Wieder werde ich von Geplätscher auf meinem Zelt geweckt, wieder von Meerkatzen be-pisst. Fühle mich auch ein wenig ge-pisst, denn wir haben einen Streckenabschnitt vor uns, der zwar sein muss, der mich dennoch nicht sehr erfreut. Unser heutiges Tagesziel ist Lusaka. Also müssen wir all die Schluchten, Furchen, Schlaglöcher zurück nach Chirundu. Das hat landschaftlich, wie schon berichtet, einen großen Reiz, aber zieht sich ein bereits gefahrener Weg bekanntlich mehr, als wäre er neu. Ursprünglich wollten wir die Leopard Hill Road fahren, doch bis Lusaka ist es ein bisschen an Strecke und deshalb haben wir, in Erkenntnis der super ausgebauten Strecke ab Chirundu, beschlossen, wieder diese zu nehmen, bevor wir uns einem ungewissen Fahrabenteuer unterziehen.
Wir verlassen die Lodge und werden über Kilometer von Tsetses begleitet. Biester, die bei der Anreise hier noch nicht vertreten waren; es liegt wohl an der anderen Tageszeit und der größeren Hitze. Mittendrin kommen wir an einer Stromleitung vorbei, auf der, wie hingepinselt, Scharlachspinte sitzen. Selbstbewußt recken sie ihre roten Brüstchen in den blauen Himmel und sind wunderschön anzusehen. Die Stromleitung verheißt Zivilisation und diese manifestiert sich auch bald, in Form von Dörfern und Menschen. Schwarze Frauen mit winzigen Kindern auf dem Rücken und zentnerschweren Lasten auf dem Kopf. Rohbauten im besiedelungstechnischen Nichts, die eindeutig als zukünftige Schulen zu erkennen sind. Wasserstellen, an denen jeder, der tragen kann, ansteht und in jede Richtung kanisterweise das kostbare Nass davonträgt. Frauen am Wegesrand, die sich gegenseitig die widerspenstigen krausen Haare zu starren, antennenartigen Zöpfen flechten, ein roh gemauertes, rundes Ziegelhaus mit Strohdach, ein Baobab daneben, auf dem sich CelTel mit einem roten „Top Up here-Schild“ verewigt hat. All das war auf dem Hinweg auch schon mehr oder weniger vorhanden, aber ich hab’s nicht wirklich gesehen, wahrgenommen. Und das liegt nicht nur an der entgegengesetzten Fahrtrichtung, auch daran, dass man manchmal halt auf was Bestimmtes fixiert ist und wenig anderes daneben sieht.
Nach der Chongwe-Überfahrt müssen wir eine bedauerliche Entdeckung machen: Joachim hat heute morgen Diesel aus den Reservekanistern in den Tank gefüllt, danach aber den Tankdeckel auf der Campsite liegenlassen. Mit offenem, vollem Tank sind wir die ganz Schunkelstrecke gefahren, man konnte den Treibstoff immer wieder riechen, aber es hätte, wie schon so oft, auch die Lampe oder einer der Kanister auf dem Dach sein können. Dick klebt der rote Staub in stalagtitenartigen klumpigen Gebilden an der Tanköffnung, doch im Moment bleibt nichts anderes, als das weitere Herausschwappen des Diesels mit einer Plastiktüte, Klebeband und einer Schnur zu verhindern. Morgen sind wir in Lusaka, da wird es sicher eine Landrover-Werkstatt geben.
Ohne Tankdeckel tauchen wir ab nach Chirundu und ich habe abermals Gelegenheit, dieses unsägliche Kaff genauer zu betrachten. Es ist immer noch schrecklich, öldurchtränkt, Lkw-verseucht, staubig, überfüllt, hässlich. Doch auch dieser Eindruck ist nicht mehr ganz so verheerend, weil wir uns ja gleich über die Chinesen-Straße wieder hoch schwingen in die unbeschreiblichen Wälder Sambias. Allerdings sehe ich davor noch etwas, was ich nie zuvor in dieser Form erblickt habe: Vor uns fährt ein Lkw, ein sonnengelber, dessen rückseitige Doppelstoßstange mit aufgeschweißten, hochragenden, ebenfalls gelb lackierten Metalldreiecken „verziert“ ist. Bei uns daheim kennt man ähnliches ja nur als Schutz vor Tauben, die sich gerne überall niederlassen. Hier aber bewahrt es den Truck vor blinden Passagieren menschlicher Art, die einfach aufspringen. Wirksam, befremdlich, aber verständlich; letzteres werden uns die Erfahrungen auf unserer weiteren Strecke noch veranschaulichen.
Die chinesische Musterstraße ist bergauf genauso angenehm zu fahren wie bergab. Auch die Landschaft schmeichelt dem Auge. Dichte und trotzdem lichte grüne Wälder, wohin das Auge blickt. Fragt sich nur, wie lange es die noch gibt, betrachtet man die Berge an Holzkohle, die am Straßenrand alle Meter vertickt werden. Kurz vor der Abzweigung zum Munalipass, die Richtung, aus der wir gekommen sind, geht es wieder bergab. Wir halten uns rechts, Richtung Kafue Town und überqueren den Kafue River. Die Strecke führt mäßig bergan, die immer dichtere Bevölkerung kündet vom nahenden Großraum Lusaka. Chilanga, einen der großen Satelliten Lusakas passieren wir noch, bevor wir rechts zum Eureka Camp einbiegen.
(H)Eureka, ich hab’s gefunden!, ein Ausruf, der in allen zitatgewohnten Ohren ist, hatte ihn doch Archimedes von Syracus jubelnd von sich gegeben, als er das nach ihm selbst benannte Prinzip entdeckt hatte. Auch wir haben’s gefunden und es verleiht durchaus einiges an Auftrieb, direkt vor den Toren Lusakas ein Camp zu inspizieren, das von einem unter Strom stehenden Zaun umgeben und damit sicher scheint, aber auch ganz ansprechend ist. Wir suchen uns ein Plätzchen, das zwar wenig Schatten und einen Overlanderbus als Nachbarn hat, dafür aber ist da auch ein kleines, offenes Rondavel in unserem Zugriff, unter dessen Strohdach wir einen labenden Lunch einnehmen.
Danach ist eine Sicherung unserer Grundversorgung angesagt. Wir fahren Richtung Lusaka, bis wir rechterhand eine Shopping Mall entdecken. Uih, was für ein hupendes, stinkendes, wuseliges Chaos hier vor der Tankstelle, dem Supermarkt, der Bank, den Imbissständen herrscht! Mit Mühe finden wir einen Parkplatz, sehen schon im Vorbeifahren am Supermarkt, dass dieser mit Kunden überfüllt ist und stellen schließlich unser Auto ganz am Rande des Mall-Geländes ab. Ich liebe afrikanische Supermärkte, weil sie genauso wie bei uns und doch ganz anders sind, habe aber auch ein deutliches Problem mit diesem Gewimmel, das wir gerade präsentiert bekommen hatten. Und einer muss ja beim Auto bleiben… Joachim denkt ähnlich und so wagen sich nur Annette und Jürg in den Ameisenhaufen namens SuperSpar.
Joachim nützt die Zeit zum Tagebuchschreiben, ich sehe mich neugierig um und beobachte das Treiben aus dem sicheren Käfig Landy. Links, schräg vor mir, passiert etwas, was ich mich zunächst nicht abzulichten traue, zu groß sind meine Hemmungen als reiche, weiße Touristin. Ein Junge, schwarz, mit nacktem Oberkörper, kniet im Müll neben der Shopping Mall und sucht darin herum. Er hat eine schwarze Tasche mit grünem Streifen umhängen, die, rein fototechnisch, wundervoll mit der grünen Säule rechts neben ihm korrespondiert; das Licht ist unwiderstehlich schön. Ein zweiter Gleichaltriger kommt hinzu; grüner Pulli, schwarze Hose, schwarze Haut. Ich kann doch jetzt keine Slum-Kinder fotografieren, denke ich mir und drücke trotzdem ab. Langsam entsteht aus den Müllhäufchen, die die beiden Buben zusammentragen, ein konkretes Bild. Sie bauen einen Spielzeug-Lkw! Ein Kekskarton als Laderaum, eine Ketchup-Flasche als Turbo-Antrieb, ein Fruchtdrink-Behältnis als Zugmaschine, oben aufgeschnitten, damit der Fahrer rausschaun kann, die Räder sind gelbe und weiße Plastik-Schraubdeckel, die auf eine Art dickere Schaschlick-Stäbchen gesteckt werden. Und dann rollt das Ding. Stolz ziehen beide mit ihrem Truck, an eine Schur geknüpft, von dannen und ich bin froh, das festgehalten zu haben. Nicht Armut und Müll, sondern Kreativität und Phantasie; Dinge, die uns in unserem scheinbaren Reichtum schön langsam abhanden zu kommen drohen.
Unsere beiden Einkäufer kommen nach langer Zeit schwer beladen und noch schwerer gestresst zurück. Das meiste auf unserer Bedarfsliste konnten sie einmarkten, ein paar nicht existentielle Lücken bestehen noch, aber morgen sind wir auch noch eine Weile in Lusaka und da wird sich der Rest sicher besorgen lassen. Mit all unseren neu erworbenen Eindrücken und Lebensmitteln fahren wir zurück zum Eureka Camp. Unterwegs wollen wir noch Brennholz kaufen, aber da stehen nur drei Haufen, jeder groß genug, um ein Johannifeuer zu entzünden und die ganze Nacht lang zu unterhalten am Straßenrand. Trotzdem halten wir an und versuchen, ein paar Scheite zu erwerben. Das Holzmädl ruft die Holzchefin, als wir unser Ansinnen vorbringen. Diese wiederum lässt sich nicht erweichen: es wird nur der ganze Haufen als kompletter verkauft oder eben nicht. Wir lassen es, denn das würde die Kapazitäten unseres Daches für die nächsten Wochen deutlich sprengen.
Zurück auf der Eureka Site heizen wir die paar Scheite, die wir noch hatten an und beginnen ein vergnügliches Abend-Braai. Die gezüchtete Glut fällt immer wieder durch die überdimensionierten Löcher des schwenkbaren Eisengrills, aber unser Steak nebst Folienkartoffeln gelingt vorzüglich. Es ist, für Afrika-Urlauber, spät, schon 21 Uhr, beim Herrn Overlander-Nachbarn sind noch immer keine lärmenden Gäste wiedergekehrt und wir machen uns mental so schön langsam zeltfertig, als plötzlich, im Schatten der Bäume hinter uns, Hufgeräusche ertönen. Zebras! Ja, da war was; Eureka Camp liegt auf einer Private Game Farm, erinnere ich mich. Doch dass hier Zebras zwischen den Zelten herum marschieren, hätte keiner von uns erwartet. Aber da sind sie, unglaublich, ganz relaxed – bis der dumme Schoßköter unserer Nachbarn (nicht die Overlander; andere Seite), in ein schier endloses, schrilles Gekläffe verfällt. Frauchen findet ihr Hundchen so süß, würde die Zebras aber auch gerne länger sehen; allein dem Hund kriegt sie das alles nicht wirklich erklärt, obwohl sie ununterbrochen beschwichtigend, fuchtelnd und deutend auf ihn einredet. Der Köter kläfft, die Zebras kratzen galoppelnd die Kurve und wir alle haben das Nachsehen, im wahrsten Sinne des Wortes. Frauchen geht frustriert mit Hundchen zu Bette, wir räumen gerade unsere letzten Utensilien ins Auto, als die Zebras wieder auftauchen. Sie beginnen, ruhig und friedvoll hinter unseren Zelten zu grasen. Man sieht sie schlecht, hört sie aber umso besser; mit diesem Sound im Ohr können wir alle gut einschlafen.
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