Der letzte ganze Tag in Sambia bricht an und irgendwie bin ich, zumindest im Morgengrauen, gar nicht so unglücklich darüber, denn ich habe ziemlich schlecht geschlafen. Die Nähe der Zivilisation bekommt mir nicht. Andauernd bin ich heute Nacht von vermeintlichen Schritten und verdächtigen Geräuschen aufgewacht. Eigentlich hatte ich mich beim Schlafengehen sehr geborgen gefühlt, aber in Campnähe gibt es wohl eine Siedlung und dort wurde bis in die frühen Morgenstunden durchgefeiert. Traditionelle Gesänge und Stimmengemurmel sind im Prinzip alles andere als beunruhigend, doch ich bin es einfach nicht mehr gewöhnt, zudem weiß ich nicht, inwieweit das feiernde Volk Zugang zum Campgelände hat. Mitten in der Nacht, ich war gerade mal wieder wach, überkam mich ein dringendes Bedürfnis und ich krabbelte aus dem Zelt. Beinahe wäre ich über den Camphund gestolpert, der es sich direkt zu meinen Füßen, außerhalb des Zeltes, bequem gemacht hatte. Er begrüßte mich schwanzwedelnd, schlabberte mich ordentlich ab, begleitete mich zur Toilette und den ganzen Weg zurück. Danach kuschelte ich mich wieder in den Schlafsack und hörte, wie der Hund sich erneut auf meiner Unterlegeplane niederließ. Kaum war ich am wegdämmern, hatte das Hundchen wohl etwas gehört, was ihm nicht gefiel und stürzte mit drohendem Knurren blitzschnell in Richtung des verdächtigen Geräuschs. Nun wußte ich zwar, dass ich gut beschützt werde, doch die steingleiche Ruhe, die ich in der Wildnis empfinde, überkam mich trotzdem nicht wirklich.
Egal, jetzt ist der Morgen da, unser Tag beginnt, wenn auch sehr gemächlich. Heute können wir uns Zeit lassen, denn noch ist nichts zu packen und wir haben den ganzen Tag zur Verfügung. Jürg und ich wollen heute einen „Stadtbummel“ in Lusaka machen, Annette will mit, Joachim muss noch ein paar Dinge bezüglich des Autos in trockene Tücher bringen. Gegen zehn Uhr machen wir uns auf den Weg, fahren über die Great East Road geradewegs in die Stadt hinein. An der Abzweigung zur Cairo Road, mitten im dichtesten Verkehrsgetümmel, stoppt Joachim den Wagen und wir steigen aus. Annette hat sich nun doch entschlossen, auf den geplanten Bummel zu verzichten. So werden Jürg und ich alleine in Lusaka ausgesetzt. Wir bringen uns erst mal auf dem Gehsteig vor all den irren Autofahrern in Sicherheit. Jürg sieht sich gerade orientierend um und ich verstaue meine Fleecejacke im Rucksack, als eine Stimme durch den Verkehrslärm tönt: „Taxi, Madame?“. Ich drehe mich um und hinter mir steht ein junger Mann, seine Hände an den Griffen einer rostigen Schubkarre. In Griffnähe ist ein handbeschriebener Karton angebracht – TAXI kann man da lesen – an der vorderen Seite der Karette sind zwei Drahtbügel befestigt, in die man als Passagier wohl seine Fersen stellen soll, die angedachte Sitzfläche ist mit Wellpappe ausgelegt.
Es gibt Momente im Leben, die sind mit einer derartigen Situationskomik behaftet, der erwartungsvolle Blick des Taxi-Schiebers gibt mir dahingehend den Rest. Kein Zweifel, dass der Typ ganz schnell einen Kumpel mit baugleichem Fahrzeug auftreiben und Jürg und mich durch Lusaka schub-karren würde, aber eben genau diese Vorstellung bringt mein Zwerchfell zum Beben – im Detail erklären kann ich das nicht. Ich kuck ihn an, dann das „Taxi“, darauf wieder ihn und schon bricht es aus mir hervor. Ein Lachanfall vom Feinsten. Es ist unhöflich, das ist mir klar, aber ich kann nichts dagegen machen! Jürg ist verwirrt, der Taxifahrer irritiert, mir hingegen laufen Lachtränen über meine Wangen. „Sorry, sorry, no“, japse ich immer wieder und versuche mich in den Griff zu kriegen. Es klappt nicht. Hilflos wedle ich mit den Armen, versuche zu erklären, dass wir lieber zu Fuß gehen würden; das Lachen tut mir schon fast weh. Dann beginnt der Betreiber dieses afrikanischen Taxis auch zu grinsen, schallend zu lachen. „Madame“, sagt er, „you are like sunshine. Enjoy Lusaka with your husband!“. Das werde ich (auch wenn Jürg nicht mein „husband“ ist) und ich bin sehr erleichtert, dass mir meine tränenreiche Unhöflichkeit nicht übelgenommen wurde.
Jürg und ich machen uns, nachdem wir die Hürde des Kreisverkehrs Calambo-/Cairo-/Great East unversehrt genommen haben, auf eigenen Füßen wacker auf den Weg, die Cairo Road runter – die wohl bekannteste, historischste Straße Lusakas. Klar, sie ist eine der Hauptdurchgang-Straßen, hier konzentriert sich das Geschäfts-Leben, ein Shop klebt am anderen, Hinterhöfe voller Business-Schilder, viel zu erkunden, aber eine Sehenwürdigkeit im klassichen Sinne ist sie nicht. Doch allein der Gehsteig ist ein Abenteuer: hier gibt es keinen Kanaldeckel, keine Kellerschachtabdeckung, die noch vorhanden wäre; knietiefe Löcher liegen offen da. Wir haben hellerlichten Tag und können uns voll auf die genickbrechenden Vertiefungen im Fußweg konzentrieren – bei Dunkelheit möchte ich hier nicht entlang tappern müssen. Doch das permanente Kucken auf die Fenster all der Geschäfte macht mir die Konzentration bezüglich der Bodenunebenheiten nicht einfach. In der Cairo Road – so denke ich – kriegt man weitestgehend alles, was einem in einer afrikanischen Hauptstadt je zu kaufen in den Sinn kommen könnte – oder vielleicht auch nicht. Klamotten, Beautybedarf, Schreibwaren, Computerzubehör, Kameraequipment, Lebensmittel, Schnickschnack, Wechselstuben, Versicherungsagenturen, Galerien, etc.
Jürg findet, aus zwingenden Gründen, Gefallen an einer Wechselstube, sucht sich diejenige aus, die ihm am meisten zusagt. Ein langwieriger Warte-Prozess steht bevor, aber er kriegt sein Geld gewechselt – in einem Laden mit offiziellen Kurs-Listen, Transaktions-Quittung und ohne über die Schultern schauende Neugierige. Ein paar hundert Meter später entdecke ich einen „Haar-Laden“; das Geschäft sieht aus, als würde es alle nur erdenklichen Beauty-Aspekte abdecken und selbige auf’s detaillierteste befriedigen können. Der Laden ist nicht allzu groß, hat sortimentstechnisch Ähnlichkeit mit einer Drogerie, riecht auch so. Die Wände sind gesäumt von doppelt-mannshohen, dunkelbraunen Regalen, in denen Flaschen mit allerlei Tinkturen, Cremes, Tablettchen, Nagellacken, Haarsprays, Gurgelwässerchen und ähnlichem ausgestellt sind. Gesäumt wird das Hauptarrangement von Paketen mit Papiertaschentüchern, Babywindeln, Damenbinden, Kräutertees, Nuckelflaschen, Babynahrung, Nagelscheren, Parfumflakons, Fieberthermometern, Verbandrollen, Heftpflasterpackungen, Kühlkompressen, Haarklammern, Haarbürsten, Haarschleifchen, Haartönungen, Haarfärbemitteln, Haarteilen. Diese Konzentration auf das Thema Haar gibt mir Hoffnung, vielleicht doch noch eine Perücke erstehen zu können.
Also treten Jürg und ich beherzt in den Laden und ich trage einer Verkäuferin mein Anliegen vor. Sie sieht mich ungläubig an und fragt sicherheitshalber zweimal nach. Ja, sie hat richtig gehört: die blonde Weiße findet die Perücken der heimischen Schönen so toll, dass sie nun selbst gerne ein solches Prachtstück erwerben möchte. Das erzeugt bei allen drei Verkäuferinnen freundliche Heiterkeitsausbrüche und sie überschlagen sich, mir immer noch tollere Modelle zu präsentieren. Ich probiere gerade mein Favoriten-Teil auf, als ein Kunde den Laden betritt, der sofort von den kichernden Verkäuferinnen eingeweiht und nach seiner Meinung befragt wird. Auch der Kunde hat seine helle Freude, grinst über’s ganze Gesicht und signalisiert mir mit erhobenem Daumen, dass es „great“ aussähe. Naja, great ist vielleicht etwas übertrieben, aber ich finde die Perücke auch spitzenmäßig und erzähle den Damen von meinem Vorhaben, sie zuhause am Flughafen aufzusetzen, um zu sehen, ob mein boy friend auch so erkennt. Ihren Gesichtern sehe ich deutlich die Verwunderung darüber an, dass Jürg, der mir automatisch als Ehemann zugeordnet wurde, das Geständnis über einen Zweitmann so ruhig hinnimmt. Natürlich kläre ich sie auf; ich glaube, sie wären zu gerne am Flughafen dabei…
Nach diesem Einkauf, der allen Beteiligten großen Spaß gemacht hat, setzen wir unseren Weg südwärts fort. Bald ist die Cairo Road zu Ende und noch immer haben wir kein Tourist Office entdecken können, das Jürg so gerne besuchen würde. Also überqueren wir die Straße und gehen auf der anderen Seite wieder hoch. Unsere Nachfragen in mehreren Läden bringen uns nicht weiter, keiner weiß, wo das Touristenbüro sein könnte. Erst in einem Buchladen kann man uns präzise Auskunft geben, was uns letztendlich mehr als die Hälfte der Strecke wieder nordwärts führt. Um 12.10 Uhr sind wir endlich bei der Touristeninfo angekommen, die in einer Art Arkade recht versteckt liegt – und an deren verschlossener Türe ein Schild klebt: Office hours, Saturday, 8–12. Tja, da sind wir wohl 10 Minuten zu spät gekommen. Schade, aber wir werden auch ohne professionelle Auskunft den Weg zu unserem nächsten Ziel finden, dem Kabwata Cultural Village. So ungefähr wissen wir ja, wo der Holzschnitzermarkt liegt. Also folgen wir der Cairo erneut in südliche Richtung, bis sie schließlich in die Independence Avenue mündet, auf deren andere Seite wir nun müssen.
Die Independence ist ein mehrspuriger Stadt-Highway, den man nicht überqueren kann; vielmehr muss man unter ihm durch. Ich war schon in einigen afrikanischen Großstädten zu Fuß unterwegs und habe ein recht gutes Bauchgefühl entwickelt, wo man sich, relativ gesehen, sicher fühlen kann und wo eben nicht. Angesichts der Unterführung beginnt mein bis dato stummer Bauch erstmals leise zu sprechen. Ein staubiger, unbeleuchteter Tunnel, ca. dreieinhalb Meter breit und sicher 70–80 Meter lang, von zahlreichen Fußgängern frequentiert, liegt vor uns. Ganz wohl ist mir nicht bei dem Gedanken, da durch zu gehen, doch mein Bauch hat noch kein „Stopp!“ gemeldet. Ein bisschen Vorsorge allerdings kann nicht schaden, denke ich mir. Jürg trägt seinen Rucksack auf dem Rücken, ich hänge mir den meinen vor die Brust und folge Jürg dicht auf. Wir halten uns nahe an der linken Wand und kommen rasch und ohne Zwischenfall auf der anderen Seite an, wo wir über ein paar Stufen wieder ans Sonnenlicht hinaufklettern.
Auf einem staubigen Fußweg überqueren wir nun unter uns liegende Bahngleise, an deren Rand sich ein sehr ärmlicher, aber umso lebhafterer Markt angesiedelt hat. Auf ausgelegten Kartons präsentieren hier unzählige Verkäufer die unterschiedlichsten Waren. Wir bleiben stehen, um das Treiben aus unserer Vogelperspektive eine Weile zu beobachten. Jürg beginnt seine Kamera wieder aus dem Rucksack zu kramen, weil er dieses verlockende Bild gerne festhalten möchte. „Das würde ich besser nicht tun“, meine ich noch, während ich gerade, zu meinem Rucksack hinuntergebeugt, meine Wertsachen mit der Perücke gegen eventuelle Taschendieb-Schlitz-Attacken abpolstere. Keine 5 Sekunden später höre ich ein dumpfes „Klonk“, Jürgs wütendes Schreien und sehe, was passiert ist. Einer der Marktleute hat sich gegen das Fotografiert-Werden tatkräftig gewehrt, indem er einen faustgroßen Stein nach oben geschleudert hat. Geistesgegenwärtig hat Jürg diesen mit der Hand aufgefangen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte der Stein eines der Autos, die dicht hinter uns vorbeibrausen, getroffen. Mit dem Stein in der Hand ruft Jürg wutentbrannt zum Werfer hinunter, der im Gegenzug zornige Drohungen gegen uns ausstößt. „Lass uns gehen, sofort!“, rufe ich. Den wütenden Mob, der sich zu formieren droht, können wir so gar nicht gebrauchen. Jürg sieht das Unheil ebenfalls dräuen und wir machen uns mit einem lauten „Sorry!“ rasch aus dem Staub. Puh, gerade noch einmal gut gegangen!
Erleichtert folgen wir dem Fußgängerweg, der nun langsam von der den Bahndamm überquerenden Brücke wieder nach unten führt. Jürg und ich gehen dicht nebeneinander, als sich plötzlich ein offensichtlich heftig handy-telefonierender, gut gekleideter junger Mann zwischen uns schiebt. Im Prinzip ist das keine ungewöhnliche oder gar verdächtige Situation, zumal der Mann völlig auf sein Telefongespräch konzentriert scheint und uns in keinster Weise beachtet. Trotzdem beginnt mein Bauch-Alarm zu vibirieren und, mehr oder weniger instinktiv, verlangsame ich meinen Schritt, um den Typen passieren zu lassen. Scheinbar zufällig passt dieser sich meinem Tempo an und auch, als ich erneut beschleunige, zieht er mit. Jetzt schrillt der Alarm und ich bekomme gerade noch ein „Achtung, Jürg, pass auf, die wollen klauen!“, heraus, als der Telefonierer sich schon vor uns manövriert, ein zweiter Mann Jürgs Geldbörse aus der Gesäßtasche entwendet und ein dritter versucht, meinen vorne über die Schulter hängenden Rucksack zu greifen. Es geht alles wahnsinnig schnell, aber wir kommen unglaublicherweise ebenso schnell ungeschoren wieder aus der Sache heraus. Bei meinem Ausruf hat Jürg so unverzüglich reagiert, dass er den Geldbeutelklauer am Handgelenk zu packen bekommt; ich ziehe in der selben Sekunde meinen rechten Ellbogen empor und treffe „meinen“ Dieb damit hart am Kinn. Sofort läßt dieser von meinem Rucksack ab und Jürgs Dieb ist so überrascht, dass er sich ohne Widerrede die Geldbörse wieder abnehmen läßt. Jürg tobt und schimpft wutentbrannt auf die Kleinkriminellen ein, die uns völlig verdutzt anstarren. Ich versuche Jürg zu beruhigen und zu einem raschen Ortswechsel zu bewegen. Erstens bringt das Geschrei nichts und zweitens möchte ich unter allen Umständen einen Tumult oder eine Schlägerei verhindern. Jürg bezwingt seine Erregung, die Diebe nutzen die Chance und flüchten; mit leicht zittrigen Beinen setzen wir unseren Weg fort. Hundert Meter noch und das Gewimmel wird weniger, mein Bauch-Alarm beruhigt sich wieder. Wir atmen tief durch und kämpfen uns wacker bis zur übernächsten Querstraße, der Burma Road durch. Dort besteht zumindest theoretisch die Chance, ein Taxi zu ergattern, denn, egal wie weit es noch bis zum Holzschnitzermarkt sein mag, den Rest des Weges werden wir in einem Auto zurücklegen.
Nachdem wir schon unsere Schutzengel über Gebühr strapaziert haben, bedenkt uns nun auch noch der Transport-Heilige mit seiner Gunst. Nach etwa 5 Minuten des Wartens hält ein hochoffizielles Taxi neben uns, dessen Fahrer uns sicher zum Kabwata Village bringt. Die Fahrt, zu Fuß wäre es übrigens noch ganz schön weit gewesen, nutzen wir, um etwas über die Sicherheitslage auf dem Markt in Erfahrung zu bringen. Der Taxifahrer versichert uns, es wäre ein reiner Touristenmarkt, ohne Einheimischen- und sonstiges Gewimmel und damit völlig sicher.
So ist es auch. Zwar reiht sich ein Stand an den nächsten, aber bis auf die Marktleute selbst sind wenig andere Menschen zu sehen. Genüßlich ziehen wir von Stand zu Stand, begutacheten ausführlich alle Waren, erkundigen uns hier und da nach einem Preis, halten immer wieder ein Pläuschchen. Jürg interessiert sich für gebatikte Tischdecken, die auf langen Querstangen hängend ausgestellt sind. Sofort ist die zuständige Marktdame zur Stelle und präsentiert schier unermüdlich eine Decke nach der anderen. Leider sind die, die Jürg gefallen würden allesamt zu klein, die wenigen großen hingegen treffen nicht seinen Geschmack. Die Verkäuferin bedauert es sehr, dass sie nichts Passendes offerieren kann; so gerne hätte sie eines der wirklich wunderschönen Stücke verkauft.
Mit immer noch leeren Händen bummeln wir gemütlich weiter. Die meisten Stände unterscheiden sich wenig in ihrem Sortiment; ich habe bis jetzt noch nichts entdeckt, was ich unbedingt erwerben möchte. Ein bisschen hoffte ich ja auf weitere Wire-Art-Tiere, doch die scheint es hier nicht zu geben. Nach ca. 2 Stunden haben wir fast alles inspiziert, nur ein paar kleine Buden nahe des Eingangs nicht. Und genau dort werde ich endlich fündig – zwei weitere Perlen-Geckos gehen nach zähem Handeln in meinen Besitz über. Das harte Feilschen um den Preis war auch nötig, denn ich hatte nur noch 23.000 Kwacha (zu diesem Zeitpunkt ca. 4,50 Euro). Nun ist die Kohle weg, die Kunst-Reptilien liegen weich gebettet in der Perücke und ich bin glücklich. Fast jedenfalls.
Denn auf unserem Bummel hatte ich kurz vorher noch einen Stand mit wunderschönen, geflochtenen Schalen entdeckt. So etwas wäre die perfekte Präsentations-Unterlage für meine Schotensammlung. Doch ohne Moos nix los. Jürg würde mir ja bereitwillig etwas leihen, aber mir ist da eine Idee gekommen. Von einem Kunden unserer Firma bin ich zu Weihnachten mit einer Plastik-Herren-Armbanduhr beschenkt worden. Ein typisches Werbegeschenk, nicht besonders hübsch und für mich absolut nutzlos. Diese Uhr trage ich nun schon seit 6 Wochen in meinem Rucksack mit mir herum; ich hatte sie mit nach Afrika genommen, weil ich hoffte, sie dort nutz- oder freudespendend einsetzen zu können. Eine solche Gelegenheit allerdings hatte sich nie ergeben und ich hatte die Uhr schon beinahe vergessen. Doch jetzt könnte sie doch noch nützlich sein. Ich beschließe, es einfach zu versuchen. Die Schalenverkäuferin freut sich über mein Interesse und präsentiert mir ihre unterschiedlichen Modelle, eines schöner als das andere. Eine riesige Schale, fein geflochten aus Wurzelfasern mit dezentem Muster hat es mir besonders angetan. 70.000 Kwacha soll das gute Stück kosten. Ich winke ab, erkläre, ich würde das Riesenteil ohnehin nicht im Gepäck unterbringen können, heuchle Desinteresse.
Bei jedem Gegenargument geht die Verkäuferin mit dem Preis ein bisschen herunter und preist gleichzeitig die Vorteile gerade jener Schale an. Ach, wie ich das manchmal genieße! Das Handeln folgt den immer selben Ritualen und trotzdem tut man so, als wäre das alles völlig neu und müsse überdacht werden. Nach einer halben Stunde haben die Marktfrau und ich unser Ritual abgeschlossen, der Preis steht bei 20.000 Kwacha. Ich zücke meine Geldbörse, öffne sie und konfrontiere die siegessichere Kauffrau mit meinem gespielten Entsetzen: leer, kein Geld mehr! Was machen wir jetzt? „Es tut mir so leid, ich dachte, ich hätte noch 20.000 Kwacha!“. Meine wortreichen Entschuldigungen quittiert die enttäuschte Verkäuferin mit missbilligendem Zungenschnalzen und wendet sich schulterzuckend ab. Jetzt bringe ich die Uhr als „spontane“ Idee ins Spiel. Ob sie die wohl statt des Geldes akzepieren könne? Ihre leuchtenden Augen antworten, bevor ihr Mund es tut und so besiegeln wir den Deal. Sie freut sich wie ein Schnitzel über die Uhr und ich mich ebenso über die Schale, die ich schon noch irgendwie ins Gepäck quetschen werde – stabil genug ist sie ja. Kurz kommt bei mir zwar ein Fünkchen schlechten Gewissens auf, doch das strahlende Gesicht der Marktfrau lässt es mich schnell beiseite schieben. Ein schlechtes Gewissen ist sicherlich auch nicht nötig, denn die Dame hat das Gefühl, mich über den Tisch gezogen und weit über Warenwert eingenommen zu haben. Und ich habe für mich Nutzloses investiert, um einen handgemachten Gegenstand zu erwerben, der mir noch Jahrzehnte Freude machen wird. Beide Parteien sind somit glücklich – ein Deal, wie er sein sollte!
Jürg hat die ganze Aktion amüsiert und sehr geduldig beobachtet und freut sich mit mir über den Kauferfolg – er selbst hat leider nichts gefunden. Nachdem wir nun alles gesehen haben, verlassen wir den Markt. Joachim und Annette haben angeboten, uns von jedem Ort in Lusaka wieder abzuholen, wir müßten nur anrufen. Jürg und ich wollen die beiden nicht ins Stadtinnere lotsen, wo gerade der Feierabendverkehr brandet. Also beschließen wir, ein Taxi zum Arcades Shopping Complex zu nehmen, der etwas außerhalb direkt an der Great East und somit viel näher am Pioneer Camp liegt. Gesagt, getan. Unser Fahrer ist sehr aufgeschlossen, mitteilungsfreudig und politisch extrem informiert. Mehr als bereitwillig beantwortet er auf der langen Fahrt alle neugierigen Fragen Jürgs auf’s Detaillierteste und erzählt auch Dinge, die nicht unbedingt in der Zeitung stehen. Ein ganz heißes Thema in Sambia ist momentan die Krankheit des Staatsoberhauptes. Bei einem Gipfeltreffen in Kairo, am 29. Juni, kollabierte Präsident Mwanawasa, wurde nach Paris ausgeflogen und liegt seither im Koma. Ein großer Teil der sambischen Bevölkerung macht sich tiefschürfende Sorgen hinsichtlich der weiteren Zukunft des Landes, der andere Teil hofft auf positive Änderungen durch einen Machtwechsel. Es gehen Gerüchte um, Vizepräsident Banda vertusche die Wahrheit über den wirklichen Gesundheitszustand, nur um so lange wie möglich im Amt bleiben zu können: 90 Tage nach dem Tod eines Präsidenten oder der Feststellung, er könne die Regierungsfähigkeit nie mehr erlangen, sind Neuwahlen vorgeschrieben, für die schon zwei Kandidaten (Hichilema und Miyande) hufescharrend in den Startlöchern stehen.
Unser Taxifahrer gewährt und immens interessante und sehr tiefe Einblicke in die Gedanken, die Sorgen und Hoffnungen seines Volkes und die Fahrt vergeht leider viel zu schnell. Schweren Herzens verabschieden wir uns von unserem wandelnden Newspaper und steigen auf dem bewachten Parkplatz der Shopping Mall aus. Sofort umgibt uns eine völlig andere Welt. Aufgestrapstes Jungvolk lungert vor dem Kino herum, gut gekleidete Frauen eilen mit edlen Einkaufstüten zwischen den Shops hin und her, anzug-tragende Businessmen scheinen mit ihren Handys verwachsen. Apropos Handy: wir versuchen Annette und Joachim zu erreichen, aber niemand nimmt ab. So bleibt uns noch genügend Zeit, den Buchladen zu stürmen und uns mit Fachliteratur über Insektenkunde, Astronomie, afrikanische Pilze und dergleichen einzudecken. Nach weiteren erfolglosen Anrufen lassen wir uns auf der Terrasse eines Bar-Restaurants nieder, benetzen unsere staubigen Kehlen mit einem kühlen Bier und essen eine Kleinigkeit. Immer noch haben wir keinen der beiden erreicht. Mit einem vorzüglichen Snack im Bauch, räumen wir unseren Tisch für nachfolgende Restaurantbesucher und setzen uns in die Lounge-Ecke. Von hier aus hat man einen guten Überblick, wer aller aus- und eingeht. Im Laufe der nächsten zwei Stunden füllt sich das Etablissement zusehends, eifrige Angestellte rüsten offensichtlich für einen Eventabend mit Model-Contest, künstlerischen Darbietungen und Diskothek auf. Jürg und ich sind erstaunt, wie viele sehr junge, sehr wohlhabende, sehr stylishe Partygänger sich hier versammeln, für die Geld keine Rolle zu spielen scheint. Ein krasser Gegensatz zu dem, was wir die letzten 6 Wochen und heute in Lusaka erlebt haben! Als gerade riesige Lautsprecher herbeigeschleppt werden, erreichen wir endlich Annette und Joachim, die versprechen, sich sofort auf den Weg zu machen. Bevor die monströsen Boxen in Gang gesetzt werden und der Party-Abend seinen Anfang nimmt, sitzen wir schon im Auto, auf dem Weg zum Pioneer Camp und sind nicht wirklich traurig darüber.
Am Lagerfeuer, beschützt vom Camphund, genießen wir unseren letzten gemeinsamen Abend in Sambia. Die Grillen zirpen, die Bambushecke raschelt und in dieser Nacht träume ich von meiner Reisetasche, die partout nicht zugehen will…
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