Gegen sieben Uhr wälzen wir uns schön langsam aus den Zelten und halten unsere Nasen in die Morgensonne. Ich habe geschlafen wie ein Stein, aber Heinz hat immer wieder den für ihn ungewohnten Geräuschen einer afrikanischen Nacht gelauscht, die er teilweise nicht zuordnen konnte. Leider bin ich ihm dahingehend auch keine Hilfe, denn ich habe absolut nichts gehört. Auch Sven hatte ein Nacht-Erlebnis: er musste aus dringenden Gründen vor’s Zelt und berichtet uns von einem riesenhaften Tier, das im fahlen Mondlicht auf ihn zugestürmt war. Wir haben keine Ahnung, was er das gesehen haben mag, zumal es auf der Farm kein Großwild gibt. Ein paar Minuten später allerdings, als gerade eine Rotte von Warzenschweinen ganz in unserer Nähe vorbeisaust, deutet er wiedererkennend auf den Eber: „Sowas war das!“ Naja, riesenhaft kann man die Schweindln nicht gerade nennen, aber im Dunklen sieht so manches unheimlicher aus als es wirklich ist. Und wenigstens wissen wir jetzt, was genau Sven da erschreckt hatte.
In aller Ruhe genießen wir unser Frühstück, bevor wir zum Einräumen der Autos schreiten. Annette fragt Heinz und mich, ob wir gerne im grünen Landy mitfahren möchten. Im Vorfeld unserer Tour hatte ich mir hin und wieder Gedanken gemacht, wie das wohl mit der Aufteilung laufen würde und, ehrlich gesagt, eher damit gerechnet, dass sie Sven und Patricia fragen würden. Denn die beiden fröhlichen Rheinländer haben unbestritten ein höheres Unterhaltungspotential als Heinz und ich, die gerne mal eine Runde schweigen und genießen. Aber natürlich fahren wir gerne mit Annette und Jochen im Auto und richten uns dort auch gleich mit Sack und Pack wohnlich ein. Besonders ich – die Rücksitztasche vor meinen Knien wird sofort mit allem Notwendigen bestückt, was für mich immer greifbar sein muss: Landkarten, Bestimmungsbücher, Fernglas, Sonnencreme, Sonnenbrille – ich hasse zielloses Suchen und Wühlen, ich gebe es ja zu…
Nach dem Einrichten und Zusammenpacken machen wir noch einen Abstecher zum Farmgebäude, um die Übernachtung zu bezahlen. Auf dem Parkplatz vor den Toren des Farmhauses haben Kap-Borstenhörnchen zahlreiche Bauten gebuddelt, in die sie sich bei unserer Ankunft flugs zurückziehen. Heinz möchte die putzigen Gesellen unbedingt näher sehen und fotografieren. Zu diesem Behufe legt er sich hinter einem Steinhaufen auf die Lauer. Nicht lange und die ersten Hörnchen spitzen neugierig aus ihren Löchern. Aber so richtig fotogen wollen sie sich nicht zeigen, dazu sind sie doch ein bisschen zu scheu. Nicht weiter schlimm, versichere ich meinem Schneck, denn ich kann ihm versprechen, dass wir in der Kalahari ganz sicher noch mehr davon sehen werden.
Wir machen uns auf den Weg – unser heutiges Tagesziel ist Roys Camp in der Nähe von Grootfontein und das sind mehr als satte 500 Kilometer. Eilig durchqueren wir Windhoek City, bis wir auf der Ausfallstraße nach Norden sind und schrubben Meilen. Heinz beobachtet alles sehr aufmerksam und sammelt erste afrikanische Eindrücke, die ihn verständlicherweise noch deutlich europäisch anmuten. Nach zwei Stunden der Fahrerei machen wir ein Päuschen an einem schattigen Rastplatz links der Straße. Heinz’ kundigem Auge fällt sofort der Schattenspender auf: ein Pfefferbaum (Schinus molle), der in Afrika ganz und gar nicht heimisch ist. In seinem Geäst wächst eine weitere Pflanze, die wir als halbparasitäre Afrikanische Mistel (Tapinanthus oleifolius) identifizieren. Die Mistel hat wunderschöne rote Kelchblüten und Heinz’ Augen funkeln begehrlich: vielleicht gibt es ja schon Samen zu ernten, die er zu Hause aussäen kann… Aber nein, schade, soweit ist die Mistel noch nicht. Ohne Beute, aber mit einem Snack im Bauch, entfliehen wir dem dem heftigen, trockenen Wind der Mittagszeit, der einem Sand ins Gesicht bläst, die Haut zu gefühltem Pergament dörren lässt und setzen unseren Weg fort. Für unsere Augen ist die nächsten zwei Stunden nicht viel Abwechslung geboten. Schnurgerade durchdringt die Teerstraße verbuschtes Weideland, häßliche Zäune umgeben karges Farmland. Allein die Machart der Zäune ist ein klein wenig unterhaltsam: mal sind fünf, mal sind sechs oder sieben „Drahtspanner“ zwischen den Zaunstützen angebracht, mal ist es ein schulterhoher Rinderzaun, mal ein doppeltmannshoher Gamezaun. Ich messe auf unserem Meilenzähler mit, rechne Farmgrößen hoch und setze die Gamefarmen für Touristen ins statistische Verhältnis zu Erwerbsbetrieben rein landwirtschaftlicher Art, die offenbar immer weniger werden. Naja, das südliche Afrika erlebt seit vielen Jahren einen zunehmenden touristischen Boom und wenn ich einen Blick auf die ebenso boomenden TV-Afrika-Filmschnulzen werfe, wundert es mich nicht: Afrika ist exotisch in Flora und Fauna, es ist hip und angesagt, der gemeine Schnulzenseher macht keinen Unterschied zwischen Oryx und Okapi, zwischen Aloe arborescens und Aloe zebrina, geschweige denn Aloe dichotoma, dem allseits geschätzten und geliebten Köcherbaum. Und wenn ich namibischer Farmer in agrarischen Nöten wäre, dann würd’ ich vielleicht auch meinen Zaun aufdoppeln und Buntböcke auf meinem Gelände halten, wo sie für den Touri offenbar ohne Widerrede hingehören – nach Afrika. So, wie halt Damhirsche, Rentiere und Elche in Europa zu sehen sind…
Kilometer um Kilometer zieht sich die B1 dahin und sogar Heinz, für den alles neu ist, findet die Fahrt schön langsam recht öde. Gegen 15 Uhr erreichen wir Otjiwarongo, dessen Straßen von blühenden Flammenbäumen gesäumt sind. Das ist eine willkommene Abwechslung und zugleich ein so farbenprächtiger Anblick, dass wir einfach anhalten müssen. Zwischen den Blüten hängen bis zu 50 cm lange Schoten, die Patricias Begehren wecken. Sven nimmt Anlauf, um im Sprung eine Schote abzureißen, aber es fehlen jedes Mal ein Paar Zentimeter. Da tritt Jürg, unser „Längster“ in Aktion und mit einem Riesensatz erhascht er eine Schote für Patricia. Die wenigen Passanten und Autofahrer, die an diesem Sonntagnachmittag unterwegs sind, wunder sich sicher sehr über unser seltsames Verhalten, schließlich sind diese Baumfrüchte für sie etwas alltägliches, nicht aber für uns.
Nach diesem erfolgreichen Beutezug setzen wir unseren Weg fort – wir müssen uns ein bisschen sputen, denn es liegen erst rund zwei Drittel der heutigen Tagesstrecke hinter uns. Also nehmen wir uns vor, nicht mehr zu stoppen, was bis kurz hinter Grootfontein auch funktioniert. Doch dort schießt plötzlich ein Polizist aus den Büschen und winkt uns mit seiner Kelle an den Fahrbahnrand. Oh, shit, wir waren zu schnell! Streng klärt und der Beamte über unser Vergehen auf, entschuldigt sich aber im selben Atemzug, dass er leider nur noch uns, nicht aber unseren genau so schnellen Vordermann erwischt hat. Das hilft uns jetzt auch nichts: 80 km/h dürfe man hier fahren, wir hatten 93 Sachen draufgehabt, so sagt der Officer. Wird schon stimmen, wenn er das sagt. Doch wir haben weder das 80er Schild gesehen noch können wir das mit der Geschwindigkeit präzise nachvollziehen – unser Tacho nämlich zeigt Meilen an. Wir müssen zahlen, aber immerhin kommen wir glimpflich davon. 100 Nam-Dollar kosten die 13 km/h zuviel, noch zwei mehr, und wir hätten das doppelte löhnen dürfen. Während Jochen brav bezahlt, winkt ein Polizeikollege einen weiteren Fahrer heraus. Der ist über 30 km/h zu schnell gewesen und muss dafür eine Nacht in den Knast. Der arme Kerl, der offenbar auf Business-Fahrt ist, wird ganz blass um seine schwarze Nase, fügt sich aber notgedrungen seinem Schicksal und wir sind heilfroh, dass uns das nicht ereilt hat.
Vorschriftsmäßig bringen wir die letzten Kilometer bis Roys Camp hinter uns, wo wir einen Rasenplatz zugewiesen bekommen. Rasen!!! Irgendwie ein bisschen übertrieben in dieser Trockenheit, aber es fühlt sich gut an. Wir bauen unsere Zelte auf; aus den Augenwinkeln sehe ich, wie wir feindselig von unseren Campnachbarn beäugt werden. Und wenn ich mir unsere Gruppe so ansehe, wird mit auch klar, warum: wir sind zu acht, haben fünf Zelte und sehen wohl nach Lärm aus. Ein ungewohntes Gefühl, so angesehen zu werden, aber ich kann es ein wenig verstehen. Schließlich habe ich ähnlich Gedanken und gerunzelte Brauen, wenn ich einer Overlander-Gruppe ansichtig werde…
Wir sind zwar keine Overlander, lassen uns aber trotzdem gemütlich mit einem verdachtverstärkenden Bierchen auf dem Rasen zu einem Ankunfts-Sundowner nieder, bevor wir Körperpflege und Essensvorbereitungen in Angriff nehmen. Als ich aus der Dusche komme, habe ich das unangenehme Gefühl, fast zu erfrieren. Die Luft ist so trocken, dass das Wasser auf meiner Haut in Sekundenschnelle verdunstet; die entstehende Kälte läßt mich frösteln – bei immer noch mindestens 25 Grad! Auch meine Haare trocknen schneller, als irgend ein Turbofön das leisten könnte und fühlen sich an wie altes Stroh. Bald kommen wir ja in feuchtere Gefilde, tröste ich mich und kehre knistertrocken zu unserer Truppe zurück. Hier wird bereits eifrig gezündelt, geschnibbelt und mariniert. Bald darauf gibt es Abendessen, das wir in geselliger Runde – unter den bösen Blicken unserer Nachbarn – genüßlich einnehmen. Ein Bierchen noch zum Abschluß, dann gehen wir alle, bis auf Sven, Annette und Jochen, gegen 22 Uhr schlafen. Die drei unterhalten sich leise weiter, ansonsten ist alles still. Mann, denke ich mir noch beim Einschlafen, sind wir brav und, liebe Nachbarn, ihr habt umsonst grimmig gekuckt.
Wer jemals eine Safari in Afrika gemacht hat, der wird dieses Abenteuer nie mehr vergessen. diese Seite finde ich fantastisch, tolle Reiseberichte Grüße!