Ein letzter Morning Walk im Kirindy
Bevor es nach Morondava geht – heutöh nochmal! Pünktlich sind wir alle zur Stelle: Eric und seine Freundin, die diesmal in langer Hose zum Walk antritt, aber nicht wirklich motivierter ist als gestern, Heinz und ich, die wir auf einen spannenden letzten Morning Walk nebst weiterer kabarettistischer Einlagen hoffen, und Christian, der heute mit Erics Spezialauftrag unterwegs ist: Schlegels Asity, der sagenhafte Gelbbauchjala, soll gefunden werden! Mamy und Fitah bleiben dieser finalen Exkursion fern, so dass wir schließlich ohne die beiden aufbrechen. Und es fängt gut an: tief im Unterholz entdeckt Christian ein Schwarzkehl-Laufhühnchen, eine kleine Wachtel, die allerdings, als sie unserer gewahr wird, sofort im dichten Gestrüpp verschwindet. Danach folgen ein Wiedehopf, ein Schwarm von Sakalavenwebern, ein Drongo und ein Madagaskar-Dajal. Erik winkt bei allen mehr oder weniger ab. Schon gesehön! Danach aber entdecken wir etwas, was sogar sein Interesse weckt. Ein paar recht eigenwillig aussehende Vögel durchpflügen zu Fuß das Gebüsch. Sie schleichen geduckt durch die raschelnden Blätter und geben eigentümlich fauchende Laute von sich. Es sind Mesiten, Kurzfuß-Stelzenrallen; sie sind scheu, selten und dementsprechend noch seltener zu sehen. Heinz und ich sind ganz begeistert, Christian freut sich wie ein kleines Kind über diese Sichtung, Erics Interesse hingegen äußert sich in ausbrechender Hektik.
Geradezu panisch hantiert er mit seinen Objektiven, seine OP-Schwester gerät mächtig unter Druck, doch endlich ist das richtige Objektiv gefunden und aufgeschraubt. Mit einem Satz ist Eric im Gebüsch und hechtet den armen Vögeln hinterher. Zu seiner Ehrenrettung muss man sagen, dass er durchaus versucht, auf uns und die Tiere Rücksicht zu nehmen; die Betonung allerdings liegt auf versucht. Sprich, er ist bemüht, sich uns nicht ins Bild zu stellen, sein Gehampel aber wirkt nicht gerade beruhigend auf die Mesiten, die sich ziemlich schnell und empört schnarrend in undurchdringlichere Regionen des Waldes zurückziehen. Doch wir sind Eric nicht gram, denn wir hatten genügend Zeit, die urtümlichen Vögel zu beobachten und zu fotografieren, während der hektische Belgier sein Equipment-Update durchführte. Nichtsdestotrotz verstehen wir sein Verhalten nicht ganz. Er ist Birder, und da schadet ein bisschen Ruhe und Geduld nicht, im Gegenteil. Mit seinem Gehabe jedoch vertreibt er jeden Vogel – ausgestopfte ausgenommen.
Und zufriedenstellende Fotos sind ihm übrigens auch nicht gelungen, wie er entsetzt feststellt, als er wieder aus dem Gebüsch gekrochen kommt. Wir dagegen glauben, ein paar ganz brauchbare Aufnahmen gemacht zu haben und bieten ihm an, ihm nach dem Urlaub gerne ein paar davon zukommen zu lassen, was er aber entsetzt ablehnt; es gelten nur die selbst geschossenen! Na ja, wenn er meint. Schön langsam wird uns klar, was für einen Menschen wir da vor uns haben: einen, der nicht genießen kann, einen, der nicht in der Lage ist, so eine Reise in ein fernes Land mit all ihren Facetten in sich aufzunehmen und sich darüber zu freuen. Nein, er kommt wegen der Vögel, bestimmter Vögel hierher, will eine Liste abarbeiten und legt für alles andere, was ihm über den Weg läuft, Scheuklappen an. Das ist echt schade. Schade für ihn selbst, denn auf diese Weise entgeht ihm so viel, schade für seine Freundin, deren Unlust wir allmählich immer besser nachvollziehen können, und schade für den jeweiligen Guide, der zum Spurensucher für eine bestimmte Spezies degradiert wird und so nur ein sehr kleines Erfolgsfenster zur Verfügung hat. Der arme Eric ist kein Vogelliebhaber, geschweige denn ein Naturliebhaber – er ist ein eiskalter Jäger, den nichts anderes als seine – Gott sei Dank nur fotografische – Beute von noch nicht gesehenen und seltenen Vögel interessiert. Und nicht mal das so wirklich. Denn die Begegnung mit den Mesiten war auch seine erste, doch sie stand nicht auf seiner Liste und ergab auch kein brauchbares Foto. Folglich ist das Erlebnis für ihn abgehakt. Schlegels Asity war und ist das Ziel! Darauf weist er nun Christian abermals nachdrücklich hin, und so setzen wir unseren Walk fort, dorthin, wo Christian ein Vorkommen vom Gelbbauchjala bekannt ist. Komischerweise ist dieser Ort ganz in der Nähe des Camps und ebenfalls komischerweise neigen sich die eineinhalb Stunden unseres Walks ihrem Ende zu…
In einer kleinen, bambusbestandenen Senke, keine drei Gehminuten von unserem Bungalow entfernt (dieser Ort ist so prägnant, dass sogar ich weiß, wo wir uns befinden), stoppt Christian. „Wenn wir Schlegels Asity finden, dann hier!“, sagt er mit großer Überzeugungskraft und beginnt sogleich, in diverse Bäume zu spähen. Ist das eine Finte oder meint er es ernst? Heinz und ich sehen uns ebenfalls um, können aber nichts entdecken. Also beschäftigen wir uns stattdessen mit der örtlichen Flora, werden aber sofort von Eric zurechtgewiesen, uns still zu verhalten. Und dann passiert etwas, was uns fast Tränen in die Augen treibt, Tränen des zurückgehaltenen Lachens. Eric zückt sein Smartphone und spielt mindestens fünf Mal die Rufsequenz eines männlichen Gelbbauchjalas ab, volle Lautstärke. Abspielen, lauschen, noch mal abspielen, lauschen. Und nochmal und nochmal. „Värdammt, das ist där Territorialruf. Wenn er hier ist, dann muss er kommön!“ Tut er aber nicht! Heinz und ich brechen vor innerlichem Lachen fast zusammen, Erics Freundin starrt unbeteiligt in die Wipfel der Bäume und hofft sichtlich, der blöde Vogel möge endlich auftauchen, Christian tut, zumindest scheint es so, sein Möglichstes und Eric rotiert. Meine Güte, ist das bizarr! Als aber auch nach dem x-ten Mal des abgespielten Territorialrufs des männlichen Gelbbauchjalas kein selbiger erscheint, bläst Christian das ach so erregende Event ab und erklärt den Walk für beendet. Eric ist sichtlich geknickt. „Heutöh Mittag versuchön wir es noch einmal!“ Puh, was für ein Glück, da sind wir schon weg, unterwegs nach Morondava…
So endet dieser Morning Walk mit einem enttäuschten Eric ein paar Minuten später vor unserem Bungalow. Unter der Terrasse des Nachbarhäuschens ruht wieder eine Fossa. Wir sehen Christian an, er sieht uns an – und wir drei beschließen in stummer Absprache, nichts zu sagen. Stattdessen verabschieden wir uns dankbar von Christian, da wir ja nicht wissen, ob wir ihn vor unserer Abreise nochmal sehen, und drücken ihm unser Trinkgeldröllchen in die Hand, das von einer dünnen Luftwurzel zusammengehalten und einem Commiphoraschildchen mit kurzem Dankesschreiben geziert wird. Dann trennen sich unsere Wege. Dass es in allen Fällen ein „Vorerst“ ist, ahnen wird zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Immer noch kopfschüttelnd über das soeben Erlebte, gehen Heinz und ich frühstücken. Gerade verzehren wir ein letztes Mal dieses trockene Baguette mit geschmacklosen Käse und dem vermeintlichen Honig, als uns ein Angestellter des Camps Literatur an den Tisch liefert. Literatur über die Pflanzenwelt des Kirindy. Christian hatte uns das versprochen und nun liegen die zwei Büchlein tatsächlich vor uns auf dem Tisch. Sorgfältig fotografiere ich alle Seiten ab und gebe das kostbare Material dann wieder an der Rezeption ab. Toll, dass Christian das nicht vergessen hat!
Es wird Zeit zum Abschied
Wir beenden unser Frühstück, dann kehren wir zum Bungalow zurück, um das Zeug, das wir während der letzten vier Tage in unserem Hüttchen verteilt hatten, wieder einzusammeln und zu verpacken. Geschafft! Wehmütig verabschieden wir uns von dem gemütlichen Häuschen, von der schlafenden Fossa und den Geräuschen des umgebenden Waldes, ich demontiere noch meine provisorische Tränke, die leider unbesucht blieb, dann rollen wir mit Sack und Pack zum Restaurant, um uns die verbleibende Zeit mit einem Softdrink zu versüßen. Kaum haben wir uns niedergelassen, eilt ein strahlender Christian auf uns zu, drückt uns heftig und bedankt sich geradezu überschwänglich für unsere Trinkgeldgabe. Seiner Freude nach zu urteilen, haben wir also nicht zu wenig gegeben. Doch die so wohlüberlegte Summe scheint nicht die Hauptursache dieser Freude zu sein, vielmehr ist es das auf der Commiphorarinde geschriebene Dankesbriefchen, das er mit feuchten Augen aus der Hosentasche zieht, ans Herz presst und beteuert, es werde einen Ehrenplatz bekommen. Es sei eine wunderschöne Erinnerung an die vier besten Tage, die er in den letzten Jahren seiner Führertätigkeit erlebt habe. Verstohlen wischt er sich über die Augen, drückt uns nochmal und eilt dann rasch von dannen.
Heinz und ich sind von Christians Gefühlsausbruch mindestens ebenso gerührt, wie Christian von unserer Gabe. Glücklich, aber auch ein wenig wehmütig winken wir ihm hinterher, als plötzlich Eric auftaucht. „War das gerade Christian? Hat er mich gesucht?“ Wir beruhigen Eric. „Gut, ist ja auch noch ein bisschen früh. Wir sind erst in einer halben Stunde verabredet. Schlegels Asity, ihr wisst ja. Und ihr reist ab? Wohin geht es denn?“ Kurz skizzieren wir ihm unsere weiteren Ziele, wobei das nächste ja der Andasibe Nationalpark ist. „Oh ja, da war ich auch schon vor zwei Wochen!“ „Und wie fandest du es?“ „Och, es war sehr, sehr nass, hat fast ununterbrochen geregnet und alles war voll mit, äh, leeches, äh, wie sagt man? Blutegöl. Die Viecher waren wirklisch überall. Isch hatte sogar einön am Schwanz!“ Huch, so genau hatten wir es eigentlich gar nicht wissen wollen… Doch wie dem auch sei, ein wenig beunruhigt uns Erics Bericht dann doch. Dauerregen und Blutegel, das klingt nicht besonders verheißungsvoll, Regenwald hin oder her. Nun ja, hoffen wir mal das Beste und auch, dass wir von derartigem Ungemach verschont bleiben mögen. Vielleicht kommt uns ja das Glück zu Hilfe und die ausgehende Trockenzeit bäumt sich ein letztes Mal auf, bevor sie ihrer nassen Schwester, der Regenzeit, das Feld räumen muss. Wir plaudern noch ein wenig mit Eric, dessen gelangweilte Freundin heute Mittag den Pool der Lodge der Jagd nach dem Gelbbauchjala vorgezogen hat, dann müssen wir uns verabschieden, denn Mamy und Fitah kommen über den Parkplatz geschlendert und scheinen abreisebereit zu sein.
Nun denn, lasst uns fahren. Rasch verstauen wir unser Gepäck im Auto und machen uns dann auf den Rückweg nach Morondava. Auf dem Hinweg waren wir ja relativ brav gewesen, was gewünschte Stopps anbelangte und wir hatten uns geschworen, so einiges auf dem Rückweg nachzuholen. Doch das ist gar nicht nötig, denn wir haben in den vergangenen Tagen so viel gesehen, dass wir Mamy und Fitah auch diesmal nicht übermäßig strapazieren müssen. Lediglich zweimal erbitten wir einen Halt. Einmal bei den pink-violetten Blumen, die am Wegesrand förmlich aus der trockenen Vegetation herausleuchten. Hier handelt es sich um Indischen Gummiwein, so stellen wir schnell fest und wollen gerade wieder ins Auto klettern, als ein älterer Herr wie aus dem Nichts auftaucht und auf unseren Wagen zutorkelt. Gespannt warten wir auf Mamys Reaktion. Jeder Fahrer, der mich bis jetzt begleitet hatte, hätte sofort die Flucht ergriffen, bevor der Alte das Auto erreicht. Nicht aber Mamy. Freundlich grüßt er den Mann, macht ein wenig Small Talk und drückt ihm schließlich eine mit Leitungswasser gefüllte Plastikflasche in die Hand, die der zahnlose Greis freudig lächelnd entgegennimmt und anschließend freundlich winkend erneut im Nichts verschwindet. „Mamy, was war jetzt das?“ „Ach, wir haben nur leere Flaschen gesammelt und sie wieder mit Wasser gefüllt, um sie unterwegs an die Leute abzugeben. Hier ist es sehr trocken und die Menschen freuen sich über Wasser.“ „Warum hast du denn nichts gesagt, wir hätten doch auch sammeln können.“ „Keine Sorge, wir haben genug!“ Grinsend deutet er auf den Fußraum vor Fitahs Beifahrersitz. Tatsächlich, hier stapelt sich ein halber See in Form gebrauchter Plastikflaschen, die Mamy auf der weiteren Fahrt großzügig an alle Personen verteilt, die da des Weges kommen.
Baobab Amoureux und Andenkenliebe
Der Flaschenstapel ist bereits merklich geschrumpft, als wir ein zweites Mal um einen Stop bitten. Pachypodien! Ein ganzer Wald aus großen und kleinen Pflanzen säumt den Straßenrand. Begeistert schwärmen Heinz und ich aus und inspizieren die skurrilen Gewächse, die ich schon seit 30 Jahren auf meiner Fensterbank kultiviere. Mhm, Pachypodium rutenbergianum, das hier wächst, habe ich allerdings noch nicht in meiner Sammlung. Aber es gäbe so schöne, kleine Pflanzen in idealer Transportgröße… Nein, nein, Frau Schneider, hier wird nur bewundert, aber nix ausgegraben! Nach einer halben Stunde des Umherschweifens im Pachypodienwäldchen – unsere Jungs leiden schon wieder sichtlich unter der Hitze –, trennen wir uns von den stacheligen Pflanzen und rollen weiter. Und wir sind schon wieder eine ganze Weile gefahren, als Mamy plötzlich abbiegt. „Mamy, wo fährst du hin?“ „Zu den Baobab amoureux, den liebenden Baobabs.“ Ach ja, da hatte ich mal was drüber gelesen. Bald darauf erreichen wir die Sehenswürdigkeit: Zwei Baobabs der Spezies Za wachsen ganz nahe beieinander und haben sich im Laufe der langen Jahre so innig ineinander verschlungen, als würden sie sich lieben. Natürlich gibt es dazu auch eine rührende Geschichte: Ein Liebespaar wurde von den Göttern aus Mitgefühl in diese Baobabs verwandelt, weil die beiden jeweils anderen Partnern versprochen waren und so niemals hätten zueinander finden können. Nun, als eng umschlungene Bäume sind sie auf ewig vereint – und zudem eine Touristenattraktion. Das allerdings ist für die beiden Liebenden, respektive Bäume, ein zweifelhaftes Vergnügen, denn Heerscharen bekloppter Touris haben sich in der Rinde der Pflanzen verewigt. Kevin was here! Penelope 19.11.17. Debbie and Jason forever. Diese und ähnlich sinnige Worte sind da zu lesen. Doch nicht nur in der unteren, stehend zu erreichenden Rinde, nein, auch weiter oben, in mehreren Metern Höhe! Es muss schon ein recht dringendes Bedürfnis mancher Menschen sein, überall ein Zeichen der eigenen Anwesenheit zu hinterlassen. Vielleicht sollte man mal drüber nachdenken, diese Tatsache zu nutzen, einen stabilen Zaun rund um die Bäume zu errichten und einen kleinen Laden zu etablieren, in dem man Vorhängeschlösser erwerben und gleich auch gravieren lassen kann, gleich der verbreiteten Unsitte an deutschen Brückengeländern. Das würde die Baobabs schonen und gleichzeitig eine neue Einkommensquelle generieren.
Eine andere Einkommensquelle gibt es übrigens schon. Am Parkplatz bei den Baobab amoureux hat sich ein kleiner Markt etabliert, auf dem, wen wundert’s, vorwiegend geschnitzte Baobabs erworben werden können. Oje, das ist mal wieder was für mich! Die bizarren Bäume haben mir es schon in natura schwer angetan, aber die auf die wesentlichsten Merkmale reduzierten Schnitzereien strahlen einen ganz speziellen Charme aus. Schnell habe ich ein Exemplar erspäht, das besonders knullig daherkommt und zudem aus einem Holz geschnitzt wurde, was man auf dem ganzen Markt nur selten sieht. Ich spreche den jugendlichen Verkäufer an, merke aber schnell, dass ich hier mit meinem Französisch nicht weit komme. Doch Fitah ist sofort zur Stelle und dolmetscht. „Was ist das für ein Holz?“ „Mangrove.“ „Es ist leicht und der Baum klein. Gut fürs Gepäck. Was soll er kosten?“ „4000.“ Ich glaube mich verhört zu haben. 4000?! Das ist gerade mal ein Euro! Sofort nicke ich zustimmend. Fitah sieht mich warnend an – du musst handeln! Nein, bei dem Preis muss ich nicht handeln, das wäre echt dreist und ich käme mir schofel vor. Außerdem, hätte ich das Bäumchen auf einem Markt in Vic Falls, Windhoek oder Maun entdeckt, hätte der jeweilige Händler als Erstpreis mindestens das Zehnfache verlangt. Also wechselt der Mangroven-Baobab ohne Handeln für einen Euro seinen Besitzer und beide Parteien freuen sich. Dann entdeckt Heinz ein kleines Stückchen Holz auf dem Tisch desselben Standes. Ratlos betrachtet er es von allen Seiten. „Das ist Rosenholz. Sehr teuer!“ „Okay, aber was soll das sein?“ Der Jungschnitzer nimmt es ihm aus der Hand, dreht und wendet es und gibt es Heinz zurück. „Das ist Madagaskar!“ Heinz dreht und wendet das Ding ebenfalls, kann aber keine Ähnlichkeit mit dem Umriss der Insel erkennen „Tja, ist halt Madagaskar, als sich der Urkontinent teilte. Schon allein wegen dieser Aussage des Jungen muss ich das Teil haben! Was soll es kosten?“ „10000.“ „Was, für das kleine Ding?“ „Rosenholz, teuer.“ „Okay, ich nehm’s für 5000, wenn ich noch ein Foto von dir machen darf.“
Der kleine Verkäufer überlegt lange und gründlich, dann willigt er schließlich ein. Er setzt sich auf seine Decke und beschert Heinz ein Foto, auf dem er seinem Handwerk nachgeht. Und erneut sind zwei Parteien glücklich. Schmunzelnd verabschieden wir uns von dem Jungen und schlendern weiter über den Markt, der auch noch andere verlockende Dinge bereithält. Heinz entdeckt zum Beispiel einen Stand mit schmalen maskenähnlichen Gesichtern und sofort erwacht sein Interesse erneut. Gründlich inspiziert er die Masken und wird dabei vom Verkäufer aufgeklärt: „Das ist Sakalava-Kunst!“ Heinz nickt verständig und pickt schließlich eine Maske heraus, die es ihm besonders angetan hat; ein Gesicht mit schläfrigen Augen, einem Zitronenmündchen und einem stilisierten Federbüschel auf der Stirn. Der Händler ruft sofort einen vergleichsweise hohen Preis dafür auf, Heinz lacht jedoch nur und heuchelt Desinteresse. „Das ist Sakalava-Kunst!“, insistiert der Verkäufer. „Ja, hübsch, aber es ist ja nur ein Gesicht, keine Figur.“ Ein Kräftemessen der Argumente pro und kontra die Maske beginnt, an dessen Ende das Schnitzwerk schließlich für einen Bruchteil der ursprünglich geforderten Summe in Heinz’ Besitz übergeht. Und wieder hat jeder das, was er wollte…
Auf zur legendären Baobab-Allee
So, jetzt ist’s genug! Strahlend kehren wir mit unseren Beutestücken zu Mamy zurück, der geduldig beim Auto gewartet hatte. „Oje!“, seufzt er grinsend. „Viel Oje!“ Wie recht er hat. Schmunzelnd verstauen wir unsere Neuerwerbungen im „Büro“ und klettern wieder ins Auto. „Und jetzt? Fahren wir nach Morondava und kommen abends zur Allee zurück, oder wie hattet ihr das geplant?“ „Nein, wir fahren jetzt zur Allee und werden da auf den Sonnenuntergang warten. Erst nach Morondava und wieder zurück, das ist zu weit.“ Mhm, es ist zwar erst halb drei, aber wenn Mamy meint… Also holpern wir zur etwa acht km entfernten Allee und halten dort auf einem Parkplatz. „Wir bleiben im Auto, seht euch in Ruhe um.“ Nun gut. Heinz und ich stapfen los. Einmal die Allee rauf, einmal runter, wir inspizieren die Schilder der hiesigen Prominenz, die eine Patenschaft für einen neu gepflanzten Baobab übernommen haben, besichtigen eine kleine Baumschule, die Baobab-Schösslinge feilbietet, dann erschöpfen sich die zu besichtigenden Dinge. Und nun? Ein Blick auf den Parkplatz zeigt, dass Mamy und Fitah es sich bei einem Nickerchen im Auto gemütlich gemacht haben. Da müssen wir uns wohl allein beschäftigen. Doch ganz vorne, so hatten wir schon beim Parken gesehen, ganz vorne, da gibt es eine kleine Kneipe mit Terrasse und Schattendach. Dort werden uns jetzt niederlassen, unseren Durst stillen und ein bisschen Leute beobachten.
Wir sind die einzigen Gäste und haben die volle Aufmerksamkeit des Wirts, zu beobachtende Leute hingegen gibt es weit und breit kaum zu sehen. Nur im hinteren Eck der Terrasse sitzt eine alte Dame, wahrscheinlich die Mutter des Wirts, die dauernd ein kleines Mädchen maßregelt, der Wirt zieht es vor, im Inneren der Kneipe unter dem Ventilator zu sitzen und Touristen sind auch noch keine da. Allerdings entdecke ich an einer Wand hinter der alten Dame etwas höchst Amüsantes: ein Plakat, das ein Konzert ankündigt. Der Künstler, ein ziemlich schmieriger, sich betont cool gebender Jüngling, firmiert unter dem Namen, und das kann ich fast nicht glauben, El Idiot. Herrschaft, wie kommt man denn auf so eine Idee? Idiot ist ja fast schon international und bedeutet überall dasselbe. Ich muss so lachen, dass ich mich beinahe verschlucke. Hustend und kichernd nähere ich mich der alten Dame und frage sie so höflich, wie mein amüsierter Zustand es eben zulässt, ob ich ein Foto von dem Plakat hinter ihr machen darf. Sie blickt hinter sich, öffnet ihren zahnlosen Mund zu einem belustigten Grinsen und macht mit einer ziemlich eindeutigen Geste klar, was sie von El Idiot hält. Der Wirt lacht auch und wedelt mit seiner Hand vor der Stirn. Tja, bei diesem Künstler scheint der Name irgendwie Programm zu sein…
Nach diesem kleinen, lustigen Intermezzo lasse ich mich wieder auf meinen Stuhl plumpsen und wir beobachten weiter. Und es dauert nicht mehr lange, bis es allmählich beginnt, unterhaltsamer zu werden. Hinter uns, neben der Brüstung der Kneipe, lassen sich immer mehr einheimische Frauen nieder, geben unzähligen geschnitzten Baobabs den letzten Schliff, um sie dann, Baum für Baum, auf kleinen Tischen aufzubauen. Und als hätten sie es gerochen, trudeln auf dem Parkplatz immer mehr Touristen ein. Zunächst noch spärlich, hier ein Pkw, dort ein Minibus, dann aber wird es schnell voll und bald pilgern Heerscharen von Chinesen, Japanern, Amerikanern, Franzosen und Italienern erwartungsvoll zwischen den beiden Reihen mit Baobabs hindurch. Viele von ihnen werden von ihren Guides informiert, wo sich die besten Plätze für den Sonnenuntergang befinden und so dauert es nicht lange, bis das mehrere Fußballfelder große Areal östlich der Baobabs mit wartenden Touristen gefüllt ist. Heinz und ich sind völlig geplättet. Dass das hier eine Touristenattraktion erster Güte ist und wir wohl nicht allein sein werden, war uns klar, dieser Massenauflauf allerdings ist schon etwas schockierend. Sollen wir uns auch mal unters Volk mischen?
Nein, bis zum Sonnenuntergang dauert es noch mindestens eine Stunde und wir haben keine Lust, mit Hunderten anderer dumm rumzustehen. Also bestellen wir uns noch etwas zu trinken und beobachten weiter diesen Wahnsinn. Erst als die Dämmerung einsetzt, bezahlen wir unsere Getränke und suchen uns langsam ein geeignetes Plätzchen. Wobei, was ist geeignet? Ganz hinten, da, wo die meisten Leute stehen, hätte man den schönsten (Über-)Blick über die Allee, leider aber stehen auch weiter vorne viele Menschen und die fotografiert man dann natürlich mit. Mit der Belichtung spielen und sie mit dem dunklen Vordergrund verschmelzen lassen? Oder sie später rausretuschieren? Und wie kriegt man die zahlreichen Drohnen aus dem Bild – überall surren diese kleinen Störenfriede umher und man muss echt aufpassen, um nicht mit ihnen zu kollidieren – die Piloten scheinen allesamt nicht die erfahrensten zu sein. Heinz und ich sehen uns vielsagend an und versuchen einfach, das Beste aus der Situation zu machen. Das Ganze hat schon eine eigene Faszination, die aber eher diesem bizarren Massenauflauf zuzuschreiben ist, als den Baobabs im Sonnenuntergang. Und ich glaube, wir wären wahnsinnig enttäuscht gewesen, wären wir extra hierfür nach Morondava gekommen. So aber gestaltet sich das Event für uns recht entspannt und wir sind umso froher, vorher richtig ruhige Tage im Kirindy verbracht zu haben.
So, die fahlrote Scheibe der Sonne versinkt wenig dramatisch hinter den Adansonias, die Massen strömen wie auf Knopfdruck Richtung Verkaufsstände und Parkplatz und recht bald hat sich dieser Spuk weitestgehend aufgelöst. Heinz und ich lassen das Ganze noch ein wenig auf uns wirken, bevor auch wir uns zum Parkplatz aufmachen. Mamy und Fitah warten sicher schon.
Das Szenario hat sich nun auch bei den Verkaufsständen bereits beträchtlich geleert, als wir selbige erreichen. Die ersten Händler packen schon wieder zusammen, als mich zum zweiten Mal an diesem Tag die Kauflust anspringt. Diese Baobabs einfach zu schön, werden hier aber wohl recht teuer sein. Ich entdecke ein unpoliertes Palisander-Bäumchen – unpoliert ist hier nicht en vogue, aber genau das, was ich schön finde – und erkundige mich rein interessehalber nach dem Preis. 50000 will die Verkäuferin dafür, 12,50 €. Obwohl das wirklich nicht teuer ist, beginne ich zu handeln und habe den Preis innerhalb von zwei Minuten auf die Hälfte gedrückt. Und natürlich kann ich da nicht widerstehen. Oje! Wenn sich das Preisniveau für Souvenirs hier weiter auf diesem Level bewegt, dann wird das ein gewichtiger Urlaub! Glücklich klemme ich mir mein Bäumchen unter den Arm und Heinz und ich streben nun endgültig dem Parkplatz zu, wo wir von unseren beiden Jungs schon ungeduldig, aber auch leicht verunsichert erwartet werden. „Viele Leute, oder? Wir dachten schon, ihr seid geflüchtet.“, sagt Mamy. Einem erleichterten Blick auf den soeben erworbenen Baobab in meiner Armbeuge folgt ein seufzendes Oje. „Es war also alles okay für euch?“ „Keine Sorge, Mamy, es war zu verkraften. Obwohl ist echt verrückt ist, wie viele Leute extra für den Sonnenuntergang hierherkommen.“ „Ach, das war heute noch gar nichts! Das müsstet ihr erstmal in einem Monat sehen, wenn Hauptreisesaison ist!“ Ach nö, da verzichten wir doch gerne drauf!
„So, jetzt fahren wir aber zurück nach Morondava. Es ist schon spät.“ Gerne fügen wir uns dem und lassen uns zurückkutschieren. „Mamy, was hast du heute Abend vor?“ „Ich werde was essen gehen und danach ins Bett.“ „Wir würden uns sehr freuen, wenn du unser Gast wärst, bevor du schlafen gehst und wir alle vier zusammen essen könnten. Gibst du uns die Ehre?“ Mamy blinzelt uns über den Rückspiegel zu und erklärt sich einverstanden. Ob er die Einladung nun gerne annimmt oder doch lieber allein essen gegangen wäre, können wir aus dieser Zusage „über die Bande“ nicht ganz herauslesen, doch wir sind froh, dass wir den Abend gemeinsam verbringen werden. Wir haben Mamy unheimlich liebgewonnen und finden es nach wie vor sehr befremdlich, dass er aus finanziellen oder Statusgründen von gemeinsamen Mahlzeiten ausgeschlossen bleibt. Heute Abend wird das anders sein, und wir freuen uns sehr darüber.
Bald darauf erreichen wir Morondava und unser Hotel. Rasch ist eingecheckt – allerdings bekommen wir nicht mehr unser schummriges, urgemütliches Studio von vor vier Tagen zugeteilt, sondern ein normales Standardzimmer, aber auch das ist schön, wenn auch nicht ganz so großzügig und urig. Abendessen in einer halben Stunde? Okay! 30 Minuten später versammeln wir uns alle vier auf der Terrasse des Restaurants und verbringen einen vergnüglichen, unterhaltsamen Abend miteinander. Mamy wirkt gelöst und scheint die Zeit zu genießen, Fitah agiert in Gegenwart seines älteren und erfahreneren Kollegen viel entspannter und Heinz und ich freuen uns sehr, dass dem so ist. Gegen 22 Uhr löst sich unsere Runde dann wegen allgemeiner Müdigkeit auf, wir verabschieden uns und lassen die beiden Jungs ziehen. Ein Gruß noch an Fonzy, ein letztes wohliges Durchatmen in der lauen Meeresbrise, dann streichen auch Heinz und ich die Segel und suchen unser Zimmer auf, wo wir unserer nächsten Reiseetappe entgegenschlafen.
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