Auch heute Morgen weckt uns kein menschliches Geräume, lediglich die ersten, tastenden Strahlen der aufgehenden Sonne zaubern Licht in unsere Zelte und kitzeln uns in der Nase, nötigen uns mit zarten Fingern zum Aufstehen. Wir leisten nur zu gerne Folge und nehmen unser Frühstück in der angenehmen Wärme des beginnenden Tages ein. Allerdings kommen wir kaum dazu, zu essen, denn zahlreiche Tiere springen und krabbeln über die sich aufheizenden Felsen zu unseren Füßen. Neugierige Baumhörnchen lauern auf zu Boden fallende Krümel, Eidechsen mit leuchtend blauen Schwänzen und dickbäuchige Skinks tanken Wärme, genau so wie diverse Minikäfer und winzige, sandfarbene Schrecken. In den Bäumen über uns zwietschen und schmettern einige Vögel ihr Morgenliedchen, die Ebene leuchtet in satten Farben – wir verabschieden uns nur schweren Herzens von Sinamatella und seiner einmaligen Aussicht. Gut und gerne könnten wir es noch ein paar Tage hier aushalten, aber wir wollen und müssen ja weiter. Unser heutiger Weg führt in südöstlicher Richtung durch den Park, zur Shumba Pan, wo wir eine sogenannte „Private Campsite“ gebucht haben. Vorteil dieser privaten Plätze ist, dass man dort alleine ist, nicht mit anderen Leuten teilen muss. Allerdings, so haben wir gelesen, wurde diese eherne Parkregel mittlerweile etwas aufgeweicht und so kann es durchaus passieren, dass man mit anderen Touristen „vergesellschaftet“ wird. Nicht gerade unsere Traumvorstellung. Doch wir werden es ja sehen, spätestens heute Abend…
Trachylepis sp.
Paraxerus cepapi
Trachylepis quinquetaeniata
Jetzt aber ist erst mal gemächliches Fahren durch den Park angesagt: wir kurven also von unserem Plateau herab und nehmen die erste Abzweigung gen Westen – schließlich wollen wir heute einen anderen Weg nehmen als unseren gestrigen zum Mandavu Damm. Kaum sind wir von der nun bereits bekannten Route abgebogen, werden wir auch schon belohnt: auf einem großen Baum, dessen Äste quer über die Fahrspur wachsen, erspähen wir ein auffälliges Vogelnest. Seine massive Konstruktion gibt eindeutige Hinweise auf die Erbauer – Hammerköpfe! Wir stoppen und spähen neugierig in die nach unten zeigende Öffnung: tatsächlich sitzt einer der braunen Vögel mit den kecken Federschöpfchen in dem Bollwerk aus dicht ineinandergesteckten Ästen und Zweigen und starrt uns verschreckt an. Hoho, Brauner, nicht aufregen, wir tun dir nichts! Um das Brutgeschäft des Hammerkopfs nicht nachhaltig zu stören, steigen wir rasch wieder ins Auto und ziehen weiter. Wenig später, wir zwängen unser Fahrzeug gerade durch eine recht verbuschte Passage, machen wir erneut eine Zufallssichtung. In einem abgestorbenen Baumstamm, der innen hohl ist und deutlich in der Waagrechten liegt, bewegte sich etwas. Als wir stoppen, ist natürlich nichts mehr zu sehen, doch wir haben Geduld. Und es dauert auch nicht lange, bis sich die flüchtig wahrgenommene Bewegung wieder materialisiert: ein prächtiger Nilwaran reckt seinen klobigen Schädel aus der Öffnung im Baumstamm und blickt nervös in die Runde. Wir halten mucksmäuschenstill. Der Waran misstraut dem Frieden, erstarrt in seiner Position. Nur sein für uns sichtbares Auge bewegt sich hektisch. Ein Anblick, der aus „Jurassic Park“ stammen könnte! Durch den vom Holz verdeckten, durchaus schlanken und agilen Körper des Warans wirkt dessen massiger Kopf mit den vergleichsweise kleinen Augen wie der eines echten Dinosauriers. Naja, so weit hergeholt ist der Vergleich nicht, schließlich gelten Warane als direkte Nachfahren der Saurier – eine Tatsache, die unser Nildino mit seinem urtümlich wirkenden Quadratschädel eindrucksvoll belegt. Und wahrscheinlich kann man auch nur über so lange Zeit hinweg existieren, wenn man besonders wachsam und vorsichtig ist: als sich nämlich eine Fliege auf meinem Gesicht niederlässt und ich sie im Zeitlupentempo mit der Hand wegzuwedeln versuche, taucht das Reptil im Bruchteil einer Sekunde in den Baumstamm ab und will auch nicht mehr hervor kommen. Also fahren wir weiter und lassen das dichte Gebüsch bald hinter uns. Eine Weile geht es durch grasiges, recht übersichtliches Gelände und wir freuen uns, als wir ein paar Giraffen entdecken. Allerdings sind auch die ziemlich misstrauisch und verdünnisieren sich rasch, nachdem sie uns eine kurze Weile prüfend betrachtet haben.
Hammerkopf im Nest
Nil-Dino
Halcyon albiventris
Viele Tiere haben wir bis jetzt zwar noch nicht gesehen, doch aufgrund ihrer Reaktion ist eines jetzt schon klar: der Hwange hat seine Glanzzeiten als Vorzeigepark deutlich hinter sich gelassen. Das liegt leider nicht nur an den stetig abnehmenden Besucherzahlen, Mugabe und dessen Politik sei Dank, sondern, und das ist viel schlimmer, auch an der nicht in den Griff zu bekommenden Wilderei. Die ist ebenfalls dem guten Robert zuzuschreiben. Das Volk leidet Not. Man holt sich also sein Essen aus dem Busch. Dort ist es kostenlos – das einzige, was man sich leisten kann. Und es ist leicht zu holen, denn wer passt schon drauf auf? Der Ranger, der seit Monaten keinen Lohn erhält, zusammen mit seinen Kollegen, die ebenfalls unbezahlt ausharren? Wohl eher nicht. Leider aber funktioniert Naturschutz in unserer Zeit der Überbevölkerung und Profitgier einzig und allein durch florierenden Tourismus und engagierten Einsatz des Personals. Beides jedoch hat Mugabe mit Bravour in die Knie gezwungen. Umso erstaunlicher ist, dass hier doch noch unglaublich viel Wild lebt, auch wenn man es nicht immer willfährig und zutraulich am Straßenrand stehen sieht. Eine Tatsache, die fast ausschließlich privaten Initiativen zu verdanken ist – und der unerschütterlichen Naturverbundenheit einiger Angestellter des Parks. Vor solchen Leuten ziehe ich meinen Hut, ganz tief, sehr dankbar und überaus ehrfürchtig, denn es ist alles andere als einfach, unter derartigen, nichtendenwollenden, schlechten Bedingungen den Mut nicht zu verlieren.
Bereits in den achziger Jahren fing die Misere unter Robert Mugabe an; staatliches Geld floss zunehmend spärlicher, die Nationalparkbehörden konnten ihre Aufgaben bei der Instandhaltung des Wegesystems und der Wasserpumpen für Tränken nur noch unregelmäßig wahrnehmen, Korruption ließ die Einkünfte aus dem Jagdtourismus auf geheimnisvolle Weise zusätzlich schrumpfen und auch Wilderern konnte man stetig weniger entgegensetzen. Zu wenig Waffen, zu viele kaputte Fahrzeuge, fehlender Treibstoff und schwindende Motivation, das sind die Faktoren, die den zimbabwischen Nationalparks seit über 35 Jahren zusetzen – Tag für Tag ein bisschen stärker. Dennoch funktionierte das kaputte System dank vieler engagierter Menschen weiterhin; nicht perfekt, nicht mal gut, aber zur Erhaltung der Nationalparks reichte es. Zur Jahrtausendwende jedoch weitete sich die stetig schwelende Glut des Geldmangels zum lodernden Steppenbrand aus, Zimbabwes Wirtschaft ging dank der Hirngespinste eines alten, machtgeilen Mannes nun völlig in die Knie. Ein absolutes Desaster für die ohnehin schon angeschlagenen Nationalparks – die Wilderei nahm ungeahnte Ausmaße an, die Buchungssysteme wie auch die Kommunikation zwischen den Camps brachen vollends zusammen, die Parks verbuschten, viele Wasserlöcher trockneten aus und die Motivation der Angestellten sank aufgrund des nur noch sporadisch gezahlten Lohns auf den Nullpunkt. Doch es gab einen Phönix, der sich zur rechten Zeit aus der Asche des tödlichen Finanz-Brandes erhoben hatte: Lodges und Privatpersonen formierten sich zu regierungsunabhängigen Vereinen, trieben Spendengelder auf, setzten alle Hebel in Bewegung, das Leben in den Parks aufrecht zu erhalten. Und es gelang erfolgreich, so erfolgreich, wie man sich es unter derartigen Umständen fast nicht vorstellen kann. Doch ohne den überdurchschnittlichen Einsatz aller Beteiligten hätte das nicht funktioniert; ein Einsatz, der private Mittel, unbezahlt-ehrenamtliche Tätigkeiten und großen zeitlichen sowie logistischen Aufwand mit einschließt. Davor, ich betone es nochmal, ziehe ich meinen Hut. Noch mehr Respekt aber habe ich vor den Parkangestellten, Rangern wie Attendants, den Theos dieser Welt, die einfach das tun, was sie als ihre Aufgabe erwählt haben – Maismehl hin, nicht bezahlter Lohn her.
Das Bächlein im Tale
Farbenfroher Anrainer
Es geht noch greller!
All das macht den Hwange noch sympathischer, als er ohnehin schon ist. Sympathisch, denn der Park bietet eine wunderschöne, abwechslungsreiche Landschaft, präsentiert sich völlig unaufgeregt und ist trotzdem total aufregend! Vor einer Weile, zum Beispiel, sind wir aus dem Dinodickicht in eine grasige Ebene gekommen, wo wir auf die Giraffen stießen. Wenig später tauchen wir jetzt in eine Senke ab, auf deren Sohle ein winziges Bächlein sanft mäandernd leise vor sich hin plätschert. In diesem Mini-Tal präsentiert sich uns nun plötzlich eine völlig andere Flora und Fauna, eine, die gewässertypisch ist. Libellen schwirren umher, ein Eisvogel hält Ansitz auf einem der wenigen höheren Bäume, Wasserkäfer huschen hektisch in den Kehrwassern des Bachs umher und es wachsen Pflanzen, die eben nur in der Nähe von Gewässern gedeihen. Hier stoppen wir und ergehen uns in der sagenhaft idyllischen Ruhe dieses paradiesischen Fleckchens Erde. Wir beobachten Libellen und Blister Beetles, schnuppern an violetten Vernonias, lauschen dem Säuseln des Windes im hohen Gras und dem Murmeln des Baches, planschen mit den Füßen im Wasser – und lassen uns dabei von der Zeit kreuzweise und spiralenförmig gerne haben. Es ist so herrlich, wenn man durch nichts gedrängt wird und sich trotzdem trefflich unterhalten fühlt! Wie oft gibt es solche Situationen? Im Alltag müssen wir uns derartige Momente meist erkämpfen, indem wir vorher oder nachher selbst dafür büßen, und sogar im Urlaub bleibt man von vergleichbarem Stress oft nicht verschont; knappe Zeitkalkulation, unterschätzte Strecken, zu viel sehen wollen in zu kurzer Zeit. Klar, man kann sich zwei Wochen in der Dom-Rep einbuchen, all inclusive, sich an den Strand flätzen und nebenbei fressen und saufen, was der Magen gerade noch so toleriert. Doch selbst da kann Stress ausbrechen: Handtuch, Liegestuhl, Sonnenschirm, Garnelen am Buffet aus, Bacardi alle, Bauchschmerzen, Sonnenbrand. Doch diese Art der angeblichen Stressfreiheit meine ich nicht. Es ist viel mehr die Losgelöstheit aus allen alltäglich-menschlich-zwischenmenschlichen Situationen, in der man nichts erwartet und dennoch so viel bekommt – sofern man eben genau das zu genießen in der Lage ist. Letzeres scheint jedoch bei vielen Menschen DER Knackpunkt zu sein. Wie viele Freunde, Bekannte und Kollegen winken schon gewohnheitsmäßig ab, wenn ich verkünde, wieder in Urlaub zu fliegen: „Afrika, oder?! Da warst du doch schon so oft, was iss’n da so toll dran?“ Argumente, dass Afrika kein Land, sondern ein riesiger Kontinent sei, werden großzügig weggenickt. „Bah, und all das Viehzeug, die Schlangen, die Krabbelteile, und dann auch noch im Zelt schlafen. Nicht mal ein ordentliches Bett. Jeden Tag wo anders, keine tägliche Dusche, Plumpsklos, selber kochen, kein Handynetz, Stromversorgung Fehlanzeige! Schrecklich! Aber du siehst verdammt erholt aus, wie machst du das nur?“
Keine Pflanze…
…auf der nicht…
…irgend ein Insekt sitzt.
Genau so! Ich genieße das, was sich mir bietet und mich in einen Zeittaumel zieht, der einem Drogenrausch nicht unähnlich ist. So, wie der Tankwa Karoo NP und die Knersvlakte ein Highlight für mich waren, das Richtersveld in seiner pflanzenreichen Kargheit, die Sunday Pan mit den Perlhühnern, und viele andere Orte mehr, die ich manchen Freunden, Bekannten und Kollegen gegenüber schon gar nicht mehr erwähne, weil es mir, mhm, irgendwie fast peinlich ist. Ja, ich bin afrikafixiert! Genau so, wie andere glauben, ihr absolutes Wohlgefühl nur in Asien, Australien oder den USA erspüren zu können. Mich aber ereilt dieses intensive Feeling nur auf meinem geliebten Kontinent – ich habe es an vielen anderen Orten dieser Welt, ich schwöre, wirklich vergeblich gesucht, obwohl ich offen und willens gewesen wäre.
Vernonia sp.
Crotolaria sp.
Buchnera sp.
Hier aber muss ich, müssen wir nicht suchen, hier werden wir gefunden! Nach einem extrem entspannten Bummel durch das kleine Bachtal fahren wir weiter, und lassen uns die wechselnden Düfte der vorüberziehenden Vegetation bei offenen Autofenstern um die Nase wehen. Plötzlich zuckt Heinz erschrocken zusammen: mit einem dumpfen Plöck nämlich ist ein riesiger Käfer, dessen Gewicht durch den Fahrtwind zusätzlich verstärkt wurde, auf seinem Oberarm gelandet. So heftig, dass es richtig weh getan hat. Doch sowohl Heinz als auch der Käfer sind unversehrt, sodass wir das große Insekt in all seiner Pracht in Augenschein nehmen können. Lackglänzende, schwarz-gerillte Flügeldecken, kammartige Fühler und weiße, den Hinterleib säumende Haarpüschelchen erinnern an den hierzulande bekannten Maikäfer, doch unser Exemplar ist viel größer und auch rundlicher. Es scheint sich pudelwohl zu fühlen, dort, auf Heinz’ grauem T-Shirt-Ärmel, auf den gerade die Sonne scheint, denn als Heinz das Tierchen abpflücken will, um es wieder in die Freiheit zu entlassen, krallt es sich verzweifelt fest. Na gut! Bevor wir dem Käfer noch ein Beinchen abreißen, stoppen wir halt lieber wieder und bugsieren das anhängliche Insekt mit Hilfe eines Zweigleins vom gemütlichen Ärmel. Dieser Rettungsversuch funktioniert, wie erwartet, reibungslos. Während wir dem Käfer beim Davonbrummen nachsehen, entdecken wir allerdings, ebenfalls wie nicht anders zu erwarten, bereits neue Dinge. Spannende Ranken, winzige Blütchen, sternförmige Kelchblätter, bunte Schmetterlinge und – eine Blattwanze, die mir irgendwie verdammt bekannt vorkommt.
Sturzbomber-Käfer
Frau Kurvenbein
Herr Kurvenbein
Es ist eines dieser kurvenbeinigen Insekten, das ich vor zwei Jahren zum ersten Mal gesehen hatte – im Naukluft NP. Lange hatte ich damals recherchiert, um herauszufinden, um was es sich hierbei handelte. Anoplocnemis curvipes lautete das Ergebnis – ein bekannter Ernte-Schädling, über den es erstaunlich wenig Literatur zu finden gab und immer noch gibt. Das, was wir nun vor uns haben, scheint eng verwandt mit der Naukluft-Wanze: akkoladenartig geschwungene Hinterbeine sind das augenfälligste Merkmal. Doch diesmal ist die Wanze mit dem beeindruckend geformten Beinpaar nicht alleine! Ein zweites Tier, dessen Schenkel wesentlich dezenter geschwungen sind, wird von dem Bein-Adonis gerade heftig umworben. Hah, hatte ich damals doch recht mit meiner, von der Literatur unbestätigten Vermutung: die muckibuden-gestählten Oberschenkel gehören zu einem Männchen, das sich damit dem Weibe anpreist! In unserem jetzigen Fall noch nicht richtig erfolgreich, aber das Verhalten und die unterschiedlichen Geschlechter sind eindeutig. Und, hah, ich habe wieder was dazu gelernt, wieder etwas (für mich) Neues entdeckt!
Masuma Dam
Das frisch renovierte Dach
Borstige Raupe – Kopf
So lassen wir uns stundenlang durch den abwechslungsreichen Hwange NP treiben, bis wir schließlich, am frühen Nachmittag, Masuma Dam erreichen. Ähnlich wie Mandavu, liegt hier eine große Campsite direkt am Wasser und eine Aussichtsterrasse gestattet einen weiten Blick über den See und dessen Ufer. Dort tummeln sich viele Kronenkraniche und unterschiedlichste Reiher, ein paar ferne Antilopen sind zu erkennen und zahlreiche, kleine Vögel trinken und baden im seichten Wasser der Uferregion. Während Annette und Jochen die Aussicht genießen, schlendern Heinz und ich über den Platz, in der Hoffnung, auch hier Interessantes zu entdecken. Wir werden nicht enttäuscht! Über uns, in einem schattenspendenden Baum, hüpft aufgeregt ein dottergelber Pirol umher, beäugt uns neugierig, entzieht sich aber immer wieder erfolgreich den Linsen unserer Kameras. Doch es finden sich auch dankbarere Fotoobjekte: eine über und über mit Borstenbüscheln bewachsene Raupe, bei der das vordere und hintere Ende kaum zu unterscheiden sind – nur die Richtung ihrer langsamen Bewegungen zeigt an, wo der Kopf sitzt.
Oriolus auratus
Spinnentunnel
Prächtige Libelle
Etwas flinker ist da schon die Spinne, die Heinz geduldig mit einem Grashalm aus ihrem gewebten Tunnel im Boden zu locken versucht; kurz lässt sie sich vom Zittern des Halmes, das sich auf die Spinnfäden überträgt, hervorlocken, doch als sie die Täuschung bemerkt, zieht sie sich blitzschnell wieder zurück. Neben uns, in einem Gebüch direkt am Wasser, hängt ebenfalls ein Netz, das aber nicht mehr bewohnt ist; hierbei handelt es sich um die tropfenförmige Kinderstube von nesselhaarigen Gespinstraupen, die allesamt bereits die Metamorphose zur Motte vollzogen haben. Das Gespinst ist leer, die ehemaligen Bewohner ausgeflogen. Nun, Heinz und ich sind darüber nicht allzu traurig, gehören diese Raupen doch eher zu den unscheinbareren Lebewesen, die zudem, kommt man mit ihnen in Berührung, heftige Hautreaktionen auslösen können. Da sind uns die vorwitzigen Glanzstare, die unser Tun die ganze Zeit über beobachten, schon wesentlich lieber! Und wir scheinen ungeheuer interessant zu sein, denn die Vögel folgen uns immer noch, als wir in einem großen Bogen wieder auf die Aussichtsterrasse zusteuern. Dort finden wir Annette und Jochen in einem angeregten Gespräch mit den zwei Attendants des Camps vor. Die zwei Männer, die sich um alle Belange der Campsite Masuma und deren Gäste kümmern, scheinen über die Abwechslung, die ihnen die Unterhaltung beschert, sehr froh zu sein. Warum, das erfahren wir von unseren Freunden, als wir wieder im Auto sitzen und uns zur Weiterfahrt anschicken: das strohgedeckte Dach der Aussichtsterrasse hatte seine besten Zeiten hinter sich und musste renoviert werden. Zu diesem Zweck hatte die Parkverwaltung eine Riesenladung Stroh nebst zweier Arbeiter angeliefert, die nun wie selbstverständlich die Hilfe der beiden Attendants in Anspruch nahmen. Die sind zwar in der Regel hart im nehmen und mit einer Vielzahl von handwerklichen Fähigkeiten ausgestattet, aber die Dachrenovierung war ihnen dann doch etwas zu viel des Guten – zu anstrengend und ein wenig unter ihrer Würde, so gestanden sie unseren Freunden. Leider aber blieb nichts anderes, als mit anzupacken, denn die Arbeit musste schnellstmöglich erledigt werden, so der Befehl der Parkverwaltung. Und das schloss die Mithilfe der Caretaker unmissverständlich mit ein. Tja, es es kein leichtes Leben für die Jungs hier im Hwange, zumal die Entlohnung ja dürftig bis unsicher ist. Aber immerhin haben sie einen Job – ein Glück, das vielen anderen Zimbabwern nicht beschieden ist.
Unter den Bäumen: Shumba Camp
Alles ist aufgebaut
Waschhaus und Pavillon
Auch wir haben heute noch einen Job zu erledigen, auch wenn der ungleich leichter und angenehmer ist: wir müssen unser Lager errichten… Das tun wir auch, sobald wir an der Campsite von Shumba angekommen sind, die wir uns übrigens nur mit zwei schüchterenen Attendants teilen müssen. Die beiden kommen sofort angesprungen, als wir vorfahren, und wollen uns beim Entladen und beim Zeltaufbau helfen. Das aber muss nun wirklich nicht sein! Um die sichtliche Enttäuschung der Zwei etwas zu mildern, erlauben wir ihnen, beim Tragen unserer schweren Kisten mit anzupacken und lassen uns dann den Platz zeigen. Und der ist wirklich schön! Es gibt ein Küchenhäuschen, Betontische, zwei offene Unterstände und sogar eine geflieste Dusche, die sehr neu und richtig gepflegt aussieht. Ein riesiger Baum, zu dessen Füßen ein kleines Beet aangelegt wurde, bildet das einladende Zentrum dieses idyllischen Platzes. Annette fühlt sich hier so wohl, dass sie gar nicht mehr weg will. Also fahren Heinz, Jochen und ich alleine zum etwa 400 Meter entfernten Hide – der einzige Nachteil von Shumba gegenüber anderen Plätzen, deren Hides direkt auf dem Campgelände situiert sind. Da wir aber ohnehin nur für eine Nacht bleiben, finden wir das nicht so tragisch und machen uns neugierig auf den Weg.
Landschaft beim Hide
Eingezäunter Hide-Platz
Der Hide himself
Die Gegend um Shumba ist ja eigentlich berühmt für zahlreiche Löwen- und Elefantensichtungen, ein Glück, das uns heute aber leider nicht beschieden ist. Recht einsam und verlassen steht der hölzerne Ansitz inmitten der weiten Landschaft und man hat eine gute Rundsicht, die allerdings wenig Tierisches zutage bringt. Trotzdem klettern Heinz und Jochen in den Hide hinauf und scannen die Umgebung, während ich am Boden bleibe und mich mit ein paar neugierigen Mahaliwebern und Glanzstaren vergnüge. Oder sie sich mit mir? Nach etwa einer Stunde, die Abenddämmerung setzt schon ein, haben wir genug gesehen und machen uns auf den kurzen Rückweg zum Camp, wo uns Annette frisch geduscht und hungrig erwartet. Auch uns knurren schon die Mägen und rufen nach Füllung: Boerewors mit Bratkartoffeln und Salat soll es heute geben! Während wir nun Kartoffel, Zwiebeln und Tomaten schnibbeln, rutschen wir immer näher an das herunterglühende Lagerfeuer, denn mit der beginnenden Nacht halten auch spürbar kühlere Temperaturen Einzug. Als wir mit Essen und Abwasch fertig sind, ziehen wir uns sogar noch dicke Jacken über, um uns warm zu halten.
Der „Gummifrosch“…
…und weitere, winzige…
…Artgenossen
Den einzigen, denen die unangenehme Kälte wenig auszumachen scheint, sind ganze Heerscharen von Fröschen. Zunächst können wir nur ihr lautes Quaken hören, das wie eine schräge Symphonie rund um Shumba erklingt, zu vorgerückter Stunde aber erhalten wir persönlichen Besuch von den Amphibien. Den ersten der Frösche entdeckt Jochen – an der Klotür. Es ist ein zweistreifiger Engmaul- oder Wendehalsfrosch, besser bekannt unter seinem englischen Namen „Banded rubber frog“. Der Gummifrosch, seine gummiartige Haut verhalf ihm zu diesem etwas peinlichen Namen, ist rund sechs Zentimeter groß, schwarz, glatthäutig und wird von zwei rötlichen, die Flanken herablaufenden Streifen geziert. Jochen ist sogleich ganz aufgeregt. „Ein Rubber Frog, Leute, ein Rubber Frog! Der ist giftig!“ Naja, das stimmt: seine Haut sondert bei Berührung hoch konzentrierte Cardiotoxine ab, die jedoch sind nur für andere Kleinamphibien, nicht aber für Menschen gefährlich. Also kein Grund zur Panik. Hübsch ist das kleine Gummitier trotzdem und seine roten Streifen verleihen ihm tatsächlich ein Aussehen, das andere Lebewesen deutlich vor ihm warnt. Wesentlich unscheinbarer sind da schon diverse Gras- und Sandfrösche, die unbekümmert um unsere Füße herumspringen. So unbekümmert, dass ich eine kleine Einsammelaktion starte, um die vorwitzigen Hüpfer aus der Gefahrenzone unserer Schritte und rückenden Campingstühle zu bringen. Mindestens zehn Frösche fange ich ein und setze sie am Rande des Platzes wieder aus. Sie alle lassen sich das klaglos gefallen. Alle, bis auf einen. Es ist ein besonders zierliches Exemplar mit wunderschönen Goldaugen, das sich mit ungeahnter und vehementer Kraft unbedingt zwischen meine Finger quetschen und dort verstecken möchte. Huh, Mann, das kitzelt vielleicht! Kichernd und quiekend trage ich den kleinen Frosch vom Platz – unter den rätselnden und verständnislosen Blicken meiner Freunde… Nur widerwillig lässt sich das Tierchen von meiner Hand bugsieren und im Gras absetzen, aber schließlich ist es geschafft, und jetzt ist mir auch wieder warm. Die wohlige Wärme der Bewegung hält allerdings nicht lange vor und wir beschließen, ins Bett zu gehen, bevor uns die Kälte vollends im Griff hat.
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