Guten Morgen, liebe Sorgen… Kennt ihr das doofe Lied? Bei mir sind die Sorgen mit dem ersten Morgenlicht wie weggeblasen und ich freue mich, ziemlich gerädert, dass wir den Lochinvar verlassen. Es war interessant hier, wir haben viel gesehen, viel auch, was wir gar nicht sehen wollten oder erwartet hatten, aber ich will hier raus! Wir bauen ab und fahren den Weg zurück zum Gate. Mit einem kleinen Umweg, denn es soll hier ja doch noch ein paar Sehenswürdigkeiten geben: Die Drum Rocks, den Spezial-Baobab und die Gwisho Hot Springs. Also geben wir uns Mühe, die Sightseeing-Schlenker korrekt zu machen, aber das ist mal wieder nicht wirklich einfach. Nix ist so richtig beschildert. Trotzdem werden wir schließlich doch in allen Fällen fündig.
Der Baobab: fernab des Fahrweges und halt ein Baobab; kein kleiner aber auch kein richtig beeindruckender. Er hat einen hohlen Stamm, da kann man sich reinstellen, er hat Rinden-Gnubbel, die ein Baobab eben hat und der Himmel über den Ästen ist schön blau. Punkt. Die Drum Rocks: Ebene, Bush, Felsen. OK, ein bisschen mehr Felsen als üblich, aber eben Felsen. Nochmal Punkt. Hot Springs: grasbedeckte Tümpel, die man erst als heiße Quellen wahrnimmt, wenn man seine Finger reinhält und die verifizierende Wärme spürt. Kein Dampf, keine thermophilen Algen. Dafür aber Star-Chestnut-Bäume, die gerade spendabel ihre Früchte zu Boden werfen. Das interessiert mich viel mehr. Meine Sammelleidenschaft für afrikanische Baumschoten erwacht zuverlässig, so, wie sie das jedes Jahr tut. Die Chestnut-Schoten sind ca. 10-12 cm groß, sonnig-gelb und außen ein bisschen pelzig. Sie öffnen sich wie eine Austernschale und geben ihre Samen preis. An den gezahnten Rändern der Baum-Austern sitzen fiese kleine Borsten, die man nicht berühren sollte, denn sie sind gerade stabil genug, sich ins Fleisch zu bohren, nicht aber so groß, dass man sie wieder rausziehen könnte. Vorsichtig pinsle ich die gemeinen Dinger ab, bevor ich die Schoten in einer Tüte verstaue. Es ist die erste Tüte, die ich auf dieser Reise eröffne und ich ahne nicht, wie viele es noch werden sollten…
Wir verlassen den Lochinvar mit geringem Abschiedsschmerz. Immerhin wird jedem von uns am Gate noch ein Fragebogen ausgehändigt, den wir mit unseren Eindrücken, Zufriedenheiten, Wünschen füllen dürfen. Vielleicht fruchtet unsere Ehrlichkeit ja irgendwann mal. Wir quälen uns zurück nach Monze. Die Landschaft ist wunderschön, aber der Weg zieht sich ewig. Endlich sind wir wieder auf der Great North, die auf diesem Stück recht gut zu befahren ist. In Mazabuka, der „Süßesten Stadt“ Sambias (Zuckerrohr-Anbau) tätigen wir ein paar Bevorratungs-Einkäufe, bevor wir die Great North Richtung Lower Zambezi wieder verlassen. Die Strecke führt hinauf auf den Munali-Pass und langsam wieder runter zur Grenzstadt Chirundu. Diese Strecke durfte ich vor mehreren Jahren schon einmal gouttieren, doch diesmal ist sie ein echter straßentechnischer Leckerbissen. Wieder hatten die allgegenwärtigen Chinesen ihre Finger im Spiel, bauten diese Strecke aus. Die boomende Asiaten-Nation beutet seit Jahren ganz Afrika aus, stellt ihre Füße in wirtschaftlich verheißungsvolle Türen, macht sich breit, unentbehrlich, nimmt Projekte unerschrocken in Angriff, wozu wir Europäer und auch die Amerikaner nicht den Mumm hatten. Wir Weißen sind skrupellos, aber die „Gelben“ kennen nur sich alleine, trotz aller asiatischen Höflichkeit. Und sie sind anders, genügsamer, weniger anspruchsvoll als wir; zumindest die Arbeitenden. Jetzt sind sie im Geschäft und zwar dicke und unaufhaltsam. Und die Straßen, die sie bauen, sind vom Feinsten!
Durch dichten grünen Wald führt das Teerband hinab in die Niederungen des Sambesi Valley, die zahlreichen Haarnadelkurven sind fahrfreundlich mit Neigung ausgestattet, an allen staugefährdeten Stellen gibt es Ausweich- und Brems-Auslauf-Spuren. Viele tuckernde und schwer ziehende Lkw sind unterwegs, aber man merkt es kaum, denn man kann sie ganz gefahrlos überholen. Ein bisschen strange ist das schon!
Dann tauchen wir hinab ins Sambesital und je näher wir der Grenzstadt Chirundu kommen, desto schlechter wird die Straße. Chirundu war und ist und bleibt ein echter Schock. Nach all den Wäldern, Pässen, dem Grün, der bezaubernden Landschaft: staubiges Nadelöhr nach Zimbabwe, überall stauen sich marode Transporter, Ölpfützen versickern auf der ungeteerten Hauptstraße, es raucht und stinkt und staubt. Ein Tieflader blockiert unsere Abzweigung Richtung Lower Zambezi. Er kann nicht vor, nicht zurück. Nachdem das klar ist, bugsiert Jürg unseren Wagen vorsichtig durch einen tiefen Graben, vorbei am Hindernis. Chirundu „City“ dröselt sich auf in Randbezirke, die kein Ende zu nehmen scheinen. Kleine Häuschen sitzen rechts und links der stark befahrenen und immens staubigen Straße. Kraushaarige Frauen mit Kindern auf ihren Rücken gehen am Rande dieser Staubstraße entlang. Jedesmal wenn ein Auto kommt, und es kommen viele, bedecken sie ihr Haar mit einem Tuch, atmen aber den dicken Staub ein, wie es auch ihre Kinder tun müssen.
Nach endlosen Kilometern nehmen die Ansiedlungen ein Ende, die Menschen werden weniger, die Straße staubt weiter. Und dann, am späten Nachmittag, erreichen wir die Zambezi Breezer Lodge, direkt am Ufer des gleichnamigen Stromes. Ca. 8 km nach Chirundu geht es rechts weg und wir sind da. Die Lodge liegt direkt an der Uferkante und ist beliebtes Ziel für Durchgangspublikum wie uns, aber auch für Angel- und Bootsfreaks sowie familiär urlaubende Südafrikaner und Sambier. Es gibt keine fest markierten Sites und wir dürfen uns einen Platz aussuchen. Nahe des Waschhauses entleeren sich gerade mehrere hochglanzpolierte 4x4s, die vermummte Damen, hüpfende Kinder, ein paar devote Bedienstete und einen stark behaarten Herrn ausspucken. All diese Personen gehen zielstrebig auf den Platz zu, den wir auch ganz gerne gehabt hätten. Der freundliche Rezeptionist versichert uns, die Herrschaften würden nur einen Sundowner am Fluss genießen wollen und bald wieder abhauen, doch wir suchen uns lieber einen anderen Standort.
Weit weg von Ablution Block, direkt am Ufer des Sambesi, inmitten von eifrig spuckenden Rasensprinklern finden wir ein hügeliges Plätzchen, auf dem wir uns niederlassen. Trocken auf den Hügeln thronend, begleitet von Quaken der Frösche und dem lauten Schnorcheln der Hippos, vermissen nichts außer einer benachbarten Wasserstelle zum Weichkochen unseres bevorzugten Abendmahls. Warum zum nächsten Wasserhahn gehen, der sich beim Waschhaus befindet, denkt Jürg und steuert zielstrebig auf den Sprinkler zu. Wie ein Derwisch tanzend versucht er, den zu füllenden Topf in der Hand, dem Strahl zu folgen und wird recht nass dabei. Gemeinsam bändigen wir den drehenden Spucker und unsere Nudeln können auf den Herd. Ach, wie ist das schön! Es plätschert, es grunzt, es raschelt, es schmatzt und mampft um uns herum, wie die letzten beiden Nächte auch. Aber diesmal ist die Geräuschkulisse wieder beruhigend, schön und einschläfernd, weil wir uns in dieser Nacht wohl und sicher fühlen.
Mich lassen Geräusche der Natur selten vor Schreck erstarren, vielmehr sind es die der heimlichen Menschen, die ich gerade im Lochinvar um uns vermutet, zu hören geglaubt hatte. Auch in der heutigen Nacht ist die Natur geräuschvoll, sind Menschen um uns herum, doch nichts beunruhigt mich, in keinster Weise; ich lausche genussvoll den Hippos und den leise im Wind raschelnden Blättern, den Stimmen der Menschen, die noch um die Braaistellen sitzen. Bin halt doch irgendwie ein Weichei, denke ich mir beim Einschlafen; vielleicht aber ist es auch ganz gut, wenn ich weiter meinem Bauchgefühl vertraue, das mich noch nie wirklich verlassen hat. Mein Bauch sagt im Moment nix Negatives, er verdaut nur leise grummelnd das Abendessen, mein Herzschlag untermalt jedes zweite „Pfftuff“ des nahen Rasensprinklers mit einem beruhigenden „Bumm“ und ich schlafe einem neuen Tag entgegen, am Ufer des Sambesi, auf grünem Rasen.
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