Die Overlander-Kunden sind zwar nicht zurückgekehrt, aber es reichen auch die beiden Guides, die ihren Truck gegen 5 Uhr morgens warm laufen lassen. Dann gehen sie erst mal duschen, frühstücken in aller Ruhe. Um unsere Ruhe aber ist es geschehen. Mir wird nie einleuchten, warum man bei Temperaturen, die deutlich über dem Gefrierpunkt liegen, einen Motor eine halbe Stunde oder länger aufwärmen muss; leider aber eine weit verbreitete Unsitte in Afrika und nicht nur da. Wutentbrannt stürmt Jürg aus dem Zelt und schnappt sich einen der Guides, der ihn verständnislos abblitzen lässt. Eine viertel Stunde später erwache auch ich, dieselbedampft, kann das Gejuckel nicht mehr ertragen und marschiere zum Truck. Da ist aber niemand… Auf dem Weg zur Toilette begegnet mir einer der beiden Nachbar-Jungs. Höflich vergewissere ich mich, ob er wirklich zum Truck gehört und er entgegnet mir ebenso höflich: „Oh, yes, Madam, what can I do for you.“ Als ich ihn frage, ob das Georgel wirklich nötig sei, versanden seine Englisch-Kenntnisse plötzlich im Nichts und seine Schultern machen everesthohe Zucker. Am liebsten würde ich den Zündschlüssel entfernen, aber das ist natürlich auch keine Art. Die beiden postieren sich in der Fahrerkabine, lassen den Motor noch einige Male aufjaulen, damit er auch wirklich warm wird, bevor sie dann endlich, gegen 6 Uhr morgens, die Fliege machen.
So, nun sind wir alle wach und eigentlich ist das gar nicht so schlecht, denn wir haben heute noch mal volles Programm in Lusaka, bevor wir weiter zum 260 km entfernten Forest Inn fahren. Aber irgendwie kommen wir mal wieder nicht richtig in die Puschen. Erst gegen 9.15 Uhr verlassen wir das Eureka Camp und quälen uns durch den Berufsverkehr nach Lusaka rein. Unser erster Weg führt uns zu Pilatus Engineering im Osten der Stadt, einer Landrover-Werkstatt, wo wir einen Tankdeckel zu bekommen hoffen. Wir entern Lusaka über die Kafue Road und es dauert ewig, bis wir endlich die Abzweigung zur Independence nach Osten erreichen. Von dort an geht es zügiger. Wir finden Pilatus auf Anhieb, doch dann vergehen wieder Ewigkeiten, bis einer der Angestellten tatsächlich einen passenden Tankdeckel aus den Tiefen des Lagers zieht. Leider kann man ihn nicht abschließen, aber es ist immer noch besser als ganz ohne Deckel. Auf dem Rückweg zum Stadtzentrum halten wir bei einer Shopping Mall, die wesentlich gepflegter als die gestrige erscheint. Jürg und ich machen restliche Besorgungen im Supermarkt, unter anderem erstehe ich ein Moskitonetz für die noch zu bastelnden Tsetseblockaden. Aber bis ich dieses Netz erst mal finde! Mehrfach irre ich themenorientiert durch die Gänge des SuperSpar, frage dann schließlich doch einen Angestellten. Der ist ratlos, fragt einen zweiten und der wiederum einen dritten. Auskunft ist letztendlich: Wir haben keine Moskitonetze im Sortiment. Schade! Beim Gang an die Kasse passiere ich nahezu bar jeglicher Hoffnung einen großen Drehständer – mit Mozzie-Netzen aller Preiskategorien. That’s Africa! Joachim, der auf dem Parkplatz als Autoaufpasser zurück geblieben war, wäre inzwischen beinahe der örtlichen Polizei in die Hände gefallen, weil er es gewagt hatte, eine zu rauchen; das wäre hier strikt verboten. Aha, ganz was Neues… Annette dreht am Rad, weil der ATM wieder nicht das ausspuckt, was er soll und mir reicht’s auch schön langsam mit Stadt und Gewimmel.
Doch es geht weiter. Wir fahren den Addis Ababa Drive hoch, biegen rechts in die Great East ein, weil Annette und Joachim in die Kacha Road zur Botschaft von Mozambique müssen, um ein Visum zu beantragen. Plötzlich stehen wir vor der Kwacha Road, die sich von der Kacha Road nur durch ein „w“ unterscheidet und denken an einen möglichen Schreibfehler im Reiseführer. Wir fragen uns durch, aber so, wie es keine Moskitonetze gibt, kennt auch niemand die Botschaft. Endlich glaubt wenigstens einer der Gefragten sicher zu wissen, dass sie nicht in der Kwacha Road ist und deutet Richtung Westen. OK, wir biegen in die Manda Hill und folgen ihr bis zur Sibweni. Die Gegend wird immer, gelinde ausgdrückt, assliger, und sieht nicht wirklich nach Botschaftsviertel aus. Ein weiterer befragter Passant aber meint, wir wären schon richtig. Nur noch rechts und dann links und dann noch mal rechts.
Und tatsächlich, kurz darauf stehen wir vor der Botschaft. Die sieht nicht mal ansatzweise nach dem aus, was sie sein soll, aber es gibt ein entsprechendes Schild und in der Kacha Road sind wir auch. Annette und Joachim werden durch das schwere, rostige Eisentor ins Innere vorgelassen. Jürg und ich bleiben draussen und sehen uns ein bisschen um. Nicht lange, und drei neugierige Knirpse erscheinen bei unserem Auto. Sie bewundern die bunten Tierbilder auf dem Landy und wir kommen ins Gespräch. Als sie unsere Kameras sehen, wollen sie gerne von uns fotografiert werden, ein Verlangen, dem man in Afrika in dieser direkten (und kostenlosen) Form relativ selten begegnet. Nicht aber in Sambia, das werden wir noch öfter kennenlernen. Die Jungs posieren filmstarreif, einzeln und zusammen und zu zweit. Jedes Bild wird unter lautem Gekichere auf dem Display begutachtet, bevor sie für das nächste bereit sind. Jürg und ich schießen eine ganze Reihe Bilder und über jedes einzelne freuen sich die drei, Nsebi, Mboto und John, mit kindlicher Begeisterung. John fragt ganz schüchtern und vorsichtig an, ob er denn auch mal eines machen dürfe. Mhm, ob es eine wirklich gute Entscheidung ist, seiner Bitte nachzugeben? Aber Jürg und ich wagen es, die Kamera immer fest im Griff – unter dem Deckmäntelchen der großen Foto-Schule. Und die Jungs freuen sich wie Schnitzel über ihre ersten selbst gemachten Bilder, die echt nicht schlecht sind.
Nach über einer halben Stunde Jürgs und meiner Kurzweil kommen unsere beiden Antragsteller wieder zurück und wir müssen leider weiter. Die Jungs winken uns schweren Herzens noch lange nach. Unsere nächste Station ist das Manda Hill Shopping Centre, eine Mall gepflegter Art mit mannigfaltigen Shops, Parkwächtern, gehobenem Ambiente – ein A-Class-Ameisenhaufen. Alle wollen ins Internetcafe, nur ich nicht. Annette und Joachim suchen zudem nach einer Lösung, wie und wo sie ihre gemachten Bilder speichern können, um die Chips wieder frei zu bekommen. Ich übe mich in Geduld, sehe mir ein paar Geschäfte an, renne mit Joachim vom Fotogeschäft zum Computerladen und wieder zurück. Größere CF-Karten sind unbezahlbar, USB-Sticks auch, bleibt also nur die Brennerei auf DVD. Und das dauert alles. Ich setze mich kurzerhand in eine Art Café, beobachte die Leute und harre der Dinge. Jürg gesellt sich alsbald zu mir und so warten wir gemeinsam. Und warten. Und warten. Und warten. Schließlich, gegen 14 Uhr, ist alles erledigt und eine halbe Stunde später fahren wir Richtung Norden aus der Stadt. Was bin ich froh! Mir ist völlig klar, dass solche Besorgungs- und Erledigungstage sein müssen, aber so was macht zuhause schon mürbe. Hier in Afrika, wo alles nur in halber Geschwindigkeit, wenn überhaupt, vonstatten geht, zerrt es an meinen Nerven. Aber es ist ja vorbei und wir rollen dem Norden Sambias entgegen.
Die Strecke ist in gutem Zustand, landschaftlich ziemlich langweilig, aber man hat trotzdem immer was zu sehen. Man passiert ein Dörfchen nach dem anderen, überall sind Leute unterwegs, es wird gebaut, gehandelt, geplaudert, geschleppt, transportiert. Dieses bunte Treiben macht unsere Fahrt kurzweilig. Als störend empfinde ich das erst, als die diversen Colas, die ich im Café in Lusaka aus Langeweile in mich reingepresst habe, ihren Tribut fordern. Meine Blase meldet sich ganz deutlich. Aber wo, zum Teufel, soll man hier pinkeln? Ich melde mein Bedürfnis bei Joachim, der gerade fährt, an und gemeinsam halten wir Ausschau nach einem geeigneten Plätzchen. Irgendwo, ca. 20 km vor Kabwe, erscheint es einigermaßen günstig. Trotzdem muss ich mich tief ins Gras der Uferböschung ducken, was ich nicht so gerne mache – mit nacktem Po, kurzen Hosen und Sandalen. Wie gerne wäre ich in solchen Situationen ein Mann! Doch halt, nein, ich muss mich korrigieren. Kein Mann kommt beim Pinkeln dem Boden so nahe und dort lässt sich immer etwas Interessantes entdecken. In diesem Falle sind es Baumschoten, die sich noch nicht in meiner Sammlung finden. Es sind ca. 20 cm lange, wie ein Korkenzieher in sich gedrehte Schalen in ansprechendem Rotbraun. Gut, die sind so groß, dass ich sie im Stehen auch gesehen hätte…
Hocherfreut kehre ich mit meiner Beute zum Auto zurück; und nicht mit einer Schote, sondern mit so vielen, wie meine Hände eben fassen können. Noch tragen’s meine Mitreisenden mit Fassung, aber Annette und Jochen, die meine Sammelleidenschaft bereits kennen, kann man ansehen, dass sie langsam beginnen, hochzurechnen: wie lange sind wir noch unterwegs und was schleppt Barbara da wohl noch alles an… Sorgfältig verstaue ich meine kostbare Beute bei den Star-Chestnut-Früchten und bei den Neat’s-Foot-Schoten, die ich auf dem Gelände des Eureka Camps eingesammelt habe (sorry, die habe ich unterschlagen).
Weiter geht’s, wir erreichen Kabwe, das sich selbst als „City of Salvation“ bezeichnet. Die Stadt gehört zum Copperbelt, der wiederum bei den „World’s Ten Worst Pollution Spots“ ganz vorne mit dabei ist. Eine hübsche, schattige Allee führt durch die Stadt, alles wirkt aufgeräumt und sauber; wenn ich nicht wüsste, wo wir uns gerade befinden, ich würde es nicht glauben. Aber ich habe im Fernsehen mal einen Bericht über den Copperbelt gesehen und das, was wir auf unserer Prachtallee zu Gesicht bekommen, hat so gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun, die sich uns da präsentiert. Ausgebeutete, tote Natur, ekzemübersäte, ausgemergelte Menschen am Rande der Über-Lebensfähigkeit, Schmutz, Dreck, Staub, schaumiges Wasser, nie mehr heilende Wunden – das präsentiert sich uns nicht. Vielleicht deswegen der Name „City of Salvation“, im Sinne von Erlösung. Für jeden Durchfahrer präsentiert sich die Stadt proper in ihrem sichtbaren Kern; doch wer bekommt schon das umliegende Elend, das nach Erlösung schreit, zu sehen? Wir nicht, dazu fahren wir auf viel zu geradem Weg durch Kabwe…
Es geht weiter Richtung Kapiri Mposhi. Kurz danach gabelt sich die Great North, wir biegen rechts ab und hoffen, bald das Forest Inn zu erreichen. Die letzten 60 km ziehen sich, aber schließlich, gegen 18 Uhr, kommen wir endlich an. Unser Reiseführer beschreibt das Forest Inn als „idyllischen Campingplatz mit ansprechenden Chalets und einladendem Restaurant.“ Unter idyllisch stelle ich mir was anderes vor, aber dass ich es nicht zu entdecken vermag, kann auch am rasch schwindenden Tageslicht liegen und daran, dass es uns allen für heute einfach reicht. Rasch bauen wir die Zelte auf und errichten unsere Küche. Es gibt Lasagne aus dem Potije, ein Erstversuch, sogar mit Parmesan(!), der hervorragend gelingt. Nach diesem Tag und dem Essen sind wir so erschöpft und durchgenudelt, dass ich heute nicht mehr die Kraft aufbringe, das Moskitonetz zum Tsetse-Schutz für den morgigen Kansanka-Besuch umzufunktionieren. Sehr zeitig gehen wir schlafen; immer wieder dröhnt ein Lkw am Campgelände vorbei, aber das höre ich schon nicht mehr.
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