Und schon ist er da, der neue Tag – unser letzter im Moremi. Beim ersten Morgenlicht sind wir auf den Beinen, frühstücken, packen zusammen und machen uns auf den Weg, um nur ja keine der kostbaren Minuten hier zu verpassen. Die Stelle, an der gestern noch der Hippokampf tobte, ist heute ruhig und friedlich. Ein paar Krokodile sonnen sich am Ufer, Meerkatzen stromern durchs Gras, eine Lechweherde zieht äsend am Wasser entlang. Hinter der nächsten Wegbiegung treffen wir auf eine Ansammlung von Zebras, Kudus und Wasserböcken, die sich alle um einen von roten Algen bedeckten Ausläufer der Lagune scharen, um ihren Durst fernab der lauernden Krokodile zu stillen.
Eines der Zebras hat nur noch ein Stummelschwänzchen, mit dem es instinktiv, aber recht erfolglos nach Fliegen schlägt. Wenn ich so etwas sehe, Tiere mit Blessuren, Deformationen, Verletzungen, würde ich immer gerne in Erfahrung bringen, wer oder was die Ursache dafür war und wie sich das Handicap auf das Leben des Tieres auswirkt. Wir Menschen, wenn uns nur das geringste zwickt oder zwackt, sind sofort mit Jammereien und Medikamenten bei der Sache, lassen uns krankschreiben, beantragen Reha, wollen psychotherapiert werden, irgendeine Behandlung, die alles kuriert und vergessen macht. Tiere haben diese Möglichkeit nicht – keine Schwanzprothese, kein Repellent, was in diesem konkreten Falle verordnet werden müsste – aber das Leben geht weiter oder eben auch nicht. Wenn ich selbst mal wieder auf hohem Niveau am Klagen bin, ist das einer der Gedanken, der mich zurück auf den Boden bringt…
Bald kommen wir abermals an den zweikanaligen Wassergraben, an dessen Ufer Sven gestern noch eine Sandburg gebaut hatte. Heute wäre eine solche Aktion nicht wirklich angeraten, denn gerade kommt eine Löwin zum Trinken aus den Tiefen des Schilfs hervor. Eine Löwin! Wir sind ganz aufgeregt und hoffen, dass da noch mehr Katzen in der Gegend sind, schließlich müssen sie unseren Wildhund-Überschuss ausgleichen. Die Löwin steht am Ufer, heftig atmend, und beugt ihren Kopf zum Wasser. Um es mit ihrer Zunge erreichen zu können, müsste sie den Hals ganz lang machen, was ihr aber offensichtlich zu beschwerlich ist. Sie tritt einen Schritt nach vorne, tapst mit einer Pfote ins Wasser und schüttelt diese sogleich angewidert. Es dauert eine ganze Weile, bis sie eine bequeme, pfotentrockene Position gefunden hat und endlich zu schlabbern beginnt. Ihr heftiger Atem lässt sie immer wieder innehalten, um Luft zu holen – das Tier macht einen recht erschöpften Eindruck. Die Geier im Baum auf der anderen Grabenseite zeigen an, warum: Madame war auf Jagd und das offenbar erfolgreich.
Na, da wollen wir doch mal nachsehen; den richtigen Weg durchs Wasser kennen wir ja von gestern. Schnell sind wir drüben und bereits hinter der nächsten Schilfinsel liegt das ganze Rudel, direkt am Weg. Und gleich daneben die frisch gerissene Beute, ein Büffel. Er ist schon gründlich ausgehöhlt, seiner größten Leckerbissen beraubt, ein Oberschenkelknochen ragt gut abgenagt in die Luft, die Leber trocknet unangetastet neben dem aufgerissenen Bauch. Was hier so streng riecht, ist nicht das noch ganz frische Fleisch, sondern die herausgezerrten Gedärme. Der Riss ist sicher nicht älter als ein paar Stunden, die Jagd war kräftezehrend und auch die Verdauung fordert ihren Tribut: das Katzenvolk liegt völlig geschafft im Schatten, döst, schläft und rührt keine Pfote. Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Bewegung hinter mir, auf meiner Autoseite. Es ist die umständliche Trink-Löwin, die sich da nähert und in einem knappen Meter Abstand an mir vorbeimarschiert. Sie schaut mir kurz etwas ungnädig in die Augen und ich schwanke zwischen Faszination und Gänsehaut. Auch der Löwin ist nicht ganz behaglich angesichts des grünen Etwas namens Landy, direkt neben ihrer Beute. Schwer schnaufend packt sie den Kadaver am Nacken und zerrt das immer noch massige Tier zentimeterweise tiefer ins Gras. Das ist Schwerstarbeit, die Löwin keucht, pausiert immer wieder. Als die Beute endlich in Sicherheit gebracht ist, kommt sie zurück und bedeckt alle noch herumliegenden Reste mit Erde und Gras. Danach legt sie sich, völlig ausgepumpt, zu ihren Rudelmitgliedern in den Schatten. Das dürfte es gewesen sein, denken wir, bis auf ein bisschen Augenzwinkern, Schwanzklopfen und genüsslichem Räkeln wird hier die nächsten Stunden wohl nichts Nennenswertes mehr stattfinden.
Also wenden wir unsere Autos, fahren zurück zum Wassergraben, um unseren Weg fortzusetzen. Doch weit gefehlt! Am Ufer kommt gerade ein junges Männchen, das wir noch nicht bemerkt hatten, aus dem Schilf und hat Durst. Der Junglöwe ist nicht so zimperlich wie seine weibliche Verwandte, was den Wasserkontakt anbelangt. Zielstrebig tapst er bis zu den Ellbogen ins nasse Element und beginnt ausgiebig zu trinken. Danach watet er noch tiefer hinein, bis auch sein vollgefressener Bauch halb unter der Wasseroberfläche verschwindet und sieht sich unternehmungslustig um. Doch kein Artgenosse weit und breit, mit dem er sich die Zeit vertreiben könnte. Gelangweilt rupft er an ein paar Seerosenblättern herum, schleudert sie durch die Luft und verbeißt sich schließlich in einen schlammigen Wurzelballen. Er wirft seinen Kopf hin und her, späht nach spielwilligen Gefährten, erfolglos, und klemmt sich den Erdklumpen dann resigniert unter’s Kinn, quasi als Kopfkissen. Darauf bettet er sein müdes Haupt – mitten im Wasser – und schläft ein.
Nicht lange und der erddurchsetzte Wurzelballen löst sich peu à peu auf, das schwarze Näschen unseres Badelöwen sinkt immer weiter nach unten; so weit, bis die Atemluft das Wasser bereits zum Blubbern bringt. Er schreckt hoch, steht auf und macht zu unserem Entzücken einen formvollendeten Katzenbuckel. Gerade in diesem Moment nähert sich ein anderer Löwe, vielleicht ein älterer Bruder. Und der kommt unserem gelangweilten Seerosenschläfer gerade recht. In geduckter Haltung wird gewartet, bis sich der potentielle Spielgefährte in günstige Attackier-Position begeben hat und dann – Sprung, Satz, Spiel! Das Brüderlein erschrickt und zeigt sich genervt, macht aber das Gerangel notgedrungen mit. Unser Kleiner ist begeistert; endlich jemand zum Ärgern. Mal um Mal springt er spielerisch den strapazierten Bruder an, der ihm immer wieder eine überbrät und schließlich das Weite sucht. Heissa, was für ein Spaß, findet das Spielkind und folgt dem Genervten hopsend ins Schilf. Heissa, war das unterhaltsam, finden wir – zumindest für uns! Wie oft trifft man auf Löwen, die in typischer Katzenmanier faul im Schatten liegen, kaum eine Wimper bewegen und findet das schon ganz toll. Aber dieses Intermezzo war ein Schauspiel der Extraklasse, an dem wir als Zuschauer teilhaben durften. Ganze zwei Stunden lang, so stellen wir bei der Weiterfahrt fest, zwei Stunden, die wie im Flug vergangen sind.
Kurz nach unserer Löwensichtung überqueren wir eine weite Ebene, auf der, neben ein paar Zebras, auch unzählige tote Bäume stehen. Auf solche Ebenen trifft man öfter im Moremi, der ja Teil des Okavango-Deltas ist. In Jahren ergiebiger Regenfälle und/oder eines hohen Flusspegels stehen diese tiefliegenden Landschaftsteile unter Wasser und wenn dieser Zustand zu lange anhält, sterben die Bäume ab. Das ist die praktische, logische Erklärung. Wir hingegen haben noch eine andere: es sind bewusst angelegte Strunk-Plantagen, in der die Parkverwaltung mit Hingabe Stämme in Tierform heranzüchtet, um sie bei Erntereife an strategisch günstigen Plätzen zu verteilen. Wie oft schon dachten wir, eine Giraffe, einen Löwen, einen Leoparden gesichtet zu haben; bei näherem Hinsehen aber waren es nur Strünke. Struncus camelopardalis, struncus felidaeformis, struncus pseudopardus, allesamt ssp. moremiensis. Und heute haben wir eines der Hauptanbaugebiete entdeckt – ein himmelschreiender Skandal! Jetzt, wo wir unanfechtbare Beweise für die perfide Touristentäuschung in der Hand haben, werden wir uns wohl doch beschweren müssen.
Mit diesen natürlich sehr „ernst“ gemeinten Vorsätzen überqueren wir Third Bridge. Heinz, dem ja das Erlebnis Original-Knüppelbrücke am North Gate entgangen war, darf nun wenigstens dieses rustikale Konstrukt im Urzustand erleben. Die Brücke, der Papyrus und die Badewarnschilder tun ihre zu erwartende Wirkung: er staunt nicht schlecht, fotografiert eifrig und amüsiert sich über das Badeverbot. Wer kommt schon auf die Idee, hier schwimmen zu gehen? Ich frage mich das auch seit Jahren, aber offenbar haben tatsächlich einige Menschen derart abstruse Gedanken in die Praxis umgesetzt – und nicht alle haben überlebt. Ob John (oder so ähnlich) auch so einer war? Beim Überqueren der Brücke fällt mir ein nagelneues, silberglänzendes Schildchen auf, das gut sichtbar an einem Pfosten angebracht ist und auf dem ein Name mit Lebensdaten eingraviert steht. Ein Wohltäter des Moremi, ein verstorbener Afrika-Fan mit einem Gedenktäfelchen an seinem Lieblingsplatz oder doch ein verrückter Schwimmer? Am Ende der Brücke kommt uns ein Parkangestellter entgegen, den ich mir gleich mal schnappe. Aber schade, er weiß nicht, wovon ich spreche und kann mir so auch keine Auskunft geben. Dabei wäre ich doch soo neugierig… Egal, das finde ich schon noch heraus!
Wir setzen unseren Weg Richtung Maquee Gate, Richtung Maun fort – am Himmel dräuen mal wieder dunkle Wolken. Manche der Tiere, die wir zu Gesicht bekommen, sehen auch tatsächlich schon etwas verwaschen aus. Offenbar treiben wir den Regen vor uns her oder aber, die schlechtere Variante, wir folgen ihm zielstrebig. Gegen Nachmittag erreichen wir die Xini Lagoon, an der Annette und Jochen vor einigen Monaten ein weißes Lechwekalb gesehen hatten. Natürlich wäre es interessant zu wissen, ob das Tier noch lebt. Angestrengt halten wir Ausschau; unsere Chancen stehen nicht schlecht, denn Lechwes sind recht territorial. Eine große Herde der Moorantilopen zieht grasend am Ufer der Lagune entlang, aber alle Tiere sind ganz normal lechwe-hellbraun. Nein, halt, da hinter der Schilfinsel kommt etwas Weißes hervor: es ist besagtes Kalb, das immer das sich immer noch des Lebens freut und mittlerweile fast schon erwachsen ist. Das muss ich mir genauer ansehen! Letztes Jahr im South Luangwa sahen wir ein weißes Pavianbaby, schneeweiß wie die Lechwe, aber mit braunen Augen. Ein Blick durch das Fernglas zeigt, dass die Antilope ein echter Albino ist – sie hat leuchtend rote Lichter. Umso erstaunlicher, dass sie noch lebt. Sie ist ja nicht nur extrem auffällig, geradezu ein wandelndes Signal für jeden Predatoren, sondern zudem noch gehandicapt durch ihre fehlenden Pigmente, ihre ausnehmend lichtempfindlichen Augen – und das in der gleißenden Sonne Afrikas. Wir freuen uns sehr, dieses besondere Tier munter und wohlauf zu sehen.
Weniger munter und wohlauf präsentiert sich wenige Kilometer weiter ein Elefantenkälbchen. Wir treffen auf die Herde ganz in der Nähe des Gates; die Tiere sind ungewöhnlich scheu, nervös und ergreifen sofort die Flucht, als wir an ihnen vorbeifahren. Der Grund für dieses Verhalten ist das offensichtlich verletzte Kalb, das von den besorgten Erwachsenen in größtmöglichem Tempo in Sicherheit gebracht wird. Der Kleine hinkt schmerzgeplagt, getrieben von den stützenden Rüsseln seiner Herdenmitglieder ins schützende Schilf: sein rechtes Hinterbein macht ihm ganz arg zu schaffen, aber wir können nicht genau erkennen, was kaputt ist: ein verheilender Bruch, eine Kniegelenks-Luxation? Wir sputen uns, wollen die Herde nicht länger mit unserer Anwesenheit bedrohen. Ein paar Kilometer sind es noch bis zum Gate, der Weg wird immer beschwerlicher. Erstens ist die Fahrspur durch jüngste Regenfälle völlig verschlammt, so dass wir immer wieder richtig ackern müssen, um durch diese glitschigen, saugenden Badewannen zu kommen. Desweiteren wird Patricia, der absolute Elefanten-Fan, von heftiger Wehmut gepackt, denn es werden die letzten Kilometer dieser Reise sein, auf denen es die grauen Riesen zu sehen gibt. Entsprechend dieser Gegebenheiten zieht sich die Strecke, aber wir erreichen das Gate, ohne uns festzufahren und Patricia hatte noch mehrmals ausgiebig Gelegenheit, sich Aug in Aug von ihren Lieblingen zu verabschieden.
Wir checken ordnungsgemäß aus, ich frage erfolglos nach den Hintergründen für die Plakette an der Third Bridge, wir lauschen ein allerletztes Mal dem ohrenbetäubenden Gesang der Zikaden, dann sind wir schon auf der Gravel Road Richtung Maun. Sie ist, verglichen mit letzten Jahr, wirklich gut zu fahren. Besonders angenehm machen sich auch die vorangegangenen Regenfälle bemerkbar: der allgegenwärtige Staub bleibt, wo er hingehört – auf der Straße. Schnell erreichen wir den Großraum Maun und Heinz freut sich über den dichter werdenden Verkehr, der hier vorwiegend aus abenteuerlich konstruierten Eselskarren besteht und die er aus dem fahrenden Auto heraus zu fotografieren versucht. Mit einem neu erstandenen Bündel Brennholz laufen wir schließlich im Maun Rest Camp ein, 10 Kilometer außerhalb der Stadt, direkt am Ufer des Thamalakane. Der übliche Lageraufbau folgt; angesichts des gewittrigen Himmel spannen wir vorsichtshalber auch gleich unsere Regenplane – eine weise Entscheidung, wie sich noch zeigen wird. Und dann treibt es uns, völlig untypischerweise, in die Stadt. Annette und Jochen müssen noch einige Besorgungen machen und wollen dem Department einen Besuch abstatten, den Rest der Truppe zieht es eher zu den Andenkenläden. Aber wir sind mal wieder zu spät, alle Souvenirshops haben schon geschlossen oder sind gerade im Begriff, die Gitter herunter zu lassen. Vielleicht haben wir ja am Flughafen noch Chancen; da müssen wir sowieso hin, da die meisten von uns zuerst Geld wechseln müssen. Heinz und ich haben als erste Pula in der Hand und stürmen in den Laden am Tor des Flughafens. Auch der wird gerade geschlossen, aber wir dürfen noch rein – für eine Viertelstunde. So hatten wir uns das nicht vorgestellt und mir verdirbt der Zeitdruck jegliche Kauflust; und nicht nur der, auch die happigen Preise tun ihr übriges. Heinz denkt ähnlich, aber bei einem raschen Rundgang durch den Shop entdeckt er eine kleine, knubbelige Holzfigur, die es ihm sofort angetan hat. Die oder keine! Für satte 50 Euro wandert der afrikanische Gollum in seinen Rucksack und wir aus dem Laden; unsere Reisegenossen, die in der Eile auch nicht fündig geworden sind, mit uns.
So, und was machen wir jetzt? Am besten ist es wohl, zurück ins Zentrum, auf den Parkplatz bei Rileys Garage zu fahren. Die einzigen Geschäfte, die dort noch geöffnet haben, sind die Supermärkte, Möbelläden und ein paar Restaurants. Die Entscheidung ist schnell getroffen: wir gehen Essen. Unsere Wahl fällt auf ein recht gepflegt aussehendes Lokal mit Selbstbedienung. Hinter einer Glastheke stehen mehrere große Warmhaltebehälter, gefüllt mit afrikanischen Basis-Köstlichkeiten: Curry, Chicken, Stielmus, Reis und Mealie Pap. Man kann hier frei kombinieren – bei dieser kleinen Auswahl nicht schwer – und bekommt das Gewählte mit einem recht lieblosen Schwapp aus einer großen Kelle auf den Teller geklatscht. Die Preise sind sehr moderat, alle Gäste, außer uns, schwarz und das Essen äußerst schmackhaft. Zufrieden füllen wir unsere knurrenden Mägen – mit ein bisschen schlechtem Gewissen, denn Annette hat für heute Abend bestimmt geplant und eingekauft. Doch das hat sicher auch noch Platz, beruhigen uns unsere immer hungrigen Männer; bis es erneut Essen gibt, ist das hier schon wieder verdaut. Wir recht sie damit haben, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht…
Gestärkt kehren wir zum Auto zurück und beschließen, in Ermangelung anderer Möglichkeiten, zum Camp zu fahren. Jürg, der sich mit Annette und Jochen auf dem Parkplatz treffen wollte, ist ein bisschen unschlüssig; weder die beiden noch der grüne Landy sind zu sehen. Ausgemacht ist ausgemacht, meint Jürg und da die beiden auch nicht per Handy zu erreichen sind, beißt er in den sauren Apfel seiner Abmachung: er bleibt, während wir uns für die Rückfahrt in die Meerkat quetschen. Ganz wohl ist uns nicht, Jürg in der beginnenden Dämmerung in Maun zurückzulassen, aber er besteht darauf. Nach einigem Gepfriemel mit der rechten Hintertür, die aufgrund eines defekten Dichtungsgummis partout nicht zugehen will, sind wir endlich an Bord und lassen Jürg schweren Herzens auf dem Parkplatz allein.
Im Camp empfangen uns heftige Windböen und ein minütlich schwärzer werdender Himmel. Ich bringe gerade unser schönes, trockenes Feuerholz im Auto in Sicherheit, als der grüne Landy angerumpelt kommt – ohne Jürg! Annette und Jochen konnten ihn auf dem Parkplatz nicht entdecken und nahmen an, er wäre mit uns gefahren. Wie ärgerlich! Tommi und Sven machen sich sofort auf den Weg zurück nach Maun und sind noch keine 5 Minuten vom Platz, als das Gewitter losbricht. Der Himmel ist rabenschwarz, Blitze zucken wie Stroboskop-Licht, die Donner sind ein einziges, zusammenhängendes Krachen und ein tierischer Sturm tobt. Als wir uns gerade ins Auto flüchten wollen, entdecken wir im flackernden Licht der Blitze, dass drei unserer Zelte davon geweht zu werden drohen. Verdammt, die waren wieder nicht abgespannt! In strömendem Regen und bei orkanartigen Böen versuchen wir zu retten, was zu retten ist, was aber unter diesen Bedingungen fast unmöglich erscheint. Binnen Sekunden sind wir nass bis auf die Knochen, außer Annette, die sich in ihrer panischen Angst vor Blitzschlägen nicht mehr aus dem Auto traut. Verzweifelt hämmern wir Heringe in den aufgeweichten Boden, spannen Schnüre um Bäume, die wir vor Regen kaum noch sehen können, stemmen uns gegen blähende Zeltplanen. Annettes und Jochens leichtes Zelt ist schnell vertäut, Tommis und Jürgs schwere Baumwollzelte hingegen leisten erbitterten Widerstand. Notdürftig richten wir sie mit vereinten Kräften halbwegs auf und verspannen sie so, dass sie wenigstens nicht mehr wegfliegen können. Dann flüchten auch wir uns ins Auto. Wie getaufte Bisamratten beobachten wir triefend und tropfend das Inferno um uns herum, das einfach nicht nachlassen will. Inzwischen sind auch Tommi und Sven mit Jürg zurückgekehrt – sie mussten mehrmals anhalten, weil die Sicht gleich Null war und hätten darob das Camp beinahe noch verfehlt. Jetzt stehen sie neben uns, eine Unterhaltung aber ist nicht möglich, denn man kann die Fenster nicht öffnen. Waagrecht presst der Sturm den Regen durch jeden noch so kleinen Spalt. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis das Unwetter wenigstens so weit abflaut, dass wir uns allesamt unter der Plane versammeln können.
Sven versorgt uns mit Getränken aus dem Kühlschrank der Meerkat, doch bevor ich mich von innen befeuchte, muss ich erst mal meine triefenden Klamotten loswerden, sonst bin ich morgen krank. Heinz, der Süße, stürzt sich wieder in den Regen hinaus und kramt ein paar trockene Sachen für uns aus den dunklen Tiefen des Zelts. Mann, tut das gut, raus aus den nassen T-Shirts, rein in die mollig-trockenen Fleece-Jacken – die Hosen lassen wir an, würden sie ohnehin sofort wieder nass durch die vollgesaugten Campingstühle. Wir stoßen an auf dieses Monstergewitter, darauf, dass wir alle heil und zusammen im relativ Trockenen sitzen und darauf, dass wir wenigstens zu Trinken haben, denn auch heute Abend ist an Kochen nicht zu denken. Wie gut, dass wir noch Essen waren… Langsam geht der strömende Regen in leichtes Nieseln über und mit dieser Wetterbesserung kommen auch die Insekten. Riesige Pillendreher brummen torkelnd zu unserem Laternchen hin, fliegen uns dabei gnadenlos nieder, noch riesigere Nachtfalter landen zuhauf mit klatschnassen Flügeln auf der Tischplatte und bleiben hilflos flappend dort kleben. Vor dem Waschhäuschen sitzt ein beachtlicher Ochsenfrosch, glotzt uns bewegungslos an. Die Augen auf den Flügeln der Falter schillern im Laternenlicht wie mit Glimmerlidschatten geschminkt, der Frosch glänzt nass vor Regen, bewegt lautlos seinen Kehlsack und ich freue mich, das sehen zu dürfen. Und ich freue mich auf unser hoffentlich einigermaßen trockenes Zelt und darauf, mich an meinen schier unerschütterlichen Kerl zu kuscheln, während wir beim Einschlafen den Tropfen auf der Zeltwand lauschen. Mhhhhmmmm!
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