Die letzte Nacht auf afrikanischem Boden – für dieses Jahr – ist vorbei. Wir erwachen ziemlich früh, denn durch unser geöffnetes Fenster dringt ungewohnter Verkehrslärm, Menschenstimmen vermischen sich mit Geschirrgeklapper und auf dem Flur vor unserem Zimmer klacken Absätze über den Steinboden. Wir beenden den Kampf mit den ebenso ungewohnten, wenn auch göttlichen Betten, den Laken und Kissen, ziehen uns an und tappern in den Frühstücksraum des Puccini Guest House, wo schon ein üppiges Buffet und unsere Mitreisenden auf uns warten. Die Tische sind leider recht klein, so dass wir uns separieren müssen, um das ganze Aufgebot an Schüsselchen, Tellerchen, Tassen und Gläsern unterbringen zu können. Mampfend genießen wir all die leckeren Dinge, die hier angeboten werden – nicht, dass wir in den letzten Wochen gedarbt hätten, im Gegenteil, aber bestimmte Lebensmittel, wie zum Beispiel frische Milch, sind eben nicht so safarigeeignet.
Nein, nein, tu’s nicht – Heinz gönnt sich noch ein Marmite-Schnittchen
Zufrieden lecken wir uns nach der Schlemmerstunde die letzten Brösel aus den Mundwinkeln und sind eigentlich fertig, als Heinz sich doch noch ein kleines Schnittchen Brot holt. Im Prinzip ist er pappsatt, aber auf unserem Tisch steht ein Glas, dessen rehbrauner Inhalt es ihm die ganze Zeit schon angetan hat. „Marmite“ liest man auf dem Etikett, „extra beefy“ in kleinen Lettern unter dem Markennamen – ein Produkt, das Heinz völlig unbekannt ist und das will er jetzt testen. Er ist allem Neuen gegenüber sehr aufgeschlossen und probiert deshalb auch gerne ihm unbekannte, „landestypische“ Lebensmittel. Entsetzt starre ich ihn an, als er nach dem Glas greift, es aufschraubt, sein Messer in das klebrige Zeug tunkt und ich realisiere, was er da vorhat. „Nein, Schneck, das ist nicht dein Ernst!? Das schmeckt grauenvoll, tu’s bitte nicht!“ Doch seelenruhig und völlig unbeeindruckt streicht er das ekelige Gebräu auf sein Schnittchen, beißt gespannt hinein und verzieht augenblicklich das Gesicht. Zweimal noch kaut er gequält, dann spuckt er den widerlichen Brei würgend in eine Serviette. Er tut mir so leid, denn zu gut noch kann ich mich an meinen ersten und auch letzten Kontakt mit diesem abartigen Aufstrich erinnern, dessen Geschmack für die meisten Menschen nahezu unerträglich ist – und der Nachgeschmack heftet sich derart penetrant auf die Geschmacksknospen, dass man ihn ewig nicht mehr los wird. Fast wie stark verwesendes Fleisch, dessen Odeur sich in den Nasenhärchen festzukrallen scheint… Doch über Geschmack muss man, wie schon gesagt, nicht streiten, zumal es ja offenbar auch genügend Liebhaber dieser perversen Schmiere gibt.
Jacob ist sperrig!
Nun, schaler Nachgeschmack hin oder her, wir müssen uns jetzt einer Sache widmen, die uns auch nicht gerade Begeisterungsstürme entlockt: packen. Schon der erste Blick in meine 140-Liter-Reisetasche und auf die Klamottenhaufen, die das Bett fast unter sich begraben, genügt, um festzustellen, dass ich Jacob wohl im Handgepäck nach Hause bringen muss. Also gut. Schwitzend schlichten und stopfen wir, was das Zeug hält, werfen alles ansatzweise Entbehrliche aus unseren Bordrucksäcken, bis schließlich auch die letzte Kleinigkeit untergebracht ist – bis auf Jacob… Dann kommt der entscheidende Moment, in dem das rau geschnitzte Hippo kopfüber in meinen 40-Liter-Deuter rutschen soll. Doch Jacob sperrt sich, der Kopf ist zwar drin, aber danach ist Schluss. Ich zerre ihn wieder heraus und probiere es andersherum. Fehlanzeige! Etwas ratlos steht ich vor meinem neuen, gewichtigen Freund und lasse meinen Blick sinnierend über seine runden Pobacken schweifen, als mir die rettende Idee kommt: vom Umfang her würde er schon reinpassen, allein an Gleitfähigkeit fehlt es ihm. Kurzerhand klaube ich meinen durchgenudelten Türkenkoffer, praktisches Nachtgepäck für’s Zelt, wieder aus dem Abfalleimer, umhülle Jacob mit der glatten Kunstfaser und siehe da – es macht flupp und das Holzdickerchen ist bis zur Nasenspitze verstaut. Mein Bordgepäck wiegt jetzt freilich ungefähr 13 Kilogramm, aber wenn ich mir den Rucksack jedesmal locker-flockig über die Schulter hänge, wann immer wir kritischen Airline-Personal-Kontakt haben und ich ihn ohne Ächzen und Stöhnen in den Overhead Locker gehievt kriege, ist Jacob so gut wie daheim! Übrigens – bevor jetzt ein entrüsteter Aufschrei durch die Leserschaft geht: ich erwerbe besagte strapazierfähige, rutschfreudige Gepäckstücke immer in einem benachbarten türkischen Laden. Bei meinem ersten Kauf deutete ich auf die Kunstfaserdinger im Regal und meinte, um niemandem auf den Schlips zu treten: „Sowas da, bitte.“ „Ah, willst du Türkenkoffer!“, entgegnete der Verkäufer mit Migrationshintergrund und reichte mir das Gewünschte…
Erleichtert schleppen wir unsere Gepäckstücke aus dem Zimmer, hinaus auf den Hof, hin zu den Autos. Doch offenbar haben auch unsere Mitreisenden Probleme mit der Unterbringung ihrer zahlreichen Souvenirs, denn bis auf Annette und Jochen ist noch niemand in Sicht. Heinz und ich verstauen unser Zeug im Auto, lassen uns danach wartenderweise auf den Steinen, die die Beete im Eingangsbereich des Guest House umfrieden, nieder und genießen die Sonne, solange wir noch hier, auf der südlichen Halbkugel und im Freien sein können. Nach geraumer Weile trudeln nacheinander auch die anderen ein und wir schreiten gemeinsam zur Rezeption, um unsere Rechnungen zu begleichen. Als ich mich von meiner Sitzgelegenheit erhebe, höre ich ein vernehmliches „Ratsch“: der scharfkantige Stein hat einen glatten, zirka 10 Zentimeter langen Schnitt in meinen Hosenboden geschlitzt. Na super, das muss ausgerechnet jetzt passieren! Mein halber Hintern spitzt durch den Riß und wenn ich nichts dagegen unternehme, hängt er, noch bevor wir in Johannesburg sind, ganz heraus. Entnervt zerre ich meine Reisetasche wieder aus dem Auto, knibble den zerstörten Reißverschluss auf und krame das Textilklebeband aus meiner mobilen Reisewerkstatt, die glücklicherweise ganz oben liegt. Alle Nagelscheren, Messer und sonstigen Schneidwerkzeuge sind im Gegensatz dazu natürlich unerreichbar; so also marschiere ich in die Küche unserer Herberge, aus der ich lautes Klappern höre. Eine nette Angestellte hilft mir mit einer Schere aus, aber das Ding ist derart stumpf, dass man damit partout nicht schneiden kann. Mit vereinten Kräften säbeln wir schließlich mit einem nicht minder stumpfen Messer zwei ausreichend große Stücke aus dem Klebeband, millimeterweise, und ich verschwinde mit den fransigen, klebrigen Teilen auf der Toilette, um den Schaden zu gut wie möglich in den Griff zu bekommen. Das weitere Reißen des Stoffes ist nach dem beidseitigen Aufbringen des Bandes zwar gestoppt, dafür aber klebt die Innenseite meiner Hose an der Pobacke, die Außenseite auf jeder genutzten Sitzfläche und ich trage einen deutlich sichtbaren, schwarzen Streifen quer über die linke Hälfte meines Allerwertesten. Schick ist was anderes, aber was soll’s; Hauptsache, ich stehe nicht irgendwann ohne Hose da…
Derart instandgesetzt erreichen wir eine Stunde später den Flughafen, laden all unser Gepäck aus, Jochen bringt den grünen Landy in seine Garage auf der Ondekaremba Farm zurück, Tommi retourniert die „Meerkat“ mitsamt einer Liste aller Beanstandungen, während wir, der Rest der Truppe, uns gemütlich an den betonierten Tischen im Außenbereich des Flughafens niederlassen. Hier können wir noch trefflich sitzen, die lauen Temperaturen genießen und über Neuankömmlinge lästern, die sich allesamt blasshäutig und aufgeregt, geführt von safaribehosten Guides, in enge Kleinbusse schlichten. Doch je länger wir herumhocken, desto mehr bewölkt sich der Himmel, bis es schließlich sogar noch zu nieseln beginnt. Gerade ist wieder eine neue Reisegruppe mit all ihrem Gepäck und den großen Erwartungen aus dem Flughafengebäude gekommen; ungläubig und geradezu fassungslos richten sich die Augen der Newsters gen Himmel – und sie tun mir fast leid ob dieses feuchten Empfangs. Doch vielleicht weint der Himmel ja wegen uns, weil wir wieder nach Hause müssen? Eine schöne Vorstellung, aber da ist wohl eher ein sentimentaler Wunsch Vater dieses tröstlichen Gedankens…
Dann ist die Stunde unseres Abschieds gekommen; nach einem letzten wehmütigen Blick auf den wolkenverhangenen Himmel, der doch so schön blau sein kann, wenn er nur will, treten wir unsere lange Heimreise an. Station um Station schleuse ich Jacob unauffällig durch die Kontrollen, hieve ihn mit scheinbar unangestrengtem Lächeln in die jeweilige Gepäckablage und alles geht glatt – bis wir in London durch den Transit-Security-Check müssen. Ich lege meinen Rucksack auf das Förderband, durchschreite piepsfrei den Metalldetektor und warte, bis das Röntgen meinen Jacob wieder ausspuckt. Doch plötzlich stoppt das Band, der Sicherheitsfuzzi starrt ratlos auf den Monitor, winkt einige Kollegen herbei, dann glotzen sie zu fünft, gestikulieren und diskutieren. Das Band setzt sich wieder in Gang, doch noch bevor mein grüner Deuter wieder aus dem Dunkel des Durchleuchtungskastens auftaucht, weiß ich, dass ich auspacken werde müssen. So ist es auch: „Please open your luggage, Madam!“ Mein Erklärungsversuch, es handle sich doch nur um eine harmlose Nilpferd-Schnitzerei, fruchtet nicht – also zerre ich den türkenkofferummantelten Jacob aus seinem engen Gefängnis und will gerade den Reißverschluss der Kunststofftasche öffnen, um das Dickerchen völlig freizulegen, als der Beamte abwinkt, sich das Paket greift und es erneut durch das Röntgen schiebt. Wieder wird zu fünft geschaut, dann nicken alle und ich erhalte meinen Schatz mit den Worten „quite heavy“ und einem strafenden Stirnrunzeln zurück. Wie gut, dass der Sicherheitstoni gewichtstechnisch nicht zu melden hat! Unschuldig schulterzuckend lasse ich Jacob in mein Bordsäcklein gleiten und verabschiede mich freundlich lächelnd von dem kritischen Beamten. Geschafft!
Eine Stunde später kämpfen wir uns bei strömendem Regen die Gangway zu unserem München-Zubringer nach oben, das laufende Triebwerk presst uns das Wasser waagrecht in die Ohren, mit verkniffenen Gesichtern passieren wir eine professionell zähnefletschende Stewardess und weitere zwei Stunden später landen wir in München. Die Heimat hat uns wieder; Heinz, mich und zwei neue Mitbürger namens Jacob und Manuel.
Es war ein wunderschöner Urlaub, aus dem wir viel mitgebracht haben – und damit meine ich nicht nur materielle Dinge, sondern in erster Linie etwas viel Wertvolleres: neue Erfahrungen, unzählige Eindrücke und das wohlige Gefühl, dass wir beide uns, nach einer 16-monatigen Wochenendbeziehung, noch viel näher gekommen sind. Und wie ein Symbol unserer wachsenden Beziehung stehen auch Heinz’ mitgebrachte Sämereien mittlerweile als kleine Pflänzchen in vollem Grün…
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