17. März 2013, Vanrhynsdorp > Namaqua NP, Koringkorrel Baai
Ein neuer Morgen dämmert herauf und wir sind froh, dass er sich etwas sonniger präsentiert als der gestrige: heute haben wir zwar nur einen gemäßigten Fahrtag vor uns, der aber führt uns ans Meer, in den Namaqua NP. Unser dortiges Camp liegt direkt an der Küste und, da das Wetter in Ozeannähe recht wankelmütig ist, bedeutet es durchaus einen großen Pluspunkt, wenigstens mit trockenen Zelten dort anzureisen – klamm und schwer werden sie, wenn wir Pech haben, ganz schnell von selbst. Doch jetzt warten wir mal ab. Nach einem ausgiebigen Frühstück verstauen wir unser Equipment unter den traurigen Blicken der Hunde im Auto und machen uns vom Acker. Zuvor jedoch sollten wir noch unseren Wassertank auffüllen. Auf dem Caravan Park war das, mangels Wasserschlauch, leider nicht möglich, doch auf dem Weg hinaus zur N7 kommen wir an einer großen Tankstelle vorbei, wo wir unser Vorhaben sicher problemlos in die Tat umsetzen können. Jochen hingegen steuert zielstrebig an der Tanke vorbei und brummt, er habe keine Lust, schon wieder anzuhalten, es wäre ja noch genug Zeit, das anderswo nachzuholen. Nun, das bezweifle ich, wenn ich einen Blick auf die Karte werfe: der einzig nennenswerte Ort, den wir auf unserer Strecke passieren werden, ist Bitterfontein und das klingt wahrlich nicht nach süß sprudelndem Wasser. Wenn Jochen aber im Ich-will-fahren-Modus ist und sein Lassen-wir-es-drauf-ankommen-Gen aktiviert hat, will er derlei Einwände nicht hören und so verlassen wir Vanrhynsdorp eben ohne abermaliges Auftanken. Gut achzig Kilometer später erreichen wir besagtes Bitterfontein, ein winziges Kaff, das außer einer Tankstelle kaum etwas zu bieten hat. Diese steuert Jochen nun mit triumphierendem Glitzern in den Augen an, das jedoch bald erlischt: es gibt Diesel, es gibt Benzin, es gibt Snacks, nur eines gibt es nicht – Wasser. Tja…
Abschied von der Knersvlakte
Orbea im Beet
Malephora crocea
Fast trockenen Wassertanks also ziehen wir unverrichteter Dinge weiter Richtung Norden, bevor wir einige Kilometer vor Garies schließlich nach Westen abbiegen. Die staubige Pad führt nun über noch staubigeres Farmland, das sich, bis auf die zweimalige Überquerung des Tals des Groen Riviers, recht eintönig präsentiert. Es ist wenig verlockend, hier anzuhalten. Einmal aber tun wir es doch, denn es ist Zeit für eine Pinkelpause. Heinz seilt sich sogleich in den Straßengraben ab, aus dem er kurz darauf aufgeregt wieder auftaucht. Eine Schlange, eine Schlange! Sie war nicht groß, bleistiftdünn, flitzeschnell und in dem Busch sei sie verschwunden; er deutet auf ein sparrig-trockenes Etwas, dessen dürre Zweige einen hervorragenden Sichtschutz für das Reptil darstellen. Gespannt umzingeln wir das Gestrüpp und lauern. Bald darauf zeigt sich tatsächlich für den Bruchteil einer Sekunde ein schmaler, graubrauner Natternkopf, der jedoch sofort wieder verschwindet und trotz großer Geduld unsererseits auch nicht mehr auftauchen will. Na, was soll’s, fahren wir eben wieder. Nach einer weiteren Stunde des öden Geschaukels ändert sich plötzlich die Kulisse: das Meer taucht vor uns auf und sein würzig-salziger Duft umweht unsere Nasen. Jetzt kann es nicht mehr weit sein!
Kaum im Park…
…geht es wieder auf die Knie
Küstenvegetation
In der Tat sind es nur noch wenige Kilometer und wir stehen am südlichen Gate des Namaqua Nationalparks, wo wir von einer freundlichen Rangerin in Empfang genommen werden. Während wir nun die üblichen Formalitäten erledigen, erfreut uns die Dame mit Nachrichten und Geschichten aus dem Alltag einer Parkangestellten – in Wort und Bild. Ganz besonders angetan sind wir hierbei von den Fotos eines kleinen, flauschigen Kapfuchses, den sie mit der Hand aufgezogen hat und der sie heute, da er schon fast erwachsen ist, immer noch täglich besucht. Leider käme er gewöhnlich erst in den Abendstunden, teilt sie uns bedauernd mit. Der Genuss, einen zahmen Kapfuchs zu treffen, wird uns also versagt bleiben, dafür aber, so tröstet sie uns, als sie unsere langen Gesichter sieht, hätten wir sagenhaftes Glück mit dem Wetter. Die ganze letzte Woche hätte es gestürmt und geregnet und viele Camper seien deshalb vorzeitig abgereist. Na, wenn das mal keine Entschädigung für das entgangene Kapfüchslein ist: Sonnenschein, wolkenloser Himmel, eine positive Wetterprognose und ein fast leerer Park!
Hoch erfreut verabschieden wir uns von der netten Rangerin und wollen gerade losfahren, als uns unser leerer Wassertank wieder einfällt. Klar könnten wir hier auftanken, erlaubt uns die Parklady, kein Problem – das Wasser allerdings schmecke nicht besonders gut, es sei recht salzig und nicht zum Kaffeekochen geeignet. Eine Tatsache, die Jochen stillschweigend überhört und die auch wir tunlichst nicht kommentieren. Während nun das alkalische Nass in den Tank gluckert, nutzen Heinz und ich die Verzögerung, die „Blumenrabatte“ vor dem Office in Augenschein zu nehmen. Dieser liebevoll bepflanzte Quadratmeter hat wenig gemein mit Zierbeeten, wie man sie bei uns kennt. Statt schnöder Tulpen oder Tagetes nämlich gedeihen hier mal wieder die wundervollsten Sukkulenten und neben zierlichen Crassulas und Mittagsblumen blüht sogar eine Orbea, eine Aasblume, die durch besonders große Blüten hervorsticht. Die Rangerin freut sich über unser Interesse, zeigt sich aber etwas verwundert, als wir ihr erzählen, genau wegen solcher Pflanzen hierher gekommen zu sein. Ach so? Jaja, so Zeug wachse schon überall, aber die meisten Leute kämen eher zum Angeln, wegen der Seebären oder einfach so, und sie selbst kenne sich mit Pflanzen überhaupt nicht aus. Das ist ein Phänomen, dem wir schon öfter begegnet sind – und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein: Menschen, die im Dienste der Natur tätig sind, sich aber mit den pfanzlichen Schätzen ihrer unmittelbaren Umgebung nicht befassen und auch kein großes Interesse daran zeigen. Bei normalen Touristen ist das verständlich, kommen die meisten doch wegen der spektakulären Wildsichtungen, die eine klassische Safari verspricht; da bewegt sich was, da ist Abwechslung und im Idealfall auch Action. Klar, dass Pflanzen, vor allen Dingen die kleinen, die nicht blühenden, die unscheinbaren, nicht so groß rauskommen und ein Schattendasein im touristischen Fokus führen. Dass aber viele professionelle Hüter der Natur, die ja auch alle Pflanzen mit einschließt, derart uninformiert sind, schockiert uns immer wieder. Nicht, weil wir so verbohrt sind zu glauben, alle Welt müsse sich, im gleichen Maße wie wir, für unser Steckenpferd interessieren, sondern weil es auf fehlende Wertschätzung, verursacht durch Nicht-Wissen, hinweist. Denn nur wer das große Ganze, die Zusammenhänge begreift, wird sich zum Schutze aller beteiligen Faktoren, sprich Lebensformen, bereit sehen und in der Lage sein, das fragile Gleichgewicht sachkundig zu erhalten. Vielleicht aber ist unsere Erwartung auch etwas übertrieben, schließlich ist die Lady zwar Parkangestellte, tut ihren Dienst jedoch im Büro und nicht im Felde.
Die Killerflechte
Pteronia sp.
Egal. Wir für unseren Teil jedenfalls können es kaum noch erwarten, uns in die hiesige Vegetation zu stürzen und zu sehen, welch „Zeug“ entlang der etwa 180 Kilometer langen Caracal Eco Route wohl wächst. Als der Wassertank endlich bis zum Rande gefüllt ist, verabschieden wir uns also abermals und tuckern langsam los. Langsam, weil wir heute nur noch einen kleinen Teil der Eco Route fahren werden und langsam, weil es schon wieder so viel zu sehen gibt. Die Fahrspur führt mehr oder weniger in Sichtweite des Atlantiks über diverse Dünenkämme und präsentiert uns, neben spektakulären Ausblicken auf den tiefblauen Ozean, auch eine ganz eigene Vegetation. Es ist eine Mischung aus aridophilem Fynbos und maritimer Sukkulenz; eine Kombination, die sehr spezielle, recht ungewohnte Pflanzenlandschaften entstehen lässt. Besonders auffallend, auf den ersten Blick, sind ausgedehnte Flechten-„Plantagen“, die das Gesträuch der küstenferneren Sandhügel beinahe zu ersticken scheinen. In grellem Orange wuchern diese symbiotischen Gemeinschaften aus Pilz und Alge, die für eher sparsames Wachstum bekannt sind, wie signalfarbene Todesboten über alles hinweg, was auch nur einen Ansatz von Halt für das Mycel bietet.
Es ist wirklich eine farbenfrohe Angelegenheit; dieses Orange, das Türkis des Meeres, das Blau des Himmels, schön fürs Auge – weniger schön aber für die befallenen Pflanzen. Denn, als wir so ein Flechtenfeld näher inspizieren, stellen wir fest, dass der erste Eindruck nicht getrogen hat und die orangefarbenen Schönheiten alles Leben unter sich ersticken: sobald die Flechten mehr als zirka siebzig Prozent der Wirtspflanze bedecken, gibt diese den Geist auf. Leider ist in einschlägiger Fachliteratur nur sehr wenig über den farbenfrohen Killer zu finden, lediglich den Namen können wir eruieren – Xanthoria flammea aus der Familie der Teloschistoidae. Ist nicht gerade viel der Information, aber besser als nix… Doch aufgrund des einnehmenden Wesens der guten Xanthoria ist hier auch nichts anderes zu bestaunen, weswegen wir rasch weiterfahren und auf noch lebende Pflanzen hoffen. Bald werden wir tatsächlich belohnt: wie von Zauberhand abgeschnitten, endet plötzlich das Hoheitsgebiet der Killerflechte und die Vegetation zeigt ihr wahres, lebendiges Gesicht. Ein Unterschied wie Tag und Nacht! Kaum sind wir wieder aus dem Auto geklettert, hört man uns nur noch entzückt quieken. Hach, was hier schon wieder alles gedeiht!
Pteronia sp.
Crassula barklyi
Pelargonium sp.
Am augenfälligsten sind kugelförmige, strauchige Kissen, die ihre Blütezeit schon deutlich hinter sich haben, dafür aber unglaublich flauschige Samenstände tragen – beinahe wie Pusteblumen, nur viel dichter und wesentlich beständiger. Ich stehe ja total auf derart Plüschiges und umarme im Überschwang meiner Kuschelgelüste einen dieser einladenden Büsche, werde aber herb enttäuscht, denn die Puschel sehen weicher aus, als sie tatsächlich sind. Während ich nun gerade, dem Gepiekse zum Trotz, noch meinen Tuchfühlungsbedürfnissen nachgehe, widmet sich Heinz bereits den wirklich wichtigen Dingen; und die wachsen mal wieder, winzig klein und gut getarnt, direkt in äußerster Bodennähe. Das kennen wir ja bereits aus der Knersvlakte, aber das Gewächs, das Heinz entdeckt hat, kennen wir von dort noch nicht. Es ist eine Crassula, rötlich, mit kleinen Tüpfchen, die Blätter eng aneinander gedrängt, winzige Knöpfchen formend; die etwas älteren Pflanzen recken sich wie kleine, dicke Kinderfinger aus dem Sand. Crassula barklyi ist der wissenschaftliche Name dieser Sukkulente, ihr afrikaanser jedoch ist viel anschaulicher. Der nämlich greift die Fingerform auf, die aufgrund der engstehenden Blätter wie bandagiert wirkt – Verbandvinger – mit Verband umwickelter Finger. Generell bin ich durchaus Fan wissenschaftlicher Namen, denn sie sind eindeutig und schließen jede Verwechslung aus, wenn aber Trivialnamen so treffend sind wie dieser, dann finde ich das toll. Doch Trivialnamen bergen oft auch so viel Historisches in sich, sodass ihr Gebrauch mit Vorsicht zu genießen ist – zumindest, wenn man politisch korrekt sein möchte.
Antimima sp.
Psilocaulon sp.
Adromischus marianiae
Erst vor einem halben Jahr wurde ich gebeten, eine Liste aller Vögel des südlichen Afrika, mit ihren wissenschaftlichen, englischen und deutschen Namen auf Vollständigkeit und Korrektheit zu überprüfen. Tja, was tut man dann mit Bezeichnungen wie „Mohrenmeise“, „Reichsvogel“ oder gar „Kaffernadler“? Auch sie geben nur das wieder, was der Betrachter sieht: eine Meise mit maximalpigmentiertem Gefieder, ein Vogel mit einem Federkleid in den Farben einer politischen Ära, deren man sich in Deutschland heutzutage schämt, ein schwarzer, stolzer Adler, der mit einem Schimpfwort bedacht wird, um seine Farbe zu beschreiben. Was ist falsch, was ist richtig? Zugegeben – wir Deutschen sind aufgrund unserer Vergangenheit schon besonders sensibel, doch auch in anderen Ländern reagiert man auf politisch unkorrekte Namen. Beispiel hierfür ist die Ceraria namaquensis, die jahrzehntelang als Hotnootsriem (Hottentottenriemen) bezeichnet wurde; heute ist, ersatzweise für die diskriminierende Bezeichnung, der Trivialname „Wolftoon“ (Wolfszehe) in Gebrauch. Mei, mir ist das weitestgehend egal, ich sehe das nicht so eng, komme damit aber auch nicht in Kalamitäten, denn ich bevorzuge aus mehreren Gründen wissenschaftliche Bezeichnungen. Allerdings, so musste ich interessanterweise erfahren, sollte ich wohl auch in Privatunterhaltungen auf das Lateinisch-Griechische umsteigen oder zumindest auf meinen bayrischen Dialekt verzichten: vor vielen, vielen Jahren waren mein damaliger Freund und ich im De-Klerkschen, gerade von der Apartheid befreiten Südafrika unterwegs, eilten in einem Geschäft an einem Regal vorbei, das Waren enthielt, die wir ebenfalls auf unserem Einkaufszettel hatten, zuerst aber andere dringender benötigten. Ich platzierte deshalb ein geistiges Post-it bei meinem Freund, indem ich sagte: „Des miassma nacha a no kaffa!“, dann sausten wir weiter. Als wir schließlich an der Kasse standen, um alles zu bezahlen – auch das „Miassma-kaffa“ – wies mich der indische Ladenbesitzer flüsternd auf meinen vermeintlichen Fauxpas hin: „Madam, it’s not allowed to say „kaffa“ any longer. You might be punished if somebody hears you say this word!“ Tja, er hatte „Kaffer“ verstanden. Genau so aber entstehen eben Missverständnisse in den Ohren und Köpfen anderer; dabei sagte ich nur „Das müssen wir später auch noch kaufen!“. Natürlich versuchte ich, den Irrtum zu klären, zu erklären, wurde auch, leicht ungläubig, wahrscheinlich eher höflichkeitshalber, verstanden, dennoch wäre ein sattes „Debemus emere“ (oder so ähnlich) bestimmt weniger zweideutig gewesen.
Auf dem Weg zum Camp
Koringkorrel Baai
Erkunden der Umgebung
Nach diesem kleinen, gedanklichen Ausflug in die missverständliche Welt der Trivialnamen und des Dialekts wenden wir uns wieder der Wirklichkeit zu, die uns hier in aller Pracht zu Füßen liegt. Allerdings, so sehe ich, gedeiht in dieser Dünenlandschaft auch so einiges, was mir mal wieder gänzlich unbekannt ist und den Berg an kommender Recherchearbeit erneut deutlich anwachsen lässt – aber auch die Vorfreude darauf; denn einen vergangenen Urlaub nach der Rückkehr nochmal intensiv aufzuarbeiten, ist fast wie ein abermaliger Urlaub… Was ich allerdings ebenfalls sehe, ist eine gewisse Ungeduld in Annettes und Jochens Gesichtern. Sie möchten zu gerne endlich unsere Campsite erreichen und somit auch die unmittelbare Küste. Na gut, packen wir’s; ein bisschen was wird dort wohl hoffentlich auch gedeihen und unser Botanik-Auge erfreuen können. Ohne weitere Stopps sind wir tatsächlich eine Stunde später an unserem heutigen Zielort angekommen – der Koringkorrel Baai Campsite. Und sie liegt wirklich nur wenige Schritte vom Ozean entfernt und bietet, von der kleinen Anhöhe herab, auf der sie platziert ist, eine phantastische Aussicht auf die dunkelblauen Weiten des Meeres, die beruhigenden Geräusche von Wellenschlag und Möwengeschrei inklusive. Wunderschön! Doch nun können wir uns lebhaft vorstellen, warum so viele Camper in der vergangenen Schlechtwetter-Woche vorzeitig abgereist sind. Wenn hier Wind, Wellen und Regen toben, dann ist dieser Ort wohl nur noch als extrem ungemütlich zu bezeichnen, trotz der kleinen Steinmauern, die überall als Windschutz errichtet wurden.
Milde Brandung
Unser Camp-Kino
Blick Richtung Süden
Uns jedoch ist Petrus sehr gewogen, lässt er doch die Sonne mit voller Kraft von einem blauen, fast wolkenlosen Himmel scheinen, den Wind nur als erfrischend-würzige Brise unsere Nasen umschmeicheln und die Wellen beinahe gischtfrei an die Felsen der Campsite klatschen. Unter solchen Weichspül-Bedingungen ist dieser Platz ein echter Traum, den wir, dank der vorherigen Regenperiode, nun auch noch ganz für uns alleine haben. Rasch errichten wir unser Lager und inspizieren dann, voller Ungeduld und Freude, unsere neue Umgebung. Annette und Jochen zieht es sogleich auf die Felsen direkt am Wasser, wo sie sich die Sonne aufs Gesicht scheinen lassen und den Wellenschlag beobachten. Auch Heinz und mich führen unsere Schritte in die Felsen, allerdings in entgegengesetzte Richtung, denn hier leuchtet allenthalben etwas Pinkfarbenes aus diversen Ritzen: es sind Conophyten, winzige, sukkulente Knöpfchen, die sich kissenförmig aneinander drängen und gerade in Blüte stehen. Ein unglaublicher Anblick! Manche dieser Kissen sind über und über mit Blüten bedeckt, so dicht, dass man die darunterliegenden Blattpaar-Gnubbel nicht mehr sehen kann. Manche jedoch tragen nur vereinzelte Blüten, was das Größenverhältnis zwischen Pflanzenkörper und Blüte auf anrührende Weise deutlich werden lässt: es ist, als hätte ein kleiner, graugrüner Seeigel eine große magentafarbene Seeanemone geboren… Begeistert krabbeln wir über die sonnenwarmen Steine und entdecken in jeder Ritze neue Conophyten – aber auch andere Gewächse, die uns durch ihre Winzigkeit entzücken. Wir fühlen uns wie Gulliver in Lilliput, wie Riesen in einem Bonsai-Garten. Doch kein Wunder, dass hier alles nur im Miniaturformat gedeiht: das Klima ist sehr harsch, die Luft salzig und die Winde heftig – da würden auch wir jede schützende Nische nutzen und unsere Köpfe nicht so weit herausrecken!
Crassula elegans mit Conophytum
Conophytum minutum
Zygophyllum sp.
Nachdem wir nun alle, auf unsere Weise, die ersten Eindrücke genossen haben, finden wir uns hinter unserem Windschutz auf ein Teepäuschen zusammen, um bald darauf wieder loszuziehen, diesmal Richtung Strand, der sich zu unserer Rechten wie ein endloses weißes Band an den Rand des tiefblauen Atlantiks schmiegt. Annette und Jochen entledigen sich sogleich ihrer Schuhe, planschen mit den Füßen im eiskalten Wasser und verbringen dann den Nachmittag wie veritable Strandurlauber – mit Handtuch, Buch, viel Faullenzen und ein wenig Muschelsammeln. Heinz und mich aber zieht es wieder fort; wir wandern einige Kilometer den Strand entlang, mäandern zwischen Wasserkante und Uferböschung hin und her und entdecken auch hier ständig etwas Neues. Die Brandung hat zum Beispiel lange Kelpstängel angespült, Stängel, die zur größten Braunalge der Welt gehören – der Macrocystis pyrifera. Diese riesigen Algen werden auch Unterwasser-Bambus genannt, da sie in einer Saison bis zu 45 Meter wachsen können. Sie bevorzugen kaltes und nicht zu tiefes Wasser, weshalb man ihre Blätter bei Ebbe oft wie überdimensionale, gammelige Spinat-Tagliatelle an der Oberfläche wogen sieht. Um den heftigen Strömungen und dem rauen Wellengang standhalten zu können, klammern sie sich mit vergleichsweise kleinen, aber sehr starken Wurzeln am Meeresboden fest. Diesen Wurzeln wiederum entspringt ein handgelenksdicker Stängel, dessen styroporartiges Inneres von einem zähen, ledrigen Mantel umgeben ist. Aus dem Stängel sprießen, einem Farnwedel ähnlich, die ebenfalls lederartigen Blätter, an deren unterem Ende jeweils seine gasgefüllte Beule sitzt, um der Bandnudel-Alge den nötigen Auftrieb zu verleihen. Hin und wieder jedoch fallen auch die stärksten Algen dem Gezerre der Strömungen zum Opfer und werden dann, mit all ihren Untermietern, an Land gespült – kiloweise hängen Miesmuscheln und Seepocken an den Blättern. Uns tun die Muscheln von Herzen leid, aber es sind viel zu viele, um sie abzumachen und wieder ins Wasser zu werfen. Tja, mitgehangen, mitgefangen…
Strandgut-Begutachtung
Biene auf Mesembryanthemum
Mesembryanthemum sp.
Nach einer gründlichen Inspektion der Kelp-Überreste in allen Trocknungs- und Geruchsstadien wenden wir uns dann landeinwärts, denn auch an der Uferböschung gedeiht allerlei Interessantes: wir beobachten eine Biene, die die weißen Blütensterne zahlreicher Mesembryanthemum-Pflanzen besucht und sich redlich abmüht, an deren Nektar zu kommen, wir entdecken sedumartige Hebenstrethias, die uns mit völlig symmetrischen Blattwirbeln und winzigen orchideenähnlichen Blütchen entzücken und erspähen, weit oberhalb der Böschung, weitere Gewächse, die verdächtig nach Euphorbien aussehen. Zu unserem größten Bedauern aber werden wir die nähere Begutachtung dieser stacheligen Gesellen auf morgen verschieben müssen, denn die sandige Böschung ist definitiv zu steil, um sie von hier aus zu erklimmen. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben, denken wir uns mit einem letzten sehnsüchtigen Blick hoch zu den Euphorbien, und machen uns auf den Rückweg, für den es allmählich ohnehin Zeit wird. Annette und Jochen nämlich sind nur noch als kleine Punkte am Ende des Strandes zu erkennen und die Sonne neigt sich in deutlichem Bogen bereits wieder gen Horizont.
Noch ‘ne Leiche
Gegenlicht mit Reiz
Muscheleintopf
Nach gut einer Stunde des Marsches schließlich sind wir wieder bei unseren Freunden angelangt und genießen gemeinsam die letzten wärmenden Sonnenstrahlen im warmen Sand des Strandes, bevor wir zum Camp hochstapfen. Dort öffnen wir uns jeder ein kühles Bier und nehmen in unserer Steinloge Platz, um standesgemäß und windgeschützt der letzten Phase des Tages beizuwohnen. Allein Jochen hat keine Augen für den rotglühenden Ball der untergehenden Sonne. Immer wieder springt er auf und rührt eifrig in unserem Potjie, das auf dem Gaskocher leise vor sich hinsimmert – eine Überraschung als Hors d’Œuvre, wie Jochen geheimnisvoll verkündet. Was das wohl sein mag? Im letzten Dämmerlicht dann serviert er schließlich stolz seine Vorspeisen-Surprise. Es sind jene Miesmuscheln, die auch uns schon aufgefallen sind, die Jochen jedoch nicht bedauert, sondern kurzerhand von den frisch angespülten Kelpstängeln gepflückt und mit Salz, Pfeffer und Chili zubereitet hat. Und sie schmecken wirklich unglaublich gut. Noch nie habe ich derart leckere Muscheln gegessen, noch nicht mal anno dunnemals in einem hoch gelobten Seafood-Tempel in Hout Bay. Allerdings auch noch nie so sandige… In seiner Jäger-und-Sammler-Euphorie nämlich hatte Jochen naturburschengemäß auf eine ausreichende Wässerung der Meeresfrüchte verzichtet und nun schmälert das Knirschen im Munde den Gaumenschmaus leider ein wenig. Doch wollen wir weder den Koch brüskieren noch als Weicheier dastehen, und spülen deshalb das körnige Beiwerk tapfer mit kühlem Castle hinunter. Danach machen wir uns an die Zubereitung des Hauptgangs und lassen den Abend bei Wellenrauschen gemütlich am Lagerfeuer ausklingen, bevor wir in unsere leise im Wind flatternden Zelte kriechen.
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