Kurz vor Sonnenaufgang schälen wir uns alle aus den Zelten, frühstücken schnell, räumen die Zelte aus, dann machen Jochen, Tommi, Sven, Patricia, Heinz und ich uns auf den Weg in den Mudumu NP. Jürg und Annette werden für ihren Schulbesuch erst gegen 8 Uhr abgeholt und sind bis dahin für den Lagerabbau zuständig. Kein schlechtes Gefühl – unterwegs zum Morning Drive ohne später noch groß rumräumen zu müssen. Gegen 7.00 Uhr kurven wir durch die Parkeingangsschranke und kommen kurz darauf im Rangercamp an, wo wir gerne unseren Tagesbesuch anmelden möchten. Doch das Büro ist verschlossen, niemand zu sehen. Wir vertrauen auf den tuckernden Lärm unserer Landys bei der Ankunft, der sicher einen Ranger aus Morpheus Armen gerissen hat. Inzwischen sehen wir uns etwas um. Das umzäunte Ranger Camp ist von frisch austreibenden Mopanebüschen umgeben, aus denen bereits zu dieser frühen Stunde infernalischer Lärm hervorsirrt. Das müssen abertausende von Zikaden sein! Ihr Gesang bringt das Trommelfell auf einer Frequenz zum Vibrieren, die fast schmerzhaft ist. Die Meerkatzen allerdings, die sich neugierig turnend in einem höheren Baum herumtreiben, scheint das nicht zu stören, bringen aber dafür Tommis Adrenalinspiegel für Sekunden auf Hochtouren. Er sieht den langen Schwanz eines Affen aus dem Laub hängen und hält den grauen Schlauch für das hintere Ende eines Leoparden. Doch als er sich flugs die Augen reibt, stellt er seinen Irrtum fest – das wären erstaunlich viele und zudem noch extrem agile Raubkatzen. Schade, das wär’s jetzt gewesen!
Dafür aber nähert sich federnden Schrittes ein khakigewandeter Parkangestellter, der sich auch die Augen reibt – ein wenig schlaftrunken – als er die Tür zum Office aufschließt. Jochen verschwindet mit ihm im Büro, während wir weiter das Gelände inspizieren. Heinz stiefelt auf einmal zielstrebig los, auf die andere Seite des umzäunten Platzes. Seine scharfen Augen haben etwas erspäht, was so recht nach seinem Geschmack ist: einen Gelbschnabeltoko, der immer wieder fütternderweise eine Bruthöhle anfliegt. Heinz findet den mit Schlamm zugemauerten Spalt und legt sich auf die Lauer, doch der Toko mißtraut der Situation und stellt seine Anflüge ein. Um den Vogel nicht weiter zu stören, schießt Heinz nur noch schnell ein Dokumentarfoto und entfernt sich dann rücksichtsvoll. Zurück am Office zeigt er mir ganz begeistert das Bild von dem kunstvoll zugemauerten Spalt. Auf dem kleinen Display der Kamera sieht man Baumrinde, einen gleichfarbigen Saum und – als ich näher hineinzoome – ein kugelrundes gelbes Auge, das durch den Schlitz späht! Super, Heinz hat, ohne es zu merken, die Tokomama erwischt, die voller Sorge um ihren Nachwuchs und den ausbleibenden Versorger einen Blick riskiert hat. Ein echtes Highlight, das nicht nur einen Vogelfreund wie Heinz in Begeisterung versetzt – da tut nicht mal die leichte Unschärfe des Bildes der Freude Abbruch.
Inzwischen sind auch die Anmeldeformalitäten erledigt und wir starten unseren Gamedrive. Gleich hinter der Ausfahrt des Rangercamps durchqueren wir ein Areal dichten Mopanes, in dem das Gesirre der Zikaden erneut zu unglaublicher Lautstärke anschwillt. Wenn die dann wenigstens brav in ihren Büschen sitzen bleiben würden! Doch unser Auto schreckt sie auf und mit vernehmlichem Schnarren fliegen sie ziellos hoch; einige durchqueren unseren Landy, bei einem Fenster rein, beim anderen wieder raus. Doch eine findet den Weg nach draußen nicht mehr und verfängt sich in der Sonnenblende hinter meinem Rücken. Brrr, ist die groß! Aufgeregt surrt das 8-Zentimeter-Teil unter der Sonnenblende herum und ich mit meiner mittelschweren Insektophobie fühle mich akut bedroht, so dass Jochen mich retten muss. Gott, bin ich erleichtert, als das Monster endlich wieder draußen ist! Vorsichtshalber kurble ich mein Fenster hoch, bis wir durch den Mopane durch sind. Das nützt zwar nicht viel, wenn alle anderen offen sind, aber ich fühle mich sicherer.
Kaum haben wir das Gestrüpp verlassen – eine offene Fläche tut sich vor uns auf – schnellt unser aller Adrenalinspiegel hoch: Wildhunde! Wir können es kaum fassen, dass wir die seltenen Caniden ausgerechnet hier zur sehen bekommen. Aber sie sind da, sieben an der Zahl und starren uns an, als könnten sie unsere Anwesenheit auch kaum fassen. Nach einem kurzen Moment der Unentschlossenheit nehmen sie ihre Pfoten unter den Arm und verschwinden gemächlich, aber zielstrebig im Dickicht. Wahnsinn, Wildhunde! Ein Erlebnis der ganz besonderen Art. Zweimal erst in meinem Afrika-Reiseleben war mir das vergönnt. Das erste Mal 1993, als mein damaliger Freund Hans und ich auf einsamer Morgenpirsch im Krüger NP ein großes Rudel beinahe eine Stunde lang begleiteten – mit dem Auto auf der Gravel Road. Die Hunde waren damals fast in „Streichelnähe“ und ließen uns völlig ungestört an ihrem Treiben teilhaben, bevor sie die Straße und damit uns verließen. Das zweite Mal liefen meiner Freundin Ute und mir ein noch größeres Rudel im Hwange NP in Simbabwe über den Weg – sieben Jahre später.
Ganz beglückt setzen wir unsere Pirsch fort, durch zauberhafte Landschaft, vorbei an kleinen Lagunen, bis wir kurz darauf erneut auf die Hunde stoßen, die sofort erkennen, dass sie wohl den falschen Fluchtweg gewählt haben. Diesmal reagieren sie schneller und, schwupp, sind sie wieder verschwunden. Allein dafür hat sich der Mudumu-Besuch schon gelohnt, aber der kleine Parkt hält noch mehr für uns bereit. Beim nächsten Stopp, am Ufer eines kleinen Sees, finden wir weitere Kleinodien der Natur zu unseren Füßen: zitronengelbe, krausblütige Seerosen, smaragdgrün schillernde Käfer, zartblaue Commelina-Blüten und schon wieder ein paar Millipeden, die hier noch größer sind als im Mahango. Einer der Tausendfüßer, die man immer kurz nach einem Regen zu Gesicht bekommt, ist am hinteren Ende verletzt und aus dem leicht eingedellten Chitinpanzer quillt bräunliche Flüssigkeit, die in regelmäßigen Abständen Blasen wirft – es ist offenbar Atemluft, die durch die verletzte Stelle entweicht. Hoffentlich überlebt er das; er macht zwar einen ganz munteren Eindruck, doch die Ameisen haben seine Schwachstelle schon ausgemacht und werden schön langsam zudringlich.
Nach dieser hochinteressanten Fußexkursion schwingen wir uns wieder in die Autos, aber die Route führt nun weg vom Wasser und recht viel mehr als Busch und vereinzelte Hippo-Abdrücke im feuchten Sand sind nicht zu sehen. Also drehen wir um, wieder am Wasser entlang, wo sich Hagedasch-Ibisse, Nilgänse und Waffenkibitze tummeln, zurück Richtung Rangerstation. Achtung, Fenster zu, vorbei am Zikadenmopane und am Camp, bis wir auf der drüberen Seite in völlig andersartiger, trockenerer Umgebung landen. Zwei Hornraben flüchten schwerfälligen Schrittes vor unseren Autos, bis sich sich doch zum Kraftakt eines schnellen Kurzfluges entschließen, ein Widahmännchen mit langen Schwanzfedern segelt an uns vorüber und wir legen einen weiteren Stopp an einem riesigen Termitenhügel ein, der offenbar nicht mehr von seinen Baumeistern bewohnt wird. Dafür hat ein anderes Lebewesen hier Wohnung bezogen, deutlich erkennbar am beachtlichen Eingangsloch. Wir überlegen, was für ein Tier das wohl sein könnte. Heinz fühlt sich durch den intensiven Geruch des wilden Salbeis (Mensch, der riecht doch gut!), der hier überall wuchert, an Raubtiere erinnert. Vielleicht ein Honigdachs? Doch bald ist das Rätsel gelöst, denn ich finde in der näheren Umgebung den schwarz-weiß gebänderten Stachel eines Porcupines. Ja, Stachelschweine können auch ganz schön streng riechen! Nachdem ich nicht unbedingt auf dem Höhlendach des Nagers herum klettern möchte, widme ich mich der Inspektion der umliegenden Gefilde. Da gibt es unter anderem unzählige Libellen, die mein Interesse fesseln und auf die ich nun fotografische Jagd mache. Was gar nicht so einfach ist, denn wenn sich mal eines der Insekten niederläßt, dann meist auf der Spitze eines Halmes oder einer Ähre. Und die wogen sachte im Wind – sachte für das Auge aus der Entfernung, jedoch wild wackelnd für den Autofokus bei ausgefahrenem Zoom…
Bevor wir uns auch schon wieder für die Rückfahrt bereit machen müssen – wir wollten uns so um 11 Uhr in Camp Kwando treffen – gelingen mir doch noch ein paar ganz gute Bilder, die wohl Einzug in meine Libellen-Galerie halten werden. Bald sind wir wieder am Rangercamp, wo wir unsere Wildhundsichtung melden. Gerade sind auch zwei Safariguides nebst Gästen dort vorgefahren, die gleich allesamt ob unserer Schilderung in höchste Erregung geraten. Wenn sie da nicht mal ein bisschen spät dran sind! Trotzdem beschreiben wir genau die zwei Wildhund-Plätze und wünschen viel Glück. Pünktlich um 11 Uhr erreichen wir Camp Kwando, Annette und Jürg sind Minuten vor uns von ihrem Schulbesuch zurück gekommen und sind voll neuer Eindrücke. Annette hört gar nicht mehr auf zu berichten, von den Kindern, die für sie gesungen haben, von den Gesprächen mit Rektor und Lehrkräften, von der Klassenzusammensetzung und, und, und. Wir kommen lange nicht zu Wort, aber als wir schließlich doch von unserem Gamedrive und den Wildhunden berichten können, freut sie sich sehr für uns und bedauert gar ein bisschen, nicht dabei gewesen zu sein. Jürg, der die ganze Zeit still vor sich hin gestrahlt hat, freut sich nicht minder über unsere Sichtung, noch mehr aber über seinen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung, den er auf unserer letztjährigen Tour schon so sehr vermisst hatte. Während er uns eine phantastische Aufnahme vom Gesang der Kinder präsentiert, geht am nahen Pool mittlerweile die Post ab. Ein zotteliger Hund, vor Sand und Schlamm starrend, springt aufgeregt um das blaue Becken. Sein Herrchen, im Pool sitzend, lockt den Köter mit süßen Worten und Sven stellt es die Nackenhaare auf, als das Vieh mit einem lauten Platsch neben Herrchen landet. Mei, ist das fein, wie sich das klare Wasser trübt und die langen Zottelhaare wie Tang in den Wellen Wogen! „Und da war ich gestern drin!“, ekelt sich Sven, völlig zu recht, denn die Töle hat im Pool wirklich nichts zu suchen. Es wird nun echt Zeit, dass wir das merkwürdige Camp verlassen.
Schnell noch abgespült, die restlichen Sachen eingepackt und wir sind wieder unterwegs Richtung Grenzübergang. In Katima Mulilo tanken wir beide Fahrzeuge nochmal voll und erledigen letzte Einkäufe vor der Chobe-Moremi-Tour im örtlichen Superspar. Es ist unsäglich heiß, am Parkplatz leiern halbwüchsige Jungs ihre nahezu unverständlichen Bettelsprüche mechanisch herunter und wir schwitzen in der prallen Sonne. Wie heiß aber muss es erst den zahlreichen „Weihnachtsmännern“ sein, Angestellte des Supermarktes, die, angetan mit roten Nikolausmützen aus Plüsch Kunden zu vorweihnachtlichen Käufen animieren sollen. Weihnachtliche Gefühle sind ohnehin nicht so meins, aber unter diesen Temperatur-Umständen käme nicht mal ein Funke davon auf. Das ganze wirkt etwas grotesk, aber naja, bei uns daheim wird ja auch schon lange vor dem Fest der Feste die feierliche Laune durch allerlei Beiwerk angekurbelt – nur ist es da halt viel kälter…
Mit frischen, kühlen Softdrinks in der Hand verlassen wir schließlich leichten Herzens den Supermarktparkplatz und erreichen kurz darauf den namibischen Grenzposten. Wir präsentieren alle vorhandenen Unterlagen, der Officer ist so weit zufrieden, aber leider kann er die Schranke nicht für uns öffnen, denn ein Papier fehlt doch: die namibische Einfuhrbescheinigung für den weißen Landy von Just done it – er hat eine südafrikanische Zulassung. Bereits bei der Übergabe wurde die Bescheinigung von Jochen als fehlend bemängelt, vom Vermieter jedoch als unwichtig abgetan – klar, er hatte sie wohl vom letzten Mieter nicht eingefordert. Jetzt haben wir das Problem, bei dem der Officer offensichtlich gerne ein Auge zudrücken würde. Leider aber steht er unter der Beobachtung von mehreren Kollegen, die gelangweilt am Schlagbaum herumlungern und genau zusehen, was hier passiert. Derart unter Zugzwang bleibt ihm nicht viel anderes, als den korrekten Weg zu gehen. Tommi, der Fahrer des weißen Landys muss das fehlende Papier pro forma für 300 Nam-Dollar im benachbarten Verwaltungsgebäude besorgen. Jochen und Tommi nehmen diesen Gang gemeinsam auf sich, wir hingegen verbringen die nächste Stunde hoffend vor der Grenzschranke. Gerade ergehen wir uns in der wenig erheiternden Vorstellung, wie es wohl wäre, hier nächtigen zu müssen, als die beiden mit der gekauften Bescheinigung aus dem Bürokratiesumpf entsteigen und wir endlich passieren dürfen.
Also nix wie durch, bevor noch etwas zu Bemängelndes gefunden wird, über die Chobe-Brücke drüber, bis zur botswanischen Grenze. Hier geht alles reibungslos vonstatten, wir werfen schnell noch einen ungläubigen Blick auf das fast trockene Chobebett hinter dem Grenzzaun, bevor wir die botswanische Schranke hinter uns lassen. Ein paar geteerte Kilometer noch, dann geht es links ab zum Ngoma Gate. Die recht sandige Zufahrt zur River Front ist aufgrund der vergangenen Regenfälle sehr kompakt und richtig gut zu fahren. Tiertechnisch hingegen ist wenig geboten – roter Sand, dürre Büsche und ein paar Paviane. Erst als wir gegen 18 Uhr am dürren Rinnsal Chobe ankommen, präsentiert sich der Nationalpark wie gewohnt. Einige Giraffen, hier ein Elefant, da ein paar Büffel und sogar zwei Hyänen. Es ist schön, wieder hier zu sein, aber genießen können wir das zum jetzigen Zeitpunkt nicht so richtig, denn es dämmert schon leicht und Eile ist angesagt – Ihaha ist noch 22 Kilometer entfernt.
Um 19 Uhr passieren wir bei völliger Dunkelheit das Campgate, das mittlerweile nicht mehr besetzt ist. Kein Problem, dann melden wir uns halt morgen an. Ohne weitere Verzögerung steuern wir unseren gebuchten Platz an, Site 10, ganz hinten links. Schon in Höhe von Platz 9 schwant uns Böses, denn auf unserem Platz brennt Licht. Und Tatsache – ein südafrikanisches Ehepaar mit großem Camper hat sich hier häuslich niedergelassen. Die beiden Okkupanten kommen uns zögerlich und mit sichtlich abwehrender Körperhaltung entgegen. Wir steigen aus den Autos, um die Sache zu klären, doch unsere Chancen stehen schlecht, denn es ist bereits 19 Uhr, also eine Stunde nach offizieller Anreise-Deadline. Wenn ein reservierter Platz bis 18 Uhr nicht eingenommen wird, kann er anderweitig vergeben werden. Allerdings sieht das Camp der beiden Südafrikaner sehr wohnlich aus, was die Vermutung nahelegt, dass sie schon deutlich länger als eine Stunde hier stehen. Wir sind alle erschöpft von einem langen Tag und ein wenig gereizt ob der Situation, besonders Tommi. Ohne Begrüßung oder einleitende Worte geht er verbal auf die beiden los. Er ist tierisch in Rage und auch Annette läßt ihren geballten Frust auf die zwei niederregnen. Die Südafrikaner stellen sofort auf stur, die Möglichkeit einer sachlichen Klärung oder gütlichen Einigung ist so nicht mehr gegeben. Auch ich bin sauer, schließlich erlebe ich nicht zum ersten Mal, dass ein von uns reservierter Platz von anderen besetzt wurde, aber so kommen wir halt auch nicht weiter. Jochen und ich machen uns deshalb kurzerhand auf den Weg ins ein paar Kilometer entfernte Rangercamp.
Doch so weit müssen wir gar nicht fahren: in Höhe des Waschhauses sichten wir einen offiziellen Wagen, halten daneben an und informieren den Ranger, dass wir ein Problem mit einer Reservierung hätten. Ob es dabei um Platz 10 ginge, fragt der Knabe, doch das hatten wir noch gar nicht erwähnt! So, so, da ist also wahrscheinlich tatsächlich etwas unter der Hand gelaufen. Dennoch begleitet uns der Ranger bereitwillig zur den Südafrikanern, angeblich um die Sache zu klären. Beim Gespräch sind wir leider nicht erwünscht, aus der Entfernung aber sehen wir, dass das Ehepaar ganz sicher keine Reservierungsbestätigung vorzeigt; wenn sie denn überhaupt eingefordert wurde. Nach einer Weile kommt der Ranger zurück und erklärt, da wäre leider etwas blöd gelaufen bei unserer Reservierung, die Südafrikaner aber stünden schon seit zwei Tagen hier und alles wäre rechtens. Unsere Frage, ob die beiden denn eine Reservierung hätten vorweisen können, ignoriert er geflissentlich. Tja, damit müssen wir wohl oder übel leben, brauchen jetzt aber ganz dringend einen Ersatzplatz. Wir bekommen Platz 3 offeriert, hier könnten wir unsere zwei gebuchten Nächte bleiben oder aber auf der Reservesite, allerdings mit der Option, morgen, nach Abreise der beiden Südafrikaner auf unseren Platz 10 zu ziehen. Ach nö, bitte nicht umziehen, wenn wir schon mal zwei Nächte an einem Ort sind! Doch Platz 3, den wir bereits kennen, ist leider keine Alternative, denn er ist definitiv zu klein für unsere 5 Zelte. Also lassen wir uns doch den Reserveplatz zeigen, der am anderen Ende des Camps liegt, direkt am Ufer des Chobe. Er sieht eigentlich ganz gut aus und sogar der nächste Wasserhahn ist in akzeptabler Nähe. Wir beschließen deshalb, für beide Nächte hier unsere Zelte aufzuschlagen, halten uns aber die Möglichkeit offen, doch eventuell auf Site 10 umziehen zu dürfen, sollten sich noch Schwachstellen herauskristallisieren.
Der Ranger zieht zufrieden ab und wir parken die Autos an der trockenen Uferkante, um den Platz zu erleuchten. Und schon offenbart sich das erste Manko: Aus dem scheinbar trockenen Chobebett entsteigen Myriaden von Insekten, angelockt durch unsere Scheinwerfer. Es sind keine Mücken – da ginge ja noch – sondern viel viel größeres Kroppzeug und das in einer Dichte, wie ich es noch nie erlebt habe! Überall brummt, surrt und krabbelt es; im Gesicht, in den Ohren, in der Nase, dem Kragen, unter T-Shirt und Hose. Wedelnd und um uns schlagend bauen wir die Zelte auf, immer wieder quiekt jemand und hüpft flüchtend über den Platz. Als ich die Matten und Schlafsäcke eilig ins Zelt pfeffere, mag ich mir gar nicht genauer ausmalen, was da jetzt alles mit hinein geflogen ist. Oh mein Gott – ich will hier weg – und sicher nicht nur ich! Doch es hilft nichts, wir müssen das Beste daraus machen und zudem noch die Tische aufbauen, Kisten ausladen, was kochen und essen. Wir schleppen das ganze Zeug ein paar Meter weiter nach oben, an den Kochplatz von Site 1, weil uns da die Insektenplage etwas weniger heftig vorkommt. Doch es ist immer noch unsäglich…
Vor einigen Jahren war ich auf Ayurveda-Urlaub in Indien; in meinem kleinen Öko-Bungalow erschienen pünktlich zur Dunkelheit hunderte von Käfern, Ameisen und diverses Flatterzeug, von denen sich des Morgens ein Gutteil tot in meinem Bett wiederfand. Ich war völlig fertig und wollte nach zwei Tagen wieder abreisen. Von einem Moment auf den anderen aber, als ob es Klick gemacht hätte, fand ich mich damit ab und genoß meinen Aufenthalt – übrigens als einziger Gast der Bungalow-Anlage. Zum Abschied nach drei Wochen bekam ich vom Manager Blumen überreicht, gekrönt von der aufschlussreichen Erklärung, es hätte noch nie jemand so lange hier ausgehalten. Damals dachte ich, es wäre mit das Heftigste, was man insektentechnisch erleben könne, aber unsere Reservesite toppt das um ein Vielfaches.
Doch auch jetzt macht es irgendwie Klick und ich merke, wie Ekel und Panik von mir abfallen. Heinz drückt seine Ungläubigkeit über die Chitin-Invasion mit einem prägnanten „Ah, leck!“ aus, nimmt das ganze aber ansonsten mit stoischer Ruhe, worüber ich unglaublich froh bin, gepaart mit ein wenig Stolz auf meinen Liebsten. Annette in ihrer Rolle als Gastgeberin hingegen ist fix und fertig, den Tränen nahe und krallt sich wortlos an einer Dose Bier fest, deren Öffnung sie sorgfältig mit dem Finger zuhält. Das allerdings wäre nicht nötig, denn das Kroppzeug hier ist viel zu groß, um in eine Bierdose kriechen zu können…
Heinz, gelassen und hungrig, nimmt das Heft in die Hand und beginnt in aller Seelenruhe mit den Kochvorbereitungen. Jürg und ich gehen ihm zur Hand, mehr oder weniger im Blindflug, sprich fast ohne Beleuchtung, denn eine Lichtquelle zöge einfach zu viele Insekten an. Das hat aber auch eine gute Seite; im diffusen Mondlicht sehen wir wenigsten nicht so genau, was wir da an Proteinen mitschnibbeln und -kochen. Schließlich servieren wir unsere Nudel-Tomatensaucen-Chitin-Kreation und beginnen schweigend zu essen – nur nicht zu oft den Mund öffnen! Die Pasta alla Ihaha schmeckt wirklich hervorragend, insbesondere wenn man nicht über die Zutaten im einzelnen nachdenkt. Annette ist zutiefst erleichtert, dass wir alle die Situation so gut gelaunt hinnehmen und fasst sich allmählich wieder. So leicht lassen wir uns eben nicht aus der Bahn werfen.
Heinz hat mittlerweile sogar anscheinend richtig Gefallen an unseren Krabbelgästen gefunden und fingert immer wieder begeistert an riesigen Stabheuschrecken, Zikaden und Gottesanbeterinnen herum. Gerne würde er mir ihre Schönheit nahebringen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und zugegeben, sie sind schön, aber ich mag sie einfach nicht auf der Haut sitzen haben. Zu einer 10-Zentimeter-Gottesanbeterin lasse ich mich noch überreden, quasi als Angsttherapie, aber mehr verkrafte ich heute nicht. Auch nicht die Monsterzikade, die bei unserem Aufbruch ins Bett noch schnell auf dem Tisch landet. Wir stülpen ein Weinglas über sie – es ist fast zu klein – achten darauf, dass sie durch die Ritzen des Tisches genügend Luft bekommt und halten sie so für’s morgige Fotoshooting fest. Dann kämpfen wir uns durch die insektenschwangere Luft zu unseren Zelten. Stirnlampen aus, Reißverschluss auf, schnell rein und alles wieder dichtmachen! Jetzt können wir die Lampen wieder anschalten, unsere Matten aufblasen und ohne Sorge lauschen, wie unsere Zeltwand von lichtgeilen Insekten attackiert wird. Nachdem wir auch noch alle ungebetenen Gäste aus dem Inneren unserer Behausung entfernt haben – sooo viele sind es gar nicht – kuscheln wir uns aneinander, bequatschen leise den vergangenen Tag und schlafen bald erlebnissatt ein.
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