14. Oktober 2018; Kirindy, dritter Tag

Kirindy Morning Walk mit seltenen Vögeln

Sechs Uhr, Treffen am Parkplatz, wie üblich. Begrüßung und die Fragen nach der Qualität des Nachtschlafes, ebenfalls wie üblich. „Mamy, stell dir vor, wir haben gestern eine Riesenratte gesehen! Die sehen ein bisschen aus wie Hasen. Und bei uns in Deutschland sind solche Tiere zu Ostern dafür zuständig, bemalte Eier und Geschenke zu bringen. Bei euch müssen das wohl die Votsotsas machen, oder?“ Mamy sieht uns verwirrt an. „Ihr seid auf der Südhalbkugel, da sind die Jahreszeiten ja genau andersrum wie bei uns und deshalb muss jetzt Ostern sein, denn die Votsotsa hat gestern Bier gebracht.“ „Ach was?!“, strahlt Mamy. „Ja, echt! Und wir haben uns tierisch darüber gefreut. Danke, Votsotsa!“ „Ich richte es der Votsotsa aus!“, grinst Mamy, während ich ihm den Arm drücke.

Gut gelaunt stürzen wir uns nun in den Wald, der heute Morgen wieder einiges für uns bereithält. Wir sehen ein Pärchen von Sichelschnabelvangas – das Männchen versucht gerade, das Weibchen mit ein paar Leckerbissen zu verführen – wir beobachten einen großen Vasa-Schwarm, sichten einen Kua, der nur auf einer Kopfseite den blauen Augenfleck trägt, erhaschen einen Blick auf einen Madagaskarkuckuck und freuen uns, erneut so reich beschenkt worden zu sein. Fast schon befinden wir uns wieder auf dem Rückweg, als wir plötzlich ein seltsames Krächzen aus einem Baum über uns vernehmen. Christian und Heinz erstarren gleichzeitig zur Salzsäule, als ihr Blick auf die dazugehörigen Vögel fällt. Schopfibisse! Der Schopf- oder Mähnenibis ist ein weiterer Endemit Madagaskars und, da sein Lebensraum immer weiter eingeschränkt wird, ein mittlerweile selten zu sehender Vogel. Christian ist ganz aufgeregt, Heinz nicht minder. Und – es ist nicht nur einer, sondern ein Pärchen! Eine ganze Weile beobachten wir die hübschen Federtiere mit den roten, unbefiederten Gesichtsflecken, dem rostbraunen Rückengefieder und den eleganten Schöpfchen, die hoch über uns durchs Geäst hüpfen. Welch eine besondere Sichtung! Wie besonders sie ist, wird uns erst recht bewusst, als Christian erzählt, dass vor einiger Zeit mehrere Ornithologen für ganze vier Monate im Kirindy gewesen waren, in der Hoffnung, Schopfibisse zu Gesicht zu bekommen. Aber sie haben nicht einen einzigen gesehen, ja, nicht mal einen gehört. Es ist also schlichtweg fantastisch, dass uns dieses Glück zuteil wurde!

Das Fossa-Geständnis

Strahlend biegen wir so wenig später hinter unserem Bungalow wieder aus dem Wald und wollen uns gerade bei Christian bedanken, als wir erneut die Fossa-Mama mit ihrem heranwachsenden Sprössling erspähen. Die zwei ruhen im Schatten des Nachbar-Häuschens. Christian hat die beiden ebenfalls gesehen und ihm entfährt ein tiefer Seufzer. „Also, wegen gestern, wegen der Fossas. Ihr habt recht, das geht gar nicht, was der Guide da gemacht hat. Das Problem ist halt nur, dass alle Touristen gerne eine Fossa sehen möchten und wenn sie da so liegen und man so nahe ran kann … ähm … also, ja… Nein, man darf sie nicht auf diese Weise, ähm, mhm… Es tut mir leid, aber ICH habe dem anderen Guide verraten, wo die Tiere liegen. Doch ich habe ihm gesagt, dass er so was nie wieder machen darf.“

Heinz und ich sind ganz betreten. Nicht ob Christians Geständnis, den Platz der Fossas verraten zu haben, sondern eher, weil er sich so windet und ihm das Ganze so peinlich ist. Allerdings ist uns klar, dass so etwas nicht zum ersten Mal vorgekommen ist und auch nicht das letzte Mal gewesen sein wird. Wobei wir wieder beim Thema „Sichtungsdruck“ wären, insbesondere bei Guides, die Kurzzeitgäste in ihrer Obhut haben. Und da stehen Fossas nun mal ziemlich weit oben auf der Wunschliste der Besucher. Wie sich ein derartiger Druck aufbaut und welche Blüten er treibt, und dass auch andere Lebewesen Objekte der Sichtungsbegierde sein können, werden wir heute Abend und morgen Früh live erleben dürfen…

Ein Pachypodium – endlich!

Noch aber ahnen wir nicht, was uns da bevorsteht und blicken lediglich unserem nächsten Walk mit großer Vorfreude entgegen. Nach dem Frühstück, wir bekommen wieder diesen „Honig“ serviert, obwohl wir doch gerne etwas anderes gehabt hätten, und einer kleinen Pause, marschieren wir erneut los, hinab in das Flusstal, das wir gestern Nacht schon besucht hatten.

Ein beschwerlicher Weg, es ist unglaublich heiß und unzählige Insekten umschwirren uns. Wir stolpern über lockeres Geröll, quälen uns unter umgestürzten Bäumen hindurch, klettern über erstaunliche Treibgutansammlungen und ich hoffe nur noch, das Ganze möge bald ein Ende haben. Der Schweiß rinnt mir in Strömen übers Gesicht und die Insekten nerven mich tierisch. Viel schlimmer aber ist, dass mir heute mein Kreuz ziemlich weh tut und das Gelände schmerzhafte Anforderungen an meine Lendenwirbel stellt. Und das, obwohl weit und breit nichts Interessantes zu entdecken ist. Dann irgendwann, mein Selbstmitleid hat soeben seinen Höhepunkt erreicht, kommen wir an eine schattige Biegung im Flusstal und Christian ruft endlich eine kleine Pause aus. Erleichtert lassen wir uns niederplumpsen, trinken ein paar Schlucke Wasser und versuchen, ein wenig runterzukühlen. Plötzlich, wir sitzen alle schweigend da und genießen die Pause, quiekt Heinz entzückt auf. „Uuuiiih, Schneck, kuck mal, da drüben! Ich glaube, da blüht ein Pachypodium!“ Tatsächlich! Da steht ein schlanker, flaschenförmiger Baum mit stacheligem Stamm, und an dessen (fast) blätterlosen Ästen blühen auffällige, weiße Blumen. Eindeutig ein Pachypodium! Heinz springt auf, Christian hechtet hinterher – und ich wundere mich, wo die beiden die Energie dazu hernehmen. Pachypodien zählen zwar zu meinen Lieblingspflanzen – ich habe selbst einige daheim – aber ich bin gerade so schlapp, das mich keine zehn Pferde von meinem Sitzplatz hochkriegen würden, Pachypodium hin oder her. Auch Mamy und Fitah bleiben sitzen, wissen aber so gar nicht, worum es geht. Während Heinz und Christian nun das Hundsgiftgewächs aus der Nähe betrachten, kläre ich die beiden auf, um was es sich hier handelt. Nämlich um eine Pflanzengattung mit 24 Spezies und diversen Unterarten, von denen ein Großteil in Madagaskar zuhause und auch endemisch ist. Mamy nickt. „Pachypodium, das habe ich schon mal gehört.“ Fitah hingegen staunt nur. „Pachy…? Wie heißt das? Und das ist typisch für Madagaskar? Woher wisst ihr sowas?“ Ein weiteres Mal zeigt er aktives Interesse. „Könntet ihr mir da, ähm, öfter mal was erklären, bitte?“ „Was sollen wir erklären?“, fragt Heinz, der gerade mit Christian zu unserem Rastplatz zurückkehrt. „Fitah möchte, dass wir unser Pflanzenwissen mit ihm teilen.“ „Das machen wir doch gerne!“ „Aber schreib besser mit, Fitah“, meint Christian. „So viel Neues, das kann sich kein Mensch auf einmal merken. Ich wußte zum Beispiel, dass diese Pflanzen hier wachsen, aber wie sie wissenschaftlich heißen und wie besonders sie sind, war mir nicht bekannt. Das muss ich mir für künftige Gäste unbedingt merken.“ Heinz und ich sehen uns an, begeistert, aber auch ein wenig betreten. Begeistert, weil Heinz ein Pachypodium entdeckt hat, auf das wir so gehofft hatten und weil unsere Jungs so interessiert sind. Betreten, weil wir, die Landesfremden, die Nichtwissenschaftler, auf einmal zu Lehrmeistern erklärt werden. Das sollte nicht sein, vor allen Dingen nicht durch den Chefausbilder eines Schutzgebietes. Doch vielleicht sehen wir das auch zu deutsch. Christian jedenfalls ist völlig entspannt und saugt die neuen Erkenntnisse förmlich in sich auf. Nachdenklich an allen Fronten beenden wir schließlich unsere Pause im Flusstal und machen uns auf den Rückweg zum Camp.

Ein Baobab für die Ewigkeit und Fitah will’s wissen

Dort angekommen, geben wir uns dankbar unserer Pause hin und gönnen uns ein paar Softdrinks, um unsere Zucker- und Flüssigkeitsreserven wieder aufzufüllen. Die Temperaturen steigen weiter und wir rechnen schon fast mit einem abermaligen Storno des Nachmittags-Walks, doch heute ist Christian gnadenlos. „Es hat ein Grad weniger als gestern“, grinst er schelmisch und wischt sich den Schweiß von der Stirne. „Let’s go!“ Und obwohl die Luft fast kocht und flimmernde Hitzeschwaden zwischen den Bäumen stehen, wird es wieder ein besonderer Walk. Wir schlendern durch den hitzewabernden Wald, sehen Eidechsen, Larvensifakas, einen Schopfkua und einen Chaberts Vanga. Dann will uns Christian etwas ganz Spezielles zeigen. „Folgt mir. Und fragt mich nicht, es soll eine Überraschung sein.“ Wir stapfen durch den Wald, an einem Bachufer entlang. Dort stehen ganze Beete von Erdorchideen und Heinz ist begeistert, obwohl sie nicht blühen. „Schneck, ich hab das falsche Objektiv drauf, kannst du ein paar Details fotografieren?“ „Was fotografiert ihr da?“, fragen Christian und Fitah wie aus einem Munde. Holla, Fitah, du scheinst ja wirklich Interesse zu entwickeln! Sogleich bekommt er von Heinz einen detaillierten Vortrag über Orchideen: über Charakteristika, die so typisch sind, dass man sie auch ohne Blüten als Orchideen erkennt, über die Besonderheiten epyphytischer, semiterrestrischer, terrestrischer und lithophytischer Orchideen, über sympodial und monopodial wachsende und auch darüber, dass Orchideen, obwohl sie als selten, schön und besonders gelten, tatsächlich die zweitgrößte Familie innerhalb der Bedecktsamer stellen – nach den Asteraceae. Fitah schlackert beinahe sichtbar mit den Ohren und scheint es fast schon wieder zu bereuen, gefragt zu haben. Doch Christian nickt ihm zu und fordert ihn auf, sich das alles gut zu merken. Fitah schluckt und ist schwer erleichtert, als Christian ihn nicht über das eben Gehörte examiniert, wie er wohl befürchtet hatte, sondern uns alle bittet, ihm zu der versprochenen Überraschung zu folgen.

Brav traben wir ihm hinterher und sind sehr gespannt, womit er uns wohl überraschen wird. Nach ein paar Minuten, wir stolpern über wurzeldurchsetzten Boden, bittet uns Christian, den Blick zu senken und erst wieder aufzuschauen, wenn er es sagt. Ein paar Augenblicke später ist es so weit. „Ihr dürft gucken!“ Hui, was für ein mächtiger Baobab! Vor uns steht ein Exemplar der Spezies Rubrostipa, reckt seine Äste über alle anderen, ihn umgebenden Bäume hinaus und beeindruckt mit mehreren Metern Stammumfang. Die Wurzeln, die seit einiger Zeit unsere Schritte begleitet hatten, gehören übrigens auch zu ihm. „Ein toller Baum, oder?! Könnt ihr seine Ruhe und Kraft spüren?“ Wir nicken ergriffen. „Ich wusste es! Übrigens führe ich nur wenige Leute hierher, denn nicht alle wissen das zu schätzen. Und viele zücken zudem sofort ihr Messer und ritzen ihre Namen in den Stamm, kaum dass man ihnen den Rücken zugedreht hat. Aber jetzt genießt die Kraft des Baumes. Und bevor wir gehen, müsst ihr euch noch unter dem Baobab küssen, das bringt Glück!“ Wir freuen uns sehr, dass Christian den Baumriesen mit uns teilt und tun, wie geheißen – Genuss und Kuss. Christian macht dabei ein paar Fotos mit meiner Kamera. „Bilder von etwas Ewigem…“. Ach Gott, ist das putzig! Unser sachlicher Guide zeigt seine weiche, romantische Seite und das steht ihm richtig gut.

Anekdoten eines Guides und ein fantastischer Fund

Nachdem Heinz und ich uns lippentechnisch voneinander getrennt haben und uns gemeinsam mit unseren Jungs wieder auf den Rückweg machen, nutze ich die vertraute Stimmung und frage Christian nach etwas, was mich schon eine ganze Weile interessiert. „Sag mal, wie lange hat es eigentlich gedauert, bis du dich hier zurechtgefunden hast? Und wie oft hast du dich verirrt?“ Christian lacht. „ Das Wegenetz ist eigentlich ganz logisch aufgeteilt und theoretisch sogar nummeriert und kartografiert. Nummeriert in Ost-West-Richtung, mit Buchstaben versehen in Nord-Süd-Richtung. Also ein spinnenfeines Koordinatensystem. Theoretisch. In der Praxis ist das aber echt kompliziert und es hat über ein halbes Jahr gedauert, bis ich mich hier zurecht- und, vor allen Dingen, wieder rausgefunden habe. Einmal, ich hatte meine Ausbildung gerade abgeschlossen, da bin ich abends mit Gästen los. Lemuren hier, Chamäleon da, immer tiefer rein in den Wald. Und plötzlich wusste ich nicht mehr, wo ich bin. Das wollte ich natürlich nicht zugeben und hoffte, einen Platz zu finden, wo ich wieder Orientierung bekomme. War aber nicht so. Ein Gast nach dem anderen wurde ungeduldig, und ich habe wirklich alles probiert, so zu tun, als wäre alles normal, als gehöre das zu Walk. Als auch der letzte Gast, der noch gute Miene zum bösen Spiel gemacht hatte, seine Geduld verlor, blieb mir nichts anderes mehr übrig. Ich musste auf einen Baum klettern und mich anhand der Sterne orientieren. Gott sei Dank war der Himmel klar und ich wusste nun, in welcher Richtung das Camp liegt. Trotzdem kehrten wir erst weit nach Mitternacht wieder zurück. Mann, war das peinlich! Doch die größte Peinlichkeit blieb mir immerhin erspart. Wir wurden nicht durch eine Suchmannschaft lokalisiert und gerettet!“

Völlig ohne Hemmungen erzählt uns Christian diese Geschichte und Heinz und ich staunen. Erstens, weil das Wegenetz offenbar noch viel komplizierter ist, als wir dachten, und zweitens, weil Christian so offen über sein „Scheitern“ spricht. Dass das nicht selbstverständlich ist, ist uns durchaus klar, erst recht, da wir sehen, dass Mamy und Fitah den Mund gar nicht mehr zubekommen.

Und die Münder der beiden wollen auch in der Folge nicht mehr zugehen: Christian hat soeben sein Geständnis abgeschlossen, als wir am Ufer des kleinen, ausgetrockneten Flusses auf eine etwas marode Betonbrücke stoßen, in deren Ritzen und Rändern viele verschiedene Pflanzen wachsen. Christian steuert auf die blühenden Büschel zu, bleibt stehen und pflückt diverse Blütenrispen. „Vielleicht könnt ihr mir helfen und mir sagen, was das ist. Mit so etwas kenne ich mich nicht besonders gut aus.“ Heinz winkt ab. „Für blühendes Kraut ist Barbara zuständig.“ Ich gebe mein Bestes. „Das ist ein Heliotropium, es gehört zu den Boraginaceae, das ist eine Emilia, Asteraceae und das eine Art Rainfarn, ebenfalls Asteraceae. Die genaue Speziesbezeichnung für madagassische Arten kann ich dir nicht sagen, aber vielleicht hast du ja Literatur, womit du das präzisieren kannst.“ Christian nickt aufmerksam. „Ihr seid wirklich besondere Gäste. Könnt ihr nicht länger hierbleiben?“ Ein schöneres Kompliment hätte uns der ausbildende Guide des Kirindy Forest nun wirklich nicht machen können!

Doch es kommt noch besser: Christian sortiert soeben seine erhaltenen Informationen und wir traben den Weg aus dem Flusstal wieder nach oben, als mir auf der rechten Seite, gut verborgen im dürren Gestrüpp und dennoch kaum zu übersehen, einige dottergelbe Blüten auffallen. „Ja, was haben wir denn da?! Schneck, dafür bist jetzt du zuständig!“ „Nein, nein, ich glaub’s nicht! Eine Uncarina!“ Heinz stürmt die Böschung nach oben, wir alle hinterher. „Boah, was ist denn das?“, fragt Christian staunend. „Eine Ucarina, ein stammsukkulentes Sesamgewächs. Welche Spezies genau weiß ich nicht. Aber es ist unglaublich!“ „Wahnsinn, ich bin hier seit Jahren unterwegs, aber DAS habe ich noch nie gesehen!“ Gemeinsam bewundern wir das erstaunliche Gewächs, riechen daran und fotografieren es zur näheren Bestimmung. „Das ist fantastisch! Ich merke es mir und falls mal wieder Gäste kommen, die so an Pflanzen interessiert sind wie ihr, weiß ich, wo ich sie finde und was das ist. Ihr seid meine Lehrer!“ Heinz und ich sind geplättet. Solch eine Aussage aus dem Munde des Ausbilder-Guides von Kirindy! Mamy und Fitah sind noch viel geplätteter und sagen nichts mehr, bis wir bald darauf wieder im Camp ankommen. Der erste, der wieder spricht, ist Christian. „Es war toll! Vielen Dank für diese Exkursion! Und heute Abend gehen wir nochmal los und suchen Madame Berthes Mausmaki. Der ist schwer zu finden, aber ich weiß, wo wir suchen müssen.“ „Klar, gerne! Den Kleinen würden wir auch gerne mal sehen.“ „Mhm, ähm, ich, ähm, ich habe da nur ein Problem…“ Problem? „Tja, da sind zwei andere Gäste, die für heute Abend angemeldet sind. Würde es euch etwas ausmachen, wenn die beiden mitgingen?“ „Nein, natürlich nicht. Warum auch?“ „Gut, danke.“ Ich kann’s mir nicht verkneifen und frage: „Was, wenn wir doch Nein sagen würden?“ „Puh, äh, mhm, das wäre kompliziert. Da müsste ich…“ „Nein, Christian, passt schon. Gehen wir gerne alle zusammen.“ Erleichtert nickt Christian und so treten wir unsere Vorabendpause an.

Mit einem Hardcore-Birder auf der Suche nach Madame Berthes Mausmaki – Erheiterungen in der Dunkelheit

Heinz und ich sitzen gerade entspannt auf der Terrasse unseres Bungalows, als plötzlich Christian auf uns zumarschiert kommt, ein jüngeres Pärchen im Schlepptau. Er ein korpulenter, aber umtriebiger Mittdreißiger, behangen mit einem äußerst beachtlichen Fotoequipment, sie eine schlanke Brünette, der man ansieht, dass ihr die momentane Situation irgendwie unbehaglich ist. „Das sind die beiden, von denen ich euch erzählt habe. Sie sind aus Belgien.“ Der Knabe stürzt sogleich auf uns zu, stellt sich vor, und das auch noch auf Deutsch, sie hingegen bleibt abseits und starrt unbeteiligt in den Wald. Eric, so heißt der Belgier, platzt fast vor Tatendrang und outet sich uns gegenüber als Hardcore-Birder. In Hochgeschwindigkeit sprudelt er hervor, wo sie herkommen, wo sie untergebracht sind, wo sie in den vergangenen zwei Wochen schon überall waren, was sie alles gesehen haben und weswegen sie hier seien. „Vögel, Vögel, Vögel. Aber ganz besonders wegön Schlegels Asity. Isch weiß nischt, wie der auf Deutsch heißt, aber er ist erst kürzlisch entdeckt worden. Er hat so einöh buntöh Blumöh ums Augöh. Phantastique! Isch muss ihn sehön!“ Wir sind total überrumpelt von seinem Redeschwall und versuchen ihm unsererseits zu erzählen, dass wir heute Schopfibisse gesehen hätten, in der irrigen Meinung, das könnte ihn interessieren. Tut es aber nicht wirklich. Mhm, was will er denn dann heute auf dem Nightwalk, wo doch alle Vögel schon im Bettchen sind, außer Nachtschwalben und Eulen? Das kann ja noch spannend werden! Auch Christian, der von unserer Unterhaltung kein Wort versteht, von Eric aber sicher schon aufs Gründlichste instruiert worden ist, scheint skeptisch zu sein, macht aber eine professionell-freundliche Miene zu diesem seltsamen Spiel. Nun ja, wir werden sehen…

Eine Stunde später treffen wir dann alle am Parkplatz wieder zusammen und fahren anschließend in den nachtfinsteren Wald. Diesmal besuchen wir jedoch nicht die Seite rechts der Zufahrtsstraße, sondern schlagen uns links davon in die Büsche. Allerdings ohne Mamy. Der zieht es vor, mit dem Fahrer der Belgier im Dunkeln zurückzubleiben und ein gemütliches Pläuschchen abzuhalten. „Viel Spaß und Erfolg!“, wünscht er uns mit einem süffisanten Seitenblick auf Eric, der, mit Equipment behangen wie ein Einzelkämpfer einer Spezialeinheit, schon mit den Hufen scharrt. Und dann preschen wir los. Strammen Tempos zickzacken wir durch den Wald. Links, rechts, links, geradeaus, rechts. Die Wege sind stellenweise ziemlich zugewachsen und nicht alle Pflanzen sind schmuseweich und rankenfrei, im Gegenteil. Heinz und mir, die wir lange Hosen tragen, macht das nichts aus, Eric in seinen Shorts bricht ebenfalls völlig schmerzfrei durch den Busch, doch seine Freundin, angetan mit sexy kurzen Hosen, ist nicht amused. Aber niemand nimmt Rücksicht auf sie, am wenigsten Eric. Tja, da muss sie wohl durch!

Lange stolpern wir durch die Dunkelheit und sehen nichts. Heinz und ich haben die Exkursion schon als vergnüglichen Abendspaziergang mit kabarettistischen Einlagen abgehakt, als Christian plötzlich in Habacht-Stellung geht. „Da oben, Madame Berthes Mausmaki!“ Er deutet Richtung Himmel, in die Krone des wahrscheinlich höchsten Baumes in ganz Kirindy Forest. Und da oben soll er sitzen, der kleinste aller Mausmakis! Knapp zehn Zentimeter groß und etwa dreißig Gramm schwer – ein Stecknadelkopf in dieser Höhe und noch dazu des nächtens. Ja, man kann den Winzling erahnen, mehr aber auch nicht. Doch Eric ist in höchster Erregung, obwohl doch der Lemur ein Lemur und kein Vogel ist. Und seine zerschrammte, leidgeplagte Freundin? Endlich wird sie zur Kenntnis genommen, ja, sogar gebraucht. „Scheißöh, falsches Objektiv!“, flucht Eric lautstark in die Nacht. Mit der nachlässigen Präzision einer OP-Schwester, die schon seit Jahren weiß, dass sie den falschen Beruf hat, reicht ihm die Freundin das große Tele, packt das kleine weg. „Blitz, Blitz!“ Sie drückt ihm den externen Blitz in die Hand. „Scheißöh, zu hell!“ Ein paar Handgriffe später: „Scheißöh, zu dunköhl! Isch brauche die großöh Taschöhnlampöh! Nein, nischt die! Merde, jetzt ist er weg!“ Christian winkt ab. „Wir gehen weiter und finden noch einen.“

Amüsiert brechen wir erneut durchs Gebüsch, diesmal aber lassen Heinz und ich Eric den Vortritt, zusammen mit seiner OP-Schwester. Zehn Minuten später entdeckt Christian dann tatsächlich einen weiteren Berthe-Mausmaki. Geschickt verbirgt sich das kleine Kerlchen hinter einigen Blättern und diversen dürren Ästen, ist aber nicht ganz so weit oben wie das erste Exemplar. Doch das Spiel beginnt von Neuem. „Scheißöh, zu hell, Scheißöh, zu dunkel!“ Bis Eric endlich seinen Blitz justiert hat, hat Heinz schon längst ein paar Fotos geschossen, soweit das mit seiner „Hobbyausrüstung“ ohne externen Blitz eben möglich war – und der kleine Lemur inzwischen längst das Weite gesucht. „Scheißöh! Aber morgöhn gehön wir auf Schlegels Asity!“, tönt Eric. Was? Wie? Morgöhn nochmal? Christian schaut uns entschuldigend an und nickt. Also gut, dann eben morgöhn nochmal! Seufzend fügen wir uns unserem Schicksal, treten zusammen mit den anderen den Rückweg an und sind bald wieder bei Mamy, der sich ein Grinsen kaum verkneifen kann. Nun ja, er ist ein erfahrener Guide und kennt somit wohl auch die unterschiedlichen Spezies diverser Pappenheimer. Und ihm ist klar, wie der Nightwalk verlief – mit Pappenheimöhr und Assistance… Heinz und ich grinsen zurück, leichten Herzens, denn, obwohl es nicht der Traum-Nightwalk war, so gestaltete er sich zumindest recht amüsant. Und morgöhn nochmal. Wir sind schon gespannt…

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