26. März 2013, Naukluft NP, Wanderung

Ah, war das eine angenehme Nacht: der Naukluft gluckerte leise, die Bäume rauschten leicht im Wind und erfrischend kühle Luft drang in unsere Zelte. Dementsprechend sind wir heute besonders früh munter und erholt auf den Beinen. Und natürlich lockt uns zudem das gestern Abend gebackene Brot, das im Auto zum Auskühlen zwischengelagert wurde und nun knusprig und duftend vor uns liegt. Als wir den Laib gestern aus der Glut holten, waren die neugierigen und hungrigen Vögelchen leider schon zur Ruhe gegangen, dafür aber umlagern sie uns jetzt um so gieriger und es ist fast nicht festzustellen, wer sich mehr auf das appetitliche Backwerk freut – wir Menschen oder unsere gefiederten Freunde. Eines jedoch ist ganz sicher: die vorwitzige Starendame vom Vortag, die natürlich auch heute wieder zur Stelle ist, hat unzähmbare Gelüste und vergisst darüber jegliche Restvorsicht, die sie gestern noch an den Tag legte. Heute setzt sie sich gleich auf die Tischkante oder flitzt aufgeregt am Boden umher und pickt mich fordernd in die nackten Zehen. Na gut, du Süße, da hast du was. Ich will ihr gerade ein paar Krumen hinwerfen, entferne aber vorher noch sorgfältig die Streichwurstreste; sie soll ja schließlich keine Magenbeschwerden bekommen. Doch das dauerte ihr wohl zu lange, denn bevor meine Hand zu einem leichten Wurfschwung ausgeholt hat, bin ich die Krumen auch schon los: Madame hat sie höchstpersönlich meinen Fingern entrissen… Hui, die Lady ist aber echt mutig! Mit dieser charmant-gierigen Art jedoch hat sie mich nun vollends geknackt und so teilen wir uns im Folgenden sehr schwesterlich Stulle für Stulle – ein Bröcklein für sie, ein Bissen für mich. Der Starengatte ist ob dieses zutraulichen Verhaltens erneut in höchster Besorgnis und zwietscht aus einem nahegelegenen Ast seine atemlos-verzagt klingenden Ermahnungensmelodien hervor. Vielleicht aber, und das wäre allmählich naheliegend, ist er auch nur besorgt, dass seine ihm Angetraute bald nicht mehr vom Boden hochkommt, so, wie sie sich das Bäuchlein vollschlägt. Bei aller Gier jedoch, so muss ich erstaunt feststellen, ist sie gleichzeitig sehr schleckig: jegliche Restanhaftungen von Käse, Streichwurst und Margarine sind jederzeit willkommen, Aufschnitt, Honig und Beerenmarmelade hingegen werden konsequent durch sorgfältiges Wenden des Brotbrockens im Sande abgestreift. Madame weiß eben, was sie will…

Von allen Seiten belauert…
Streptopelia senegalensis
Ploceus velatus, w.

Irgendwann aber ist auch das leckerste, das gemütlichste, das reichhaltigste Morgenmahl im wahrsten Sinne des Wortes abgefrühstückt. Unter den enttäuschten Blicken der Stärin beenden wir unser Gelage, räumen die begehrten nebst der verschmähten Lebensmittel in den Kühlschrank, streuen die Krümel vom Schneidbrett generös in die Nähe der anderen Vögel und packen das gebrauchte Geschirr ins Auto. Lady Star beobachtet unser Tun so lange, bis sie wirklich glauben kann, dass der Segen nun ernsthaft ein Ende hat und erhebt sich anschließend – laut schimpfend, aber extrem leichtflügelig – in die Lüfte. Der erleichterte Gatte hechtet ihr hinterher und wir sind, zumindest bis zum Abendessen, vergessen. Gut so, denn schließlich haben wir heute noch etwas anderes vor:

Der Beginn des Trails
Die Feige steht noch immer
Der Fluss lebt

Wir möchten den Waterkloof Trail erwandern, besser gesagt, den am Fluss entlang führenden Teil davon. Das ist nun echt keine streckentechnische Herausforderung, aber wir werden wohl trotzdem den ganzen Tag unterwegs sein, denn am und rund um den Fluss gibt es erfahrungsgemäß immer viel zu entdecken. Bevor wir jedoch losmarschieren können, müssen wir noch unsere Zelte ausräumen und offen zurücklassen. Als wir letztes Mal hier waren, hatte man uns der Paviane wegen dazu geraten. Damals hatten wir zwar keinen einzigen gesehen und hielten das lästige Geräume für weitgehend überflüssig – getan haben wir es trotzdem. Heute hingegen haben wir schon Fußspuren der langfingerigen Affen rund um unsere Zelte entdeckt und hören konnten wir sie auch schon. Also gehen wir abermals auf Nummer sicher und entleeren unsere Stoffhäuschen, bevor wir uns endlich auf den Weg machen. Dieser führt uns zunächst über die Komfortterrasse, auf der die Südafrikaner schon wieder heftig und äußerst geräuschvoll räumen. Die Luft, die sie gestern lärmend in ihre Matratzen gepumpt hatten, saugen sie heute nicht weniger laut wieder ab, die Generatoren laufen volle Pulle und verpesten Luft und Stille und, von all dem Packstress in höchster Anspannung, fallen viele laute, scharfe und keifende Worte… Wir sind richtig erleichtert, dass wir diesem Trubel rasch entfliehen können und die unangenehme Geräuschkulisse nach ein paar hundert Metern dem Plätschern des Flusses anheim fällt. Jetzt umfangen uns wieder die beruhigenden Geräusche des Naukluftufers, die uns letztes Mal schon ungemein wohl getan hatten. Raschelndes Schilf, Insektensummen, leises Wassergluckern, im Wind flüsternde Blätter, das Zirpen der Grillen – und lautes Paviangeschrei! Das ist neu, das hatten wir auf der vorigen Tour nicht zu hören gekriegt. Heuer ist überhaupt einiges neu und anders, wie wir schon auf den ersten Metern feststellen: die Ufervegetation präsentiert sich vergleichsweise spärlich, man sieht kaum Schmetterlinge und der Naukluft führt wenig Wasser. Wo wir auf der letzten Tour noch nasse Füsse bekommen hatten, springen wir heute mühelos von Stein zu Stein und queren so mehrmals trockener Schuhe das Flussbett.

Corythaixoides concolor
Sansevieria aethiopica
Sarcostemma viminale

Aber nicht alles hat sich derart verändert. Die Lebewesen, die direkt am und im Wasser leben, sind in gewohnter Üppigkeit vorhanden – Süßwasserkrabben, Frösche, Kaulquappen, Kreiselkäfer und auch die bunten Libellen fehlen nicht. Langsam schlendern wir am Fluss entlang und saugen alles in uns auf, was wir hier geboten bekommen. Wir lassen uns viel Zeit zum Fotografieren, Staunen, Entdecken und Durchatmen, dennoch erreichen wir viel zu schnell, zumindest für meinen Geschmack, die Stelle, an der sich der Weg für längere Zeit vom Wasser entfernt. Ausladende Bäume beschatten hier tiefe, mit glasklarem Wasser gefüllte Becken, der Naukluft ergießt sich in kleinen Kaskaden über bemooste Steine, steile Felsen ragen rundherum auf, feuchte Stellen am Ufer locken Schmetterlinge an und zahlreiche Libellen bevölkern das Binsengras am Rande der Gumpen. Schon auf unserer letzten Tour hatte mich dieser Ort völlig in seinen Bann gezogen, aber natürlich wollte ich damals auch noch weiter nach oben und sehen, wie es weitergeht. Dieser Gang hatte sich damals durchaus gelohnt, ohne Frage, heuer aber sieht die Situation ob der herrschenden Trockenheit deutlich anders aus, weshalb ich beschließe, hier zu bleiben, während es meine Freunde abermals weiter hinauf zieht. Heinz ist nicht ganz wohl bei der Vorstellung, mich hier alleine zurückzulassen, ich habe damit jedoch kein Problem – im Gegenteil.

Frauenhaarfarn (Adiantum)

Vorfreudig lausche ich also den sich entfernenden Schritten meiner Freunde, lege mich genüsslich am Rande eines der Becken ab und lasse erst mal meine Füße im Wasser und meine Seele in meinem Alleinsein baumeln, was richtig wohltuend und entspannend ist. So entspannend, dass ich in einen halb wachen, halb schlafenden Dämmerzustand falle, in dem sich die Umgebungsgeräusche allmählich zu einem einlullenden Akustikbrei verbinden. Bevor ich nun ganz wegpenne, ziehe ich sicherheitshalber meine Füße aus dem Wasser, lächle beglückt über die Libellen, die sich kitzelnd auf meiner feuchten Haut niederlassen – und nicke erneut weg. Dann aber reisst mich lautes Poltern aus meiner Döserei! Ach nö, ich will jetzt allein sein und niemand soll diese Idylle stören – auch keine fremden Wanderer. Genervt setze ich mich auf und spähe in die Runde. Mhm, niemand zu sehen. Hab ich das etwa geträumt? Nein, denn eine Minute später lugt ein Gesicht, etwa fünf Meter über mir, um einen Felsen, und zwei Augen unter gerunzelten Brauenwülsten starren mich ärgerlich an. Ein großes Pavianmännchen fühlt sich durch meine Anwesenheit gestört, ich hingegen bin froh, dass es keine menschlichen Wanderer sind und warte gespannt ab.

Der Pavian-Boss sichert…
…die Gruppe wartet.
Jungfer (Coenagrionoidea)

Der Affenmann verschwindet wieder, großes Gezeter und Geschrei erklingt, eine Weile ist wieder Ruhe, dann aber kommt die ganze Pavianfamilie um die Felsen gebogen und schlängelt sich oberhalb meines Sitzplatzes auf die andere Seite des kleinen Tals. Dabei werde ich von den meisten Clanmitgliedern misstrauisch im Auge behalten und von einigen auch laut beschimpft. Mensch, ich tu euch schon nix – aber nur, wenn ihr mir auch nichts Böses wollt! Über Letzteres bin ich mir nicht ganz so sicher, denn dieser Trupp ist sicher an Menschen gewöhnt; darauf schließe ich aus der Nähe des Camps. Wenn sich die Tiere da rumtreiben, Zelte auseinandernehmen, Lebensmittel entwenden und alles verschleppen, was nicht niet- und nagelfest ist, dann haben sie dabei bestimmt auch schon negative Erfahrungen gemacht. Negative Erfahrungen mit uns Menschen. Und die vergessen sie nicht. Jetzt treffen sie auf mich, die ich auf ihrer Wanderroute in die Berge herumlungere – und ich bin nicht nur ein Mensch, sondern auch noch eine Frau. Und vor Frauen, auch vor Menschenfrauen, haben Primaten wenig Respekt; das ist wissenschaftlich nachgewiesen – zudem durfte ich diese Erfahrung auch schon selbst machen. Ob dieser Tatsache ist mir nun natürlich etwas mulmig.

Papier-Wespe (Belonogaster sp.)
Töpfer-Wespe (Anterhynchium)
Acraea sp.

Doch alle Mitglieder der großen Paviantruppe passieren mich menschlichen Störfaktor, ohne mir in aggressiver Weise zu nahe zu kommen. Ich werde zwar im Auge behalten, ein wenig angekeift, -geknurrt und -gefletscht, aber sonst ist alles gut. Und so geht unsere Begegnung physisch folgenlos vorüber. Die Affen entschwinden bergan, ich bin wieder alleine an meinem Pool und alles könnte weitergehen wie gehabt, wäre ich durch diese Begegnung nicht wieder aus meiner Traumstarre erwacht. Zwinkernd wische ich mir die wabernde Trägheit aus den Augen, packe mein Zeug, ziehe Schuhe und Socken wieder an und beginne, die Umgebung nun wirklich aktiv zu erforschen. Hierzu klettere ich ein Stückchen weiter nach unten, ins Flussbett hinab, und halte Ausschau nach etwas Interessantem. In einer kleinen Uferausbuchtung mit ruhigem Gewässer werde ich fündig: hier ist eine große Menge von Kreiselkäfern hektisch schwimmend auf der Wasseroberfläche unterwegs. Diese bemerkenswerten Insekten waren uns schon auf der letzten Tour aufgefallen, allerdings hatten wir damals zu wenig Zeit, sie eingehender zu beobachten. Heute jedoch nehme ich mir die Zeit und robbe auf allen Vieren an die wuselnden Wasserkäfer heran, um mich fototechnisch in Position zu bringen und mich ab jetzt möglichst nicht mehr zu bewegen.

Meine dürftige Ausbeute…
…von Bildern…
..der Kreiselkäfer (Dineutus)!

Die Tiere sind nämlich mit zwei Paar extrem scharfen Augen gesegnet; ein Paar scannt die Situation unter Wasser, das andere ist für alles oberhalb des Wasserspiegels zuständig und sobald sich etwas bewegt, egal wo, flitzen die kleinen Insekten noch hektischer umher, als sie es ohnehin schon tun. Eine echte Herausforderung für jeden Fotografen. Und eine Herausforderung für mich, der ich nicht ganz gewachsen bin: spitze Steine bohren sich in mein Fleisch, meine Arme werden vom angestrengten Halten der Kamera allmählich taub – und kaum habe ich ein paar der Wasserderwische im Fokus, bewegt sich mein Zoom. Diese Minibewegung aber genügt: schon wieder stieben die kleinen Hektiker auseinander. Leicht frustriert lege ich den Fotoapparat beiseite, entspanne meine Arme, ignoriere die schmerzenden Bohrsteine und beobachte das Geflitze einfach so. Beruhigend ist das allerdings nicht. Trotzdem harre ich aus, denn ich würde so gerne ein System in dem Gewusel erkennen. Doch auch das gelingt mir nicht wirklich und so gebe ich schließlich auf. Meine kribbelnden Arme reibend und die schmerzenden Glieder streckend, wandere ich weiter im Flussbett umher, mache Jagd auf Libellen, Frösche und Schmetterlinge und luge in jede Aushöhlung am Ufer. Uih, da, ganz hinten, da liegt ein Krallenfrosch am Grund.

Wieder gehe ich zu Boden und bringe mich in Position, doch bevor ich die richtige Lage gefunden habe, poltert es erneut. Hinter mir. Direkt hinter mir! Vorsichtig drehe ich den Kopf und erblicke ein junges Pärchen, das fröhlich stapfend des Weges kommt. Ich sehe die beiden auf mich zusteuern, sie aber sehen mich nicht. Behutsam mache ich mich deshalb bemerkbar, indem ich laut und vernehmlich grüße und mich gleichzeitig hochrapple. Trotz meiner Vorsicht erschrecken die beiden jedoch gehörig, erholen sich aber recht schnell von meinem unerwarteten Auftauchen und wir kommen ins Gepräch. Weiter oben hätten sie einen Mann getroffen, der hätte ihnen erzählt, letztes Jahr hier im Flussbett beinahe mit einer schwarzen Mamba kollidiert zu sein. Ja, das war Heinz! Aufgrund dieser Geschichte hätten sie nun echt Bedenken, den Flusspfad weiter zu gehen, sagen sie. Mei, Schlangen können überall sein, sage ich. Aber macht euch mal keine Sorgen, solche Begegnungen sind echt selten. Die beiden aber sind ziemlich verunsichert. „Dich haben wir ja auch nicht gesehen. Weißt du, das ist unsere erste Afrikareise und alle haben uns gewarnt, wie gefährlich das ist. Wir waren da eher sorglos, aber so ganz ohne ist es wohl doch nicht. Und auch die Entfernungen haben wir unterschätzt. Heute Morgen kamen wir hier an, wollten unbedingt diese Wanderung machen, müssen aber abends in der Sossusvlei Lodge sein, weil das vorgebucht ist. Allmählich stellen wir fest, dass das Programm doch etwas zu straff ist. Wir schaffen das schon, aber eben eher im Vorbeieilen, was schade ist. Übrigens, gehst du jetzt eigentlich auch runter und könntest uns begleiten? Wir müssen nämlich spätestens um 15 Uhr unten sein…!“ Das muss ich, die ich auf Heinz warte, leider verneinen, habe aber größtes Verständnis für die Zeitnöte der beiden – trotz vieler Afrikareisen, trotz vieler Reisen auch in andere Länder, neigen auch wir immer noch dazu, uns etwas zu übernehmen. Man will viel sehen, plant, rechnet, bucht Unterkünfte und stellt dennoch immer wieder fest, dass man zu wenig Zeit eingeplant hat. Während ich nun die beiden dahingehend beruhige und versuche, ihnen die Schlangenbegegnungsangst zu nehmen, stößt Heinz zu uns.

Spinnenjäger-Wespe
(Hemipepsis sp.)
Cyperus sp.

Sogleich befragen ihn die beiden erneut wegen der Mamba-Geschichte, die Heinz natürlich gerne nochmal erzählt – was jedoch nicht zur Beruhigung der beiden beiträgt… Umso erleichterter sind sie aber, als wir ihnen nun unsere Abstiegsabsichten kundtun. Nur zu gerne schließen sie sich an, haben aber wohl schon gemerkt, dass wir nicht die geringste Absicht haben, sie als Schlangendetektoren zu begleiten oder gar um 15 Uhr im Camp zu sein. Wir wollen einfach nur runter, unser Tempo gehen, uns viel Zeit nehmen und den Tag genießen – und die beiden können mit uns gehen, solange ihre Zeit und Geduld das zulassen. Wir setzen uns also in Bewegung und die Zwei folgen unauffällig. Ein paar Stopps und Erkundungsschlenker später allerdings geben sie auf, suchen sich ihren Weg durch das „schlangenverseuchte“ Nauklufttal auf eigene Faust und wir sind wieder alleine. Und sofern keine oberschenkeldicke Python erschienen ist und die zwei jungen Leute einfach so, auf Nimmerwiedersehen, verschlungen hat, scheinen sie wohl auch ohne Problem im Camp angekommen zu sein. Jedenfalls sind auf dem weiteren Weg nach unten keine Sterbenden, keine Leichen, aber auch keine Schlangen zu finden, obwohl wir sehr, sehr, sehr genau auf unsere Umgebung achten. So genau, dass wir nicht mal davor Halt machen, die frisch gekackten Pavianhäufchen unter die Lupe zu nehmen, auf denen sich unzählige, wunderschön bunte Fliegen tummeln…

Schmeissfliege (Calliphoridae)

Ach, ist das herrlich, einen derart entspannten, von der Zeit losgelösten Tag zu verbringen! Herumalbernd, unseren Füßen zwischendrin ein Bad gönnend und die Natur genießend, schrauben wir uns so immer weiter nach unten, bis wir plötzlich vor einem schier unüberwindlichen Gewirr aus Pfahlrohr stehen, das wir auf der letzten Tour auch schon bemerkt hatten – allerdings von der anderen Fluss-Seite aus. Mhm, wie kommen wir da jetzt durch? Müssen wir wieder ein ganzes Stück rauf und anderswo queren? Nein, müssen wir nicht! Bei näherer Inspektion der Pflanzenwand nämlich entdecken wir einen kleinen, aber deutlich vorhandenen Tunnel, gewoben aus den Wurzeln des Pfahlrohrs, der auf die andere Uferseite hinüberführt. Den kannten wir noch nicht, wahrscheinlich, weil er letztes Jahr unter Wasser stand und somit unpassierbar war. Umso erfreuter quetschen wir uns jetzt durch das Wurzelgewirr, ganz wohl ist uns aber trotzdem nicht dabei: man muss leicht gebückt gehen, zahlreiche Spinnennetze durchziehen den Tunnel, diverse lästige Insekten erwachen durch unsere Bewegungen zum Leben – das alles kann man sehen. Und was wir nicht sehen können (und das dürfte einiges sein), wollen wir weder wissen noch aus den Verstecken locken… Nach wenigen Metern jedoch spuckt uns der Tunnel unbeschadet wieder aus und leitet uns sicher auf den Weg auf der anderen Uferseite. Geschafft!

Der Pfahlrohrtunnel
Pytilia melba, m.
Pytilia melba, w.

Fröhlich wandern wir das letzte Stück bis zum Camp unter sonnendurchfluteten Bäumen dahin, als Heinz plötzlich abrupt stehenbleibt und ich, die ich hinter ihm hertrotte, beinahe auflaufe. „Ein Buntastrild, da!“, flüstert er. Uih, ja, da ist er; ein etwa zaunköniggroßer Vogel mit schwarzer, weißgerippelter Brust, roter Gesichtsmaske und olivfarbenen Flügeldecken. Und seine Frau, die wesentlich unscheinbarer ist, hat er auch dabei! Lange beobachten wir die beiden Piepmätze. Man sieht sie häufig in Camps, an aufgestellten Vogeltränken, in der Nähe von Open-air-Bädern, an leckenden Wasserhähnen oder in den Käfigen deutscher Vogelliebhaber – deshalb sind sie also eigentlich nichts Besonderes. In freier Wildbahn jedoch schon, denn hier verhalten sich die Prachtfinken unbeeinflusst von jeglicher menschlichen Präsenz und haben auch ihre natürliche Scheu noch nicht verloren, was die Beobachtung umso spannender macht. Während wir nun total von den beiden Prachtfinken gefesselt sind, nähern sich auch ein paar schwarz-weiß-graue Drosselwürger, die uns wohl gar nicht bemerken. Wir hingegen wissen schön langsam nicht mehr, wohin wir uns zuerst drehen sollen, um nur ja nichts zu verpassen. Tja, man kann auch echten Stress im Busch haben…

Lanitturdus torquatus
Webernester
Das Zeitliche gesegnet…

Dieser „Stress“ löst sich jedoch recht bald in Wohlgefallen auf, als die beiden Buntastrilde pickend ins Gebüsch entschwinden und die Würger die Flucht ergreifen, als sie unserer doch endlich gewahr werden. Beglückt steigen wir die letzten Meter gen Tal, überqueren den seichten Naukluft, bewundern ein formvollendetes Maskenwebernest am Ufer, dessen „Balkon“ eine gelbe Akazienblüte entsprießt und erreichen schließlich unseren Lagerplatz – die Zelte stehen wie eine Eins, kein Pavian ist darauf rumgesprungen und wir sind auch darüber sehr beglückt. Allerdings war der Tag so erlebnisreich, so schön, dass wir das lästige Eingeräume der jungfräulich-leeren Zelte kurzerhand auf später verschieben. Stattdessen holen wir uns jeder, deutliche Prioritäten setzend, ein kühles Bier aus dem Autokühlschrank, schälen unsere Füße aus Socken und Schuhen und genießen vorzeitig sundownernd und fläzend die lichtdurchflutete Einsamkeit unserer Campsite. Danach schaffen wir sogar noch den Zehn-Meter-Aufstieg zu den verwaisten Sanitärgebäuden und waschen uns den Schweiß vom Körper, bevor wir duftend und clean wieder nach unten tappern, wo inzwischen auch Annette und Jochen eingetroffen sind und uns ebenfalls mit einem Bierchen in der Hand empfangen.

Webernest mit Schmuck
Köcherbaum
mit Haftkraft
Cyphostemma sp.

Gemütlich setzen wir uns zusammen und berichten von unseren großen und kleinen Erlebnissen, die zwar allesamt recht unaufregend waren, dafür aber umso eindringlicher. Und natürlich gesellen sich zu dieser Runde auch all unsere gefiederten Freunde, die wir, in beseelter Geberlaune, erneut mit allerlei Brosamen versorgen, bevor wir uns ans Einräumen der Zelte und die Zubereitung des Abendessens machen. Schnell wird es dunkel, wir dinieren fürstlich, die bettelnden Vögel sind schon lange satt und zufrieden auf ihren Schlafästen, und wir, nicht minder satt und zufrieden, verbringen diesen Abend wohlig schweigend am Lagerfeuer. Alles ist friedlich und still, nur die fernen Geräusche der Nacht, das leise Plätschern des Flusses und das Knistern des Feuers lullen uns samtig ein. Plötzlich aber, zu bereits vorgerückter Stunde, nimmt Heinz aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr: eine Ginsterkatze schleicht in fast greifbarer Nähe um unser Lager! Als sie allerdings bemerkt, dass auch wir sie gesehen haben, verschwindet sie schnell und völlig lautlos in der Dunkelheit. Annette und Jochen, die gerade zu Bett gehen wollten, drehen daraufhin noch eine Runde auf der Uferterrasse, weil sie hoffen, die gefleckte Katze nochmal zu sehen. Die jedoch scheint sich auf Nimmerwiedersehen davon gemacht zu haben. Enttäuscht ziehen sich unsere Freunde in ihr Zelt zurück. Heinz und ich hingegen bleiben noch sitzen – es ist einfach so schön und friedvoll hier, dass wir jeden Moment auskosten wollen, zumindest so lange, bis auch wir müde werden. Noch aber ist es nicht so weit.

Über den Tellerrand sehen…
Ploceus velatus, m.
Kann man DEN Augen
widerstehen?

Entspannt lehnen wir uns also in unseren komfortablen Campingstühlen zurück, schließen die Augen und genießen. Zwischendrin riskieren wir natürlich immer wieder einen Blick, denn nicht alle Geräusche sind sind so eindeutig zuordenbar wie das stetige Wassergluckern, das leise Bäumerauschen, das vielstimmige Froschgequake und das Zirpen der Grillen. Hier knackt ein Ast, dort raschelt das Laub und im Fluss platscht es hin und wieder vernehmlich. All diese Laute haben natürlich einen dazugehörigen Verursacher, den jeweils Betreffenden können wir in der Dunkelheit allerdings meist leider nicht ausmachen. Was wir aber, bei einem unserer gelegentlichen Kontrollblinzler, sehr deutlich sehen können, ist die Ginsterkatze, die sich erneut unbemerkt auf Streichelnähe an uns herangeschlichen hat. Aus einer Entfernung von zirka eineinhalb Metern glänzt uns eine feuchte schwarze Nase an und im Lampenschein leuchtende Augen betrachten uns aufmerksam. So aufmerksam, dass der Katze nicht entgeht, dass wir blinzeln und uns ihrer Gegenwart bewusst sind. Und offenbar fühlt sie sich davon so bedroht, dass sie abermals davonrennt. Diesmal jedoch wählt sie einen Weg nahe des Flussufers, weshalb wir sie noch eine ganze Weile gut sehen können. Immer wieder dreht sie sich um, setzt sich hin und blickt in unsere Richtung.

Und nun erwacht mein Jagdinstinkt: für Menschenverhältnisse leisen Schrittes folge ich der gefleckten Schönheit und bin beinahe stolz, ein paar Meter gutgemacht zu haben, als ich, besser gesagt mein großer Zeh, plötzlich schmerzhafte Bekanntschaft mit einem äußerst harten, feucht-kühlen Gegenstand schließt. Aua! Mir entfährt ein leiser Schmerzensschrei – und die Ginsterkatze ist weg. Dafür tut mein Zeh höllisch weh. Na toll! Fluchend schalte ich meine Stirnlampe ein, um das widerspenstige Hindernis, das wohl schwerlich flüchten wird, in Augenschein zu nehmen. Und nochmal: na toll! Im Zuge meiner Katzenjagd bin ich Menschentrampel tatsächlich über eine gerade mal hühnereigroße Hydnora gestolpert, die sich wohl in den nächsten Tagen zu voller Pracht entfaltet hätte und habe sie dabei ernsthaft beschädigt. Mann! So lange schon wollte eines dieser seltsamen Gewächse sehen, die einem Pilz ähneln, tatsächlich aber zu den Piperales, den pfefferartigen Pflanzen gehören. Und nun habe ich sie kaputt gemacht, ich Trottel! Schimpfend über meine eigene Dummheit und fluchend vor Schmerz humple ich zu Heinz zurück, der gerade seine Selbstschusskamera montiert. Die bringen wir übrigens fast jeden Abend an irgend einem lagernahen Ort an, der uns vielversprechend erscheint, aber noch nie, ich betone NIE, war was drauf! Heute Nacht jedoch sollte es mit dem Teufel zugehen, wenn sie wieder nichts einfängt, oder? Heinz und ich jedenfalls sind uns ganz sicher, diesmal die neugierige Ginsterkatze, die bestimmt zurückkommen wird, in den Kasten zu kriegen. Hoffnungsfroh machen wir also die Kamera scharf, löschen unsere Tischleuchte und gehen müde und zufrieden ins Bett; nun, ich humple eher und bin nicht ganz zufrieden, wohl aber ebenso müde…

Weitere Impressionen des Tages:

Pytilia melba, m.
Traum-Pool
Cyphostemma-Beeren
Junonia hierta, leicht demoliert
Springspinne (Salticidae)
Springspinne (Salticidae)
Trithemis sp.
Trithemis sp.
Moringa ovalifolia
Hermbstaedtia sp.

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Ein Kommentar

  1. 13. November 2014
    Antworten

    Hallo liebe Barbara,

    war eben auf Deiner Seite, weil ich es nicht abwarten kann bis die Berichte von 09-10/14 online sind. Dauert sicher noch ein Weilchen.
    Denke oft zurück und an den Spaß den wir miteinander hatten. Melde Dich doch mal, würde mich freuen.

    LGr. Ute

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