Der neue Tag ist da und begrüßt uns mit dem Ausblick auf eine taubenetzte Pan, auf der sich bereits einige Tiere tummeln. Im ersten Morgenlicht steigen wir ungefrühstückt in die Autos, alle bis auf Patricia, und zockeln genüßlich um die erwachende Pfanne. Zwei Löffelhunde tollen übermütig spielend über den Pfannengrund; sie sind zwar relativ weit weg, aber wir holen uns ihre puschligen Schwänze, die riesigen Ohren und ihr ausgelassenes Treiben einfach mit den Ferngläsern näher. Ein paar Kuhantilopen galoppieren an uns vorüber, ihre strammen Muskeln bewegen sich eindrucksvoll unter glänzendem Fell – und als wir kurz darauf auch noch auf eine Erdmännchen-Familie stoßen, weiß ich, dass ein Morgen perfekter nicht sein könnte. Ich liebe diese kleinen Schleichkatzen und auch Heinz ist ihrer Putzigkeit mit Haut und Haaren verfallen. Ganz weit oben standen sie auf seiner „Will-ich-sehen-Liste“ – und hier sind sie! Es wird eifrig gebuddelt, possierlich Männchen gemacht und die Bäuchlein in die wärmende Sonne gereckt. Und immer haben sie uns im wachsamen Blick ihrer schwarzen Knopfaugen. Ganz geheuer sind wir der Banditen-Truppe auf Dauer offenbar nicht, denn scheinbar angelegentlich umrunden sie großräumig unsere Autos und verschwinden nach einer Weile im Gestrüpp. Ein noch recht junges Erdmännchen hat vor lauter Buddelei die Welt um sich herum völlig vergessen und verpaßt den Abmarsch der Familie. Ein heller Quiekser ruft den Zurückgebliebenen, der sich wie ein Pfeil aufrichtet, das Köpfchen orientierungssuchend herumwirft, uns kurz beschimpft und dann flinken Fußes seinen Artgenossen hinterhereilt.
Fressen könnt’ ich sie, die süßen Viecher, aber das mag im Moment auch mit daran liegen, dass ich einfach Hunger habe. Den anderen ergeht es ähnlich und so kehren wir zum Frühstücken auf die Campsite zurück. Nach dem Morgenmahl folgen die üblichen Abbrucharbeiten, bei denen uns das sonore „Kawagga-wagga“ eines Gelbschnabeltokos förmlich anfeuert. Schneller geht es deswegen nicht, eher im Gegenteil, das aber liegt nicht am Toko, sondern an den vielen Tausendfüßern, die geschäftig im feuchten Sand umherkrabbeln. Ein paar liebende Millipeden-Pärchen sind auch darunter, die kopulierenderweise quirlige Knäuel bilden. Heinz entdeckt zudem noch ein spinnenartiges Tierchen; ca. 5 Millimeter ist es nur groß, leuchtend rot und ziemlich pelzig – eine Rote Samtmilbe (Trombidium sp.; Red Velvet Mite), typische Begleiterin der Regenzeit. Wir beobachten sie bei ihrer Morgentoilette und es ist sehr unterhaltsam zu sehen, zu welch geschickten Verrenkungen sie fähig ist, um auch noch das letzte feuchte Sandkorn aus ihrem roten Plüsch zu entfernen. Zufrieden mit dem Säuberungs-Ergebnis, wuselt die Milbe schließlich ausgehfein davon.
Wir finalisieren unseren Lagerabbau und machen uns kurz darauf ebenfalls aus dem Staub. Heute steht etwas ganz Besonderes auf dem Tagesprogramm, nämlich die erste Etappe des Wilderness Trails, der uns auf sandigen 148 Gesamtkilometern quer durch den KTP führen wird. Man muss den Trail lange vorab buchen, darf ihn nur mit mindestens zwei Autos und lediglich in eine vorgegebene Richtung befahren. Dafür aber hat man (eigentlich) die Garantie auf zwei Tage absoluter Einsamkeit – die Buchung sichert uns die Exklusivrechte für die Dauer des Trails. Zumindest die Absenz anderer Touristen ist angeblich garantiert; das mit der absoluten Einsamkeit ist offenbar Interpretationssache, wie wir am Abend noch sehen werden. Zunächst aber ist alles wunderbar, ein vor uns fahrendes Touristen-Auto kurvt an der Abzweigung zum Wilderness Trail brav auf der Public Road weiter und bald erreichen wir das Schild, das den Beginn der Wilderness-Strecke markiert. Dort halten wir an, um den denkwürdigen Moment gebührend genießen zu können.
Ich stakse gerade neugierigen Blicks durch die umgebende Botanik, als Patricia mir folgt und mich kurz beiseite nimmt. Sie hätte sich gestern heftig mit Annette gestritten, so eröffnet sie mir und es sei ihr ein Bedürfnis, mich darüber zu informieren. Der Fairness halber möchte sie, dass ich über die erbitterte Auseinandersetzung Bescheid weiß, um die in der Luft liegenden Spannungen richtig einordnen zu können. Mein Gefühl hat mich also leider nicht getrogen, obwohl mir das offen gestanden lieber gewesen wäre. Ich danke Patricia für ihre Ehrlichkeit, die ihr sicher nicht leicht gefallen ist. Es tut mir unendlich leid, dass es so weit kommen musste, dass die Fronten derart verhärtet sind und ganz besonders, dass dieser Streit, so wird mir jetzt erst richtig klar, nur die Spitze des Eisbergs schon länger dauernder Unstimmigkeiten ist. Auch wenn Heinz und ich nicht in den Streit involviert waren, so sind wir dennoch betroffen von der recht angespannten Gesamtsituation – wie alle anderen eben auch, die einen mehr, die anderen weniger. Trotzdem und wider die Vernunft hoffe ich inständig, dass wir alle die letzten Tage unserer Tour doch noch genießen können.
Etwas bedrückt klettere ich wieder ins Auto und versuche, auf den nächsten Kilometern meinen Kopf wieder frei zu bekommen – die Kalahari erweist sich dabei als extrem hilfreich dabei. Die Landschaft ist so üppig, so weit, so abwechslungsreich, dass es schier unmöglich ist, sich ihrem Zauber länger als ein paar Minuten zu verschließen. Trotz oder gerade wegen der reichen Vegetation sehen wir keine größeren Tiere, nicht mal eine „lumpige“ Impala will sich zeigen. Dafür aber haben gerade unzählige Stachelagamen (Agama aculeata; Ground Agama) amouröse Hochsaison und präsentieren sich uns in den schönsten Farben. Ein besonders buntes Exemplar mit orangem Bauch und in allen Blau- und Türkistönen leuchtendem Kopf posiert wie hingemalt auf einem toten Ast, direkt neben der Fahrspur. Was für ein Bild! Während wir eifrig fotografieren, tönt lautes Zikaden-Schrillen aus einem Busch auf der anderen Seite des Autos. Lange brauchen wir, bis die Tonquelle entdeckt ist – einsam sitzt die Zikade da im Geäst und schrillt aus Leibeskräften. Endlich kann ich mal ganz aus der Nähe sehen, wie sie diesen Ton produzieren, so hoffe ich und starre das Insekt angestrengt an. Es ist keine Oxypleura, wie sie uns bisher akustisch beglückt hatten, sondern eine Platypleura-Spezies; nicht ganz so gedrungen im Körperbau, ihre Flügel sind undurchsichtig, mit hellbraunem Grund, dunkelbrauner Äderung und cremeweißen Flecken. Obwohl sie deutlich anders aussieht und auch etwas kleiner ist, als die Oxypleura-Exemplare, so ist es dennoch unverkennbar eine Zikade, die natürlich keinen Mucks mehr von sich gibt, als ich ihr näher auf die Pelle rücke. Doch ich verharre still und bereitwillig fängt sie nach ein paar Minuten wieder an zu schrillen. Das gibt es nicht: mein Trommelfell ist kurz vorm Zerreißen, aber ich kann nichts sehen. Scheinbar unbewegt sitzt das Insekt auf seinem Ast und tönt. Ungläubig nehme ich meine Kurzsichtigkeits-Brille ab – das eliminiert deren Verkleinerungsfaktor – und rücke der Zikade noch näher. Jetzt, da sich meine Augen knapp 10 Zentimeter vor dem Tier befinden, nehme ich ein leichtes Vibrieren wahr, mehr nicht. So viel zum Thema Aufwand und Wirkung, wundere ich mich – und nicht nur darüber, auch über mich Insektophobe, die ich offenbar immer mehr zur Hobby-Entomologin mutiere…
Wir setzen unseren großwildfreien Weg durch die sanfte Dünenlandschaft fort und schon nach ein paar weiteren Aufs und Abs halten wir erneut. Heinz’ vor Begeisterung glänzende Augen haben die ersten Gemeinschaftsnester der geselligen Siedelweber (Philetairus socius; Sociable Weaver) entdeckt; nun gibt es kein Halten mehr für ihn. Mit in den Nacken gelegtem Kopf bleibt er unter einem dieser Konstruktions-Wunder stehen und kriegt sich gar nicht mehr ein. Schon immer wollte er so etwas sehen – in freier Wildbahn und voller Größe. Der Umfang, aber auch die ausgeklügelte Bauart dieser Riesennester ist wirklich faszinierend. Halm um Halm wird von den kleinen Vögeln in einen geeigneten Baum getragen, verknüpft, verwebt, ineinander gesteckt, bis schließlich, in jahrelanger Arbeit, eine stabile Wohnsiedlung für unzählige Brutpaare entsteht, die auch gerne mal von Untermietern wie dem Zwergfalken genutzt wird. Weitestgehend geschützt vor Eierräubern und Regenfällen, befinden sich die Wohnungs-Zugänge alle auf der Unterseite des Nestes. Unter einem dieser Eingangs-Konglomerate steht Heinz jetzt und beobachtet alles so lange mit Argusaugen, bis sich auch die Siedelweber wieder herantrauen. Sie sehen ein bisschen so aus wie unsere Sperlinge, unscheinbar und graubraun – umso bemerkenswerter ist ihr Kolonieverhalten und auch, welche Riesenbauten diese kleinen Vögelchen zu errichten imstande sind. Oft genug kommt es vor, dass die Nester irgendwann die Tragkraft des Träger-Baumes überschreiten und dicke Äste unter dem Gewicht abbrechen oder gar der ganze Baum umstürzt. Herabgefallene Zeugnisse solcher Überbelastung bekommen wir auf unserem weiteren Weg nun oft genug zu sehen.
Was uns auch ins Auge sticht, sind auffällig große, strotzend-grüne Bäume mit hellen, fast weißen Stämmen, die sich wie Farbtupfer hochbeinig über das goldgelbe Gras erheben. Es sind Schäferbäume (Boscia albitrunca; Shepherd’s Tree), die durch ihre Höhe und dichte Belaubung eine wichtige Rolle als Schattenspender in der gleißenden Sonne der Kalahari spielen. Alle Teile der Boscien sind natürlich, wie fast nicht anders zu erwarten, von medizinischem oder ernährungstechnischem Nutzen. Zudem wird den Bäumen eine gewisse Schutzwirkung vor allem Unbill insektuöser und meteorologischer Art nachgesagt. Ganz nach dem Motto: Eichen sollst du weichen, Boscien sollst du suchen und plagen dich die Fliegen, musst’ nur unter einer liegen… Naja, so ähnlich jedenfalls. Seltsamerweise ist der Boden unter manchem dieser markanten Bäume mit einem dicken Polster herabgefallener, grüner Blätter bedeckt. Das Warum erschließt sich uns im Moment nicht so ganz, aber die Lösung dieses Rätsels muss warten, denn etwas anderes weckt gerade unser Interesse. Der Sand vor uns ist extrem zerwühlt, gerade so, als wäre eine riesige Rinderherde quer über den Weg gelaufen. Zirka einen Kilometer breit ist diese Spur massiven Getrampels, allein die Ursache können wir nicht ausmachen. Ebenso plötzlich, wie sie angefangen hat, endet diese Schneise der Bodenverwüstung auch wieder; ein paar vereinzelte, deutlichere Spuren an deren Rand aber zeigen uns, dass es unzählige, sehr große Paarhufer gewesen sein müssen. So also wenden wir, tasten uns vorsichtig Meter um Meter zurück, bleiben mit abgeschalteten Motoren stehen, bis wir mit einem unglaublichen Geschenk belohnt werden. Eine Herde von Elenantilopen (Taurotragus oryx; Eland), mehrere hundert(!) Tiere stark, fühlte sich von uns offenbar in ihrem Zug gestört. Die Wahnsinnsflut der großen Antilopen wurde von unserer lärmenden Präsenz in zwei Teile geschnitten und nun stehen auf beiden Seiten des Wegs, in gebührlichem Abstand, unzählige dieser champagnerfarbenen Tiere und starren uns misstrauisch an. Immer mehr Köpfe tauchen aus dem Gebüsch auf, vorsichtig, scheu, abwartend. Die Größe der Herde ist unfassbar, noch nie zuvor haben wir so etwas gesehen! Lange warten wir ab, doch die mächtigen Tiere trauen sich nicht vor, nicht zurück. So also treten wir den Rückzug an und hoffen, sie vielleicht nochmal auf unserer Übernachtungs-Pfanne, die schon ganz nahe ist, zu Gesicht zu bekommen.
Wenig später, 44 Kilometer nach der Khiding Pan, erreichen wir frühnachmittags die Campsite an der Mosomane Pan. Der große schattige Platz am Rande der weiten Pfanne bietet eine hervorragende Aussicht und mehr als genügend Raum, unsere Stoffhütten aufzubauen. Jede Partei greift sich ihre Zeltrolle und sucht sich einen Platz, so weit entfernt von den anderen, wie nur irgend möglich. Das haben wir eigentlich jeden Abend so gemacht, sofern das Gelände es zuließ, aber heute ist der Vereinzelungsdrang besonders augenfällig.
Heinz und ich wandern ein Stück bergab und erwählen den Schatten einer noch recht niedrigen Boscia als unser heutiges Nachtlager – ein bisschen Schutz kann ja nicht schaden… Nach dem Zeltaufbau finden wir uns alle, etwas zögerlich, im Schatten der beiden zentralen Riesenbäume der Site zusammen – es wird wenig geredet, die Stimmung ist krampfhaft bemüht, etwas gequält. Daran ändern auch die Zebras, Warzenschweine und Spießböcke wenig, die sich im milder werdenden Nachmittagslicht am Pfannengrund sammeln. Gegen 16 Uhr, das Licht ist wunderschön, blasen wir zum Evening Drive, doch Jürg, Sven und Patricia ziehen es vor, auf der Campsite zu bleiben. So also fahren wir nur zu fünft und, da die Elands nicht in der Pfanne erschienen sind, führt uns der erste Weg hinauf auf den Pfannenrand. Da stehen sie noch immer und beäugen uns misstrauisch. Um sie nicht weiter zu stören, wenden wir die Wagen und umrunden die Pan. An der Scheuheit auch der übrigen Tiere merkt man ganz deutlich, wie wenig besucht dieses Fleckchen Erde ist; es ist toll, dass es so etwas noch gibt.
Plötzlich entdeckt Heinz etwas, was nicht davonlaufen kann und uns wahrscheinlich trotzdem nie und nimmer aufgefallen wäre: ein gästehandtuchgroßes, kaktusartiges, recht unscheinbares sukkulentes Büschel bestachelter grüner Würste. „Stopp!“, schreit er, „da ist eine Aasblume!“ Natürlich halten wir sofort, um die Pflanze gründlich in Augenschein zu nehmen. „Eine Tridentea“, jauchzt Heinz begeistert, „und Blütenknospen hat sie auch schon!“ Liebevoll streicht er mit der Hand über die Pflanze und wir lauschen seinen hochinteressanten Ausführungen über die übelriechende Fortpflanzungsstrategie und Genügsamkeit dieses Hundsgiftgewächses. Leider sind die Blüten noch geschlossen, aber wir markieren die Stelle auf dem Weg, vielleicht sind sie ja morgen früh aufgeblüht.
Auf der Rückfahrt zur Campsite drücke ich Heinz ganz fest – ich bin so glücklich, dass es immer wieder etwas zu sehen gibt, was seine Augen zum Glänzen bringt und so stolz. Stolz, dass er, der absolute Afrika-Neuling, der solche Bedenken ob seiner Unerfahrenheit hatte, die Gruppe mit derart viel Detailwissen bereichern kann. Wir alle zusammen sind ein Dream-Team des Wissens, des Interessen, der unterschiedlichen Fähigkeiten – wir könnten es zumindest sein…
Als bereits die letzten Sonnenstrahlen über den Rand der Mosomane Pan lugen, kehren wir ins Lager zurück, wo wir uns zu einem Sundowner-Bier zum Sonnenuntergang versammeln, der allerdings ebenso flau ist, wie die Gesamtstimmung unserer Truppe. Es wird dunkel, das Lagerfeuer prasselt und irgendjemand lacht uns aus. Irgendjemand? Viele, unzählige Wesen keckern ihr hämisches „Hehehehe“ in unsere Ohren! Die Geräusche kommen vom Boden. Heinz und Jochen bewaffnen sich mit Taschenlampen und gehen auf die Suche nach den Witzbolden. „Hehehehe!“ schallt es allenthalben, doch die Lichtkegel zeigen nur Sand. „Hehehehe!“ Was ist das? Wir decken den Tisch, die zwei Männer suchen noch immer nach den lachenden Tieren, als plötzlich Scheinwerferlicht den dunklen Himmel am Pfannenrand hinter uns zerschneidet. Mit hohem Tempo biegt ein Pick-Up um die Kurve, rast an uns vorbei und hält hundert Meter neben unserer Campsite. Zwei Frauen und ein Mann, so können wir hören, werden abgesetzt, der Pick-Up rast weiter, seine Lichter verschwinden in der Finsternis am anderen Ende der Pfanne. Die ausgeladenen Personen, lärmen, springen geschäftig umher und entfachen ein großes Feuer direkt unter einem Baum. Wilderness Trail? Garantierte Einsamkeit? Wer, zum Teufel, ist das? Wir sind mehr als irritiert, eher richtig beunruhigt. Eigentlich spricht einiges dafür, dass es sich um Parkpersonal handelt: die Khakifarbe ihrer Kleidung und des Pick-Ups, ihr ungeniertes Verhalten – und sie haben Waffen dabei! Noch mehr aber spricht dagegen: wir konnten am Wagen kein Ranger-Schild entdecken, auch jetzt nicht an ihren Klamotten, sie haben nicht gegrüßt, würdigen uns keines Blickes – und sie haben Waffen dabei.
Sollten es wirklich Wilderer sein, dann haben wir jetzt ein Problem. Doch wie dumm und auch wie dreist wären diese, sich direkt neben uns niederzulassen. Wir diskutieren die Situation, erwägen, was zu tun ist. Die Meinungen sind sehr unterschiedlich, der Grad der Besorgnis variiert in ganzer Bandbreite zwischen „Mein letztes Stündlein hat hiermit geschlagen“ und „Ach, habt euch doch nicht so“. Nur in einem Punkt sind wir uns alle einig: wir wollen diese Nacht nicht neben Menschen verbringen, ohne zu wissen, wer sie sind. So also greifen sich unsere Männer ihre Taschenlampen, um den Stier bei den Hörnern zu packen: in geschlossener Reihe marschieren sie zu unseren Nachbarn hinüber. Eine kurze Unterhaltung später kommen sie zurück, mit guten Nachrichten. Es ist tatsächlich Parkpersonal, allerdings „nur“ die Putz-Kolonne, was die fehlenden Ranger-Abzeichen erklärt und ein Stück weit vielleicht auch den mangelnden Anstand. Hätte die Truppe im Vorbeifahren gegrüßt oder sich gar kurz vorgestellt, unsere Besorgnis wäre gar nicht erst aufgekommen. Aber egal, jetzt wissen wir ja, dass die Herrschaften harmlos sind und können endlich beruhigt unser Dinner einnehmen.
Noch immer werden wir heftig ausgelacht, doch auch eine abermalige Suche nach den Hämischen zeitigt kein Ergebnis. Ein weiteres Rätsel, das seiner Lösung harrt – aber nicht mehr heute… Wir alle sind müde und recht früh zerstreut sich unsere Runde. Heinz und ich dackeln hinunter zu unserem Zelt, das sich optisch arg verändert hat, wie auch der Schäferbaum, unter dem es steht. Das ehemals dichte Laub ist zur Hälfte verschwunden und bedeckt nun in grünen Bröseln unsere Behausung. Der Strahl der Taschenlampe entlarvt die Täter: es sind unzählige Raupen, die sich an den Blättern gütlich tun und die Schutzwirkung des Baumes vor Insekten recht offensichtlich Lügen strafen. Amüsiert klopfen wir den Raupenkot von der Zeltwand, kuscheln uns in die Schlafsäcke und lassen uns von den unbekannten Witzbolden in den Schlaf lachen. Immerhin, ein Rätsel ist gelöst: wir wissen jetzt, woher der grüne Teppich unter einigen der Boscien stammte und das mit dem Gelächter kriegen wir auch noch raus…
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