Heute, wir haben mit geschlossenen Fensterläden geschlafen, weckt uns kein Vari im Zimmer, sondern nur der Lärm der Palmarium-Lemuren, die bereits frühmorgens übers Dach und die Terrasse turnen. Wir rappeln uns aus dem Bett und verköstigen dann erst mal unsere tierischen Gäste, die schon sehnsüchtig auf ihre Bananen warten, bevor wir uns selbst zum Frühstück begeben.
Fitah und Aina sitzen bereits am Tisch und schauen ganz bekümmert. „Barbara, wie geht es deinem Finger? Wir haben euch gestern den ganzen Tag nicht gesehen, auch abends nicht und haben uns Sorgen gemacht. Bist du okay?“ Ich beruhige die beiden und sie staunen nicht schlecht, als wir ihnen von unserem Ausflug nach Aye-Aye Island erzählen. „Das haben wir ja gar nicht mitbekommen!“ Tja, wen wundert’s?!
Fitah will sich umsehen – Olivier kommt ins Spiel
„Meinem Finger geht es soweit gut, ich muss ihn nur noch ein bisschen schonen, bin aber wieder einsatzbereit. Und wo wart ihr gestern? Wir konnten euch nicht finden.“ Die beiden sehen etwas schuldbewusst drein, lenken dann aber rasch ab. „Wollen wir uns nach dem Frühstück ein wenig umsehen?“ Damit sind wir natürlich einverstanden und so machen wir uns eine halbe Stunde später gemeinsam auf den Weg in den resorteigenen Sukkulentengarten, wo Fitah etwas unschlüssig stehenbleibt. Er sieht sich suchend um und weiß sichtlich nicht so ganz genau, was wir hier anfangen sollen.
Heinz und ich wollen gerade ein wenig durch die Anlage streifen und uns die verschiedenen Pachypodien, Aloen und Euphorbien ansehen, die hier in kargen Trockenbeeten gedeihen, als Fitah offenbar ein rettender Gedanke kommt. Er ruft uns zu einem sparrigen Busch und präsentiert uns ein Chamäleon. „Wartet hier, ich zeige euch gleich etwas.“ Er saust durch den Garten und kommt kurz darauf wieder zurück. „Macht eure Kameras bereit, ich füttere jetzt das Chamäleon.“ Er nimmt eine Heuschrecke aus seiner hohlen Hand und setzt sie dem Reptil in etwa zwanzig Zentimetern Entfernung vor die Nase. Das Chamäleon erspäht den Hüpfer, fokussiert ihn, fährt blitzschnell seine Zunge aus, das Insekt bleibt daran kleben, die Zunge schnellt wieder zurück und das Chamäleon knuspert und schmatzt zufrieden. Das alles ging in solch einer abartigen Geschwindigkeit vor sich, dass die Sporteinstellung der Kamera nicht in allen Einzelheiten mitgekommen ist – geschweige denn unsere Augen. Fitah wiederholt das Experiment deshalb noch ein paar Mal, aber das Ergebnis ist immer das selbe – die Kamera und unsere Augen sind zu langsam. Schade! Doch bevor das Chamäleon noch wegen Überfütterung platzt, beenden wir jetzt unsere Versuche, freuen uns, dass das Reptil ein paar Leckerbissen in den Magen bekommen hat und dass wir daran optisch teilhaben durften. Dann schlendern wir weiter.
Ein von einer niedrigen Mauer umfriedetes Areal tut sich nun vor uns auf und dort leben einige Strahlenschildkröten, eine auf Madagaskar endemische Art. Mhm, ich habe ja keine Ahnung, wie anspruchsvoll so eine Schildkröte ist, aber dieses, wenn auch großzügige Betongefängnis ist nicht so ganz meine Sache. Die Reptilien können sich zwar frei auf einer relativ großen Fläche bewegen, aber das Ganze sieht recht trist und staubig aus. Und ob sie es gut finden, sich permanent beim Rundgang entlang der Mauer zu begegnen, wage ich auch zu bezweifeln. Außerdem, was tun WIR eigentlich hier? Wir wollten uns doch umsehen, wie Fitah sagte? Für einen gemütlichen Bummel im Resortgarten jedoch brauchen wir keine Begleitung in Form eines Guides und eines Fahrers. Ich will Fitah gerade fragen, was es mit diesem „Umsehen“ nun auf sich hat, als ein Mann zu uns stößt, der uns angelegentlich grüßt und dann beginnt, mit Fitah zu plaudern. Wir sind nahe dran, zurück zu unserem Bungalow zu gehen – einem Einheimischen-Pläuschchen müssen wir jetzt nicht unbedingt beiwohnen -, als der Typ sich in Bewegung setzt und uns bedeutet, ihm zu folgen.
Olivier hat wenig Ambitionen
Wir verlassen den resorteigenen Zoo, mäandern zwischen einigen Komposthaufen hindurch – auf denen übrigens ein paar wenige, aber recht pittoreske Stinkmorcheln mit sehr kleidsamen Netzröckchen, dem sogenannten Indusium gedeihen -, und durchqueren langsam das Bedienstetenquartier. Was soll das jetzt wieder? Ich hake nach. „Fitah, ist das ein Zufallstreffen, besichtigen wir das Angestelltendorf oder was machen wir hier?“ „Ach so, ja, das ist unser Guide, der zeigt uns jetzt, was es im Reservat alles zu sehen gibt.“ Ach, unser Guide?! Das hätte man ja auch mal sagen oder uns den Knaben vorstellen können. „Das ist übrigens Olivier, der beste Guide vor Ort.“ So, so, gut zu wissen! Wir sind ob des Auftretens Oliviers nämlich etwas irritiert. Er kommt ziemlich desinteressiert und unorganisiert rüber und ich hatte wirklich gedacht, er sei zufällig zu uns gestoßen und wir Doofies, also Heinz und ich, wären ihm gefolgt, obwohl seine Aufforderung doch eigentlich Fitah und Aina gegolten hatte. So kann man sich irren… Aber okay, dann schauen wir halt mal, was „der beste Guide vor Ort“ so zu bieten hat.
Langsam steuern wir aus dem Bedienstetendörfchen hinaus, befinden uns kurz darauf auf dem Weg zu unserem Bungalow und biegen dann in den Wald ab. Olivier wirkt nun etwas munterer, ist aber immer noch sehr verhalten. Er deutet auf den einen oder anderen Baum, auf diese und jene Pflanze und murmelt irgendetwas in seinen nicht vorhandenen Bart. Fitah versucht so gut wie möglich zu „übersetzen“, hat aber ebenfalls seine liebe Not, den Knaben zu verstehen. Deshalb bemühen wir uns immer wieder, Olivier direkt anzusprechen und uns mit ihm zu unterhalten, doch er wirkt seltsam sperrig und abweisend, gerade so, als würde er ein Programm abspulen, das er in- und auswendig kennt, auf das er aber heute absolut keinen Bock hat. Erst, als wir mitten im Wald stehen und er Indris singen hört, taut er plötzlich auf, wird ein anderer Mensch. Seine schluffige Körperhaltung strafft sich, er strotzt mit einem Male vor Elan und versucht mit wahrer Begeisterung die Indris aufzuspüren. Wir sind ziemlich verdutzt, freuen uns aber, endlich jemanden vor uns zu haben, der offenbar doch allmählich seinem Ruf gerecht wird, ein guter Guide zu sein. Und tatsächlich: Nachdem wir einige Zeit kreuz und quer durch den Wald gestreift sind und dabei von Olivier auf diverse Tiere und Pflanzen hingewiesen wurden, stoßen wir plötzlich auf die Indri-Familie, die wir bereits die ganze Zeit hören konnten.
Kurzfristiges Erwachen aus der Bocklos-Starre – bei den Indris
Ein paar Brauner Lemuren und Kronenmakis, die uns schon seit geraumer Zeit durch den Wald folgen – und sich dabei, in Erwartung einer Banane, auch mal auf unseren Schultern niedergelassen hatten – ziehen sich respektvoll zurück und wir sind allein mit den Indris. Zwei der Tiere klammern sich direkt neben dem Weg und in Kopfhöhe an je einen Baum und sehen uns völlig ohne Scheu mit unfassbar erstaunten Kulleraugen an. Wir bleiben in einiger Entfernung stehen und bestaunen die zutraulichen Fellknäuel. „Geht ruhig näher!“, fordert uns Olivier auf. „Die sind ganz brav und an Leute gewöhnt. Man kann sie sogar streicheln.“ Streicheln? Wir sind sprachlos. Einerseits vor Ungläubigkeit, denn das sind doch wilde Tiere und da ist Streicheln absolut tabu, andererseits aber auch vor Entzücken, denn so einen knuffigen Lemuren mal anzufassen, ist natürlich, trotz aller Ressentiments, ein heimlicher Traum.
Ich hadere mit mir, aber nachdem ich mir in Erinnerung gerufen habe, wo ich hier bin (nämlich in einer Art Halbzoo), gewinnt die Sehnsucht, den Waldwesen näher zu kommen. Vorsichtig rücke ich also dem weiblichen Indri auf den Pelz und stehe der flauschigen Lady schließlich Aug in Aug gegenüber – keine zwanzig Zentimeter trennen unsere Gesichter! Beruhigend rede ich auf sie ein und beobachte ihre Reaktionen. Doch mein besänftigendes Gesäusel scheint völlig unnötig, denn die Dame ist die Ruhe selbst. Mit riesigen grünen Augen betrachtet sie mich eingehend, löst dann eine Hand vom Baum und berührt meine Schulter. Ist das zu glauben? Ich bin fast starr vor Entzücken, nutze dann aber die Gelegenheit und lege meine Hand behutsam auf die ihre. Hach, wie kühl sie ist und wie eigenartig sie sich anfühlt, wie Gummi oder Latex. Frau Indri zuckt indes mit keiner Wimper, stützt sich auf meine Schulter und rückt sich am Baum zurecht. Ist das jetzt eine Aufforderung? Ganz langsam löse ich meine Hand von der ihren, lasse sie daran riechen und versenke dann sachte meine Finger in ihrem Fell, immer in dem Bewusstsein, damit eventuell die Unversehrtheit eines zweiten Fingers zu riskieren. Doch nichts dergleichen passiert, im Gegenteil. Die Indri-Dame scheint die Streicheleinheiten regelrecht zu genießen, rekelt und windet sich wohlig unter meinen Fingern und ist so entspannt, dass ich schließlich zu beidhändigem Streicheln übergehe, so weit das mein demolierter Finger eben zulässt.
Zuerst ist es nur ein sanftes Kraulen, dann aber knete ich sie regelrecht durch. Seitlich am Bäuchlein, entlang der Wirbelsäule und am Hinterkopf. Und sie genießt es! Wenn sie schnurren könnte, glaube ich, würde sie es tun – und ich auch. Nach einer Weile, wir beide sind völlig versunken in den Wonnen des Geknuddels, klettert auch der Indri-Mann neugierig auf den Baum des Streichel-Geschehens. Die Körperspannung seiner Frau verändert sich sofort merklich und ich ziehe deshalb vorsichtshalber meine Finger aus ihrem Fell. Willst du jetzt auch gestreichelt werden oder was ist los? Nein, Herr Indri macht keine Anstalten, an der Plüschorgie teilnehmen zu wollen. Er hängt einfach nur über seiner Frau im Baum und blickt sich aufmerksam um. Plötzlich spitzt Olivier die Lippen und lässt einen täuschend echten Indri-Gesang erschallen. Die beiden Lemuren reagieren zuerst erstaunlicherweise nicht, dann aber, Olivier lässt nicht locker, spitzen auch sie die Lippen und singen los. Oh, mein Gott, ist das ohrenbetäubend laut! Ein völlig abgefahrenes Erlebnis, diese Gänsehaut erzeugenden Töne aus unmittelbarer Nähe hören zu dürfen und die Gesichter der Lemuren dabei beobachten zu können! Sie öffnen den Mund zu einem querliegenden, ovalen „O“, stülpen die Lippen, die wie mit Lippenstift bemalt aussehen, leicht nach außen und geben dabei Geräusche von sich, die sich mit Worten kaum beschreiben lassen. Am ehesten ist es wohl mit Walgesängen zu vergleichen, doch es ist viel höher, lauter, klarer, schneller und intensiver – einfach unbeschreiblich.
Vielfalt am See
Wir sind fasziniert und total geplättet von dem, was wir da eben erleben durften und schweben noch in völlig anderen Sphären, als Olivier uns auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Er hat, so macht es den Anschein, mit den Indris den Höhepunkt seines Führungsprogramms hinter sich gebracht, und fällt sofort in seine alte Distanziertheit und Drögheit zurück. Knapp erkundigt er sich, ob wir nun genug gesehen hätten und bläst, ohne unsere Antwort abzuwarten, zum Aufbruch. Rasch verabschieden wir uns von den Indris und folgen unserem unwirschen Guide weiter durch den Wald. Bald lichtet sich selbiger und wir erreichen die Uferzone des Lac Ampitabe. Es ist wunderschön hier: Feiner, weißer Sand säumt das Ufer, hinten am Waldrand wachsen niedrige Büsche, die mit unterschiedlichen Blattformen und Grüntönen einen wundervollen Kontrast zum Weiß des Sandes, zum Blau-Grün des Wassers und zu der recht gewittrigen Stimmung des Himmels bilden. Der ist weitestgehend bedeckt und doch spitzt die Sonne des Öfteren durch zahlreiche Wolkenlöcher, das durchbrechende Licht ist intensiv und warm und bringt die Farben auf eindringliche Art zum Leuchten. Begeistert stapfen wir am Strand entlang, bleiben immer wieder stehen, sehen uns um und machen Fotos.
Olivier jedoch hat wenig Verständnis für die Schönheit des Augenblicks und unsere Trödelei; er möchte sein Programm offensichtlich so schnell wie möglich zu Ende bringen. Ungeduldig schreitet er voraus, wartet dann wieder stirnrunzelnd auf uns und deutet schließlich auf einen Busch, in dem ein gar auffälliges Fröschlein sitzt: An der Oberseite ist es poolblau, an den Flanken zitronengelb und die Füßchen sind gar dottergelb. Ein rotbraunes Auge wird von einer Banditenbinde in Schwarz gesäumt und einige Pünktchen und Linien in intensivem Dunkelblau zieren seine Gliedmaßen. „Frog, reed frog“, sagt Olivier. Mehr hat er dazu nicht zu erklären. Dabei wäre es schon interessant zu erfahren, dass dieser Frosch, je nach Intensität der Sonneneinstrahlung, seine Farbe von Weiß über Blau nach Braun ändert, es wäre schön zu wissen, dass es sich hier um einen Madagaskar-Riedfrosch handelt und dass er nachtaktiv ist. Aber gut, das können wir uns ja dann selbst anlesen…
Vorerst ist dieser Frosch also nur ein Frosch, pardon, Riedfrosch, und wir taufen ihn in Ermangelung eines Namen kurzerhand den „Klofrosch“, denn seine Farben erinnern an eine Dufttablette für die Klospülung – Ocean Breeze und Zitrusfrische in einem.
(Typhonodorum lindleyanum)
Olivier verzieht keine Miene, als wir ihm von unseren Gedankengängen erzählen, aber das mag auch daran liegen, dass er solch unnützen Kram wie eine Dufttablette für den Spülkasten gar nicht kennt – halten wir ihm das einfach mal zugute. Allerdings verzieht er auch keine Miene, als er vom Strand plötzlich wieder ins Ufergebüsch abbiegt und uns seinen nächsten Programmpunkt präsentiert. Wir befinden uns jetzt in einer sumpfigen kleinen Lagune und hier wachsen – zu unserer Begeisterung – Kannenpflanzen. Seltsame Gewächse, die die einzige Gattung innerhalb der Familie der Kannenpflanzen darstellen und deren formschöne Kelche lange Zeit auch von Botanikern von Ruf für Blüten gehalten wurden. Es sind jedoch modifizierte, zu krugförmigen Behältnissen umgeformte Blätter, die der Nahrungsaufnahme dieser fleischfressenden Pflanzen dienen. Eine nektarähnliche Flüssigkeit, die unter dem Deckel der Kanne produziert wird, lockt Insekten an, die dann, wenn bestimmte Faktoren zusammentreffen, in die Kanne stürzen, von der chemisch hochinteressanten Flüssigkeit am Boden dieses Gefäßes verdaut und schließlich der Pflanze in Form verwertbarer Nährstoffe zugeführt werden. Das alles erfahren wir allerdings nicht von Olivier. „Pitcher plant, eating meat“, sagt er nur, als er uns die Pflanzen zeigt. Und auch die Frage, ob es sich hier um zwei verschiedene Spezies handelt, wie Heinz und ich zunächst vermuten, kann oder will er uns nicht beantworten. Na ja, Olivier, lass stecken! Dann beschränken wir uns eben darauf, dass du uns zu interessanten Orten führst und wir uns einfach daran erfreuen, was wir dort entdecken. Und die Informationen lesen wir uns später eben selbst an.
Und wir haben in der Tat große Freude an dieser Lagune, in der auch viele andere Pflanzen gedeihen und zahlreiche Insekten umherschwirren. Immerhin lässt Olivier uns diesmal genügend Zeit, das alles gründlich in Augenschein zu nehmen, bevor er zum Aufbruch drängt. Folgsam traben wir ihm hinterher, und, obwohl wir auf dem Rückweg noch das ein oder andere Interessante entdeckt hätten, halten wir ihn nicht länger auf, denn Olivier nimmt jetzt unbeirrt und schnurstracks Kurs auf das Resort – wie ein Ochse, der den Stall riecht.
Eine halbe Stunde später erreichen wir dann das Hauptgebäude, und bevor wir Olivier danken und den Zeitpunkt für die Nachtexkursion ausmachen können, ist er grußlos verschwunden. Fitah fühlt sich sichtlich unwohl, als wir ihn fragen, was denn mit Olivier los sei. „Er ist wirklich der beste Führer im Palmarium, aber heute ist er echt komisch gewesen. Vielleicht hat er ein persönliches Problem…“ Tja, das mit den persönlichen Problemen scheint hier die Standardbegründung zu sein, wenn jemand aus dem Ruder läuft, und die wir ja auch schon zu Anfang unserer Reise in Bezug auf Mika präsentiert bekamen. Bleibt nur zu hoffen, dass Oliver diese Probleme bis heute Abend, bevor unser Nightwalk startet, in den Griff bekommt, sonst wird das kein besonders erfreuliches Ereignis.
Das aber müssen wir einfach auf uns zukommen lassen, und genießen den Nachmittag, indem wir auf eigene Faust ein wenig in der näheren Umgebung umherwandern, diverse Pflanzen genauer in Augenschein nehmen und uns mit den zahlreichen anwesenden Lemuren weiter vertraut machen. Dann, bei Einbruch der Dämmerung, rüsten wir uns für den Nightwalk und begeben uns nach vorne, zum vereinbarten Treffpunkt beim Restaurant. Aina ist da, Fitah steht bereit, allein Olivier lässt auf sich warten.
Ein Nightwalk mit wenig Erleuchtung
Schließlich aber trudelt er doch ein – mit einer halben Stunde Verspätung. Er findet kein Wort der Entschuldigung, kein Wort des Grußes, sondern läuft einfach los. Und das in absoluter Dunkelheit – denn eine Taschen- oder Stirnlampe hat er auch nicht dabei. Fitah sieht sofort, dass das so überhaupt keinen Sinn hat und tritt Olivier seine Stirnlampe ab, was aber dessen Laune mitnichten verbessert. Er stürmt durch den finsteren Wald, hechtet ab und zu ins Gebüsch, wenn er glaubt etwas gesehen oder gehört zu haben, zuckt jedoch immer nur mit den Schultern, wenn wir wissen wollen, um was es sich gehandelt hätte. Ein einziges Mal erhaschen wir einen kurzen Blick auf einen Tenrek, der sich schnüffelnd zwischen dichtem Geäst zu schaffen macht, und einmal ist es uns vergönnt, zwei Wollmakis in einem üppig belaubten Baum erahnen zu dürfen. Und wie der ganze Nightwalk, so erfolgen auch diese Sichtungen völlig ohne Kommentar seitens Oliviers. Heinz und ich sind, gelinde gesagt, irritiert und auch Fitah kann sich offenbar nicht erklären, was hier vor sich geht. Er versucht sein Bestes, uns bei Laune zu halten, was aber ein schwieriges Unterfangen ist, da er ja ohne Lampe nicht viel sehen kann.
Fitah tut uns mit seinen vergeblichen Bemühungen von ganzem Herzen leid und so signalisieren wir ihm bald, nachdem wir unsererseits die Irritiertheit über Oliviers Verhalten überwunden haben, er solle es gut sein lassen. Wir wüssten, dass er nichts dafür könne und hätten schon einen Haken hinter diesen Nightwalk gemacht, der unter diesen Umständen nicht mehr zu retten sei. So sind wir alle froh, als wir nach etwa eineinhalb ziemlich ereignislosen Stunden wieder im Haupthaus des Resorts einlaufen und Olivier, wie auch schon heute Vormittag, grußlos verschwindet.
Kopfschüttelnd sehen wir uns an, beschließen in stummer Absprache, die Sache nicht weiter zu erörtern und begeben uns stattdessen zu unserem Tisch, wo wir alsbald mit einem schmackhaften Abendessen verwöhnt werden. Fitah und Aina, die Oliviers Verhalten noch immer nicht ganz verdaut haben, ziehen sich nach dem letzten Bissen rasch zurück, nicht ohne vorher den Zeitpunkt für den nächsten Walk mit unserem unwirschen Guide bekanntzugeben. „Wir hoffen, er ist morgen besser drauf. Euch trotz allem noch einen schönen Abend, gute Nacht und schlaft gut.“
Nun sitzen Heinz und ich alleine da, lassen den seltsamen Tag kurz revue passieren, lauschen noch ein wenig den Fachsimpeleien der Fotogruppe am Nebentisch und ziehen uns dann mit einem Gute-Nacht-Getränk auf die Terrasse unseres Bungalows zurück. Kaum haben wir Platz genommen und es uns gemütlich gemacht, vernehmen wir ein lautes Rascheln in dem großen Baum, der direkt unterhalb unserer Veranda steht und dessen Krone sich aufgrund des Ufergefälles ziemlich genau auf unserer Augenhöhe befindet. Neugierig leuchten wir zwischen den Ästen umher – und blicken geradewegs in die knuffigen Gesichter dreier Wollmakis, keine drei Meter von uns entfernt. Die nachtaktiven Lemuren – Vater, Mutter und ein Kleines –, lassen sich nicht von uns stören und unterhalten uns eine ganze Weile mit ihren Turnübungen durchs Geäst und den leisen Schmatzgeräuschen, die sie beim Verzehr der leckeren, saftigen Blätter von sich geben, bis sie schließlich kauend in den nächsten Baum klettern und langsam vom Dunkel der Nacht verschluckt werden. Hah, das war doch jetzt noch ein schöner Abschluss dieses Tages, der ja eigentlich ganz interessant begonnen, dann aber recht unbefriedigend geendet hatte! Glücklich über den späten Besuch der drei kulleräugigen Nachtgespenster begeben wir uns bald darauf in unser Luxusbett und schlafen einem neuen Tag entgegen, der hoffentlich von einem besser gelaunten Olivier begleitet werden wird…
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