12. Juli 2008 – Mkushi Forest Inn > Kasanka NP
Es war wieder bitter kalt in der vergangenen Nacht und ich quäle mich in der Morgendämmerung aus meinem Zelt. Auf dem Eureka-Camp, das ziemlich busy, aber völlig unterdimensioniert ist, was seine Waschräume anbelangt, hatte ich auf eine Dusche und Haarwäsche verzichtet. Nun dackle ich schnatternd zum nahe gelegenen Ablution Block des Forest Inn, schäle mich bibbernd aus meinen Klamotten und drehe die Dusche an. Nichts! Nicht ein Tropfen. Ich versuche es mit der zweiten Dusche. Wieder nichts! Die Klospülung funktioniert, das Licht des Boilers leuchtet, aus den Wasserhähnen der Waschbecken kommt warmes Wasser, aber die Dusche ist tot. Also ziehe ich mich wieder an und inspiziere sämtliche Ventile im und um das Waschhaus, auch bei den „Gentlemen“. Nichts, kein Tropfen Duschwasser, nicht mal kaltes. Platzkeeper ist auch weit und breit keiner zu entdecken und ich bin ein wenig sauer, verschiebe mein Projekt gezwungenermaßen auf nach dem Frühstück.
Aber auch da tut sich natürlich nichts, doch wenigstens ist es mit der aufgehenden Sonne ein bisschen wärmer geworden. Kurzerhand „dusche“ ich via Waschbecken und wasche mir meine Haare am Küchentrog. Das eiskalte Wasser lässt mein Gehirn Gänsehaut bekommen, aber ich fühle mich danach zumindest wieder hygienisch einwandfrei und meine staubverklebten Haare lassen sich einigermaßen kämmen. Wir packen zusammen. Shit, das Moskitonetz! Während Annette noch das Frühstücksgeschirr abspült und die Männer unser Inventar im und auf dem Auto verstauen, schneide ich rasch handliche Flecken aus dem widerspenstigen Gewebe. Joachim, der ohnehin gerade auf dem Dach des Autos zugange ist, darf gleich ein Stück über dem Dachfenster festkleben, die Seitenfenster werden Annette und ich während der Fahrt ausstatten.
Wir haben ja rund 220 km vor uns. Doch die Straße ist gut, die Strecke abwechslungsreich und um 13 Uhr sind wir am Gate des Kasanka NP angekommen. Dieser Park verspricht etwas ganz Besonderes zu sein: er ist zwar ein offizieller sambischer Nationalpark, wird aber auf privater Ebene gemanaged und verwaltet. Unter britischer Schirmherrschaft wurde der Kasanka Trust gegründet, zusammen mit der sambischen Naturschutzbehörde ZAWA und den umliegenden Dörfern. Ich bin gespannt, was uns da erwartet.
Ein frisch angemaltes Eingangsschild und drei gut gelaunte Ranger empfangen uns. Annette erledigt die Formalitäten, bezahlen werden wir aber in der Wasa Lodge, nicht am Gate. Die beiden anderen Ranger kommen gerne mit uns ins Gespräch, wie wir mit ihnen auch; die Brücke wird geschlagen durch eine ungefähr 12 cm lange Heuschrecke, die sich in unserem Spelzenschutznetz verfangen hat. Erst denken wir alle, das Insekt ist tot, aber ganz unmerklich bewegt es sich hin und wieder. Ich merkte ja schon an, dass Insekten nicht zu meinen Lieblingen zählen, aber so, wie andere Menschen unter einer handfesten, nicht zu erklärenden Arachnophobie leiden, zieht es mir alles zusammen, wenn eine Schrecke länger als 5 cm ist. Gänsehautschauer wandern über meinen Körper, meine Kopfhaut zieht sich zusammen und ich habe das Gefühl, hysterisch schreiend und hyperventilierend fliehen zu müssen, sollte mich das Chitin-Teil anspringen. Heuschrecken sind besonders furchterregend für mich, denn sie können springen, fliegen und auch noch Geräusche von sich geben, sind also völlig unkalkulierbar. Vor Jahren schon habe ich mir zum Zwecke der Eigentherapie eine lebensecht wirkende, grellgrüne Riesen-Schrecken-Nachbildung an die Wand, rechts neben meine heimische Kloschüssel geklebt. Morgens, erster Gang: Toilette. Als Brillenträger hab ich das Ding, von dem ich ja wusste es selbst da angebracht zu haben, immer nur unscharf aus dem Augenwinkel wahrgenommen, bin monatelang auf meine eigene Falle hereingefallen, kann aber nicht definitiv sagen, ob es mich einen Schritt weiter gebracht hat.
Nun sitzt dieser wahrgewordene Alptraum meiner ureigensten Phobien direkt vor mir auf der Stoßstange, ist völlig bedeppert, zu kaum einer Regung fähig und ich traue mich heran. Und sie ist unglaublich schön! Das Auge gleicht in der Maserung einem hochglanzpoliertem Stück Edelholz, die Hinterbeine entspringen einem Gelenk, das wie ein champagnerfarbenes, zart gemasertes Blatt aussieht, die Unterschenkel sind gelb-rosa und von Dornen geschmückt wie eine kostbare Rose. Die Flügel ein fein ziseliertes Kunstwerk, eine Gitter-Komposition aus Beige- und Brauntönen. Völlig fasziniert nutze ich diese Chance, doch trotz aller Schönheit und Bewegungsunfähigkeit macht mir die Schrecke noch ordentlich Gänsehaut. Und sogar jetzt, Wochen danach, da ich meine Gefühle und Erlebnisse in schriftliche Reinform bringe, schaudert mich noch immer!
Bevor wir das Auto durch’s Gate lenken, pickt Jürg dieses wunderschöne Monster liebevoll vom Kühler und setzt es, möge es sich erholen und mir bitte fernbleiben, auf den Boden fernab der Fahrspur. Die Gatejungs wünschen uns viel Spaß, winken hinterher und wir sind im Kasanka. Einige Kilometer geht es durch lichtdurchfluteten Wald, alle paar Meter halten wir an, denn es ist zauberhaft. Proteenartige Blüten in Pink, Rosé und Weiß sind zu entdecken, uns unbekannte Bäume, Schmetterlinge. Danach treffen wir auf eine Abzweigung, unbeschildert, biegen aber einfach mal nach rechts, im Glauben, auf die Wasa Lodge zu treffen. Und bald sehen wir mehrere Rondavels mit Strohdach, rund gemauert und mit Dreiecksmustern am Sockel verziert. Kaum dass wir uns einen geeigneten Platz zum Anhalten gesucht haben, stürzt schon ein älterer Herr aus einem der Gebäude. John, so stellt er sich vor. Ob wir denn gerne alles ansehen würden? Klar wollen wir das, auch wenn wir nur campen möchten. Aber das ist schon die Wasa Lodge, oder? Nein, nein, das ist das Besucherzentrum, die Forschungseinheit, die Schule, das Herz des Kasanka Trust im Kasanka NP, verkündet er uns stolz und führt uns in die Philosophie des Trust und dessen, was diese Idee geboren hat, ein.
Wir betreten unter seiner Führung den Vorraum des Besuchergebäudes. Wunderschöne Fotografien hängen an der Wand, von denen John uns erklärt, ein ehemaliger UK-Praktikant des Kasanka-Projektes hätte sie gemacht und, BBC-gekrönt, zur Verfügung gestellt. Wir werden weitergeführt in einen Raum, in dem zahlreiche Tische von Tüchern bedeckt sind, die Wände plakatiert mit äußerst anschaulichen Darstellungen, Diagrammen: Wer frisst wen warum, was ist weshalb so, wie es ist mit den Kreisläufen der Natur. John sprüht vor Begeisterung und je mehr Fragen wir stellen, desto lebendiger wird er. Wir löchern ihn und er beantwortet alles, mehr als einleuchtend, mit Herzblut und Leidenschaft. Inzwischen deckt jemand anders die Tische ab und ich bin fassungslos vor Begeisterung, was da zum Vorschein kommt. Kleine Bastschälchen, in denen Gegenstände liegen, die man anfassen kann, denen ein Schildchen mit genauer Erklärung beiliegt. Gegenstände, Dinge, Produkte von Pflanzen und Tieren, die Afrika zuhause sind aber auch dort nicht selbstverständlich gewusst, akzeptiert oder hinterfragt werden.
Da gibt es Schädel, Wirbel, Krokodilschuppen, Krokodilkrallen, Stachelschweinborsten, Steine, Schneckenhäuser, Schlangenhaut, Vogelnester, Elefantendung, Gipsabdrücke verschiedener Fußspuren, Teile vom Termitenhügel – und Baumschoten. Und alles zum Anfassen. Hier werden Schulklassen durchgeführt, die Schüler bekommen alles auf’s Genaueste erläutert und John hofft, so ein nachhaltiges Interesse für die Natur zu erzeugen. Die Arbeitsmarktsituation in der Gegend ist extrem schlecht, erklärt John, aber der Trust stellt selbstverständlich auch Arbeitsplätze im Park zur Verfügung. Das Trust-Konzept, die Natur und alles, was darin lebt, so zu einem schützenswerten Brötchengeber zu machen, scheint aufzugehen. Zwar wird immer noch gewildert, doch bereits mehrere eingefleischte Wilderer haben die Seite gewechselt und verdienen nun ihr Geld, indem sie Tiere schützen. Wir unterhalten uns lange mit John und es ist ein wunderbares Gefühl, sein Engagement und seine Leidenschaft für den Trust zu sehen, zu spüren. Und es ist eine sehr positive Erfahrung, gerade im Hinblick auf den Lochinvar NP, dass es offenbar doch Konzepte gibt, die funktionieren und Früchte tragen – der Kasanka Trust darf sehr stolz darauf sein. John strahlt über das ganze Gesicht, als ich ihm das zum Abschied sage.
Wir fahren weiter zur Wasa Lodge, die an einem wunderschönen, von Wald gesäumten See liegt. Auf dem Weg dorthin tauchen auch die ersten Tsetses auf, können uns aber dank unserer noch nicht ganz ausgereiften, aber dennoch wirksamen Tsetsebarrieren nichts anhaben. Das Gelände der Wasa Lodge hingegen ist tsetsefrei. Und auch hier spürt man, mit welcher Freude die Angestellten die einfache Lodge führen. An der Wand hängt eine handgezeichnete Karte des Parks, wir bekommen zur besseren Orientierung ein kopiertes DIN-A4-Exemplar, auf dem auch GPS-Koordinaten vermerkt sind – weder im Lochinvar noch im LZNP konnte man mit so einem Schriftstück dienen. Man wünscht uns aus vollem Herzen einen schönen und erlebnisreichen Aufenthalt, bezahlen könnten wir auf dem Rückweg. Mit einem guten und erwartungsvollen Gefühl steuern wir einen der drei Campingplätze an. John hatte uns zwar die Kabwe Site empfohlen, aber wir wollen uns zuerst die Pontoon Campsite direkt am Kasanka River ansehen.
Und auch hier werden wir positiv überrascht. Die Lage ist wunderschön, es gibt ein Dusch-, ein Toiletten- und ein Aufenthaltshäuschen. Alle drei sind aus Schilf gebaut, zum Teil mit Binsen gedeckt, sind sehr gepflegt und fügen sich harmonisch in die Landschaft ein. Man hat einen herrlichen Blick auf den Kasanka River, das Schilf wiegt sich malerisch im Wind und riesige Red Mahogany-Bäume spenden Schatten. Spontan entscheiden wir uns zum Bleiben, ohne das Kabwe Camp gesehen zu haben. Wir sind gerade beschäftigt, das Auto zu entladen und die Zelte aufzubauen, als ein junger Parkangestellter herbeieilt und uns ein Lagerfeuer entzündet. Er lädt eine ganze Schubkarre voller Brennholz ab und stellt sich uns dann vor. Obwohl ich dreimal nachfrage, habe ich seinen komplizierten Namen nach ein paar Minuten schon wieder vergessen und nenne ihn in Gedanken fortan Mcheshi, ein Swahiliname, der soviel wie „freundliche Person“ bedeutet. Mcheshi spricht kein besonders gutes Englisch, aber wir verstehen, dass er unser Platzkeeper ist und immer zu unserer Verfügung steht. Egal, ob wir über den Kasanka River übersetzen möchten, Duschwasser bräuchten oder sonstige Anliegen hätten. Nachdem er sich vergewissert hat, dass wir im Moment wunschlos glücklich sind, wuselt er winkend von dannen und lässt uns einigermaßen geplättet zurück. Wir hatten mit keinerlei Service gerechnet und nun bekommen wir hier ein Komplett-Paket vom Feinsten. Hut ab, Kasanka Trust!
Wir richten uns komplett ein und bereiten gerade einen Mittagssnack zu, als am Schilfgürtel des Flusses, direkt vor unserer Aussichtshütte eine Herde Elefanten erscheint. Mit einer Stulle in der Hand und Tee auf dem Tisch genießen wir unser ganz persönliches TV-Programm. Plötzlich ist Mcheshi wieder zur Stelle, ganz aufgeregt. Weiter unten am Fluss wären noch mehr Elefanten; ob wir sie denn sehen möchten, er würde uns hinbringen. Er ist so begeistert, dass er uns was zeigen kann und ich freue mich wahnsinnig, diese Begeisterung spüren zu dürfen. Nach unserem Elefanten-Ausflug erkunden wir zu Fuß die nähere Umgebung unserer Campsite und beschließen, als sich die Sonne schon senkt, noch zum Fibwe Hide zu fahren. Der Fibwe Hide ist eine hölzerne Aussichtsplattform, 12 Meter über dem Boden, im Geäst eines mächtigen Mahogany-Baumes. Von dort aus kann man die Sümpfe des Kasanka River überblicken und, wenn man Glück hat, auch Sitatungas sehen.
Kaum steigen wir beim Fibwe Hide aus, steht uns schon wieder ein Parkangestellter zur Seite, der uns unter seine Fittiche nimmt. Zusammen mit meinen Mitreisenden steigt er auf den Hide, ich will nachkommen, muss aber erst noch den Akku an meiner Kamera wechseln. Als die vier im Blättergewirr verschwinden, senkt sich auf ein Mal eine solche Ruhe, ein so überwältigendes Gefühl des Angekommenseins auf mich herab, das ich gerne ganz alleine genießen möchte. So bleibe ich, wo ich bin, höre die Stille um mich, sehe, wie der Himmel sich im Sonnenuntergang färbt und der Mond im nachtblauen Himmel zu schwimmen scheint wie ein halber Medizinball. Solche Momente sind für mich einzigartig und unbezahlbar; fast bedaure ich, als meine Mitreisenden aufgeregt quasselnd, sie haben eine Sitatunga gesehen, zurückkehren.
Auf dem Rückweg zum Camp, der in den letzten roten Streifen der untergegangenen Sonne führt, halten wir noch mal an. Eine schräg gewachsene Akazie steht, wie hingemalt, vor diesem Blau-Rotverlauf und rundet das Bild eines gelungenen Afrika-Tages perfekt ab. Diesen beschließen wir, am von Mcheshi gehüteten, gemütlich prasselnden Lagerfeuer, begleitet vom leisen Rascheln der Mahogany-Blätter und dem weniger leisen Grunzen der Hippos im Kasanka River.
13. Juli 2008 – Kasanka NP
Frühmorgens, noch bevor es ganz hell ist, sind wir schon zurück am Fibwe Hide, klettern die hohe Leiter nach oben und erleben den Sonnenaufgang 12 Meter über dem Boden. Die Sümpfe liegen in milchigem Morgenlicht, die dichten Mahogany-Blätter malen Bilderrahmen um einzigartige Ausblicke. Adlerauge Joachim erspäht im undurchdringlichen Schilf tatsächlich zwei Sitatungas, ein kleiner Bienenfresser plustert sich auf einem nahen Ast in der Morgenkälte und tastende Sonnenstrahlen beleuchten die noch unreifen Samenkapseln des Baumes, auf dem wir sitzen. Zum Greifen nahe und doch unerreichbar, nicken sie sachte im Wind. Wie gerne hätte ich diese Baumfrüchte, die, wenn sie reif sind und aufbrechen, wahre Kunstwerke der Natur sind. Unsanft werden wir aus unserer Idylle gerissen, denn unter dem Baum fahren zwei Safarifahrzeuge vor, spucken ca. 20 Studenten aus, die alle, ohne mit der Wimper zu zucken, zu uns herauf geklettert kommen. Kichernd und lärmend stürmen sie die Plattform. Wir fühlen uns ziemlich rüde gestört und trauen auch der Tragkraft des Hides nicht so ganz über den Weg, also ergreifen wir die Flucht, sobald die Leiter frei ist.
Auf einem schmalen, tau-benetzten Pfädlein statten wir noch dem munter gluckernden Kasanka River einen Besuch ab, der glasklar durchs dichte Schilf strömt, bevor wir zum Frühstücken ins Camp zurückkehren. Dort ist schon wieder Elephant-TV angesagt, diesmal mit kleinen Nachwuchsstars. Wir verbringen gemütliche Stunden im Camp: Elefanten beobachten, Schmetterlingen hinterherjagen, Libellen belauern, bis man sie fotografieren kann und ich sammle ein paar herabgefallene Mahogany-Seeds ein, die sich aber leider noch nicht geöffnet haben. Mcheshi schaut mal wieder vorbei und ich frage ihn, ob er wüsste, wie man die Seeds aufkriegen könnte. Gemeinsam versuchen wir die Grillrostmethode und strahlen beide um Wette, als die erste Frucht an den Sollbruchstellen von der Hitze Risse bekommt. Während des „Röst-Vorgangs“ quetsche ich ihn ein bisschen über seine Arbeit für den Kasanka Trust aus: Mcheshi ist sehr glücklich, einen Job zu haben, noch dazu einen, der ihm so viel Spaß macht, erzählt er mir radebrechend. Jeder Arbeiter bekommt eine einfache Unterkunft zur Verfügung gestellt und hat vier Tage im Monat frei. Ein kleines Grundgehalt sichert die eigene Existenz und ermöglicht in Grenzen die Unterstützung der Familie; das Trinkgeld der Touristen kommt noch hinzu. Jeweils für drei Jahre hat man einen bestimmten Posten inne, danach wird man, im Rahmen seiner Fähigkeiten, auf einen anderen versetzt. So sollen die Arbeiter möglichst viele Facetten der Aufgaben und Tätigkeitsbereiche des Kasanka Trust kennenlernen. Es ist immer interessant, solche Dinge von beiden Seiten zu hören, in diesem Falle von John und Mcheshi. Und es ist vielversprechend und erfreulich, dass sich die Aussagen der beiden, Chef und Angestelltem, weitestgehend decken!
Nach dem Mittagessen fahren wir zum Pontoon, denn wir wollen das Gelände jenseits des Kasanka River erkunden. Der Fluss ist nur wenige Meter breit, aber viel zu tief, um ihn zu durchfahren. Das Konstrukt, auf dem wir übersetzen werden, sieht spannend aus. 24 Ölfässer sind unter einem rohen Metallgestell vertäut, Holzplanken bilden eine zweispurige Plattform. Und schon eilt Mcheshi wieder herbei. Er hängt zwei schwere Eisenleitern als Rampe zwischen Ufer und Holzplanken an die Fähre, Joachim balanciert langsam den Landy darüber, die Fähre taucht tief ins Wasser, schwankt ein wenig, ist aber ansonsten ganz stabil. Dann dürfen Annette, Jürg und ich auch aufsteigen; Mcheshi dirigiert uns an die Stellen, an denen noch ausgleichendes Gewicht benötigt wird. Mit den Händen zieht er uns an einem Seil über den Kasanka, wir steigen ab, er hängt die Leitern ein und Joachim fährt das Auto wieder runter. Sehr rustikal, aber eine feine Sache.
Unsere weitere Fahrt führt uns in den Nordenwesten des Parks, der, je weiter wir vordringen, immer mehr an landschaftlicher Attraktivität verliert. Dichter Wald, so ganz anders als der lichtdurchflutete im östlichen Teil, beherbergt jede Menge Tsetsefliegen, sonst sieht man wenig bis gar nichts. Wir möchten gerne an den Luwombwa oder rauf an den Mulembo River, kommen aber nicht durch, denn weite Teile stehen noch unter Wasser. Also kehren wir um und fahren in südlicher Richtung am Kasanka River entlang. Hier ist die Landschaft viel offener, der Wald von weiten Ebenen und kleinen Seen durchzogen und man kann wieder Tiere sehen. Ein paar vereinzelte Pukus, Warzenschweine, Wasserböcke und viele Kafue-Lechwes. Inmitten einer Herde Lechwes sehen wir einen humpelnden Bock und nähern uns sehr vorsichtig, um keine übereilte Flucht zu provozieren. Bald erkennen wir, warum das Tier humpelt: sein linkes Hinterbein ist am Oberschenkel gebrochen und bei jedem Auftreten droht der Knochen die Haut zu durchstechen. Aua, was müssen das für Schmerzen sein! Im Schritttempo lotsen wir das Auto an der Herde vorbei, können aber trotz aller Vorsicht nicht verhindern, dass der Bock etwas schneller wird. Er tut uns so unsäglich leid, doch wir können ihm nicht helfen. Auf jeden Fall werden wir im Camp Bescheid sagen. Doch das erübrigt sich, denn ein paar Kilometer weiter läuft uns plötzlich ein bewaffneter Ranger über den Weg. Wir beschreiben ihm den Sachverhalt und die Stelle, an der wir den verletzten Bock gesehen haben; der Ranger nimmt es interessiert zur Kenntnis, verspricht, er werde sich darum kümmern und wir sind sehr erleichtert.
Kurz darauf sind wir schon wieder zurück am Pontoon. Meterhoch wächst das Schilf am Wegesrand und die blühenden Halme recken sich malerisch in einen farbenprächtigen Sonnenuntergang. Wir nutzen die Zeit, bis Mcheshi die Fähre bereit gemacht hat, zum Fotografieren. Plötzlich stößt Annette, die ein paar Schritte ins Schilf hineingegangen ist, einen gellenden Schmerzensschrei aus. Mir gefriert fast das Blut in den Adern, denn mein erster Gedanke ist: Scheiße, jetzt ist es passiert – ein Schlangenbiss in the Middle of Nowhere! Annette kommt schreiend und laut jammernd aus dem Schilf hervor. „Auaauaaua, mich hat was gebissen, es tut so weh, es tut so höllisch weh!“ Ich eile zu ihr, stütze sie und versuche aus ihr herauszubekommen, was genau denn gebissen hätte. Eine Schlange sei es nicht gewesen, stößt sie weinend hervor. Vorsichtig ziehen wir ihr die Sandale aus und da sehen wir die Übeltäter – Matabele-Ameisen. Die bis zu 2 cm großen, schwarzen Insekten tragen nicht umsonst den Namen eines sehr kriegerischen Stammes – sie sind extrem angriffslustig, wenn man ihnen, so wie Annette unvorsichtigerweise zu nahe kommt. Ein paar von ihnen haben sich in ihren Zehen verbissen, einige krallen sich noch an der Sandale fest. Ich zerre die humpelnde Annette zum Wasser, wo wir ihren Fuß und die Sandale so lange versenken, bis auch die letzte Ameise losgelassen hat. Inzwischen bugsiert Joachim den Landy auf die Fähre, eine der Leitern rutscht weg und um ein Haar wäre das Auto im Wasser gelandet. Das hätte jetzt gerade noch gefehlt! Doch wir haben schon wieder Glück im Unglück und der Landy steht schließlich sicher auf dem schwankenden Floß. Gemeinsam helfen wir Annette, die immer noch starke Schmerzen hat, über die Rampe und sehen zu, dass wir so schnell wie möglich in unser Camp kommen. Dort inspiziert Joachim den Fuß mit der Taschenlampe und entdeckt noch einen Ameisenkopf, der in der empfindlichen Haut zwischen zwei Zehen steckt. Als er diesen entfernt hat, lassen auch die Schmerzen nach und ein paar Minuten später kann Annette schon wieder lächeln.
Nach diesen Aufregungen läuten wir einen ruhigen Abend am Lagerfeuer ein und genehmigen uns erst mal alle ein Bier. In den Büschen neben uns raschelt es immer wieder laut. Als wir mit der Taschenlampe alles gründlich ableuchten, sehen wir zwei kugelrunde, gelb glühende Augen, die blitzschnell vom Boden auf einen Baum wandern und schwupp, auf den Nachbarbaum springen. Schnell ist uns klar, dass die Augen zu einem Buschbaby gehören. Der kleine Galago scheint extrem neugierig, denn immer wieder nähert er sich, versteckt sich hinter einem Baumstamm und blinzelt daran vorbei. Diese zwinkernden Glühäuglein, die in der Dunkelheit umherflitzen sind sehr spaßig anzusehen, aber wir wollen den kleinen Kerl ja nicht blind-leuchten. Also lassen wir ihn in Ruhe und freuen uns einfach seiner raschelnden Gegenwart, ohne ihn zu sehen. Bei einem kühlen Windhoek Lager lassen wir einen schönen und aufregenden Tag am prasselnden Lagerfeuer ausklingen.
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