Unglaublich – wir sind da!
Neunzig Minuten später geht unsere Maschine auf dem Airport von Upington, der Distrikthauptstadt des Northern Capes, nieder und wir atmen froh die trocken-heiße Luft, die aus den Tiefen der angrenzenden Kalahari verheißungsvoll zu herüberweht. Ein kurzer Gang übers Rollfeld, rein in die klimatisierte Ankunftshalle und zehn Minuten später kreiselt auch schon unser Gepäck auf dem Rollband daher – wohl der einzige Vorteil unserer Last-Minute-Hetzerei in Johannesburg! Aber nun sind wir ja da, mit allem Drum und Dran, und der Ärger ist damit verflogen.
Erst recht, als dann freudestrahlend Jochen vor uns steht, der gekommen ist, uns alle einzusammeln. Er ist schon ein paar Tage früher nach Johannesburg geflogen und hat zusammen mit Jock, einem südafrikanischen Freund, die beiden dort stationierten Land Rover in einem Zweitagesritt nach Upington überführt. Freudig begrüßen wir uns und lernen nun auch endlich Jock persönlich kennen, nachdem wir schon so viel von ihm gehört haben. Ein sehr sympathischer Mann, der große Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt – Eigenschaften, die uns heute noch zugute kommen werden…
Zunächst aber trübt noch kein Wölkchen unseren Urlaubshimmel: wir schlichten das Gepäck in die Autos, steigen ein und verlassen Upington in Richtung Westen, wo wir heute noch im Augrabies Falls Nationalpark einzuchecken gedenken. Nun ja, es ist jetzt 13 Uhr 30 und es sind ja nur knapp 130 Kilometer bis dorthin, das dürfte also kein Problem darstellen. Moment, haben wir das nicht vor kurzem schon einmal gedacht?
Wenn man den Tag schon vor dem Abend lobt
Kaum haben wir die letzten Häuser Upingtons hinter uns gelassen – die Straße steigt in Kurven leicht an -, beginnt Jochen, mit dem Fuß auf dem Gaspedal herumzupumpen und nebenbei zu murmeln. „Jochen, stimmt was nicht?“ „Mhm, ja, der Wagen zieht nicht richtig. Das hab ich gestern schon gemerkt. Wahrscheinlich dreckiger Sprit. Aber das haben wir gleich.“ Spricht’s und fährt an den Straßenrand, wo er sich anschließend in den Eingeweiden des Autos zu schaffen macht. Mittlerweile haben uns auch Annette und Erika im weißen Land Rover eingeholt – sie waren noch beim Tanken – und halten ebenfalls. „Jooochään, scheiße, was ist. Ist was kaputt?“, hyperventiliert Annette. „Schon erledigt, Mausi!“, flötet Jochen, knallt die Motorhaube zu, hievt sich in den Wagen und lässt Annette uninformiert stehen. Manchmal ist er eben ein echter Charmebolzen!
In aller Seelenruhe fährt er, mit Heinz, Jock und mir an Bord weiter. „Jetzt zieht er wieder! Hab nur den Dieselfilter ausgewechselt.“, sagt er zufrieden und tritt aufs Gas. Nach einer Weile allerdings wirft er immer öfter einen Blick in den Seitenspiegel. „Mann, wo bleiben die denn?“ Er drosselt das Tempo, als aber unser weißes Begleitfahrzeug nach mehreren Kilometern immer noch nicht aufgetaucht ist, kommt ihm das doch komisch vor und er fährt erneut an den Straßenrand. Endlich zockelt Annette um die Kurve und hält hinter uns. „Zebra macht ganz komische Geräusche und zieht nicht richtig. Da stimmt was nicht!“ „Lass mich mal sehen!“ Jochen startet Zebra, lässt den Motor aufheulen, lässt ihn tuckern, fährt ein Stück vor, ein Stück zurück. „Da ist nix!“ Ohooh, exakt diese Situation hatten wir vor zwei Jahren auch schon mal, damals in Tansania, und dort stellte sich heraus, dass Annette durchaus recht gehabt hatte – die Lichtmaschine hauchte ihr Leben aus. „Da ist nix!“, beharrt Jochen.
Obwohl Annette so ganz und gar nicht davon überzeugt ist, fügt sie sich der Diagnose ihres Chefmechanikers und wir fahren weiter. Doch keine fünf Kilometer später beginnt sie erneut zurückzufallen und, um uns davon in Kenntnis zu setzen, blendet sie mehrmals auf. Ok, die Funzeln der Landys sind in der Nacht schon schwer zu sehen, tagsüber aber sind sie fast unsichtbar. Doch Jock hatte Zebra die ganze Zeit über den Seitenspiegel im Auge behalten und sieht nun das leichte Flackern der Frontscheinwerfer. „You’d better stop again.“, sagt er unheilschwanger zu Jochen, der erstaunlicherweise sofort brav anhält. Und da hören wir es schon, als Annette langsam näherkriecht: es klingt tatsächlich nach sterbender Lichtmaschine!
Oh weia, das fängt ja echt schon ganz toll an. Ein Glück nur, dass wir immer noch Upington in unserer Nähe haben. Die Stadt ist nämlich die einzig größere im Umkreis von etwa 350 bis 400 Kilometern und müsste deshalb eigentlich gut sortiert sein, was Ersatzteile für Autos anbelangt. Und sie liegt direkt am Oranje River, sodass wir uns sogar eine nett gelegene Übernachtungsmöglichkeit suchen könnten und nicht auf irgendeinem assligen Durchreise-Campinglatz unser Nachtlager aufschlagen müssten. Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, als wir da am Straßenrand stehen, Jochen bereits wieder bis zu den Ellbogen im Motorraum steckt, Annette schimpft und jammert, Erika Heuschrecken fotografiert, Jock lässig pfeiferauchend am Wagen lehnt und Heinz mir vielsagende Blicke zuwirft. Plötzlich nähert sich ein Pick Up aus westlicher Richtung und hält, wie das in Afrika so üblich ist, sobald man einer offenen Motorhaube ansichtig wird, neben uns an. „Het jy hulp nodig?”, fragt der dem Pick Up entstiegene Herr, der ein wahres Prachtexemplar von afrikanischem Buren darstellt. Lederhalbschuhe, heruntergerutschte Kniestrümpfe an stämmigen, behaarten Beinen mit sehr, sehr eindrucksvollen Waden, eine kurze Hose, ein khakifarbenes Hemd, das sich über einem Pläutzchen spannt und einen runden Schädel, der von ein Glatze und einem beinahe anachronistisch anmutenden Schnäuzer geziert wird.
Jochen informiert ihn über unsere Lage – auf englisch -, aber der Herr spricht offenbar nur afrikaans. Jochen schaut hilfesuchend zu Jock rüber, doch der nuckelt in aller Seelenruhe an seiner Pfeife und bedeutet Jochen, dass er das sicher selbst regeln könne. Jochen hebt erneut an, aber unser Helfer versteht ihn einfach nicht. Also schalte ich mich ein, da ich zumindest ein paar Brocken afrikaans spreche. „Ja, ons het ’n probleem met die, äh, alternator en benodig ’n werkswinkel. Moet ons liewer teruggaan Upington toe of is daar ’n werkswinkel oppad Augrabies Falls toe?“ Uah, ich finde, das klingt richtig gut – doch der schnauzbärtige Herr sieht mich nur kurz etwas verächtlich an und wendet sich erneut Jochen zu. Ja, Herrschaft, hab ich gerade chinesisch gesprochen oder so eine fürchterliche Aussprache, dass er das auch nicht verstanden hat?
Da löst sich Jock von seiner Pfeife und dem Schattenplatz am Auto, grinst mich mit verdrehten Augen an und mischt sich in das Gespräch ein. Geduldig erklärt er nochmal, was unser Problem ist und, siehe da, der Typ versteht plötzlich. Helfen kann er uns allerdings nicht wirklich, denn ihm ist keine Werkstatt bekannt, die den Schaden so auf die Schnelle beheben könnte. Da gäbe es zwar eine Hinterhofwerkstatt auf der linken Seite der Straße, die wir in ungefähr zehn, zwölf Kilometern erreichen würden, aber… „Moment, ich ruf da mal an!“ Er tippt auf seinem Handy rum, doch offensichtlich geht niemand ran. „Ne, der ist nicht da!” Jock macht ihm klar, dass wir keinen Kumpel vom Kumpel vom Spezi des Bruders seines Schwagers suchen, der uns schwarz im Vorbeifahren eine Lichtmaschine von anno dunnemals in den Wagen zimmert und einen Sondergefallenspreis dafür verlangt, sondern eine offizielle Autowerkstatt. „Ach so, ja, dann müsst ihr zurück nach Upington, ist doch klar! Viel Glück!“
Unser Helferlein schwingt sich wieder in seinen Pick Up, winkt uns freundlich zu und braust von dannen. „Ja, so sind sie, die Buren … Sprechen nicht mit Frauen, schon gar nicht über Autos und „offiziell“ ist bei denen sowieso ein Fremdwort.“, amüsiert sich Jock. „Aber ihr müsst jetzt selbst entscheiden, was ihr machen wollt.“ Nun, ich wäre ja für eine Rückkehr nach Upington, eine Übernachtung dort und einen gepflegten Werkstattbesuch. Aber auf mich hört heute offenbar niemand. Und so wird folgendes beschlossen: wir fahren jetzt zum Nationalpark, notfalls schleppen wir Zebra dorthin, machen uns morgen einen schönen Tag. Bis auf Jochen, der heute noch die Lichtmaschine aus Zebra ausbaut und morgen mit dem grünen Landy und dem defekten Teil zurück nach Upington fährt, eine neue Lichtmaschine mitbringt und sie wieder einbaut. Ok, ich sag jetzt nix mehr …
So kommt es, dass wir mit deutlich gedrosselter Geschwindigkeit Richtung Augrabies Falls Nationalpark kriechen und für die relativ kurze, komplett geteerte Strecke so lange brauchen, dass wir in letzter Sekunde, justament bevor das Gate schließt, an selbigem einlaufen. Eine leicht ungehaltene Parkbeamtin, die wohl schon in Feierabendmodus geschaltet hatte, fertigt uns brummelnd ab und schließt dann das Tor hinter uns – Gott sei Dank von der für uns richtigen Seite. Wir sind drin, juhu!
Allerdings waren das nur die Nationalparkformalitäten, die uns noch nicht zu einer Übernachtung berechtigen. Um auch das in trockene Tücher zu bringen, müssen wir jetzt noch bei der Rezeption am Hauptgebäude vorsprechen. Hier ist kein Feierabenddruck zu verspüren, weswegen das Ganze deutlich längere Zeit in Anspruch nimmt als der Papierkram am Gate. Doch schließlich ist auch das korrekt erledigt, sodass wir uns wieder in die Autos schlichten und zu einer Runde über den Platz aufbrechen können, um uns ein geeignetes Fleckchen für unsere Zelte zu suchen.
Der Übernachtungsgästeandrang hält sich in Grenzen und so ist schnell ein großzügiges Eck gefunden, wo wir uns kommod ausbreiten können, ohne uns gegenseitig oder anderen Besuchern zu nahe rücken zu müssen. Also zerren wir unser Equipment aus den Autos und bauen rasch all das auf, was wir für unseren Komfort unbedingt brauchen. Und kaum sind die letzten Häringe im sandigen Boden verankert, die Zelte mit Schlafutensilien gemütlich ausgestattet und der „Küchentrakt“ voll funktionsfähig, ist es auch schon stockfinster. Nach einem tiefen Zug an der Castle-Dose, ein Ritual, das allen Unbilden zum Trotz stets bei der Ankunft im Lager zelebriert wird – und wenn ein Gewittersturm tobt oder eine Horde Paviane die Zelte zerlegt – kehrt sofort Urlaubsalltag ein: es wird gekocht, gegessen und gespült und schließlich ein kurzer Abend eingeläutet, bevor wir alle in unsere Schlafsäcke kriechen.
Schade, ein wenig gechillter hätten Heinz und ich uns unseren ersten Abend schon vorgestellt. Vor allen Dingen hätten wir uns auch gerne länger mit Jock unterhalten, von dem wir bereits so viel gehört hatte und der uns in natura noch sympathischer ist, als er in den zahlreichen Erzählungen unserer Freunde rübergekommen war. Doch diese Gespräche müssen wohl auf unbestimmte Zeit vertagt werden, denn Jock wird morgen in aller Frühe mit Jochen nach Upington aufbrechen und von dort aus zurück nach Johannesburg fliegen – während Jochen sein Glück in Sachen Lichtmaschine versuchen wird. Also verdrängen wir beim Einschlafen unser Bedauern und konzentrieren unsere Kräfte stattdessen aufs Daumendrücken – zumindest so lange, bis Morpheus unsere Fingerglieder gnädig erschlaffen lässt …
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