Das lachende Wiehern von Zebras weckt uns und Heinz murmelt schlaftrunken neben mir: „Das war’s, was ich auf der Ondekaremba Farm gehört habe!“ Dieses Rätsel also wäre gelöst und wir schälen uns voller Tatendrang aus unseren Schlafsäcken. Annette ist schon ein Weilchen wach und hat bereits das Geschirr von gestern Abend gespült. Wir winken uns zu und ich marschiere erst mal Richtung Ablution Block. Dort steht die Nachbarsfrau am Waschbecken, sieht mich verächtlich an und ignoriert meinen Morgengruß. Seltsam! Zurück im Lager, klärt Annette mich auf: die Dame kam sich gestern Abend, 15 Minuten nach unserem Abgang, noch beschweren – über den unerträglichen Lärm, den wir verbreiten würden. Seit 21 Uhr versuchten sie und ihr Mann zu schlafen, würden aber kein Auge zubekommen, weil wir ja unbedingt Party feiern müssten. Annette entschuldigte sich natürlich um des lieben Friedens willen, aber wir blieben weiterhin in Ungnade. Beim morgendlichen Spülen traf Annette dann eine andere Nachbarin und fragte nach, ob wir wirklich so gelärmt hätten. Nein, wir wären extrem leise gewesen, bescheinigte uns die Dame, es gäbe nicht den geringsten Grund zur Beschwerde. Na also! Die beiden Frauen kamen ins Plaudern, tauschten Reiseerlebnisse und weitere Planungen aus und die freundliche Nachbarin warnte Annette angesichts unseres bevorstehenden Chobe-Besuchs. Sie und ihr Mann waren vor einer Woche dort, aber leider sei der Park aufgrund heftiger Regenfälle geschlossen gewesen. Das sind ja tolle Nachrichten! Doch wir werden sehen, schließlich kommen wir erst in zwei Tagen dort an und es kann sich in der Zwischenzeit viel verändert haben – hoffentlich zum Guten.
Nach dem Frühstück packen wir in aller Ruhe zusammen und während Patricia und ich noch rasch die Grillroste schrubben, geht Heinz auf Beutezug. Überall tummeln sich exotische Vögel, die ihn vor Begeisterung strahlen lassen und zudem wachsen auf dem Campgelände auch noch Makalanipalmen (Hyphaene petersiana), die gerade reife Nüsse abwerfen. Mit roten Bäckchen, einem Sack voller Palmnüsse und seligem Grinsen kehrt Heinz zurück und ich freue mich so zu sehen, dass es ihm offenbar richtig gut gefällt und er ornithologisch und botanisch auf seine Kosten kommt. Sorgfältig werden die Kostbarkeiten verstaut und wir machen uns auf den Weg. Heute geht es ins Popa Falls Community Camp nahe Divundu, das ist nicht ganz so weit wie die gestrige Strecke, doch recht abwechslungsreich wird sie wohl auch heute nicht werden.
Und tatsächlich: auf schnurgerader Teerstraße geht es dahin, ich spiele mein altes Farmzaun-Spiel und wir freuen uns über jede Kuh und jeden Esel, der am Fahrbahnrand steht. Und da sind auch noch andere Tiere, riesige „Flugobjekte“, die wie betrunken durch die Luft torkeln und häßliche Flecken machen, wenn sie dummerweise gegen die Windschutzscheibe knallen. Diesem Phänomen gehen wir bei der nächsten Pinkelpause auf den Grund: es sind Pillendreher, die überall auf der Straße sitzen und Herbivoren-Kot zu perfekten Kugeln formen, die sie dann rasch mit den Hinterbeinen in Sicherheit rollern. Wenn man sich den Käfern nähert, nehmen sie einen abwehrend ins Visier, erheben sich mit lautem Gebrumm in die Luft und flüchten. Nicht selten prallen sie einem dabei direkt ans Bein und fallen füßchenrudernd auf den Boden zurück. Nähert sich hingegen ein Auto – viel zu schnell für Wahrnehmung der etwas retardierten Käfer – bleiben sie sitzen und werden meist Opfer der Reifen. Eine ganze Weile beobachten wir die Skarabäen bei ihrem emsigen Treiben. Besonders hübsch sind sie ja nicht, mit ihren kotverklebten, mattbraunen Chitinpanzern und ihrer wenig anmutigen Gestalt. Aber die Leistung, die sie vollbringen ist schon beachtlich. Ihre Mistkugeln sind teilweise dreimal so groß wie sie selbst und auf dem glatten Teer schon schwer zu bewegen. Erreichen sie aber dann endlich die mit trockenem Gras bewachsene Straßenböschung, geht die Knochenarbeit erst richtig los. Doch die Dung Beetles legen sich mit aller Macht ins Zeug und lassen sich nicht beirren.
Um eine schöne Tierbeobachtung reicher, klettern wir wieder in die Autos und fahren weiter. Aber schon nach ein paar Kilometern legt Jochen eine Vollbremsung hin, wendet den Landy und hält neben einem kleinen grünen Chamäleon. Vorsichtig pflückt er es von der Straße, um es in einen sicheren Busch am Straßenrand zu setzen. Doch Moment, erst mal muss es uns Modell stehen, das kleine Echslein mit den flinken Augen. Es ist grasgrün und scheint sich auf Jochens Hand recht wohl zu fühlen. Sven will es ebenfalls einmal halten, aber diesen Wechsel findet das Tierchen offenbar ziemlich stressig – sofort bekommt es schwarze Flecken und flüchtet sich auf Svens Schulter. Auch bei mir will es nicht bleiben, erst als Heinz es nimmt, beruhigt sich der kleine Kerl und färbt sich schnell wieder grün. Ich sehe mir das Chamäleon ganz genau aus der Nähe an, als es ruckelnd ein Greifärmchen nach vorne streckt und mir kurzerhand auf die Nase klettert. Über Brille und die Stirne bahnt es sich zielstrebig seinen Weg in meine Haare, wo es sich sofort verheddert und erneut Stressflecken bekommt. Vorsichtig nestelt Heinz das Tierchen aus meinem Haarwald, was mit empörtem Fauchen quittiert wird und setzt es in einer Pflanze ab, wo es sich beruhigt und mit lebhaft rotierenden Augen vorsichtig zwischen den Blättern hervorlugt. Jetzt, wo es gut getarnt in Sicherheit ist, können wir ja weiterfahren. Eine ganze Weile noch fühle ich den Weg, den es über mein Gesicht genommen hat: es ist, als ob vier winzige Nassrasierer-Köpfchen über meine Haut gefahren wären. Es tut nicht weh, überhaupt nicht, aber es ist ein seltsames Gefühl…
Je weiter wir uns nun Rundu nähern, desto offener wird das Land. Nicht etwa, weil das Buschwerk lichter würde, sondern weil es kaum noch Zäune gibt. Dafür sieht man immer mehr Ansiedlungen, kleine strohgedeckt Rundhütten und auch Menschen – wir kommen schön langsam in den „schwarzen“ Teil Namibias! In Rundu halten wir für einen Einkauf vor dem örtlichen Supermarkt und Heinz bekommt einen ersten Eindruck afrikanischen Treibens: bunt gekleidete Frauen balancieren Waren auf ihren Köpfen, schleppen in Tüchern friedlich schlafende Säuglinge mit sich herum, zerren Kleinkinder hinter sich her. Aus jedem der umliegenden Geschäfte dröhnt Musik oder lautstarke Verkaufsanimation – die Lautsprecher scheppern blechern, machen ihrem Namen alle Ehre. Mit Neugier und gebührendem Respekt fotografiert Heinz in die Runde und saugt alles in sich auf – staunend und vielleicht auch etwas befremdet. Befremdet von unserer Vorsicht; denn wir haben fast automatisch unsere Autofenster hochgekurbelt, die Türen verriegelt und lassen die Landys nicht aus den Augen, obwohl wir keinen Meter davon wegstehen. Befremdet auch von der winzigen Bushman-Frau mit ihrem noch winzigeren Baby auf dem Rücken, die uns mit trüben, hoffnungslosen Augen anblickt und gebetsmühlenartig ihre Bitten um Geld und Essen herunterleiert. Auch mich nimmt so ein Anblick immer wieder mit. Menschen, die seit Urzeiten hier ansäßig sind, über ein unerschöpfliches Wissen über die Pflanzen und Tiere dieser unwirtlichen Klimaregion verfügen, werden entwurzelt, ihres Landes beraubt, verachtet. Und dann sieht man sie hier, in Käffern wie Rundu – verdreckt, in zerlumpten westlichen Klamotten, ohne Hoffnung, innerlich abgestorben. Es ist so bitter, was Menschen anderen antun! Wenn es keine Menschen gäbe, ginge es der Welt sicher besser, denn wir werden nie einen Weg zueinander, geschweige denn zur Natur finden, selbst wenn wir es uns hin und wieder einbilden.
In diesem Sinne setzen wir unseren Weg fort, natürlich ausgestattet mit allem Komfort, den Menschen unseres Kulturkreises für nötig erachten – der Natur entgegen, so wie wir sie halt gerne genießen und erfassen möchten. Wir sind eben auch nur Menschen… Und in meinem Menschsein freue ich mich, dass ich jemanden wie Heinz gefunden habe, mit ihm und anderen unterwegs sein und die Welt erkunden kann. Das eintönige Motorengeräusch brummt mich aus meinen kritischen Gedanken, am Fahrbahnrand drängen sich kleine gelbe Kugeln in mein Blickfeld. Auch die anderen haben sie bemerkt und zunächst gehen wir davon aus, dass hier wohl gerade Tsamma-Melonen ihre Überreife erreicht haben, denn es sind keine grünen Ranken zu entdecken. Doch immer öfter sehen wir jetzt Gefäße, in denen diese Kugeln, zu kleinen Pyramiden getürmt, zum Verkauf dargeboten werden. Bei der nächsten Schüssel halten wir an und sehen uns nach den dazugehörigen Verkäufern um. Schon kommen einige Kinder aus dem Busch geschossen, ihnen folgt in gemächlichen Schritten ein Mann, der unsere Neugier befriedigt. Das seien Baboki – mhm lecker. Er greift sich eine Frucht, öffnet sie mit wenigen gekonnten Messerhieben und lutscht genüßlich augenrollend auf einem Klumpen des wenig appetitlich aussehenden, schmutziggelben, gehirnartigen Fruchtfleisches herum. Mit einem lauten „Plöpp“ spuckt er die Reste dann auf den Boden. Annette kauft ihm kurzentschlossen zwei der angeblich so schmackhaften Früchte ab – wir werden sie als Abenddessert verkosten. Bei der Weiterfahrt versuchen wir, die Früchte botanisch korrekt zuzuordnen. Es ist eindeutig eine Strychnos-Frucht, präzise gesagt Strychnos madagascariensis (Black Monkey Orange). Wir sind alle schon sehr gespannt, wie das Zeug schmeckt, Heinz freut sich auf die Samen und ich mich noch mehr auf die harte Fruchtschale. Das könnte ein nettes Behältnis für ein Teelicht werden!
Doch erst mal sind wieder Kilometer angesagt, bis wir frühnachmittags eine Snackpause an einem staubig-schattigen Rastplatz einlegen. Auch hier liegen zuhauf geköpfte Baboki-Schalen und ausgespuckte Kerne herum – es scheint wirklich eine sehr beliebte Saisonfrucht zu sein. Ein kleiner Pinkel-Ausflug in die nähere Botanik fördert noch mehr Preziosen der Natur zutage: überall sind reife Samen von Zambezi Teak (Baikiaea plurijuga), Wild Teak (Pterocarpus angolensis), False Mopane oder Copalwood (Guibourtia coleosperma) und Manketti Trees (Schinziophyton rautanenii) zu finden. Wir sammeln und bestimmen mit solcher Begeisterung, dass wir kaum zum essen kommen und Heinz’ Sämereienkollektion erneut beträchtlich aufgestockt wird. Halbwegs gestärkt und voll botanischem Enthusiasmus setzen wir unseren Weg auf der glühend heißen, fast schattenlosen Straße in Richtung Popa Falls fort. Schattenlos, ja, doch allmählich türmen sich immer mehr Wolken am Horizont, sehen sehr nach Gewitter aus und lenken unsere Gedanken wieder sorgenvoll dem angeblich gesperrten Chobe NP entgegen. Da müssen wir heute Abend wohl Alternativen erwägen. Kurz darauf passieren wir tatsächlich ein kleines Regengebiet, die Luft riecht frisch und erdig, danach glüht die Sonne wieder ungetrübt vom Himmel und es ist noch heißer als vorher.
Schwitzend, klebend und gut durchmariniert kommen wir gegen 16 Uhr in Divundu an, wo wir ursprünglich in der Mahangu Safari Lodge übernachten wollten, letztendlich aber doch das Popa Falls Community Camp vorzogen, das Annette und Jochen bereits als sehr schön und recht einsam kennengelernt hatten. Dass es einsam und wenig besucht ist, muss nicht verwundern, ist es doch recht schwer zu finden. Weit und breit existiert kein Hinweisschild und wenn die beiden nicht genau wüßten, wo man abbiegen muss, man könnte auch zehnmal an der Abzweigung vorbeifahren und würde sie trotzdem nicht entdecken. Zwischen zwei heruntergekommenen Häusern führen kaum erkennbare Reifenspuren – Straße kann man das nicht nennen – über ein staubiges Feld, vorbei an containerartigen Baracken bis hin zu einem Gelände, das ganz offensichtlich ein Knast ist. Mehr oder weniger schwere Jungs lungern im Schatten spärlicher Bäume gelangweilt herum, spielen bei der Gluthitze Fußball oder hängen neugierig winkend am hohen Stacheldrahtzaun. Spätestens hier würde man wahrscheinlich wieder wenden, aber wir wissen ja, dass es der richtige Weg ist. Eine Weile geht es noch durch dichten Busch, Zweige schrappen am Auto entlang und dann sind wir da. Freundlich werden wir von einem Campangestellten empfangen und dürfen uns eine der 4 Campsites aussuchen. Annette und Jochen wählen Site 3, der ihnen letztes Jahr als der schönste erschien. Und in der Tat, das ist er! Üppige tropische Vegetation beschattet einen großzügigen Platz, es gibt eine überdachte Spül- und Kochzeile, ein platzeigenes Klo- und Duschhäuschen und eine wirklich spatiöse hölzerne Flussterrasse.
Aus allen Poren triefend errichten wir unser Lager und lassen uns dann gemütlich auf unserer Terrasse nieder. Leise raschelt Papyrus im lauen Wind, kleine Schwärme von Blutschnabelwebern ziehen malerisch an noch pittoreskeren Wolken vorbei, der Kavango gluckert, Ibisse krächzen und wir genießen die Zeit bis zum Sonnenuntergang. Auf einmal marschieren Menschen, offensichtlich Touris – im Gänsemarsch über unseren Platz, grüßen recht zurückhaltend und verschwinden auf der anderen Seite im Gebüsch. Ein kurzer Blick durchs Buschwerk auf den Nachbarplatz bringt Aufklärung: es ist eine Reisegruppe, die mit Bushways, einem botswanischen Veranstalter unterwegs ist und offenbar noch eine kurze Wanderung zu den Popa Falls macht. Also keine Overlander, Glück gehabt, aber das hätte hier an diesem Ort auch sehr verwundert. Beruhigt wenden wir uns dem einsetzenden Sonnenuntergang zu, der aber trotz der markanten Wolken recht unspektakulär ausfällt. Dafür beginnen die Frösche mit ihrem Konzert und wir mit der Zubereitung des Abendessens, welches wir uns wenig später in dieser exquisiten Atmosphäre doppelt munden lassen. Und dann geht es der Baboki an den Kragen. Heinz köpft die steinharte Frucht gekonnt mit dem Leatherman und schiebt sich unerschrocken ein paar der fruchtfleischummantelten Kerne in den Mund. „Mhm, lecker!“, mümmelt er zwischen den Kernen hervor und hält uns an, doch auch zu probieren. Etwas zögerlich – das Zeug sieht echt nicht appetitlich aus – kosten wir alle und ich bin wirklich erstaunt, wie gut es schmeckt. Zwar ist das Fruchtfleisch recht faserig und auch spärlich, gibt aber beim Lutschen einen mango-limettenartigen Geschmack ab, sehr saftig und fruchtig.
An den Kernen saugend und knabbernd, nehmen wir endlich das Thema Chobe in Angriff. Annette und Jochen haben sich den ganzen Tag Gedanken über mögliche Alternativrouten gemacht, die Annette uns nun in allen Einzelheiten darlegt. Es gibt einige Möglichkeiten, den Chobe zu umfahren, jede Alternative hat so ihre Vor- und Nachteile, birgt ihre Risiken und Ungewissheiten. Ungewiss ist aber auch nach wie vor, ob der Chobe NP nun gesperrt ist oder nicht. Mensch, wir haben doch einen botswanischen Tourguide als Nachbarn! Warum nicht den erst fragen, bevor wir uns hier die Köpfe heiß diskutieren? Gesagt, getan. Der Guide ist recht erstaunt ob unserer Frage, denn der Chobe ist uneingeschränkt befahrbar und von einer Sperrung in den vergangenen zwei Wochen ist ihm absolut nichts bekannt. Keine Ahnung, welcher Fehlinformation unsere nette Nachbarin da auf den Leim gegangen ist; wir sind jedenfalls heilfroh, dass wir planmäßig weiterfahren können. Entspannt lassen wir den Abend auf der Flussterrasse ausklingen, kriechen dann in unsere Zelte, die allesamt kleine Saunahäuschen sind und marinieren dem nächsten Morgen entgegen.
Schreibe den ersten Kommentar