den Weg bekommen, sondern beim Tracking unter uns sein werden. Juhuuuu! Strahlend begeben wir uns ins Ranger-Gebäude, wo wir einen Einführungsfilm gezeigt bekommen, um kurz darauf nochmals im Freien eingewiesen zu werden und unseren Tracker kennenzulernen. Er heißt Joseph und ist ein sympathischer Mann mit warmen Augen, gewinnendem Lächeln und einer sonoren Stimme. Er heißt uns herzlich willkommen, informiert uns über die wichtigsten Sicherheitsregeln und deutet schließlich auf eine lange Teerlinie, die über den Rasen vor dem Informationszentrum führt. „Das sind sieben Meter. Näher solltet ihr den Gorillas nicht kommen. Ob sich allerdings die Gorillas dran halten, ist eine andere Sache…!, sagt er augenzwinkernd. „So, und bevor wir gehen, stelle ich euch noch die Porter vor, von denen sich jeder von euch einen aussuchen kann. Er wird dann die ganze Zeit an eurer Seite sein, euch bei schwierigen Stellen im Gelände helfen und wenn ihr Gepäck habt, wird er es für euch tragen.“ Nun, nachdem unsere Gorilla-Gruppe ja nicht weit vom Camp entfernt ist, bestünde eigentlich keine Notwendigkeit, einen Träger zu rekrutieren, wir alle bitten aber trotzdem um diese tatkräftige Hilfe. Die jungen Männer (und sogar ein paar Frauen), die hier ihre Dienste anbieten, sind schließlich Teil des Buhoma Community Projekts und verdienen sich so etwas Geld dazu, was ihre Lebenssituation verbessert und so auf Umwegen auch dem Schutz der Gorillas dient. Außerdem: wer sich 500 Dollar pro Mann und Nase für eine Stunde Gorillas-Kucken leisten kann, den bringt die vergleichsweise günstige Entlohnung für einen Porter auch nicht um! Also schnappen wir uns jeder einen der jungen Tracking-Assistenten, machen uns bekannt und setzen uns anschließend in Bewegung.
Ein lauschiges Bächlein |
Termiten? Ameisen? Pilze? |
Eulophia horsfallii |
Nach einem kurzen Abstieg überqueren wir im Gänsemarsch ein kleines Brücklein, dann nimmt uns ein atemberaubender Wald in seine grünen Arme. Dieser Dschungel ist der krasse Gegensatz zu dem in Kibale: er ist üppig und vielfältig, er beherbergt alle Grünschattierungen und bezaubert mit gefiederten Farnen, mannshohen Orchideen, lackglänzendem Laub, farbenfrohen Pilzen, unterschiedlichsten Bäumen in verschiedenen Höhen und lässt sogar ab und zu einen sanften, pudrigen Sonnenstrahl durch sein Blätterdach spitzen. Wir sind hingerissen. Doch auch hier und heute haben die Spurensucher und unser Guide wenig Muße, uns in unserer Begeisterung gewähren zu lassen. Wacker schreiten sie voran und kennen nur ein Ziel: uns zu den Gorillas zu bringen. Und kaum sind wir eine halbe Stunde auf fast ebenem Weglein durch diesen Zauberwald geschwebt, ertönt der Ruf, der nach Stunden der Mühsal und Plag auf schlammig-steilen Pfaden sicher Erlösung verheißt, uns aber sehr überraschend und irgendwie auch zu früh ereilt: „Gorillas gesichtet!“ Was? Schon? Huch! Rasch übergeben wir all unser überflüssiges Equipment wie Rucksäcke, Jacken und Trekking-Stöcke unserem jeweiligen Porter und werden vom Guide ins Unterholz gelotst.
Unser erster Gorilla |
Der Boss: Kabukojo |
Missmutige Dame |
Und da sind sie, die Gorillas! Ehrfürchtig blicken wir auf die schwarz bepelzten Verwandten und freuen uns, dass sie so nah sind. Doch Joseph ist mit unserem Standort noch nicht zufrieden, führt uns in einem Bogen um die Primaten-Gruppe herum und positioniert uns schließlich in einer kleinen Senke. „Sie werden gleich hier vorbeikommen!“, flüstert er. Und so ist es. Keine Minute später raschelt das Laub, knacken die Äste – und der Boss der Gruppe, der Silberrücken Kabukojo, geht aufmerksam und trotzdem entspannt an uns vorüber. Gebannt beobachten wir seinen schaukelnden Gang, das Spiel seiner gewaltigen Muskeln, sein ausdrucksstarkes Gesicht und seine sprechenden Augen. Ein paar Meter von uns entfernt lässt er sich auf den Waldboden plumpsen, einen Baum im Rücken, und gibt ein leises, brummendes Hüsteln von sich. „Die Luft ist rein, ihr könnt kommen!“, ruft er seine Familie. Und sie kommt! Ein paar Weibchen und mehrere Jungtiere unterschiedlicher Altersstufen ergießen sich in die Senke, in der wir uns an diversen, weiter auseinanderliegenden Stellen niedergehockt oder -gekniet haben. Ich fotografiere gerade einen Gorilla im Kleinkind-Alter, der hingebungsvoll an einem Kern lutscht und sich dabei mit Speichel und Fruchtfleisch vollkleckert, als Heinz schräg hinter mir zischelt: „Schneck, Achtung, rechts von dir kommt einer!“ Was? Bevor ich reagieren kann, verdunkelt sich das Bild vor meiner Kamera-Linse und eine Gorilla-Dame schreitet langam und in Streichelweite an mir vorüber. Tja, soviel zum Thema „sieben Meter Abstand“… Im Zeitlupentempo senke ich den Fotoapparat und halte fast den Atem an. Ich kann sie riechen, ich kann sie hören, ich kann sie förmlich spüren – doch sie ignoriert mich völlig. Ein paar Meter weiter setzt sie sich nieder, umklammert ihren Oberkörper mit beiden Armen und ihr Gesichtsausdruck, ihre Körperhaltung, tun deutlich kund, dass ihr kalt und ungemütlich zumute ist. Neidisch und missmutig blickt sie auf eine andere Gorilla-Frau, die einen der wenigen Sonnenflecken auf dem Waldboden ergattert hat und sich dort wohlig rekelt. Der Knirps lutscht weiter an seinem Kern, den ihm jedoch ein anderer Jugendlicher streitig machen will. Der Größere greift energisch nach dem Objekt der Begierde, der Kleine quiekt entsetzt, der Silberrücken beobachtet das Ganze und ruft die beiden schließlich mit einem kurzen Beller zur Raison. Augenblicklich kehrt wieder Ruhe ein. Mann, ist das faszinierend und fesselnd, diese Wesen aus einer so geringen Entfernung in ihrem natürlichen Umfeld beobachten zu können! Wie wahnsinnig ähnlich sie uns sind in ihrem Tun, ihrer Mimik, ihrer Gestik. Und wie sie uns daran einfach so teilhaben lassen; total entspannt, sich unserer Anwesenheit völlig bewusst und doch mit einer gewissen nonchalanten Ignoranz, die ihresgleichen sucht.
Faszinierend finde ich auch, wie souverän Kabukojo seine Gruppe lenkt und über sie wacht – faszinierend deswegen, weil ich mich über die Geschichte der verschiedenen Gorilla-Gruppen informiert hatte und dabei auch etwas über den Werdegang und das Schicksal der Rushegura Group in Erfahrung bringen konnte. Die Rushegura-Familie wurde bis Anfang 2014 von einem gestandenen Silberrücken, Mwirima, angeführt. Doch dieser zog sich eine Verletzung an den Lippe zu, die sich entzündete und zu nekrotisieren begann. Ärzte und Ranger versuchten alles, ihn zu retten, dennoch erlag Mwirima im März 2014 der schweren Infektion und überließ seine Familie einer äußerst ungewissen Zukunft – nun führungslos, drohte die Gruppe auseinanderzufallen. Dergestalt ins kalte Wasser geworfen, übernahmen jedoch zwei junge Schwarzrücken, Kabukojo und Kalembezi, das Regiment und meisterten ihre neue Aufgabe mit zunehmender Bravour, wobei sich Kabukojo als der Führungsstärkere der beiden herauskristallisierte. Kalembezi zog sich zurück und spielte ohne Murren die zweite Geige, bis, ja, bis auch Kabukojo zu kränkeln begann. Kalembezi sprang erneut in die Bresche, bis Kabukojo nach einer medizinischen Behandlung wieder zu Kräften kam und überließ dann seinem etwa gleichaltrigen Halbbruder wiederum kampflos die Führung.
Dieses Hintergrundwissen macht unseren Besuch bei den Gorillas der Rushegura Group für mich noch spannender, als er ohnehin schon ist. Stundenlang könnte ich den Tieren zusehen; einfach nur hier hocken und kucken, versinken und mich aufgenommen und doch ignoriert fühlen. Es ist toll! Doch leider ist unsere Zeit bei den Gorillas begrenzt; wir dürfen lediglich eine einzige, kurze Stunde bleiben. Darauf wird, zum Wohle der so menschlichen Primaten, strikt geachtet, und diese Stunde ist natürlich viel zu schnell vorüber – unser Guide bläst zum Aufbruch. Bedauernd reißen wir uns von Kabukojo und seiner Familie los, versammeln uns am hinteren Ende der Senke und schicken uns an, den Dschungel zu verlassen. Dabei kommt Annette dem Silberrücken aus Versehen etwas zu nahe und dieser demonstriert, quasi zum Abschied, nochmal eindrücklich seine Stärke und Fürsorge für die ihm anvertrauten Familienmitglieder: er trommelt warnend auf seine Brust, nur ein paar mal, und weist Annette so in ihre Schranken. Das Trommeln hallt mit unglaublicher Lautstärke und Intensität durch die Luft, die förmlich vibriert, Annette macht einen erschrockenen Satz, Kabukojo lehnt sich erneut und befriedigt an seinen Baum und behält unseren Rückzug entspannt im Auge. Tief berührt und voller neuer Eindrücke folgen wir unserem Guide durch das dichte Gestrüpp, bis wir, nach etwa zwanzig Minuten, schon wieder an dem kleinen Flüsschen angelangt sind, das wir heute Morgen über eine Brücke überquert hatten. Hier jedoch ist weit und breit keine Brücke zu sehen; dennoch gibt uns Joseph zu verstehen, dass wir den Fluss exakt an dieser Stelle überqueren werden. Mhm, warum? Da geht doch ein kleiner Trampelpfad am Ufer entlang und wenn wir den nehmen, dann sind wir sicher in zehn Minuten zurück an der Brücke. Joseph aber besteht auf dieser Querung. Unsere Porter werfen sich in zwei Reihen ins knietiefe Wasser und bevor wir uns versehen, haben sie uns über den Wasserlauf gezerrt, gehievt, gehoben, ohne dass auch nur einer von uns feuchte Füße bekommen hätte. Wir sind völlig überrumpelt, schütteln uns wie nasse Hunde, obwohl wir doch gar nicht nass geworden sind und danken den zupackenden Portern für ihren tatkräftigen Einsatz. Nun ja, nötig wäre dieser Einsatz bei der geringen Wassertiefe und den im Flussbett liegenden Steinen nicht wirklich gewesen, doch wahrscheinlich sollte die rührige Hilfestellung kurz vor Ende der Tour noch als Rechtfertigung für ihre Begleitung und Bezahlung dienen. Auch das wäre nicht nötig gewesen, schließlich können die Porter nichts dafür, dass wir auf megakurzem und ebenem Weg zu den Gorillas gelangen konnten. Doch wenn das hier so gehandhabt wird, sind wir die letzten, die sich darüber beschweren…
Shopping-Mall von Buhoma |
Gut gelaunt erreichen wir so wenig später das Camp, wo wir die Begleitmannschaft für ihre kleinen Mühen entlohnen, uns herzlich verabschieden und anschließend warten, bis Joseph aus dem Office wiederkehrt und jedem von uns ein „Gorilla-Tracking-Zertifikat“ in die Hand drückt. Wir danken auch ihm, beglücken ihn mit einem gerüttelt Maß an Trinkgeld und streben anschließend unseren Behausungen zu, wo wir uns der Tracking-Klamotten entledigen. Sommerlich gekleidet – es ist nämlich kein Wölkchen in Sicht – genießen wir wenig später den sonnigen Tag, wie es uns beliebt. Annette, Jochen, Gabi und Erika wollen eine kleine Exkursion auf dem Gelände der benachbarten Lodge, hinunter zum Fluss, unternehmen, Heinz und mich hingegen zieht es in das kleine Dörfchen Buhoma, wo wir bei unserer Ankunft zahlreiche Läden mit Schnitzereien entdeckt hatten. Nun wandern wir die staubige Dorfstraße entlang und verschaffen uns einen genaueren Überblick. Oje! Fast jeder Shop, kleine Kabuffs, gezimmert aus krummen Ästen und Wellblech, bietet hier geschnitzte Gorillas in allen Größen an. Klar, das liegt in der Natur der Sache, ist aber nicht das, was Heinz und ich begehren, zumal die guten Stücke verdächtig nach Massenproduktion aussehen und jeglichen rustikalen Charme entbehren. Heinz schüttelt deshalb verächtlich den Kopf und stürzt sich erst mal in einen Laden, der T-Shirts anbietet – ein Andenken-Shirt pro Reise hat schon fast Tradition bei ihm. Und schnell wird er fündig: ein Exemplar, das den Träger als Besucher der Gorillas und Absolvent einer Tracking-Tour ausweist, geht in seinen Besitz über. Ebenso rasch ist noch ein Päckchen ugandischer Hochland-Kaffeebohnen aus fairem Anbau als Mitbringsel für die Mama eingemarktet und schon stehen wir wieder auf der Straße, die sich, weiter vorne, noch an unzähligen anderen Shops entlangwindet.
Da wäre es doch gelacht, würden wir dort nichts finden! Und siehe da: zehn Meter weiter, und das Sortiment der Läden verändert sich zu unserem Vorteil. Es gibt unzählige Masken, Skulpturen, kunstvolle Sitzgelegenheiten und sogar vereinzelte Betten oder Liegestätten, die allesamt sehr authenisch, rustikal und teilweise sogar antik aussehen. Gut, eine Maske schnitzen, sie mit Lehmfarben bemalen und für eine Woche im Kuhmist eingraben, das macht aus etwas Neuem schnell eine Antiquität, zumindest optisch. Doch da wir ja ohnehin keine Werte-Jäger sind, sondern nur auf der Suche nach etwas, was uns anspricht, ist uns das egal. Apropos ansprechen: wir stehen gerade vor einem winzigen Laden und bewundern diverse Masken, die an der geschlossenen Türe hängen, als plötzlich ein junger Mann selbige aufreißt und heftig erschrickt, als er so unvermittelt vor uns steht. Heftig atmend begrüßt er uns und fragt, ob er uns helfen könne, er wollte nämlich gerade den Shop schließen. Wir gestehen ihm, dass uns seine Masken ausnehmend gut gefallen würden, woraufhin er eilfertig seinen Ladenschluss verschiebt. Er lädt uns ein, in das Geschäft zu kommen und seine gesamten Schätze zu betrachten. Gerne leisten wir dem Folge und entdecken einige wirklich wunderschöne Exemplare, die der junge Mann, der sich uns als Thomas vorstellt, daraufhin von der Wand nimmt, um sie uns in vollem Licht draußen zu präsentieren. Während wir nun die Schnitzwerke bewundern und uns so schnell gar nicht entscheiden können, beginnt Thomas, uns interssante Geschichten über die Masken zu erzählen, wo sie herkommen, was sie bedeuten und bei welchen Gelegenheiten sie traditionell getragen werden. Eine der Masken – und ihre Geschichte – ist besonders fesselnd. Es ist ein stilisiertes Gesicht mit üppiger, kunstvoller Frisur, in deren Mitte ein Vogel sitzt. Diese Maske stamme von den Luba, sagt Thomas, einem Stamm, der aus dem Hochland des Kongo nach Uganda geflohen sei und dort großen Hunger gelitten hätte. Um Abhilfe zu schaffen, hätten die Lualua ihre Haare wachsen lassen, sie mit Öl und Sirup behandelt, um darin ein genehmes Klima für die Läusezucht zu schaffen. Die zahlreich gedeihenden Kopfbewohner hätten dann einen reich gedeckten Gabentisch für Vögel geboten, die sich die hungrigen Luba nur noch vom Schädel pflücken und verspeisen mussten.
Eine nette Story! Natürlich habe ich zuhause recherchiert, was an der Geschichte dran ist und, wie nicht anders zu erwarten, nichts Bestätigendes gefunden (vielmehr symbolisiert der Vogel wohl den Gott der spirituellen Führung), aber das tut unserer Unterhaltung im Augenblick keinen Abbruch. Gespannt lauschen wir Thomas’ Ausführungen und erfreuen uns seiner fantasievollen Erzählungen. Und schließlich wird der Eifer des jungen Mannes belohnt. Heinz hat sich entschieden und möchte eine Maske erwerben, die mit schläfrigen Augen und einem nachdenklich geschürzten Mund seine Gunst errungen hat. Die Verhandlungen beginnen sofort und enden bereits nach einer Viertelstunde bei einem wirklich akzeptablen Preis. Was Heinz allerdings nicht mehr auf dem Schirm hatte, ist, dass sich unser Dollarvorrat bereits deutlich minimiert hat – und der ausgehandelte Preis übersteigt unsere Reserven bei weitem. Tja, nun ist guter Rat teuer. Doch Thomas weiß einen Ausweg: er nimmt auch Euro. Zwar nicht gerne, aber er käme ohnehin bald nach Kampala und da könne er problemlos tauschen. Schnell ist der Handel besiegelt und beide Parteien, Heinz und Thomas, sind froh, dass das Geschäft aufgrund mangelnder Dollarreserven nicht geplatzt ist. „Schneck, wenn Thomas auch Euro nimmt, magst du nicht auch noch was kaufen?“, fragt mich Heinz. Aaaah, ich winde mich, denn die Läusezüchter-Vogelmaske hätte es mir echt angetan. Dann aber denke ich an die Wände in meiner Wohnung – und verzichte. Ich bin eher ein Bildermensch und bewohne eine wirklich großzügige Wohnung, doch es gibt kaum einen Platz, an dem ich noch etwas aufhängen könnte, ohne die Wirkung der anderen Bilder erheblich in Mitleidenschaft zu ziehen. Tingatingas aus Tansania, Selbstgemaltes und -gezeichnetes, Urlaubsfotos, Zeichnungen von Perlhühnern und Marabus in ganz besonderen, wuchtigen Rahmen aller Größen und gerahmte Briefmarken aus all den Ländern, die ich schon besucht habe, zieren meine Behausung. Von den Perlenechsen, die auf vielen Wänden umherklettern, und diversen Skulpturen ganz zu schweigen… Also nein, keine Maske (die tatsächlich meine erste gewesen wäre!). Thomas ist ein bisschen enttäuscht, akzepiert aber meine Entscheidung, verabschiedet sich herzlich von uns und sperrt dann tatsächlich seinen Laden zu, bevor er von dannen eilt.
Gerade versuchen Heinz und ich, uns zu orientieren und über unser weiteres Vorgehen zu beraten, als unsere Freunde des Weges kommen. „Na, habt ihr wieder was gekauft? Die haben hier ja schon sehr schöne Sachen!“, schwärmt Annette, die einem Andenkenkauf in der Regel auch nicht abgeneigt ist. Heinz präsentiert seine Neuerwerbung und schon funkeln Annettes Augen kauflüstern. „Lasst uns mal da vor gehen, da ist ein besonders geiler Shop!“ Gemeinsam steuern wir besagten Laden an und landen in einem Eldorado aus Masken, Skulpturen und anderen Gegenständen; es ist genau der Shop, den Heinz und ich uns für das Ende unserer Einkaufstour reserviert hatten, denn das Angebot ist wirklich niederschmetternd betörend! Lange stehen wir in einem ungewöhnlich großen Verkaufsraum und schwelgen in Wänden voller geschnitzter Artefakte, staksen zwischen beeindruckend großen, hölzernen Kunstgegenständen, die den Boden fast lückenlos bedecken, umher und sehen das ein oder andere Stück in Gedanken schon in unserer Wohnung prunken. Wenn da nicht der Transport im Handgepäck und der mangelnde Platz in unseren Behausungen wäre. Also schwelgen wir nur. Der einzige, der tatsächlich etwa kauft – wir staunen – das ist Jochen, der in der Regel als relativ souvenirresistent bekannt ist. Doch auch er erliegt dem Charme einer Maske, die er rasch in seinen Besitz bringt, fast schon verschämt, bevor er fluchtartig den Shop verlässt. Ei, sieh einer an, der eiserne, pragmatische Jochen!
Blauhaubenschnäpper |
Weiblicher Vanga-Schnäpper |
Lappenschnäpper |
Amüsiert folgen wir ihm und peilen nun gemeinsam unser „Zuhause“, das Buhoma Community Restcamp an, wo wir uns erst mal im Restaurant vom Stress des Shoppens erholen. Und die Aussicht von der Terrasse ist heute, im Vergleich zu gestern, wirklich grandios! Nicht eine durch Regen verursachte Dampfschwade vernebelt unseren Blick auf den im Sonnenlicht in allen Grüntönen schimmernden Wald, bunte Vögel tummeln sich im Geäst, Blätter rauschen leise im leichten Wind, der Himmel strahlt in hellem Blau und wir genießen den Rest des Nachmittags in dem wohligen Bewusstsein, einen nahezu idealen Tag erlebt zu haben. Ein erfolgreiches Gorilla-Tracking ohne nennenswerte Strapazen, perfektes Wetter inklusive, ein gemächlicher Nachmittag, der unsere Kauf-Gelüste befriedigte, eine Handvoll Nichtstun auf der Restaurant-Terrasse. Nun senkt sich langsam die Dämmerung herab und wir freuen uns auf einen gemütlichen Abschluss des Tages bei Annette und Jochen. Spaghetti Bolognese, selbstgekocht, ein Drink, den Tag revue passieren lassen, schlafen gehen, weiterträumen.
Mein Traum von diesem Traum allerdings endet ziemlich bald: sobald Heinz und ich uns frischgemacht haben, wieder zum Bungalow unserer Freund hochgewandert sind und das Abendessen in den Töpfen schmurgelt, fühle ich mich plötzlich ziemlich malade. Mich fröstelt von innen heraus, mein Appetit geht gen null, trotz der appetitlichen Gerüche, und ich rutsche unruhig auf meinem Plastikstuhl umher. Als Jochen die Teller verlangt, um das Essen zu verteilen, muss ich leider die Segel streichen – ich will nur noch ins Bett. Hastig verabschiede ich mich von unseren Freunden und Heinz, die mir alle besorgt hinterher blicken und torkle mit letzter Kraft hinab zu unserem Zelt, wo ich, eingewickelt in alle verfügbaren Decken, sofort in einen unruhigen Schlaf sinke. Bin ich krank, habe ich mir was eingefangen? Nein, diese Reaktion kenne ich von früher, das hat nichts mit einer Infektion zu tun, das ist psychisch. Meine letzten Gedanken vorm Einschlafen – beruhigend -, dann bin ich weg und höre nicht mal mehr meinen Liebsten, als er sich zu vorgerückter Stunde zu mir kuschelt.
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