Eine angenehme Nacht liegt hinter uns: es war erfrischend kühl, aber nicht kalt, der Wind wehte leise und das Brandungsrauschen in seiner Regelmäßigkeit war sehr schlaffördernd. Trotzdem sind wir schon früh aufgestanden, denn wir wollen nichts verpassen. Nein, nicht dass hier die Mega-Action wäre, das nun nicht, aber es ist einfach schön, dem erwachenden Morgen am Meer zuzusehen. Heinz macht noch vor dem Frühstück einen Ausflug in die Felsen, um zu sehen, ob die Conophyten die Nacht gut überstanden haben… Dabei klettert er immer höher, bis er schließlich auf einem rundlichen Felsbrocken steht, von dem aus er Rundumsicht hat und ihm der Wind würzig um die Nase weht. Das löst in ihm anscheinend ein besonderes Gefühl von Wohlsein und Freiheit aus, denn, als ich ein undefinierbares, aber glücklich klingendes „Uuuuaaaaiiihhhaaa!“ vernehme und zu ihm hochblicke, steht er mit weit ausgebreiteten Armen dort oben und dreht sich mehrmals um die eigene Achse. So muss Urlaub sein! Während Heinz seine ganz persönlichen, luftigen Glücksmomente genießt, stöbert Jochen am Strand umher und wir beiden Frauen bereiten das Frühstück vor. Wenig später ist Heinz wieder von dem Felsen herabgeklettert, gerade rechtzeitig zum Essen, und nimmt mit uns am Tisch Platz, Jochen hingegen lässt etwas auf sich warten. Dann aber kommt auch er – mit einer Plastiktüte, prall gefüllt mit frischen Muscheln. Die gibt es heute Abend als Vorspeise! Ich freue mich, denn sie haben wirklich einmalig gut geschmeckt, noch mehr aber freue ich mich, dass sie heute den ganzen Tag Zeit zum Wässern haben.
Luftige Freiheit!
Conophytum minutum
Conophytum minutum
Doch als ich nach dem Frühstück mit einem Behältnis frischen Wassers vom Meer zurückkomme, hat Jochen die Schalentiere bereits wieder im Potjie versenkt und schmeckt soeben mit verzücktem Blick den Sud ab. Meine Verzückung hingegen hält sich in Grenzen – zu deutlich noch spüre ich den Sand von gestern Abend zwischen meinen Zähnen. Auch Annette wirft ein vorsichtiges „Wässern hätte aber nicht geschadet“ in die Runde, aber Jochen hält eine Entsandung für unnötig – wofür es jetzt ohnehin zu spät ist. Da wird sich vor allem Heinz sehr freuen, denn er hatte besonders schwer am Sand geschluckt! Momentan jedoch er kann kein Statement dazu abgeben, denn er ist schon wieder in den Felsen verschwunden und sucht nach Pflanzen. Seufzend mache ich mich derweil an den Abbau unseres Zeltes und verstaue anschließend mit Annette unseren Kram in den Kisten, während unsere Männer fröhlich ihren Leidenschaften frönen. Zum Aufladen jedoch sind alle wieder versammelt, rasch sind auch die letzten Dinge in den Wagen gepackt und wir fahren los.
Euphorbia caput-medusae
Euphorbia caput-medusae
Othonna sedifolia
Weit kommen wir aber nicht, denn wir müssen ja das Euphorbienfeld, das wir gestern während des Strandspaziergangs entdeckt hatten, unter die Lupe nehmen – und das war nicht weiter als drei Kilometer vom Camp entfernt. Und ja, da ist es! Ein großes Areal, flach, sandig, mit Gesträuch bewachsen – und dazwischen schmiegen sich die Wolfsmilchgewächse auf den Boden. Es sind Medusenhäupter! Ihre Wuchsform – ein zentraler „Stamm“, dem zahlreiche Triebe kreisförmig, wie kleine Schlangen, entspringen – brachte ihnen diesen Namen ein: nach Medusa, einer der Gorgonen, einem Ungeheuer der griechischen Sagenwelt, deren Haupt von Dutzenden von Schlangen umstanden war. Die Namensgebung ist tatsächlich äußerst nachvollziehbar, ungeheuerlich jedoch ist allenfalls, wie viele Medusenhäupter es hier gibt. Heinz und ich laufen in unserer Begeisterung von einer Pflanze zur anderen und entdecken dabei natürlich auch noch weitere interessante Gewächse. Stammsukkulente Pelargonien, deren dicke Gnubbelstöcke zwar blattlose Zweige, dafür aber weiße Blütchen tragen, dicke Kissen von hochsukkulenten Aizoaceen, strauchige Crassulaceen und eine nahe Verwandte der gestrigen Killerflechte. Auch sie ist von grell orangener Farbe, wächst aber auf dem Boden und tut niemandem etwas zu Leide. Und schön ist sie noch dazu: einem zarten Gespinst orangefarbener Zweiglein entspringen kleine, rote Schüsselchen, die von langen Stielen getragen werden – fast wie im Zirkus, wo Jongleure Teller auf Stangen hoch über dem Kopf balancieren.
Teloschistes capenis
Toktokkie
Euphorbia caput-medusae
Bestimmt eine halbe Stunde streifen wir durch die Dünenlandschaft und delektieren uns an der äußerst vielfältigen Flora. Doch wir sollten bald mal weiter fahren, denn es liegt eine recht lange Strecke vor uns, bis hinauf in den Nordosten, nach Skilpad. Und die verspricht interessant zu werden; am Gate hatten wir ein kleines Heftchen erhalten, in dem die sehenswertesten Stationen vermerkt sind und alleine, wenn wir ein paar von denen abklappern, sind wir schon gut beschäftigt. Ganz zu schweigen von den Dingen, die wir selbst noch zu entdecken hoffen. Also, nix wie rein ins Auto und weiter!
Tylecodon wallichii
Antimima sp.
Haemanthus coccineus
So die Theorie, die Praxis hingegen stellt sich, wie befürchtet und gleichzeitig ersehnt, deutlich anders dar. Ich sehe nicht auf den Meilenzähler, könnte aber meine Hand dafür ins Feuer legen, dass wir keine fünf Kilometer am Stück durchfahren, ohne wieder etwas Anhaltenswertes zu erspähen. Hier lockt ein Feld von Tylecodons, dort eine besonders schöne Aussicht, wenig später leuchtet uns der Blütenball eines Haemanthus, einer Blutblume, an, danach folgt eine Kolonie von roten Aloen mit hübschen weißen Tupfen, schließlich noch eine Ansammlung von Webernestern im strandnahen Schilf. Meine Güte! Es ist bereits Mittag, als wir endlich eine Station erreichen, die zwar ebenfalls nicht im Heftchen vermerkt ist, uns aber von der Rangerin ans Herz gelegt wurde: eine Seebärenkolonie.
Arctocephalus pusillus
Tiefschlaf
An Mamas Bauch
Wir sind zuerst nicht ganz sicher, ob wir die richtige Abzweigung genommen haben, bald aber sagt uns ein recht intensiver Geruch, dass wir durchaus nicht falsch liegen. Ein paar Kurven noch und unsere Augen erhalten ebenfalls die Bestätigung: in einer kleinen Bucht tummeln sich Hunderte der pelzigen Tiere, Alte, Junge, Badende und sich Sonnende. Und der Wind meint es gut mit uns, zumindest, was unsere eigene Witterung anbelangt: bis auf wenige Meter können wir uns den Tieren nähern, ohne dass sie uns bemerken. Das ist der Preis für das wenig gefällige Odeur, das uns vom auflandigen Wind nun förmlich in die Nasen gepresst wird, doch der Gestank ist rasch verdrängt, denn es ist ein unvergessliches Erlebnis, hier mitten unter den Tieren zu sitzen. Ein paar Meter vor uns zum Beispiel liegt eine wohlig dösende Mutter, deren Junges so gerne einen Schluck Milch hätte. Doch Mama fühlt sich durch die fordernd stoßende Schnauze des Nachwuchses empfindlich in ihrem Sonnenbad gestört und verweigert standhaft den Zugang zu ihren Zitzen. Der Sprössling aber gibt keine Ruhe, drängelt, quengelt, zwickt, stupst, quäkt. Schließlich gibt Mutti nach, dreht sich ein wenig zur Seite und gibt die Milchbar frei. Und so liegen kurz darauf beide Tiere in inniger Umarmung in der Sonne: Mama hat ihre Flosse schützend über das Kleine gebreitet und schlummert weiter, das Junge saugt schmatzend, mit wonniglich zum Rechteck gebogener Schnauze an den Zitzen und schließt dabei ebenfalls die Augen. Und weiter unten, in den zu flachen Pools geformten Felsen, vergnügt sich fröhlich planschend ein ganzer Kindergarten, unter scharfer, aber wohlwollender Beobachtung zahlreicher Erwachsener.
Hallo, Milchbar, aufmachen!
Körperpflege nach dem Bad
Mama und Kind
Ein bisschen fühlen wir uns hier wie illegale Eindringlinge, da wir aber offenbar für die Tiere nicht existent sind und sie somit auch nicht stören, verdrängen wir dieses Gefühl erfolgreich. Bis zu dem Zeitpunkt, als einen halben Meter neben mir, aus einer schwer einsehbaren Mulde, ein klagendes Grunzen ertönt: erschrocken beuge ich mich vorsichtig über den überhängenden Felsen, auf dem ich sitze, und blicke direkt in die verklebten Augen eines noch sehr jungen Seebären, der hier mutterseelenalleine in der glühenden Sonne liegt und sich schnaufend und stöhnend in seiner Kuhle windet. Der Kleine sieht nicht wirklich gesund aus und die Tatsache, dass er ganz alleine ist, weckt die Befürchtung in mir, dass er am Sterben, zumindest aber sehr krank ist. Jetzt fühle ich mich wirklich wie ein Voyeur! Rasch ziehe ich meinen Kopf zurück; wohl zu rasch, denn der Miniseebär erschrickt, grunzt unwillig und macht sich anschließend erstaunlich hurtig aus dem Staub – hinab zur Mama, die ihn liebevoll in Empfang nimmt. Mhm, hab ich jetzt ein krankes Tier aufgescheucht oder ein gesundes aus seinen Träumen gerissen? Wie dem auch sei; es tut mir von Herzen leid.
Erschöpfter Kindertrupp
Stille Beobachter
Laute Beobachterin
Durch dieses Erlebnis sensibilisiert, klettern wir eine halbe Stunde später, leise und äußerst aufmerksam, wieder hinauf zum Auto, wobei wir große Bögen um mehrere Jungtiere schlagen, die alleine in der Hitze liegen. Einige davon scheinen tatsächlich tot zu sein – auch das Fernglas offenbart keinerlei Brustkorbbewegungen – andere wiederum atmen offensichtlich, sind aber ansonsten wenig agil. Schwer zu sagen, welches Tier hier in welchem Zustand ist, doch zahlreiche Kadaver in unterschiedlichen Zersetzungsstadien, gerade in den oberen Regionen der Bucht, sprechen Bände. Im Prinzip ist ja der Tod nichts Schlimmes, er ist Bestandteil des Lebens, er ereilt jeden, den einen früher, den anderen später. Dennoch empfinde ich das Sterben als etwas ganz Intimes, bei Mensch und Tier gleichermaßen – und möchte deshalb nicht uneingeladenerweise als Zuschauer fungieren. In Gedanken entschuldige ich mich deshalb bei den kleinen Seebären, besonders bei dem einen, dem ersten, und bin ganz froh, diesen Ort wieder verlassen zu können. Doch trotz dieser Empfindungen war es ein magischer Platz: wir, ganz alleine mit den Tieren, weitestgehend unbemerkt. Wir durften sie beim Planschen, beim Säugen, beim Sonnenbaden beobachten und auch, wie sie miteinander umgehen. Und aufgrund der amphitheater-artigen Architektur dieser kleinen Bucht, der Überschaubarkeit der Kolonie und ihrer relativen Abgelegenheit war das sicher ein wesentlich intensiveres Erlebnis, als zum Beispiel ein Besuch von Cape Cross, der bekanntesten und größten Ansammlung dieser Tiere. Und auch der Gestank war vergleichsweise gering…
Weiter nach Norden!
Spoeg River Mouth
Sarcocornia natalensis
Als dankbare Gäste verabschieden wir uns und nehmen nun die nächste, die erste „offizielle“ Station ins Visier: „das malerische Spoeg-River-Estuary ist ein hervorragender Platz zur Vogelbeobachtung, insbesondere von Watvögeln. Die Höhle selbst stellt zudem einen historisch und kulturell bedeutenden Ort dar, an dem man über zweitausend Jahre alte Zeugnisse der frühen Schafhaltung sicherstellen konnte.“ Sagt das Heftchen. Naja, schaun wir halt mal. Über sandige Pfade kurven wir hinab zu dieser Flussmündung. Halt, halt, stopp! Was? Da steckte eine aufgespießte Maus in einem Busch! Echt?!? Ok, die Stelle merken wir uns für den Rückweg, es fährt sich so schlecht rückwärts auf diesem tiefsandigen Weg. Heinz und ich versuchen verzweifelt, uns die herausragenden Marker dieser bestimmten Stelle einzuprägen. 72, oder waren es 76 Kurven später – die Maus ist kurzfristig fast vergessen – nehmen wir erneut, nach einem größeren Bogen über Land, Kurs auf die Küste. Und die präsentiert sich hier so ganz anders als gewohnt. Es ist keine felsige Bucht mit Brandung, es ist kein Sandstrand, es ist keine Steilküste – nein, es ist das Delta des kleinen Flusses Spoeg. Der Spoeg River bildet ein flaches Schwemmtal, mehrarmig, natürlich nicht vergleichbar mit dem Delta einer Donau oder Wolga. Dennoch ist der Anblick einzigartig: ein Flusskegel, wasserführend und von tiefem Blau, ergießt sich in einen türkisfarbenen Streifen am Rande des Atlantischen Ozeans und seine Gestade sind gesäumt von tiefroten, fahlroten, braunen und grünen Streifen farbenfroher Vegetation. Wie das Werk eines phantasiereichen Malers liegt diese Flussmündung vor uns. Es ist unglaublich! Je näher wir der Mündung allerdings kommen, desto mehr verschmelzen die einzelnen Farben, desto diffuser wird das Landschaftsgemälde. Dafür aber kann man endlich auch erkennen, welche Pflanzen für diese tiefe, intensive Rotzeichnung verantwortlich sind: Sarcocornias. So etwas hatten wir bereits in der Knersvlakte gesehen, winzig – hier jedoch sind die außergewöhnlichen Pflanzen mächtig, strotzend, groß, zahlreich und wahnsinnig dominant.
Die Höhle von außen
Heinz schaut rein
Ja, Gusti, bist auch schön!
Ein Grund, sich näher damit zu beschäftigen, nehme ich mir vor, doch meine Recherchen fallen nicht sonderlich fruchtreich aus: Amaranthgewächse, weltweit verbreitet, halophytisch (also salztolerant), Taxonomie unklar. Schade, da hätte ich mir mehr erhofft und kann es gar nicht fassen, dass über diese farbenfrohen, auffälligen Pflanzen so wenig bekannt ist. Andererseits würde ich wohl eine neue Baustelle eröffnen müssen, um auch noch zur Sarcocornia-Kundigen zu werden, wären diese besser erforscht. Deshalb bin ich recht dankbar und genieße lediglich Form und Farben, ohne gleich wieder tiefer einzusteigen. Einsteigen tun wir jetzt aber trotzdem, und zwar in die angekündigte Höhle, die von außen aussieht, als blicke man in die Nasenlöcher einen schlafenden Riesen. Von innen hingegen ist sie wenig spektakulär – eine recht große, zweigeteilte Kammer, gut ausgeleuchtet durch das durch die Nasenlöcher dringende Tageslicht – und beherbergt nur zahlreiche alte Schwalbennester, ein paar Touristenschmiereien an den Wänden, ein bisschen Müll. Das war’s. Na ja, immerhin haben wir, die wir ja recht einseitig interessiert sind, heute unseren kulturellen Teil abgeleistet; das kommt selten genug vor und kann ja mal nicht schaden…
Nur schließen, nicht klauen!
Drosanthemum sp.
Malephora crocea
Allerdings reicht das für diesen Tag, schließlich wartet noch die aufgespießte Maus auf uns, die Quarzflächen bei Riethuis und sicher noch einiges mehr. Also machen wir uns auf den Rückweg, zählen Kurven, renken uns die Hälse aus, können die Maus jedoch nicht mehr ausfindig machen. Annette und Jochen bedauern das sehr, denn sie hätten unsere Sichtung gerne mit eigenen Augen gesehen. „Da habt ihr euch sicher verkuckt! Wer oder was soll denn eine Maus aufspießen – und warum?“„Das ist typisch für Würger. Die größeren unter diesen Vögeln fressen nicht nur Insekten, sondern vergreifen sich auch an kleineren Singvögeln und Wirbeltieren. Was von der Mahlzeit dann übrig bleibt, wird aufgespießt oder eingeklemmt. Solche Depots kann man sogar bei uns zuhause hin uns wieder entdecken – dafür ist der sogenannte Neuntöter verantwortlich.“, doziert Heinz. Unsere Freunde lauschen ungläubig, können es kaum glauben – und wir können fast nicht glauben, dass die beiden noch nie davon gehört haben. Deshalb ist es besonders schade, dass wir die arme Maus nicht mehr finden, wäre sie doch ein ideales Anschauungsobjekt gewesen. Was wir noch nicht ahnen: in ein paar Tagen werden wir nicht nur ein Würger-Opfer finden, sondern sogar live dabei sein, während ein Fiskalwürger Beute macht. Ein ganz besonderes Erlebnis!
Riethuis-Gebiet
Die alte Farm
Raubfliege
Doch auch der Namaqua Nationalpark hält noch das ein oder andere für uns bereit. Auf unserem Weg nach Riethuis zum Beispiel treffen wir völlig unvermittelt auf einen Zaun nebst dazugehörigem Gatter, das wir höflich nach Durchfahrt zu schließen gebeten werden, statt es zu stehlen. Die schriftliche Bitte, handgepinselt auf einem Blechschild, ist ja schon kurios genug, noch verwunderlicher aber ist die Existenz eines Zauns und eines Gatters – mitten im Nationalpark! Doch unser Heftchen gibt Auskunft: im Jahre 1998 wurde der Park gegründet und umfasste damals 900 Hektar im Gebiet von Skilpad. Heute ist das Schutzgebiet bereits auf 150.000 Hektar angewachsen, und schließt nun auch Küstenregionen, Wetlands, Flüsse und Dünen mit ein. Doch das Ziel sind 620.000 Hektar bis 2014. Nun, das scheint etwas utopisch. Nichtdestotrotz mussten auch für das jetzige Nationalparkgebiet bereits diverse Farmer weichen, deren Kaufverträge jedoch einigen eine Übergangsphase bis zur endgültigen Aufgabe der landwirtschaftlichen Betriebe einräumten. Das Gate, durch das wir gerade gefahren sind (ohne es zu entwenden), gehört also zu einer der noch bewirtschafteten Farmen auf Nationalparkgebiet.
Sarcocaulon ciliatum
Malephora crocea
Antimima sp.
Das ist eine Thematik, über die man sich in der Regel wenig Gedanken macht – ein Nationalpark war vor seiner Gründung nicht zwingend unbewohnt, im Gegenteil. Natürlich weiß der geneigte Tourist von einigen Umsiedlungsmaßnahmen, von Restriktionen, die den ehemaligen Bewohnern solcher Gebiete aufoktruiert wurden. Man nehme die Massai, oder, wesentlich tragischer, die San, die dem CKGR zum Opfer gefallen sind. Das sind bekannte Fälle. Doch hier und heute durch privates Farmland zu kurven, das bald keines mehr sein wird, bringt mich in sehr unmittelbarer Weise zum Nachdenken. Wie fühlt sich solch ein Betroffener? Wieviel Entschädigung steht ihm zu, was kann er sich davon kaufen, findet er adäquates Ersatzland, sattelt er beruflich um, nimmt er wehmütig Abschied vom Familienbesitz oder begrüßt er die Zwangs-Chance? Klar, bei einem Besitz wie diesem, den wir gerade durchfahren, können wir von einem weißen Farmer ausgehen, der sicher nicht in the Middle of Nowhere rechtelos weiterleben wird – dennoch. Auch weiße Großgrundbesitzer haben Gefühle…
Crassula elegans
Crassula muscosa
Salsola sp.
Während ich derartigen Gedanken nachhänge, erreichen wir bereits ein weiteres Farmhaus, das allerdings schon vor längerer Zeit aufgegeben wurde. Unter ähnlichen Umständen? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, weil das Heftchen es kurz beschreibt: hier müssen wir uns links halten, um „das Kernland des sogenannten Riethuis Quarz“ zu erreichen, das eine einmalige, seltene Flora sukkulenter, quarzaffiner Pflanzen beherbergt. Musik in unseren Ohren!
Unser Quarzparadies
Crassula alstonii
Aloe krapohliana
Im Prinzip reicht schon alleine der Begriff „Quarzfläche“ völlig aus, um unseren Puls zu beschleunigen und ein leichtes Rot der Vorfreude auf unsere Wangen zu zaubern. Diese Gebiete nämlich sind ganz besondere Standorte für ganz besondere Sukkulenten. Während das Umfeld solcher Flächen eher von strauchigen, aufrecht wachsenden Sukkulenten, Gräsern oder nichtsukkulenten Sträuchern bevorzugt wird, dominieren auf Quarzflächen die kompakten, bodennahen Blattsukkulenten. Studien haben ergeben, dass das unter anderem an ganz speziellen klimatischen Gegebenheiten liegt, deren Ursache in der Farbe der Quarzsteine begründet liegt. Die weißlichen Grusstücke nämlich beeinflussen die Temperaturentwicklung der bodennahen Luft und der Bodenoberflächen – somit also auch die Temperatur der Pflanzen selbst. Die reflektierenden Eigenschaften des Quarzes halten die bodennahe Luft um bis zu fünf Grad kühler als die angrenzender, nicht von Grus bedeckter Flächen. Die unmittelbare Bodentemperatur hingegen weicht im Vergleich dazu nur an heißen Sommertagen um ein paar Grad nach unten ab – im Winter jedoch ist sie um bis zu sechs Grad höher als auf quarzfreien Flächen. Zudem wirkt sich der Quarzbelag durch Herabsetzung der Evaporation und die Vergrößerung der Kondensationsfläche positiv auf den Wasserhaushalt des Oberbodens aus, sodass besonders Zwergpflanzen mit oberflächennahen Wurzeln von diesen Gegebenheiten profitieren. Eine Mini-Klimaanlage also, die ideale Wachstumsvoraussetzungen für die von uns so geliebten, gedrungen wachsenden Winzlinge – viele Endemiten inklusive – schafft.
Conophytum bilobum
Crassula columnaris
Crassula elegans
Das Gebiet, das wir jetzt besuchen werden, ist, selbst unter Pflanzenliebhabern, zwar noch weniger bekannt als die Knersvlakte, stellt aber eines der lediglich sechs Phytochorien (Pflanzenreiche) der Quarzflächenflora des südlichen Afrika dar. Diese umfassen die Knersvlakte, die Kleine Karoo, das nördliche und südliche Richtersveld-Gebiet, das Buschmannland-Warmbad-Areal und eben das Riethuis-Wallekraal-Gebiet, in dessen Herzen wir gerade unseren Wagen abstellen und freudigen Schrittes losstürmen. Und wieder mal werden wir nicht enttäuscht! Langsam schrauben wir uns einen steilen Hügel nach oben, verlieren uns immer wieder aus den Augen, können uns jedoch jederzeit problemlos akustisch orten: im Minutentakt erklingen entzückte Quietscher, erfreute Schreie und begeisterte Rufe hinter den Felsen hervor, im Minutentakt entdecken wir Neues, Altbekanntes und Unbekanntes gleichermaßen. Hier eine besonders kompakte, blühende Crassula, dort ein Conophytum, da eine kleine Zwiebelpflanze, dort drüben eine Aloe und, und, und… Sagenhaft! Heinz und ich vergessen Zeit, Raum – und irgendwie auch unsere Freunde. Vor lauter Entzücken haben wir nicht mitbekommen, dass diese, nach einer guten Stunde unseres Umherkrabbelns, anscheinend bereits den Rückweg angetreten haben und schon eine ganze Weile beim Auto auf uns warten. Als ich mich aber, zum Zwecke der Blasenentleerung, kurz um einen Felsen herumschwinge, entdecke ich drunten im Tal zwei sich bewegende Punkte, die verdächtig nach Annette und Jochen aussehen. Mhm, vielleicht sollten auch wir beide uns allmählich mal wieder nach unten bewegen, ehe die Geduld unserer Reisegenossen am Ende ist, bevor unsere botanischen Leidenschaften so richtig ausbrechen… Schließlich liegt da noch das Richtersveld vor uns – und das ist florale Extrem-Hardcore-Area!
Kleine Schatten-Pause
Einsame Oryx
Weiter geht’s!
Das Riethuis-Gebiet steht zwar dem Richtersveld, wie wir sehen konnten, eigentlich in nichts nach, leidet aber etwas unter unserem Zeitdruck. Der schränkt unseren Bewegungsradius bedauerlicherweise so ein, dass wir eben nur diesen einen Hügel erkunden konnten. Wer weiß, was da noch alles auf und hinter den anderen Erhebungen verborgen liegt… Doch nächstes Jahr werden wir wohl wieder hier sein und dann planen wir es so, dass wir hier etwas mehr Zeit zum Rumstromern haben. Jetzt streichen wir halt zwangsweise die Segel, ein wenig wehmütig zwar, jedoch durchaus einsichtig. Unsere Freunde danken es uns, begrüßen uns freudig und verfrachten uns ins Auto, das zur Weiterfahrt bereit steht. Tja, welchen Weg nehmen wir jetzt? Den langen über den nördlichen Teil des Parks oder die östliche Abkürzung über Soebatsfontein, außerhalb der Parkgrenzen? Ein Blick auf die Uhr enthebt uns jeglicher Entscheidung: es ist schon relativ spät und gerne möchten wir vor Einbruch der Dunkelheit in unserem heutigen Quartier ankommen. So also nehmen wir an der nächsten Gabelung die östliche Tangente, verlassen den Park und kurven zügig über privates Farmland. Landschaftlich verändert sich hierbei wenig, dennoch ist es unglaublich, wie sehr die Flora ganz offensichtlich unter der Bewirtschaftung leidet: wir sehen keine Rinder, keine Ziegen oder sonstiges Getier, das dem Farmer Geld einbrächte, trotzdem aber ist die Vegetation „platt“. Gut, wir steigen nicht aus und haben keine Gelegenheit, das zu verifizieren, doch alleine der Blick aus den Autofenstern ist recht aufschlussreich: Felsen, Sand, Sträucher. Da blitzt nichts Verlockendes auf, nichts, gar nichts.
Wir nähern uns…
…Skilpad
Aussicht vom Chalet
Der Ort Soebatsfontein selbst setzt dem Ganzen dann die Krone auf. Hier möchte ich nicht mal tot über dem Zaun hängen! Gut, es ist ein entlegenes Kaff, zudem umarmt von einem Nationalpark, das Klima ist harsch bis unfruchtbar – es ist also ein extrem strukturschwaches Gebiet. Trotzdem! Eine Strafe Gottes, hier wohnen zu müssen. Wir müssen das Gott sei Dank nicht – nein – wir dürfen heute wieder rein in den Nationalpark und unsere beiden gebuchten Bungalows in Skilpad, dem Hauptcamp, beziehen. Zwar wissen wir noch nicht, was uns da erwartet, doch es wird wohl besser sein, als das elende Kaff, das wir gerade hinter uns bringen! Ja, und so ist es. Kaum haben wir den Park erneut geentert, werden wir von einer Schar Erdmännchen begrüßt, die uns aus der Ferne, dennoch deutlich sichtbar, willkommen heissen. Hallo, ihr wuseligen Gesellen, schön, euch zu sehen! Rasch flitzt der Trupp weiter – wie auch wir. Kurz vor 17.00 Uhr treffen wir, nach einer kleinen Pass-Straße, dann endlich in Skilpad ein, erledigen die nötigen Formalitäten und nehmen anschließend sofort Kurs auf unsere gebuchten Chalets. Und diese rauben uns beinahe den Atem: da liegen vier dieser Häuschen auf einer Anhöhe, die einen weiten Blick in die bergige Landschaft dieses Parkteils ermöglicht. Die Sonne schickt sich soeben zu ihrem allabendlichen Untergang an und wir sind wie gefesselt: Hügelkette um Hügelkette staffelt sich hintereinander, schichtet sich in unglaublichen Farbabstufungen schwarzer, blauer und rötlicher Töne gen Horizont, sanft wogen lanzettblättrige Büsche wie Scherenschnitte vor dieser phantastischen Kulisse, eine Wolke formiert sich zu ständig wechselnder, immer unglaublicherer Gestalt. Irre!
Wir verteilen uns rasch auf zwei der Chalets, haben jedoch kaum einen Blick für deren Interieur – was wir aber sehen, ist Luxus pur – und treffen uns anschließend erneut, bei Annette und Jochen, um diesen Moment bei einem gemeinsamen Abendessen zu zelebrieren. Das allerdings müssen wir selbst kochen – trotz des uns umgebenden Luxus’. Zwar gibt es hier auch ein Restaurant – das jedoch hat, wie wir schon bei unserer Ankunft feststellen durften, wegen Renovierung geschlossen. Doch als geübte Selbstversorger haben wir natürlich genügend Verpflegung dabei – sogar so (angeblich) urdeutsches Gemüse wie Weißkohl. Ein ganzer Kopf davon schaukelt seit einigen Tagen in unserem Laderaum herum und möchte allmählich seiner Bestimmung zugeführt werden. Was aber machen wir daraus? Heinz steckt seinen Kopf prüfend in den Kühlschrank im Auto und zieht triumphierend ein Päckchen Schinkenspeck hervor. Wir kreieren lauwarmen Krautsalat! Eifrig machen Heinz und ich uns ans Schnibbeln und Zubereiten, während Jochen schon mal den Indoor-Grill anheizt: ein mehrrostiger Feuerplatz, mitten im Wohnzimmer, eingelassen im Kamin – Beleuchtung inklusive! Diese Chalets sind wirklich vom Feinsten: die Küche hervorragend ausgestattet, die Möblierung geschmackvoll-gemütlich, der Sanitärbereich gepflegt und großzügig, ihre Lage ideal; das Beste aber ist definitiv eine dem Sonnenuntergang zugewandte, voll verglaste Terrasse, deren Fenster und Türen sich komplett zur Seite schieben lassen. Auf diesem Panorama-Freisitz decken wir nun liebevoll den Tisch und genießen in aller Ruhe das Farbenspiel des verglühenden Tages; der lecker duftende Krautsalat kühlt indessen gemächlich ab, das Feuer im Kamin brennt zur Bilderbuch-Grillglut herunter und wir knipsen uns derweil die Finger wund… Als der letzte Schein des Sonnenballs schließlich am Horizont verloschen ist, hält die Kühle der Nacht Einzug, die wir aber kurzerhand durch das Verschließen der Terrassenverglasung aussperren und so ein königliches Dinner in kuschelig-warmem Ambiente zu uns nehmen können. Ein perfekter Ausklang für einen ereignisreichen, nicht weniger perfekten Tag!
Wir verwenden Cookies, um unsere Website und unseren Service zu optimieren.
Funktionale Cookies Immer aktiv
The technical storage or access is strictly necessary for the legitimate purpose of enabling the use of a specific service explicitly requested by the subscriber or user, or for the sole purpose of carrying out the transmission of a communication over an electronic communications network.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
The technical storage or access that is used exclusively for statistical purposes.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
The technical storage or access is required to create user profiles to send advertising, or to track the user on a website or across several websites for similar marketing purposes.
Schreibe den ersten Kommentar